Читать книгу Schattenseiten - Stephanie Ahlen - Страница 7
ОглавлениеKapitel 2
Das Kaihalulu Beach Resort lag abgelegen von der nächsten Siedlung inmitten einer üppigen Vegetation und an einem wunderschönen weißen Sandstrand. Obwohl sämtliche Strände in Hawaii öffentlich waren und Hotels und Apartmentanlagen keine privaten Abschnitte exklusiv für ihre Gäste sperren durften, begaben sich nur wenige Einheimische oder Gäste anderer Hotels hierher. Wenn man nicht auf seinem Recht bestand, den Strand nutzen zu dürfen, wurde man vom Hotelpersonal einfach fortgeschickt und am Betreten der Anlage gehindert, auch wenn das eigentlich unzulässig war.
Der Police Officer führte sie durch einen diskreten Personalflur und von dort durch einen Notausgang in den parkähnlichen Gartenbereich des Luxushotels. Dort befanden sich auch, sorgfältig verteilt, die Strandvillen. Sie waren die teuersten und exklusivsten Unterkünfte des Kaihalulu. Sauber geharkte Wege mäanderten zwischen den Rasenflächen und Wäldchen hindurch und geleiteten sie zu einem Beach House direkt am Strand. Dort war bereits die übliche Mannschaft eingetroffen: Spurensicherung, Beamte der Crime Investigation Unit, Gerichtsmedizin. Die meisten hatten ihre Autos allerdings vor dem Hotel abstellen müssen und waren zu Fuß gegangen oder mit einem Golfwägelchen hergebracht worden. Lediglich der Transporter der Spurensicherung parkte seitlich neben dem Haus.
Ein weiterer Officer, der neben der Eingangstür positioniert war, reichte ihnen Plastiküberzieher für ihre Schuhe. Einmalhandschuhe hatten die Polizisten stets selbst dabei. Chris und Kalei schoben sich an einem der Spurensicherer vorbei, der gerade das Türschloss überprüfte, ins Haus.
Dort wurde ihr Blick zunächst auf die offene Terrasse gelenkt. Nahezu die gesamte dem Ozean zugewandte Seite des Hauses war offen und gab den Blick auf Hibiskusbüsche und Frangipanibäume, ein Stück Strand und das azurblaue Wasser des Pazifiks frei. Kalei blieb kurz im Eingang stehen, um die weiteren Details der Szenerie in sich aufzunehmen. Im Wohnzimmer herrschte weder Chaos, noch lag irgendwo ein Toter herum. Keine Markierungen auf dem eleganten dunklen Echtholzparkett, keine Blutspritzer an den Wänden oder auf den edlen Möbeln. Der Raum war teuer und geschmackvoll im Pacific Lifestyle eingerichtet. Es dominierten Holz und warme Erdtöne, hier und da eine Zimmerpflanze oder ein Blumenarrangement.
Gerichtsmedizinerin Susan Young betrat das Wohnzimmer von der Veranda aus. Sie wohnte auf halbem Weg zur North Shore beim Wheeler Army Airfield - ihr Mann war Pilot bei der US Air Force. Deshalb war sie schon deutlich früher als alle anderen Kollegen am Tatort gewesen.
Susan war gerade dabei sich die Handschuhe abzustreifen, ließ es aber bleiben, als sie Kalei und Chris erblickte. Sie winkte die beiden zu sich.
Die beiden Ermittler hatten die Verandatür noch nicht ganz erreicht, als plötzlich eine junge Frau neben ihnen auftauchte.
"Logan, wehe du patschst auch nur irgendetwas in diesem Raum an", raunte Eli Kealoha von der Spurensicherung ihnen im Flüsterton zu. Eli steckte in einem weißen Schutzanzug, hatte Überzieher, Handschuhe und eine Schutzbrille auf, trotzdem fiel sie durch ihre extravagante Frisur auf - ein Haufen wirrer schwarzer Haare mit der ausrasierten linken Schädelseite sowie die Ausläufer eines Tribal-Tattoos, das sich von ihrem linken Arm bis zum Hals erstreckte.
Ihre normalerweise Lara-Croft-ähnlichen Klamotten blieben unter ihrem weißen Tatortanzug verborgen. Eli war normalerweise keine leise Person und vergriff sich auch gerne mal im Ton, da aber anzunehmen war, dass sich Angehörige des Opfers in der Villa befanden, mäßigte sie sich glücklicherweise.
Chris Logan drehte sich gespielt empört zu ihr um und präsentierte ihr stumm seine Hände, die in sterilen Handschuhen steckten. Vor einer halben Ewigkeit hatte er sich mal an einem Tatort ein Glas Wasser in der Küche eingeschenkt und es dann zwischen Leichenteilen und Beweisstücken vergessen. Seitdem war es ein Running Gag zwischen ihm und der Spurensicherung, sich gegenseitig der Nachlässigkeit zu bezichtigen.
Eli boxte ihm mit ihrer behandschuhten Hand gegen den Brustkorb und verschwand auf die Terrasse. Chris vergewisserte sich mit einem schnellen Blick auf sein Hemd, dass an dem Handschuh kein Blut gewesen war.
Susan Young schaute der jungen Frau leicht genervt hinterher und wandte sich Kalei zu, der sich nicht an dem Geplänkel beteiligt hatte.
"Wir haben ein männliches Opfer", begann sie ohne weitere Begrüßung. "Weiß, zwischen Mitte bis Ende dreißig. Wurde von der Ehefrau leblos im Jacuzzi gefunden."
Sie drehte sich wieder zur Terrasse um und wandte sich nach links, wo man einen wunderschönen Blick auf verschiedene Schattierungen aus Blau und Grün hatte. Auf der Terrasse befand sich ein Whirlpool, einsogenannter Jacuzzi. Die Blubberei war natürlich inzwischen abgeschaltet worden. An der von ihnen abgewandten Seite des Beckens konnte man einen nassen Haarschopf erkennen. Die Gerichtsmedizinerin, Kalei, Chris und Eli Kealoha traten an das Becken heran.
Im Wasser lag ein junger, gut gebauter Mann. Kleine Unterwasserlampen beleuchteten den Körper von allen Seiten. Der Oberkörper, Mund, Nase und Augen waren unter Wasser, nur die dunkelblonden, wirren Haare befanden sich über der Wasseroberfläche. Er war unbekleidet und hatte die Augen halb geschlossen. Die vier blickten ein paar Sekunden stumm auf ihn hinab.
"Warum ist das Wasser grün?", fragte Chris nach einer Weile in die Runde. Eli lag eine schnelle Antwort auf der Zunge, aber Susan Young brachte die junge Frau von der Spurensicherung mit einem Blick zum Schweigen. Susan schätzte dumme Sprüche am Tatort gar nicht. Ein schwarzer Humor und Zynismus waren bekanntermaßen eine Methode der Tatortermittler, um mit den grausamen Gegebenheiten und der Gewalt, mit der sie in ihrem Beruf immer wieder konfrontiert wurden, umzugehen. Aber die Gerichtsmedizinerin hatte wenig Verständnis für diese Art der Stressbewältigung. Ihr gelang es, auch ohne aufgesetzte Abgebrühtheit professionellen Abstand zu ihren Fällen zu halten, was zweifellos eine hilfreiche Eigenschaft in ihrem Beruf war.
"Es handelt sich um einen Badezusatz, der vom Hotel bereitgestellt wird", erläuterte sie daher schlicht. Tatsächlich nahmen Kalei und Chris nun den wohlriechenden, blumigen Duft wahr, der vom Wasser aufstieg. Tote im Wasser dufteten meistens weniger angenehm.
Kalei sagte: "Kein Blut, keine Schnittverletzung, kein Einschuss. Könnte es sein, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist?"
Die Gerichtsmedizinerin lächelte nachsichtig. Natürlich würde sich die Todesursache erst bei der Autopsie bestätigen, trotzdem hatte sie einen starken Verdacht, der für einen gewaltsamen Tod sprach und den sie gerne mit den Ermittlern teilte.
"Ich vermute", sie betonte das Wort mit ihrem erhobenen Zeigefinger, "dass der junge Mann von hinten angegriffen wurde. Der Täter hat ihm eine Schlinge, bestehend aus einem Schal, einer Krawatte oder einem anderen weichen Tuch um den Hals geworfen und festgezogen." Sie ballte beide Hände zur Faust, um die Handbewegung zu demonstrieren.
"Der Mann im Jacuzzi war jung und kräftig. Er wird sich gewehrt haben, darauf deuten Abschürfungenam Körper, vor allem an seinem Hinterkopf, den Armen und dem Hals hin. Deswegen hat sich der Täter vermutlich auf ihn geworfen und ihn mit seinem Körpergewicht unter Wasser gedrückt. Solange, bis er schließlich ertrunken ist."
"Ein Kampf also", stellte Kalei fest. Er bemerkte einige Kerzen und Badeölfläschchen, die neben dem Jacuzzi auf dem Boden lagen. Wachs war in kleinen Tropfen um das Becken herum verspritzt und zu weißen Mustern getrocknet. Ob man darin ein ähnliches Muster wie in Blutspritzern erkennen konnte?
"Hat man die Schlinge gefunden?", wollte Chris von Eli wissen. Sie schüttelte den Kopf, sodass ihre Frisur durcheinandergeriet. "Bisher nicht. Spricht übrigens für die Vermutung von Doc Young, dass der Mann sich nicht selbst getötet hat."
Die nächste Frage der Ermittler würde sich zweifellos mit dem Zeitpunkt des Todes beschäftigen. Da ein genauerer Zeitpunkt ebenfalls erst durch die Autopsie bestimmt werden konnte, kam Susan Young auch hier dummen Fragen zuvor, in dem sie von sich aus sagte, dass der Tod vermutlich zwischen 22 Uhr abends und den frühen Morgenstunden eingetreten war.
Chris war erstaunt aufgrund der präzisen Zeitangabe. "22 Uhr abends?"
"Um Viertel vor zehn hat sich unser Opfer beim Zimmerservice noch eine Flasche Highland Park Single Malt Scotch Whisky bestellt. Diese Flasche hat er dann kurz darauf höchstpersönlich und lebendig von einem Angestellten des Hotels in Empfang genommen. Er hat auch die Rechnung selbst abgezeichnet", sagte Susan. "Danach wird er in den Whirlpool gestiegen sein."
"Wer ist das Opfer?", fragte Eli in die Runde hinein. "Ein Tourist?"
Auf diese Frage hatte Yuna Takahashi, Detective im Rang eines Lieutenants und leitende Ermittlerin am Tatort, eine Antwort. Sie war von der anderen Seite an den Jacuzzi herangetreten und stand nun im Schatten eines großen Hibiskusbusches. Der grünliche Schimmer des Jacuzzi beleuchtete ihre kleine Gestalt von unten.
"Das Opfer heißt Jamie Hayward und hatte zusammen mit seiner Frau Julia diese Villa seit vorgestern gemietet." Detective Takahashi deutete mit der Hand auf Haywards Kopf.
"Er ist nicht nur ein Tourist", fuhr sie ernst fort, "sondern auch ein Kollege von uns, sozusagen. Er ist Police Officer in England. Abteilung Wirtschaftskriminalität bei der London Metropolitan Police."
Kalei hörte die Worte "London" und "England" und ihm wurde kurz heiß. Ein Polizeibeamter.
Lani war bei der Londoner Polizei. Sie würde von dem Todesfall erfahren. Sie würde sich erinnern. An ihre Zeit in Honolulu und an ihn, Kalei.