Читать книгу FEUERPROBE (Retreat 5) - Stephen Knight - Страница 10
Kapitel 6
ОглавлениеSandra Rawlings sah dabei zu, wie Muldoon seine Lightfighter und die Soldaten, die sie unterstützten, zusammenstauchte. Drei Fünftonner standen am Rand einer kleinen Lichtung, ihre leeren Ladeflächen waren mit heruntergelassenen Ladeklappen zum gerodeten Waldboden hin ausgerichtet. Der kleine Fuhrpark wurde von einem der verbliebenen Stryker Kampffahrzeuge bewacht, das ungefähr fünfzig Meter entfernt stand, während sein Dieselmotor im Leerlauf tuckerte. Der vierachsige Radschützenpanzer war mit einem GAU-19, .50-Kaliber-Maschinengewehr bestückt, das in einem fernlenkbaren Geschützturm montiert war. Es war eines der beiden Fahrzeuge dieses Typs, die das Bataillon noch in Betrieb hatte. Rawlings hielt grundsätzlich nicht viel vom Stryker – er war ein Miststück, wenn man daran arbeiten musste, und als ehemalige Schraubenschlüsselschwingerin hasste sie diesen Scheiß, der einem die Arbeit schwer machte – aber das GAU-19 war eine ganz andere Sache. Die Waffe war eine Wunderleistung der Ingenieure, und die Menge an Blei, die das Teil verschießen konnte, war wirklich beeindruckend.
Außer für die Klowns, rief sie sich in Erinnerung.
Sie brachte ihr M4 in Anschlag und beobachtete Muldoon dabei, wie er zu Nutter hinüberging, der gerade geschäftig aus einem Glasbehälter Essen in seinen Mund löffelte. Das war ziemlich ungewöhnlich; Armeeproviant wurde, wenn überhaupt, nur selten in Glas verpackt, also vermutete sie, dass er ihn aus der Kantine in High Point organisiert hatte. Muldoon näherte sich von hinten, sodass Nutter ihn nicht kommen sah. Und obwohl das Gras auf der Wiese, auf der sie stand, hoch wuchs, hörte Rawlings kein Geräusch. Trotz seiner Größe bewegte sich der Mann mit der Geschmeidigkeit eines Ninjas.
»Colonel Nutter, Sir«, bellte Muldoon.
Beim Klang von Muldoons Stimme verschluckte sich Nutter etwas und wandte sich mit einem verblüfften Gesichtsausdruck um. Während Muldoon dem kleineren Mann gegenüber spöttisch salutierte – direkt aus seinem Lauf heraus – beeilte sich Nutter, schneller zu kauen und das herunterzuschlucken, was auch immer sich in seinem Mund befand.
»Oh, hey, Duke«, sagte er.
»Was isst du denn da, Slick? Büffeleier oder was?«
»Ähm, nein, keine Büffeleier, Duke.«
Muldoon blieb vor Nutter stehen und sah leicht grinsend auf ihn herab, seine Hände hatte er dabei in die Hüften gestemmt, obwohl sie eigentlich sein M4 halten sollten.
Rawlings wusste, dass Muldoon mit seiner entspannten Pose ein Statement machen wollte. Alles war in Ordnung. Die Augen des großen Unteroffiziers waren hinter seiner Sonnenbrille nicht zu erkennen.
»Okay, wenn das keine Büffeleier sind … was denn dann?«
»Ähm, eingelegte Pilze.« Nutter räusperte sich. »Willst du, äh, mal kosten?«
»Pilze?« Muldoon machte einen kleinen Schritt nach hinten und grinste. »Pilze? Hey Rawlings, hast du diesen Scheiß gehört, Ba…«
Im allerletzten Moment stoppte Muldoon sich selbst. Das Letzte, was Rawlings hören wollte, war, wie ein Kerl wie Muldoon sie Baby nannte.
»Ich kann von hier aus alles hervorragend verstehen«, antwortete Rawlings. »Auch während ich mein Schussfeld und alles andere bewache.«
Muldoon schnaubte und sah wieder auf Nutter hinunter. »Okay, Colonel. Wo hast du denn die eingelegten Pilze her? Sind das etwa spezielle Pilze? Gewürzt mit PCP oder etwas in der Richtung?«
»Nein, nein, einfach nur ein paar gute alte eingelegte Pilze, Duke.«
»Ich denke, eigentlich ist das hier doch eher eine Frage von Klasse, Nutter. Warum isst du überhaupt eingelegte Pilze? Ist dir der Rest des Salats, auf den sie eigentlich gehören, ausgegangen? Ich meine, echt, das musst du doch zugeben. Ein Soldat, der mitten in einem Kampfgebiet eingelegte Pilze isst, das ist doch ziemlich kranker Scheiß, oder?«
»Komm schon, Duke. Die schmecken großartig. Nicht so wie das Zeug, das wir mit den Feldrationen bekommen.« Nutter machte eine kurze Pause. »Okay, vielleicht mit Ausnahme des Jalapeno Käses, aber den will ja auch keiner mit mir tauschen. Das ist wie die Währung einer neuen Nation, verstehst du? Also muss ein Mann mit dem zurechtkommen, was er hat. Hab ich recht?«
»Ehrlich gesagt kann ich mich nicht daran erinnern, jemals eingelegte Pilze gegessen zu haben«, antwortete Muldoon. »Verpasse ich da gerade eine große Delikatesse, Colonel? Wirst du das etwa alles deinen kleinen Gibbonhals heruntergleiten lassen, ohne dem Rest von uns etwas davon anzubieten?«
Nutter bugsierte sich für einen Moment auf seine Füße. »Nun hör mal. Ich gebe dir gern einen ab, Duke.« Noch während er das sagte, stach er seine Gabel in das Glas, spießte einen der glänzenden Pilze auf und hielt ihn Muldoon entgegen. Der große Sergeant betrachtete ihn eine ganze Weile, als wäre es eine außerirdische Lebensform, dann nahm er blitzschnell das ganze Glas aus Nutters Hand.
»Hey …!«, war alles, was Nutter noch sagen konnte.
Muldoon hielt sich das Glas an den Mund und schluckte den kompletten Inhalt in einem Zug herunter.
Rawlings stieß ein angeekeltes Brummen aus. Er kaute die Pilze nicht, er jagte sie den Rachen hinunter, als würde er ein Bier herunterkippen. Als die essiggesättigte Lösung in einem durchgehenden Strom in Muldoons scheinbar endlosen Schlund verschwand, machte Nutter ebenfalls ein Geräusch, allerdings war dieses voller unendlicher Trauer.
Falls Muldoon auch nur ein einziges Mal schluckte, so konnte das Rawlings von ihrer Position aus nicht erkennen.
Als Muldoon fertig war, rülpste er und gab Nutter das leere Glas zurück. Nutter starrte es mit traurigem Blick an, wobei seine Mundwinkel niedergeschlagen herunterhingen.
Muldoon leckte sich die Lippen. »Für mich war da ein bisschen zu viel Essig dran, aber – oh, warte mal …«
Der große Mann unterbrach sich für einen Moment, dann ließ er einen gewaltigen Furz fahren, den sogar der Fahrer des Strykers in mehr als 30 Metern Entfernung hören konnte.
»Ja, das wird nachher noch mal so richtig brennen. Danke für die Warnung, Colonel.«
»Verdammt, Duke.« Nutter starrte auf das leere Glas in seiner Hand. »Ich meine, da ist nicht mal ein Stiel übrig.«
Muldoon beugte sich vor und stieß Nutter gegen seinen Brustpanzer. »Ich will dich an deinem gottverdammten Gewehr sehen, und zwar, während du aufpasst, was sich in deinem verdammten Schussfeld tut. Ich will nicht, dass du dein Hillbilly-Gesicht mit Pilzen oder Artischocken oder Lima-Bohnen oder welchen Scheiß du auch sonst noch im Untergrund-Hotel gefunden hast, vollstopfst, kapierst du das? Du sollst hier Klowns erschießen, und das bedeutet, dass du gefälligst dein beschissenes Gewehr in der Hand hältst und es nicht am Tragegurt um deinen Hals hängt. Hast du mich jetzt endlich verstanden, Colonel?«
»Ja. Teufel noch mal, laut und deutlich. Scheiße!«
Muldoon rückte noch näher an ihn heran. »Dann schmeiß jetzt das Glas weg und schnapp dir dein verdammtes Gewehr!«, donnerte er mit einer Lautstärke, dass es niemand im Umfeld überhören konnte. Rawlings wandte ihren Kopf zur Seite. Die ganze Flieherei, die ganzen Kämpfe, das ständige Warten auf die Klowns, das Töten. Irgendwann musste das auch mal Muldoon erreichen, und jetzt war es so weit, was für Nutter dumm war.
Rawlings fand das spannend. Tatsächlich machte es sie höllisch neugierig. Es bedeutete, dass Muldoon auch nur ein menschliches Wesen war, so wie alle anderen in der Einheit, und dass selbst er inzwischen anfing, ein wenig am Rad zu drehen.
»Bin schon dabei«, antwortete Nutter mit einem leichten Zittern in der Stimme. Er warf das leere Glas ins Gras und griff nach seinem Gewehr. Während Muldoon dasselbe tat, warf er Rawlings über Nutters Helm hinweg lächelnd einen Blick zu. Sie war sich sicher, dass er ihr dabei auch noch zuzwinkerte, aber das konnte sie wegen seiner Sonnenbrille nicht erkennen. Rawlings schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder darauf, die Baumreihen in ihrem Schussfeld zu kontrollieren.
Obwohl es schon eine ganze Weile her war, seit die Klowns einen koordinierten Angriff versucht hatten, waren sie immer noch da draußen und schlichen herum. Es hatte zwar den Tag über mehrere Kontakte mit ihnen gegeben, aber deren Anzahl hatte abgenommen, was bedeutete, dass die Crazies entweder etwas planten oder aber ein interessanteres Ziel, als das 55ste Infanterieregiment gefunden hatten.
Rawlings glaubte keine Sekunde daran, dass es das Letztere sein könnte. Die Klowns waren immer noch da draußen, planten und heckten etwas aus. Sie spürte das in ihren Knochen. Die gaben nicht auf, zogen sich nie zurück. Niemals.
Der Lieutenant, der das Kommando über die Abwurf-Sicherheitszone hatte, wedelte mit dem Arm in der Luft herum.
»Zwei Minuten«, schrie er. »Muldoon, sorgen Sie dafür, dass Ihre Leute bereit sind.«
»Erledigt, Sir«, rief der zurück. Während er sprach, wandte er sich von einer Seite zur anderen, um sicherzustellen, dass sich seine Schützen auf den zugewiesenen Positionen befanden und bereit für den Abwurf waren.
»Jeder ist in Position.«
Rawlings lauschte. Der Tag war bisher warm und kaum bewölkt gewesen. Vögel zwitscherten, Insekten summten, und aus der Nähe waren die Geräusche von Menschen und Maschinen zu hören, die sich um den befestigten Eingang von High Point herum bewegten.
Rawlings konzentrierte sich wieder voll auf die Bäume und Büsche, die die Wiese umrahmten, um auf die verdächtigen Geräusche einer Horde von Angreifern zu lauschen, die durch das Unterholz herangestürmt kamen. Doch bis auf das normale Rascheln von Blättern in der unregelmäßigen Brise hörte sie nichts Ungewöhnliches.
Dann erklang ein fernes Grollen. Düsentriebwerke.
»Gewehre bereit«, bellte Muldoon.
Das Grollen schwoll zu einem kreischenden Brüllen an, als zwei C-15 Cargo-Düsenmaschinen auf sie zugeflogen kamen. Bei einer Flughöhe von knapp 200 Metern und einer Geschwindigkeit von über 450 Stundenkilometern würden sie nicht lange in Sicht bleiben. Die bauchigen, mit vier Düsentriebwerken ausgestatteten Jets flitzten versetzt hintereinander über die Wiese. Der erste Jet warf vier Objekte ab, der andere zwei. Einen Moment lang stürzten die auf Paletten gestapelten Container im absoluten freien Fall taumelnd und sich drehend zur Erde. Dann öffneten sich ihre Fallschirme, die sich schlagartig mit Luft füllten, noch bevor die daran befestigten Container gerade mal 30 Meter gefallen waren. Sobald die Fracht sicher in Richtung Boden sank, hörte Rawlings, wie die C-15 Jets beschleunigten, als ihre Piloten Schub gaben, um sich so schnell wie möglich wieder aus dem Klowns-Territorium zu verdrücken.
Die Container schaukelten an ihren Fallschirmen kaum hin und her, sie waren das, was man bei der Air Force als Hochgeschwindigkeitslieferungen bezeichnete – die Fallschirme sollten sie nur etwas abbremsen und auf ihrem Weg zum Landeplatz mehr oder weniger stabil halten. Die erste Palette landete bereits ein paar Sekunden, nachdem sie vom Jet abgeworfen worden war, und hüpfte im hohen Gras herum, weil sich der Schirm durch einen plötzlich aufkommenden Windstoß wieder mit Luft gefüllt hatte. Durch die Brise begannen die noch in der Luft befindlichen Container auf dem Wind reitend ihre Richtung zu verändern. Sie bewegten sich jetzt sogar direkt auf die Fünftonner zu, was Rawlings für einen glücklichen Zufall hielt. Das bedeutete, dass die Soldaten diese Container schneller aufladen und zum Hauptlager vor High Point zurückkehren konnten.
»Hey, kann es sein, dass das Ding gleich den Truck trifft?«, rief Nutter plötzlich und deutete auf einen der Container, der schnell herunterkam. Einer der grünen Halteriemen, der die Ladung auf der Palette sicherte, hatte sich gelöst und flatterte in der Luft wie eine Fahne herum. Rawlings starrte nach oben. Und tatsächlich schwebte die Palette genau auf einen der wartenden Fünftonner zu. Noch während sie hinschaute, schlug die Palette mit mehr als 90 Stundenkilometern mitten auf der Ladefläche auf.
»Beschissene Air Force«, polterte Muldoon.
Der Lärm war unbeschreiblich. Die Stoßdämpfer des Trucks federten krachend und der Fahrer hechtete aus seiner Kabine, weil er dachte, er stünde unter feindlichem Beschuss. Die restlichen Befestigungsseile rissen ebenfalls und eine Ausrüstungskiste nach der anderen wurde über den Platz geschleudert. Die Palette wurde zerfetzt und jagte einen Splitterschauer durch die Luft. Der Wind blähte den Fallschirm immer noch auf, sodass die Reste der Ladung über die Ladefläche des Trucks gezogen wurden, dann wickelte er sich um die Fahrerkabine. Der Schütze, der das M240 auf dem Dach des Trucks bediente, kämpfte dagegen an, versuchte sein Geschütz freizuhalten, und scheiterte. Als der Fallschirm sich schließlich verheddert hatte, flatterte er knallend im Wind.
Rawlings erinnerte das Geräusch vage an das Furzen eines Riesen, der unter Verstopfung litt.
»Scheiße! Lassen Sie das Chaos in Ordnung bringen, Sir!«, befahl Muldoon und starrte den Lieutenant an, der das Bergungsteam anführte. Der Offizier sah wegen Muldoons Ton etwas verärgert aus, dann winkte er aber leicht zerknirscht mit der Hand.
»Okay, wir sind schon dran. Passt ihr Typen lieber auf eure Ziele auf!«
Eine Private First Class von der Pennsylvania National Guard namens Campbell hob plötzlich ihr M4 leicht an und machte einen Schritt nach hinten.
»Was war das?«, blaffte sie und starrte mit zusammengekniffenen Augen unter ihrem Helmrand hervor.
»Was war was?«, fragte Rawlings.
»Hör doch«, knurrte Campbell, während ein weiterer Container auf dem Boden aufschlug. Das Bergungsteam kümmerte sich erwartungsgemäß sofort darum, aber Campbell blieb weiterhin in Alarmbereitschaft. »Ich höre Lachen!«
Rawlings brachte ihr Gewehr in Anschlag.
Sie lauschte, so gut sie konnte. Sie hörte, wie die Container auf dem Feld auftrafen, die Anweisungen, die Muldoon und der Rest der Truppe hin- und herschrien und das Tschilpen der Vögel in den Bäumen. Dann nahm sie ein Kichern wahr, allerdings in einem unregelmäßigen Rhythmus. Sie hatte so etwas schon früher gehört. Und während die Soldaten immer noch mit dem Fallschirm kämpften, der sich um die Fahrerkabine des M925 gewickelt hatte, war sie sich absolut sicher, um was es sich dabei handelte. Sie würde das niemals im Leben wieder vergessen.
Ein Klown, der vor ungebrochener, wahnsinniger Freude gluckste.
Und er war sehr nah.
»Muldoon!«, brüllte sie.
Die ersten Schüsse knallten los, links von ihr schrien Soldaten auf und stürzten zu Boden, als sie von Kugeln getroffen wurden.
Eine Millisekunde nach Nutter ließ sich Rawlings ebenfalls aufs Knie sinken, während der dürre Soldat bereits seine Waffe herumschwenkte und auf die Bäume zu seiner Linken zu feuern begann. Sein M4 spuckte dabei leere Patronenhülsen aus, die in der strahlenden Sommersonne glitzerten. Rawlings stieg mit ihrem Gewehr ebenfalls in dem Kampf ein, obwohl sie kein direktes Ziel hatte und sich andere Soldaten in ihrer Schussbahn befanden. Sie versuchte an ihnen vorbeizuschießen und jagte diverse Salven in den Wald.
Rawlings entdeckte Gestalten, die sich im Dickicht bewegten, und fragte sich kurz, ob sie und Nutter vielleicht gerade auf eine Sicherheitspatrouille feuerten, von der sie nichts wussten. Die Dinge waren in dieser neuen Welt so dynamisch und überschlugen sich ständig, sodass sie sich nicht einmal mehr die Zeit zu nehmen wagte, ihre Ziele genau zu bestimmen. Verbündete konnten innerhalb eines Herzschlags für Feinde gehalten werden, etwas, was als immens große Gefahr ständig über ihnen schwebte. Und trotzdem war sie hier und stemmte sich gegen ihr M4, während es bellend glühende Kugeln in den Wald um sie herum jagte. Und das alles, ohne vorher überprüft zu haben, dass sie tatsächlich Feindkontakt hatte.
Doch immer mehr Gewehrfeuer dröhnte aus den Baumreihen hervor und immer mehr Soldaten brachen getroffen zusammen.
Yeah. Das war eindeutig Feindkontakt.
Die Klowns verließen einen Moment später ihre Deckung, eine Gruppe mit mindestens fünfzig bis sechzig Angreifern ergoss sich aus den Baumreihen. Sie strömten in wechselnden Positionen auf die wartenden Trucks zu und feuerten dabei ihre Waffen ab. Das, und die Tatsache, dass sie dabei lautstark lachten, erhöhte ihre Treffsicherheit nicht besonders. Die Soldaten konnten sich fast sofort wieder fangen und ihr Gegenfeuer war alles andere als unpräzise.
Nach mehreren Monaten fortwährender Auseinandersetzungen mit den Crazies waren die Soldaten der 10ten und der Pennsylvania Army National Guard kampferprobt und wussten, was sie erwartete. Ihr Verteidigungsfeuer war zwar nicht annähernd so überraschend wie das der angreifenden Horde, dafür aber war es diszipliniert und konzentriert. Ein Klown nach dem anderen fiel in einem Umkreis von dreißig Metern zur Baumlinie.
Und dann brüllte der Motor des Stryker auf, als das bewaffnete, achträdrige Fahrzeug auf die Lichtung vordrang. Die auf einer Kuppel montierte GAU-19 ließ tosend ihr elektrisches Lied erklingen und schickte dabei rasend schnell Hunderte .50mm-Geschosse auf den Weg.
Die Klowns explodierten förmlich beim Angriff einer so mächtigen Waffe, wurden, als die schweren Geschosse ohne Unterlass ihre Ziele zerschnitten, in bloße Haufen zermalmter, blutiger Materie zerfetzt. Die Angreifer wurden in weniger als dreißig Sekunden niedergemetzelt, und das Einzige, was sie danach noch zu machen hatten, war, die Toten von den Sterbenden zu unterscheiden.
»Hey, das hat jetzt aber nicht lange gedauert«, rief Rawlings Campbell zu.
»Vertrau denen bloß nicht«, antwortete Campbell.
Sie behielt ihr Gewehr an der Schulter im Anschlag und sah sich auf dem Schlachtfeld um. Sie trug Zahnspangen, die beim Sprechen in der Sonne glänzten. In einigen Metern Entfernung ermahnte Muldoon die Soldaten, in Alarmbereitschaft zu bleiben und ihre Schussfelder im Blick zu behalten.
Der Stryker stoppte, sein Geschütz war immer noch auf die Baumreihe zu seiner Linken gerichtet, dorthin, wo die Klowns ihre Attacke gestartet hatten. Etliche der gefallenen Angreifer wanden sich noch, stießen, während sie verbluteten, weiterhin stakkatomäßig ihr trockenes Gelächter aus und tränkten dabei den Boden unter sich mit ihrem Lebenssaft. Muldoon hatte bereits Soldaten eingeteilt, die zwischen ihnen herumgingen und jeden, der noch eine Bedrohung werden könnte, abknallten, während Sanitäter die eigenen Verletzten versorgten. Rawlings entdeckte lediglich zwei Soldaten, die getroffen worden waren und einem davon half man gerade wieder auf die Beine.
»Los jetzt, schaffen wir die Verwundeten hier weg und dann wird dieser ganze Mist aufgeladen!«, rief Muldoon zum Bergungsteam hinüber. Er winkte mit einem seiner kräftigen Arme in Richtung der abgeworfenen Paletten, von denen die letzte gerade auf dem Feld gelandet war. Während sich die Situation stabilisierte, machten sich die Soldaten an die Arbeit. Rawlings und Campbell wechselten einen schnellen Blick und wandten sich dann wieder ihren Schusskorridoren zu.
Rechts von Rawlings kam ein Donnern herangerast. Etwas zischte – ein schnelles Sssst! –, während eine feurige Spur quer über das Feld schoss. Sie wandte sich gerade dem Geräusch zu, als der Stryker bereits in die Luft flog. Während sie von der Druckwelle getroffen wurde, stieß sie unwillkürlich einen Schrei aus und beobachtete, wie der Geschützturm vom Fahrzeug abgesprengt wurde, wobei es das dreiläufige .50-Kaliber-Maschinengewehr zerfetzte und der Rest einen Schwanz aus gegurteter Munition hinter sich herzog. Ein Schlag traf sie an der Schulter, als sie sich gerade hinkauerte. Es war der abgetrennte, ärmellose Arm des Bordschützen, nackt und ohne eine Spur von Uniform, von dem Handschuh an seiner Hand abgesehen. Er trug ein Stacheldrahttattoo um den Bizeps herum, direkt unter der blutigen Abrisskante, wo der Arm bei der Explosion abgetrennt worden war.
Der Stryker begann zu brennen, und Rawlings hörte den Fahrer schreien, als Rauch aus dem getroffenen Fahrzeug herausquoll.
»Trau ihnen niemals!«, schrie Specialist Campbell, während sie sich schnell umdrehte und ihr Gewehr auf die Bäume hinter dem brennenden Stryker richtete. Rawlings tat das Gleiche, genau in dem Moment, als eine große Anzahl von Klowns auftauchte. Diese Truppe war wesentlich größer als die erste, und sie entdeckte viele Uniformen in der Menge. Es fühlte sich an, als würde ein Eisklumpen Rawlings Herz umschließen, der weiter anwuchs, als die neue Welle von Angreifern ausschwärmte. Kugeln flogen an ihr vorbei.
Rawlings und Campbell erwiderten sofort das Feuer. Etwas landete neben Rawlings und sie erhaschte aus dem Augenwinkel einen Blick auf Nutter, der sich ein paar Meter entfernt aufs Knie fallen ließ und mit seinem M4 einstieg. Sie feuerten auf Halbautomatik und mähten ihre Angreifer nieder, sobald sie zwischen den Bäumen auftauchten. Hinter ihr krachten weitere Gewehre, und mehr Angreifer fielen, gackernd und laut lachend. Für die Klowns fühlten sich die Wunden richtig gut an.
Kugeln pfiffen an Rawlings vorbei. Die ein paar Meter an ihr vorbeiflogen, machten ein summendes Geräusch. Die nur ein paar Zentimeter an ihr vorbeigingen, knallten wie Feuerwerkskörper. Viele der Angreifer hatten keine Schusswaffen, doch sie hielten andere Waffen in den Händen, Schlagstöcke, Messer, Macheten, Äxte, Hämmer und in einem Fall sogar einen Krocketschläger. Die Horde starrte vor Schmutz, ihre Mitglieder waren mit allen möglichen Tattoos verziert, die wie Stammeszeichen aussahen. Einige waren nackt. Andere trugen teure Geschäftsanzüge, die jetzt mit Blut, Schlamm, Nahrung und Exkrementen verschmutzt waren, und Rawlings hatte keine Ahnung, mit was sonst noch. Die Verrückten stürzten direkt auf die Gewehre des Bergungsteams zu, selbst wenn das ihren Tod bedeuten sollte.
Was es auch tat.
Der Fahrer des Strykers hörte schließlich auf zu schreien. Mehrere .50-Kaliber-Patronen begannen zu explodieren, als das Fahrzeug weiter brannte und eine dicke Säule aus sich windendem, schwarzen, wogenden Rauch in den klaren blauen Himmel schickte. Er roch selbst aus über dreißig Metern Entfernung herb und beißend, doch eigentlich begrüßte Rawlings den Rauch sogar. Er würde jedem in High Point zeigen, wo sie zu finden waren.
»Die Scheißer kommen immer näher, denen verpasse ich eine Splittergranate!«, rief Nutter mit hoher Stimme, die schon fast mädchenhaft klang. Er ließ sein Gewehr sinken und zog eine Splittergranate aus seinem Kampfgeschirr.
»Weißt du denn, wie man diesen Scheiß wirft, Kleiner?«, schrie Campbell über den Lärm hinweg. Ein Soldat mit einem leichten Maschinengewehr kam angerannt, ließ sich neben ihr fallen und richtete die automatische Waffe so aus, dass sie am besten unterstützte.
»Ich bin mir sicher, dass du bestimmt besser mit Bällen jonglieren kannst als ich!« Nutter griff nach dem Sicherungsstift der Granate, riss den Sprengkörper davon weg und zog den Stift dadurch heraus. Es funktionierte nicht wie in den alten Filmen. Tatsächlich riss er die Waffe vom Stift weg, nicht umgekehrt. Er wandte sich um und warf sie in Richtung der vorrückenden Gruppe von Angreifern.
»Granate fli…!« Seine Warnung wurde abrupt unterbrochen, und Rawlings meinte, von dort, wo er stand, ein metallisches Pingen zu hören. Er taumelte mit einem lauten Seufzer nach hinten und fiel auf seinen schmalen Arsch. Nutter war getroffen worden, aber er hatte es trotzdem noch geschafft, die Ware abzuliefern.
»Granate fliegt!«, schrie Rawlings.
Die Splittergranate flog in hohem Bogen durch die Luft, einer der Klowns versuchte tatsächlich, sie mit seinem Schläger zu treffen, und berührte sie dabei sogar leicht. Doch die Granate war zu schwer, um von etwas anderem als einem perfekten Schlag abgelenkt zu werden, und so verschwand sie im hohen Gras. Der Klown mit dem Schläger lachte und deutete auf sie, dann sprang er darauf zu. Die Arme in einer preiswürdigen Superman-Haltung ausgestreckt. Die Granate ging los, während der Mann noch mitten im Flug war, und schleuderte seinen Körper in der Luft mehr als drei Meter zurück, dann stürzte er mit dem Arsch nach oben zu Boden. Weitere Klowns fielen schreiend vor Lachen, krümmten und wanden sich, während die durch Hysterie angefeuerte Freude an ihren eigenen Verletzungen sie fest in ihrer Umklammerung hielt. Dann erwachte das Maschinengewehr zum Leben, und eine Seite der Gefechtslinie ihrer Angreifer brach in sich zusammen, als etliche Körper fielen.
Rawlings behielt ihr Gewehr im Anschlag und feuerte weiter. Die Granate hatte das Vorrücken der Klowns zwar aufgehalten, doch das half bei ihrem endlosen Problem nur kurzzeitig. Ihr Magazin lief leer. Während sie es auswarf und vor sich ins Gras fallen ließ, warf sie einen Blick zu Nutter hinüber. Er saß ein wenig vornübergebeugt im Gras und hielt sich den Brustkorb.
»Nutter! Wie schlimm hat es dich erwischt?«, schrie sie, während sie ein neues Magazin aus ihrer Weste fingerte.
»Mir geht’s gut, die Panzerung hat es gestoppt!« Nutter klang wegen seines mächtigen Glücks selbst überrascht.
»Dann schnapp dir dein Gewehr, du kleiner Wichser!« Das kam von Muldoon, als er nach vorn stürmte und sich neben dem Maschinengewehrschützen auf ein Knie fallen ließ. »Ist nicht die Zeit dafür, bei dir eine Nabelschau zu machen!«
Rawlings nahm das Feuern wieder auf. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Nutter sein M4 hob und aus der sitzenden Position heraus zu schießen begann. Hinter der vordersten Baumreihe tauchten noch mehr Gestalten auf, gut fünfzig bis sechzig weitere gackernde Verrückte. Sie drängten alle auf einmal nach vorn und heulten angesichts der Ironie des Ganzen auf, während sie sich ins Getümmel stürzten. Rawlings und die anderen feuerten, so schnell sie konnten, doch selbst mit Unterstützung des Maschinengewehrschützen, der so vielen Klowns die Kniescheiben zerschoss, wie seine Waffe feuern konnte, füllte die neue Welle die erste auf. Innerhalb weniger Augenblicke waren die Klowns in ihrer Reichweite.
Campbells Gewehr lief leer, und ein Klown sprang auf sie zu. Die kleine schwarze Frau wich nicht vor Angst zitternd zurück. Sie ließ stattdessen ihre Waffe los, flitzte nach vorn und schlug den Verrückten mit ihrem Helm direkt ins Gesicht. Aus der frisch gebrochenen Nase lief Blut über das Gesicht des Mannes, was ihn aber nicht im Geringsten beeindruckte.
»Oh ja, Baby! Wo warst du bloß mein ganzes Leben lang?«, höhnte er und ging mit einem Messer auf Campbell los. Sie tänzelte zurück, doch die Klinge schlitzte den rechten Ärmel ihres Armeehemdes auf. Auch wenn die Sache knapp war, so schreckte sie das nicht ab. Sobald die Klinge wieder den Bogen nach unten machte, trat sie nach vorn und ließ mit rechts eine anständige Gerade los, der unmittelbar zwei mächtige linke Haken folgten. Der angreifende Klown war zwar deutlich größer als sie, trotzdem rollten seine Augen nach hinten, dann fiel er wie ein Sack Kartoffeln um und brach im hohen Gras zusammen. Für einen Moment stand Campbell mit erhobenen Fäusten über ihm und starrte mit hartem Blick auf ihn herab.
»Ganz recht, weißer Mann – dir hat gerade eine scheiß coole Braut von knapp eins-sechzig in den Arsch getreten!«, schrie sie und ließ sich auf ihn fallen und prügelte wieder und wieder auf ihn ein, wobei sie bei jedem Schlag ihre fünfzig Kilo Körpermasse voll einsetzte.
Schließlich kam ihr eine Gruppe Klowns zu nahe und Campbell zog sich zurück. Ihr Blick war immer noch hart, aber sie schnappte sich ein Magazin aus ihrer Weste und warf das leere aus dem Gewehr aus. Doch sie würde nicht schnell genug sein und Rawlings konnte ihre Waffe nicht von den Zielen vor ihr abwenden – sie befand sich in der gleichen Gefahr.
Die Verrückten, die nach Campbell griffen, zuckten und heulten, als Muldoon ihnen schnelle Drei-Schuss-Salven verpasste und Vollmantelgeschosse durch ihre Körper jagte. Das gab Campbell genug Zeit zum Nachladen. Sie rammte das Magazin ins Gewehr, löste die Entriegelung und kehrte zum Geschäft des Tötens zurück.
»Super Show, Leon Spinks, aber es ist besser, sie zu erschießen, als mit ihnen zu boxen!«, knurrte Muldoon. »Du behältst verdammt noch mal dein Gewehr in der Hand, oder ich trete dir so hart in deinen kleinen Arsch, dass du zwei Kerben hast, anstatt einer!«
»Will ich sehen, wie du das versuchst«, antwortete Campbell, ohne ihn dabei anzublicken. Ihre Stimme war in dem Gefechtslärm kaum zu hören.
Eine dreckige Frau, die nur ein schmutziges Baumwollhöschen anhatte, duckte sich unter Rawlings' Schussfeld hindurch und griff sie an, wobei sie den hastigen Schuss ignorierte, den ihr Rawlings in die Schulter jagte. Die Wunde begann fast sofort stark zu bluten, und Rawlings fand das an der ganzen Situation am erschreckendsten. Während die Frau gegen sie prallte und sie auf den Rücken stürzte, konnte Rawlings nur an das Blut denken. Und an den infektiösen Virus, den es in sich trug.
Rawlings trug keine Schutzausrüstung. Fast niemand im Bergungsteam tat das; sie waren so weit hinter den eigenen Linien, dass ein Angriff nicht möglich schien, aber hier war er, live und in Farbe.
»Wie geht’s, Schwester?«, gackerte die Frau, die auf Rawlings hockte. Die Frau griff nach Rawlings’ M4 und spuckte sie dabei an. Rawlings wandte sich im letzten Moment ab und spürte, wie der warme, stinkende Speichel ihre Wange traf. Während weitere Klowns auf sie zustürmten, kämpften die Frauen um die Kontrolle über das Gewehr. Ein schwerfälliger fetter Mann, in dessen Kopf überall Nadeln steckten, hob eine Axt in die Höhe. Obwohl eine seiner verrückten Begleiterinnen direkt auf Rawlings lag, war es offensichtlich, dass der Mann trotzdem zuschlagen wollte. Er würde sie beide zerhacken, nur um Rawlings zu erwischen.
Rawlings hörte Muldoon schreien, aber das Geräusch wurde von dem wütenden Kreischen des fetten Mannes übertönt, als er Schwung holte.
Dann brüllte etwas auf, und der Kopf des Mannes explodierte buchstäblich wie eine überreife Wassermelone am Ende eines Fünfzig-Meter-Sturzes. Blut, Knochen und eine breiige graue Masse wurden in einer ekelhaften Wolke von Rawlings und ihrer Gegnerin weggeschleudert. Die Axt fiel der nun kopflosen Leiche aus den Händen und traf die Frau von hinten am Schädel. Wegen des plötzlichen Schmerzes stieß sie überrascht einen heiseren Schrei aus, dann begann sie sich an Rawlings zu reiben, so als stünde sie kurz vor einem Orgasmus.
»Fuck, jaaaaa …«
Der Schaft einer Schrotflinte mit gezackter Spitze tauchte in Rawlings’ Blickfeld auf. Er wurde direkt in die Stirn der Frau geschlagen, trieb sie damit zurück und entlockte ihr einen weiteren Lachanfall. Etwas explodierte, und der Kopf der Frau wurde in seine Einzelteile zerfetzt, Knochenstücke und Brocken einer blutigen Masse wurden von einer Flutwelle aus Feuer mitgerissen. Während sie ihr M4 packte, schrie Rawlings laut gegen den Lärm und die ganze Wut an. Ein Mann mit harten Gesichtszügen starrte auf sie herab. Unter seinem Helm bestand sein Gesicht nur aus Furchen und Kanten. Ein Unteroffizier, den sie zwar schon gesehen, aber noch nicht kennengelernt hatte.
»Bist du infiziert?«, donnerte der Mann und richtete seine Schrotflinte auf sie. Er lud sie durch und Rawlings konnte buchstäblich hören, wie die Patrone in die Kammer getrieben wurde.
»Nein«, keuchte Rawlings.
Der Mann trat ihr in die Seite. »Das heißt: Nein, First Sergeant!«, schnappte er zurück. Rawlings schrie bei dem Tritt laut auf, und das schien für den Mann Antwort genug zu sein. Er nickte kurz.
»Zurück an dein Gewehr«, sagte er, dann wandte er sich von ihr ab und brachte seine Schrotflinte an der Schulter in Anschlag. Er zielte auf einen angreifenden Klown und blies ihm das komplette Gesicht weg. Drei weitere fielen, als die Schrotkugeln ihr Ziel fanden und die nächsten Angreifer trafen. Snack-snack! Der First Sergeant lud die Waffe erneut durch und feuerte sofort weiter, der nächste Gegner fiel, während immer mehr Soldaten nach vorn stürzten, deren M4 gegen das Basso-Boom der Schrotflinte anratterten.
Rawlings kämpfte sich auf die Füße zurück, umgeben von Lightfighters und ihren feuernden Gewehren. Und genau so wurde der Klown-Angriff abgewehrt. Während sie Wildheit und Grausamkeit besaßen, fehlten ihnen das Training und die Selbstbeherrschung, um sich mit spezialisierten Kampftruppen messen zu können. Sie wurden in weniger als zwei Minuten besiegt, fielen auf die Lichtung, blutend und heulend vor Heiterkeit. Selbst am Boden versuchten sie noch zu kämpfen, spuckten und kratzten und schleuderten blutiges Material auf die herannahenden Soldaten. Nichts davon funktionierte. Die Lightfighter waren unerbittlich und exekutierten jeden Mann, jede Frau und jedes Kind noch vor Ort. Auch Rawlings. Sie schoss einer pummeligen Hausfrau in den Kopf, richtete ihre Waffe dann direkt auf einen fünfjährigen Jungen und tat dasselbe. In ihrem Herzen gab es kein Bedauern. Das waren keine Menschen mehr. Es waren Automaten, die von einem mikroskopisch kleinen Virus dazu gebracht wurden, sich selbst und anderen wahnsinnige und schreckliche Dinge anzutun. Einem Virus, der ihr Gehirn so stark verkorkst hatte, dass ihre Menschlichkeit im Grunde ausradiert worden war. Sie waren Verrückte. Sie waren Klowns. Es gab keine Möglichkeit für Koexistenz, also mussten sie sterben.
Auch wenn es kleine Kinder waren, sagte sie sich. Ein winziger Teil von ihr war darüber erstaunt, dass die Welt so verdammt beschissen geworden war, dass selbst Kinder auf den Schlachtfeldern geopfert wurden.
Schließlich wurde das Gewehrfeuer sporadischer. Der First Sergeant, der Rawlings gerettet hatte, stolzierte auf dem Feld herum und bellte Befehle, die sich auf das Wesentliche beschränkten. Er war wie ein wütender Kriegsgott, voller Intensität und fordernd. Für Rawlings verkörperte er das, was Muldoon eines Tages werden würde. Eine Macht, auf die man zählen konnte, komplett mit Winkeln und Raute auf seinem Ärmel, die jedes Dienstjahr und jeden erfolgreich abgeschlossenen Einsatz symbolisierten.
»Okay, wer führt diesen Scheißverein an?«, rief der ältere Mann laut. Er ließ seinen Blick über die Lichtung schweifen und betrachtete die Ansammlung von Soldaten, die noch immer die verwundeten Angreifer exekutierten.
»Das ist ein Lieutenant«, warf Rawlings ein. »Ich kenne seinen Namen nicht …«
»Ich meine nicht den Offizier, Arschloch«, antwortete der First Sergeant. »Ich will wissen, wer der Senior NCO ist, der diese Zone sichern sollte!«
»Boats.« Das war Muldoon. Er ging auf den älteren Mann zu, als hätte er gerade die letzte Powerball-Ziehung gewonnen. »Das wäre dann ich.«
»Sergeant Muldoon, oder?« Der First Sergeant betrachtete ihn mit einem dünnen Lächeln. »Oh ja, der Sarmajor bekommt bei dir immer einen Ständer. Weißt du das?«
»Ich bin eben ein attraktiver Mann«, antwortete Muldoon.
»Turner sagte mir, dass du zwar smart, aber auch ein wenig unbrauchbar bist«, fuhr der First Sergeant fort. »Ich muss sagen, da stimme ich ihm absolut nicht zu.« Bei diesen Worten machte der ältere Mann einen Schritt nach vorn und trat Muldoon voll in die Eier. Trotz seiner Größe stieß Muldoon einen lauten Seufzer aus und warf sich nach vorn. Der Mann, den er Boats genannt hatte, hielt sich aufrecht, griff wieder an und stieß Muldoon so kräftig von sich, dass der umkippte und auf seinen Rücken fiel. Der ältere Mann war noch nicht fertig. Er hob seine große Schrotflinte an die Schulter und richtete sie direkt auf den Kopf des angeschlagenen Mannes.
»Stop!«, schrie Rawlings. Sie hob ihr M4 und fragte sich, was sie verdammt noch mal als Nächstes tun würde. Einen First Sergeant erschießen? Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Nutter es ihr mit angstgeweiteten Augen gleichtat.
»Dieses Feld zu sichern war kinderleicht«, knurrte der First Sergeant. »Behalte die Baumreihen im Auge. Schick Patrouillen los, um nach Hinterhalten zu suchen. Schütze die abgeworfene Ladung und die Lastwagen und sorge dafür, dass deine Leute sicher sind. Aber du bist zu sehr von dir überzeugt, Muldoon. Du bist ein verfickter E-5 – ein gottverdammtes Kind. Du hast doch noch gar keinen Scheiß erlebt, Junge. Also sag mir … warum sollte ich dir deinen kleinen Schwachkopf nicht einfach hier und jetzt wegblasen?«
Muldoon starrte nur mit unbeweglichem Gesichtsausdruck zum First Sergeant hoch. Im brennenden Stryker explodierten weitere Patronen. Der Finger des First Sergeants lag immer noch auf dem Abzug seiner Schrotflinte.
»Boats!«
Das war eindeutig die Stimme von Command Sergeant Major Turner. Rawlings‘ Knie wurden fast zu Gelee, als sie sie hörte. Allein mit seiner Stimme strahlte Turner ruhiges Selbstvertrauen aus, was das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung war. Der Mann, der über Muldoons liegender Gestalt stand, schien nach außen hin nicht darauf zu reagieren, doch es gab eine fast unmerkliche Veränderung in seiner Körperhaltung. Selbst er wusste, dass man, wenn der Command Sergeant Major anwesend war, Haltung annahm und aufpasste.
»Boats!«, schrie Turner erneut, während er, gefolgt von seinem Senior Staff, auf die Lichtung lief. »Was zum Teufel machst du da?«
»Ich räume auf, Doug«, antwortete der First Sergeant. »Dieser Sack Scheiße hier hat seine grundlegenden Kenntnisse als Soldat vergessen. So wie ich das sehe, kann die Sache nur so ausgehen.«
»Nimm die Waffe runter oder ich erschieße dich«, sagte Turner. Er hielt sein M4 in den Händen, und während er sprach, brachte er es in Anschlag.
Boats blickte Turner über die Schulter an und zeigte ihm etwas, was für Rawlings wie ein Nach-mir-die-Sintflut-Lächeln aussah. »Bist du Manns genug dafür, Doug?«
»Du weißt, dass ich das bin, Boats. Und ob ich das bin.«
Der First Sergeant blickte eine Weile auf Muldoon herab und hob dann die Schrotflinte. »Du solltest von nun an besser vor dem Sarmajor katzbuckeln, Junge«, sagte er. »Er hat dir gerade deinen erbärmlichen Hinterwäldlerarsch gerettet.«
»Ich werde mich voller Liebe an dich erinnern, First Sergeant«, antwortete Muldoon. Er versuchte immer noch den harten Typen zu geben, obwohl er gerade an den Nüssen gepackt worden war.
Boats grinste. »Dann wirst du mir wohl in den Rücken schießen müssen, Muldoon.«
»Boats, schwirr ab!«, sagte Turner.
»Bin schon dabei – irgendjemand muss ja für Sicherheit sorgen, nicht wahr?« Damit trat der ältere Mann von Muldoon zurück und begann Patronen in seine Schrotflinte zu laden. Turner machte ein paar Schritte auf Muldoon zu und reichte ihm die Hand, doch der größere Mann sprang gerade von allein wieder auf die Füße.
»Ich hab nur so getan«, sagte er zum Command Sergeant Major.
»Ach, wirklich«, antwortete Turner.
»Es ist wahr, Sarmajor«, warf Nutter ein. »Duke, der hat Eier aus Stahl.«
»Bei dieser Luftfeuchtigkeit sind sie vielleicht ein wenig eingerostet«, antwortete Turner.
Muldoon rückte seine Sonnenbrille zurecht und hob eine Augenbraue. »Wollen Sie sie vielleicht mit etwas Öl einreiben, Sarmajor?«
Turner bedachte Muldoon mit einem Blick, der Godzilla umgebracht hätte. Muldoon sah ihn eine ganze Weile mit einem schiefen Lächeln an, doch das Lächeln wurde immer vager, bis es schließlich ganz aus seinem Gesicht verschwand.
»Muldoon, du kannst dich auf eine Welt voller verfickter Schmerzen einstellen, wenn du nicht sofort damit anfängst, mit dem Rest von uns in einer Linie anzutreten«, intonierte Turner mit harter, trockener Stimme. »Dieser First Sergeant dort? Er wird dich töten, wenn du uns weiterhin verarschst und nicht in die Gänge kommst.«
»Vielleicht erwischt es ihn aber auch zuerst, nicht wahr?«
Turner starrte ihn einen Moment lang an, dann trat er auf ihn zu. »Sohn … Andy, im Moment bist du noch Zeuge meiner enormen Zurückhaltung. Du reißt dich jetzt am Riemen und verhältst dich wie ein Lightfighter, oder ich werde das nächste Mal nicht mehr Boats oder Zhu oder wen auch immer an die Leine nehmen, wenn sie wieder über deine Scheiße stolpern. Du solltest mir zuhören, und zwar sehr gut zuhören, weil du nämlich gar nicht so wichtig bist.«
Muldoon hatte darauf keine Antwort und auf Rawlings wirkte das bemerkenswert uncharakteristisch für ihn.
Turner deutete auf die Bäume, die die Lichtung umgaben. »Sichere das Gebiet. Ich sorge dafür, dass die Ausrüstung aufgeladen wird. Erledige deinen Job, und zwar sofort.«
»Hoaah«, antwortete Muldoon, allerdings wies der Tonfall seiner Stimme darauf hin, dass er sich lieber den Arsch mit Schleifpapier abwischen würde. Turner brach das Gespräch ab und beendete den Wettstreit. Der Sergeant Major ging First Sergeant Boats hinterher, offensichtlich wollte er einen weiteren Arschtritt verteilen.
»Hey, Sergeant, soll ich dir einen Tipp geben? Du bist verdammt noch mal zu smart, um dich mit First Shirts und Sarmajors abzugeben.« Campbell lud ruhig ihr M4 nach und blickte dabei mit gerunzelter Stirn zu Muldoon hinüber.
»Wer zur Hölle hat dich denn gefragt?«, antwortete Muldoon.
Campbell rammte ein Magazin in ihr Gewehr und entsicherte es. »Niemand. Denn obwohl meine Meinung einen Scheiß wert ist, weiß ich wenigstens, wer mich umbringen wird.«
Muldoon brach in Gelächter aus. »Du bist bei der verfickten Nationalgarde. Was zur Hölle weißt du schon?«
»Was ich weiß«, antwortete Campbell sofort, »ist, dass mich die 10th Mountain an meinem Gewehr braucht, weil ihr Lightfighter so was von im Arsch seid.«
Rawlings gefiel die Antwort, nicht, weil sie Muldoon als ruhmsüchtig hinstellte, sondern, weil sie die gesamte Situation sehr zutreffend beschrieb. Denn es stimmte tatsächlich, die Überreste des 1. Bataillons brauchten jeden Schützen, den sie kriegen konnten.
Falls Muldoon darüber nachdachte, ob er diese Aussage auch zutreffend fand, so ließ er sich das zumindest nicht anmerken. »Nehmt euch die Bäume vor«, polterte er. »Tötet jeden, den ihr dort findet und der keiner von uns ist.«