Читать книгу Grundlagen der Visuellen Kommunikation - Stephanie Geise - Страница 13
3 Die assoziative Logik der Visuellen Kommunikation
ОглавлениеUnabhängig von der Bildgestalt oder dem Bildtypus liegt die Eigenart Visueller Kommunikation in der ihr spezifischen assoziativen Logik, die sich von der argumentativen Logik, wie sie meist in Textkommunikation anzutreffen ist, wesentlich unterscheidet. Daraus folgt, dass Bilder nur dann adäquat, und das bedeutet wissenschaftlich sinnvoll, analysiert und interpretiert werden können, wenn ihr spezifisches Kommunikationsprinzip erkannt und theoretisch und methodisch reflektiert wird (vgl. Müller 2007; Geise 2011a).
Visuelle Kommunikation folgt einer eigenen, nicht rational-argumentativen, präsentativen und holistischen Logik. Das Prinzip dieser Logik ist die Assoziation. Als bewusste oder unbewusste Verknüpfung beim Rezipienten bestehender und entstehender mentaler Konstrukte lassen sich Assoziationen und die im Assoziationsprozess aktivierten mentalen Konstrukte sowie deren Bedeutungen empirisch erfassen und analytisch rekonstruieren bzw. interpretieren (vgl. zur empirischen Erfassung von Bildwirkungen Kapitel 5; zu Techniken der Bildinterpretation Kapitel 4). Dabei sind Bild und Text nicht als konkurrierende menschliche Ausdrucksformen zu verstehen. Sie beziehen sich aufeinander, sind häufig sogar voneinander abhängig. Dies gilt insbesondere, da Bilder selten isoliert auftreten, sondern vielfach in multimodale Kontexte eingebunden sind und mit diesen interagieren: »There are no visual media« pointiert Mitchell (2005) diese Kontextbezogenheit (medialer) Visueller Kommunikation. Bilder und Texte bedingen sich wechselseitig, wenn auch in unterschiedlichen Modalitäten. Für die Visuelle Kommunikationsforschung ist damit die Berücksichtigung der grundsätzlichen Andersartigkeit der Logik textueller und Visueller Kommunikation von zentraler Bedeutung (vgl. Müller 2003; 2007; Geise 2011a; Lobinger 2012; Geise/Lobinger 2012).
Praxistipp: Forschungsprojekt
Eine Schwierigkeit zu Beginn eines Forschungsprojekts im Bereich Visueller Kommunikation ist meist die Frage, wie eng oder wie weit die Fragestellung gezogen werden soll. Ob es sich um eine Semesterarbeit, eine BA- oder MA-Abschlussarbeit oder eine Dissertation handelt, macht natürlich einen großen Unterschied bei der Auswahl der visuellen Methoden und der Gestaltung des Umfangs der zu bearbeitenden Fragestellung. Deshalb sollte schon ganz zu Beginn der visuellen Forschungsarbeit Klarheit über den zeitlich verfügbaren Rahmen, die eigenen Methodenkenntnisse und die konkrete Forschungsfrage hergestellt werden. Besprechen Sie dies explizit mit dem Betreuer Ihrer Forschungsarbeit.
Abb. 8: Plakat »HOPE« des Street Art-Künstlers Shepard Fairey : von Barack Obama, 2008
Um enge und weite Fragestellung an einem weiteren US-amerikanischen Beispiel zu verdeutlichen (vgl. Abb. 8; S. 38): Eine enge Fragestellung würde mit der Bildbeschreibung des Plakatmotivs beginnen und grob den Kontext des Obama-Wahlplakates aus dem Präsidentschaftswahlkampf 2008 klären. Wichtig wäre es hier beispielsweise, in Erfahrung zu bringen, wer das Plakat in Auftrag gegeben hat (welches Parteigremium, welche Personen), wer das Plakat gestaltet hat (welche Agentur bzw. welcher Künstler), wodurch es motiviert wurde, in welcher Auflage es plakatiert und wie es medial verbreitet wurde.
Dabei würde sich zum Beispiel herausstellen, dass das in den amerikanischen Nationalfarben Rot, Blau und Weiß gehaltene »HOPE-Plakat« gerade nicht von einer auf politische Wahlkampfkommunikation spezialisierten Werbeagentur stammt, sondern von dem Street Art-Künstler Shepard Fairey in Eigenregie und ohne konkreten Auftrag gestaltet wurde. Dieser druckte zunächst 350 Exemplare des Posters und verkaufte diese mit Genehmigung von Obamas Wahlkampfmanager Yosi Sergant auf der Straße. Weitere 350 Exemplare wurden von Fairey selbst verteilt, der auch eine digitale Version ins Netz stellte. Nicht zuletzt über Formen viraler Onlinekommunikation verbreitete sich das Motiv schlagartig. Dies veranlasste nicht nur Fairey zu einer weiteren Produktion auch verwandter Plakate; das HOPE-Thema wurde im Verlauf des Wahlkampfs auch von Obamas Kampagnenführung zunehmend adaptiert. Zum Ende der Wahlkampagne waren schließlich mehr als 200.000 gedruckte Poster und unzählige digitale Versionen verbreitet; heute gilt das Poster als prototypisches Motiv der Obama-Kampagne (vgl. Fairey und Sergant im Interview (Arnon 2009)). Inzwischen wird das HOPE-Plakat in der National Portrait Gallery in Washington ausgestellt.
Mit diesem Ergebnis wäre eine enggefasste Fragestellung sehr gut bewältigt. Eine weiter gefasste Fragestellung würde den Bildkontext des Wahlkampfes und die Motiv- und Darstellungsgeschichte des Politikerporträts einbeziehen und beispielsweise ermitteln, dass das Porträt stilistisch auf die Pop-Art-Ära rekurriert und dabei gleichzeitig auch Bezüge zum gesellschaftskritischen Social Realism aufweist (vgl. Heller 2008). Teil einer weiter gefassten Fragestellung könnte auch die Recherche und nähere Untersuchung des Produktionskontextes sein, über den in diversen Publikationen mittlerweile Details bekannt geworden sind, wie etwa in Publikationen Shepard Faireys, in denen sich der Künstler explizit zum Entstehungsprozess, aber auch zu seinen Intentionen äußert:
»As an artist the things that really struck me about Obama were his sincerity and idealism. […] When I made the HOPE portrait, I wanted to capture his idealism, vision, and his contemplative nature, this last one of the most easily overlooked qualities that a strong leader embodies. […] With my illustration, I wanted to convey that Obama had vision – his eyes sharply focused on the future – and compassion, that he would use his leadership qualities for the greater good of America in a very patriotic way. I used a photo for reference (which is now the subject of a legal dispute), and gave the illustration a patriotic color scheme, dividing the face into the red shadow side and the blue highlight side, to convey the idea of blue and red states, Democrats and Republicans, who are frequently in opposition, converging« (Fairey 2009: 7).
In einer weiter gefassten Fragestellung werden also die intendierten Bedeutungen des Bildproduzenten eruiert, im Fall von Abb. 8, das Ziel des Urhebers, den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten zugleich idealistisch und kontemplativ zu charakterisieren und visuell zu vermitteln, dass Obama eine patriotische Vision hat, welche die gesellschaftlichen und parteipolitischen Gräben zu überwinden scheint. Auch die Frage nach der Bedeutung des Motivs für die Wahlkampagne als Ganzes wäre in einem erweiterten Forschungsdesign vielversprechend. Um diese Fragen zu beantworten, wären sich wechselseitig ergänzende qualitative, historische und sozialwissenschaftliche Methoden geeignet. Im vorliegenden Fall würde dies beispielsweise zu der Erkenntnis führen, dass Obamas Wahlkampfkommunikation nicht nur durch einen beispielhaft konsequenten Einsatz neuer Medienkanäle und Medientechnologien geprägt war (vgl. Marez 2009; Stallabrass 2009), sondern sich gerade auch im klassischen HOPE-Plakat ein durchdachtes Visualisierungskonzept mit einer prägnanten Ikonografie ausdrückt, das auch bewusst auf Obamas afro-amerikanischen Hintergrund anspielt sowie auf die einfachen Verhältnisse, aus denen er stammt (vgl. Cartwright/Mandiberg 2009).
Inwiefern sich diese Intention tatsächlich auch in der Wahrnehmung der Wähler widerspiegelt, wie das Motiv also rezipiert, verstanden und interpretiert wird und mit welchen Wirkungen dies verbunden ist, wären hingegen Fragen aus der Perspektive der Rezeptions- und Wirkungsanalyse (vgl. Kapitel 5), für die oft experimentelle bzw. standardisierte Verfahren eingesetzt werden. Um Aussagen über das Verständnis und/ oder die Wirkungspotenziale des Plakates treffen zu können, würden sich beispielsweise Befragungen in einem experimentellen Setting anbieten. Auch eine empirischqualitative Vorgehensweise, bei der etwa fokussierte Gruppendiskussionen eingesetzt werden, wäre denkbar (vgl. Mayring 2010; Schreier 2012).
Ob eine enge oder eine weite Fragestellung für das Forschungsprojekt gewählt wird, ist abhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit sowie von dem Anspruch der Studie. Ein typischer Anfängerfehler ist hierbei, die Fragestellung viel zu weit zu ziehen und dann im Verlauf des Schreibens den Überblick zu verlieren, um dann zum Schluss der Arbeit die bereits eingangs formulierte These ohne kritisch-abwägende Erörterung zu bestätigen. Lieber klein anfangen, solide beschreiben, analysieren und die Befunde reflektiert einordnen und interpretieren (vgl. Kapitel 4).
Zu Beginn Ihrer visuellen Forschung sollten Sie sich auch einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Methoden verschaffen. Hierzu ist ein Methodenhandbuch geeignet, herausgegeben von Thomas Petersen und Clemens Schwender, »Die Entschlüsselung der Bilder. Methoden zur Erforschung visueller Kommunikation«. Köln: Halem, 2011.
Für MA-Arbeiten und Dissertationen empfiehlt sich zudem die Beobachtung der einschlägigen Fachgesellschaften und der Besuch der Jahrestagungen, auf denen aktuelle Forschungsthemen vorgestellt werden. Für den deutschsprachigen Raum ist dies die Fachgruppe Visuelle Kommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK): www.dgpuk.de/fachgruppenad-hocgruppen/visuelle-kommunikation. International gibt es Fachgruppen Visuelle Kommunikationsforschung in der International Communication Association (ICA), in der Association for Education in Journalism and Mass Communication (AEJMC) sowie der International Visual Sociology Association (IVSA). Zudem ist es lohnenswert, die Publikationen in den drei auf visuelle Forschung spezialisierten internationalen Zeitschriften im Auge zu behalten: Visual Communication Quarterly, Visual Communication und Visual Studies. Für Rezeptionsstudien im Besonderen ist es zudem ratsam, die Betreuerin bzw. den Betreuer Ihrer Arbeit hinsichtlich der Möglichkeit einer Einbettung in ein laufendes Forschungsprojekt anzusprechen. Teamarbeit ist hier die Regel.