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Kapitel 4
Оглавление»Tut mir leid, Major. Der Kerl will einfach nicht verschwinden und …« Der junge Sergeant, der Walker gegenüberstand, wirkte im schwachen Licht des Trailers der Taktischen Einsatzzentrale, als würde er sich unbehaglich fühlen. »Nun, er scheint Führungserfahrung zu haben.«
»Führungserfahrung?«, fragte Walker und rieb sich die Augen. Sie brannten, als stünden sie in Flammen. Auf der Straße hatte er die Situation unter Kontrolle behalten können und nicht mit so vielen unwichtigen Unterbrechungen zu kämpfen gehabt – das Marschieren unter Beschuss hielt solche Dinge ziemlich gut in Schach. Aber seitdem das Bataillon um den aktuellen Standort herum sein Lager aufgeschlagen hatte, waren die ganz normalen und alltäglichen Schreckgespenster mit voller Wucht über ihn hergefallen. Normalerweise störte das Walker nicht. Er war bisher clever genug gewesen, um fast jedes triviale Problem mit Leichtigkeit zu lösen, doch das galt nur für die normalen Einsätze in Friedenszeiten. Hier und jetzt, wo grausame Irre die Welt regierten, war nichts mehr alltäglich. Jede Beschwerde, jedes Problemchen und jeder noch so beschissene Fehler musste sehr genau überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie nicht irgendwann mal das Bataillon – oder, was noch wichtiger war, ihn – am Arsch kriegten.
Und jetzt wollte einer der Zivilisten, für die das Bataillon Kindermädchen spielte, mit ihm sprechen. Nicht mit Lee, sondern mit ihm. Mit nur drei Stunden Schlaf auf seinem Konto war eine weitere Beschwerdeliste von jemandem, der verdammt dankbar sein sollte, dass er vom Bataillon gerettet worden war, das letzte, was Walker hören wollte.
»Ja, Sir«, sagte der Sergeant. »Eindeutig Führungserfahrung.«
»Definieren Sie das, wenn es Ihnen nichts ausmacht?«
»Wie ein O-6.«
Walker blinzelte. »Wie bitte? Ein Colonel?« Er musste sich zurückhalten, um nicht ein echter Colonel zu fragen. »Ich dachte, Sie sagten, er sei Zivilist?«
»Ja, Sir. Das ist er, oder zumindest ist er wie einer angezogen. Aber, äh, er hat Befehlsautorität, wenn Sie wissen, was ich meine?«
Walker rieb sich das Kinn. Es war stoppelig. Rasieren war auf seiner Prioritätenliste etliche Positionen nach unten gerutscht. »Was will er?«
Der Soldat zuckte unter seiner kompletten Kampfausrüstung mit den Achseln. »Sie könnten ihn selbst fragen, Sir.«
Walker seufzte und sah sich im Tactical Operation Center um. Die Generatoren, die draußen brummten, leuchteten es komplett aus, und obwohl momentan lediglich die Überwachung der Patrouillen als Aufgabe anstand, war die Zentrale voll besetzt. Viele unliebsame Mithörer, weswegen Walker entschied, dass er das Gespräch lieber vertraulich führen wollte.
»Ich treffe ihn draußen«, sagte er dem Sergeant. »Ich will hier drin keine Zivilisten haben.«
Der Sergeant nickte. »Ihre Entscheidung, Sir. Ich bringe Sie zu ihm.«
Walker zu dem Mann zu bringen, der ihn treffen wollte, bedeutete, sich umzudrehen und die Tür des Anhängers, die nach draußen führte, zu öffnen. Sobald der Sergeant durch die Tür getreten und auf dem Boden gelandet war, konnte Walker die Person sehen, die mit ihm sprechen wollte. Es war ein großer, hochgewachsener Mann, der in dem Licht, das aus dem TOC nach draußen fiel, etwas knochig wirkte – die Verdunkelungsvorhänge im TOC waren nicht heruntergelassen worden, aber da es ohnehin bald hell wurde, spielte das keine Rolle mehr. Der Mann trug verblasste Jeans und ein marineblaues T-Shirt, das eine beachtliche Muskulatur erkennen ließ. Obwohl sein Haar weitestgehend grau war und an den Schläfen weiß wurde, war er in guter Form. Walker schätzte sein Alter auf etwa sechzig Jahre.
Und tatsächlich zeigte etwas an seiner Körperhaltung, dass dies ein Mann war, den man besser nicht verarschen sollte.
»Sir, Sie wollten mich sprechen? Ich bin Major Walker, Executive Officer des Bat…«
»Walker, wissen Sie, dass Ihre Einheit ein Problem mit Deserteuren hat?«, unterbrach ihn der Mann.
Walker blinzelte. Die Frage hatte ihn kalt erwischt, und schlimmer noch, sie sorgte dafür, dass sich der Sergeant, der den Mann zu ihm geführt hatte, umdrehte und Walker fragend ansah. Walker wandte sich dem Mann zu und deutete in die Ferne.
»Sergeant, Sie können wegtreten«, sagte er. »Danke für Ihre Hilfe.«
»Verstanden, Sir.« Der Soldat griff nach seinem M4, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in die Dunkelheit davon. Walker seufzte, wandte sich wieder dem älteren Mann zu und sah ihm direkt in die Augen. Da war kein Respekt in dessen Körperhaltung, kein Hinweis darauf, dass Walkers Rang oder die Uniform, die er trug, den Mann irgendwie beeindruckten. Das störte ihn. Auch wenn er noch nicht viele der Zivilisten getroffen hatte, die unter dem Schutz des Bataillons standen, so waren es doch einige gewesen, und bei denen schwang immer ein Hauch von Dankbarkeit mit. Der Mann vor ihm schien ein Stück von Walkers Arsch zu wollen, und das beunruhigte ihn.
»Sir, können Sie sich identifizieren?«
»Kief Tackaberry. Ehemaliger Kommandant der 7. Leichten Flugbrigade. Wie in … Colonel Kief Tackaberry. Lightfighter, genau wie Sie.«
Walker blinzelte erneut. »Aah, ja, … die Siebente … wurde die nicht außer Dienst gestellt?« Mühsam versuchte er sich an Einzelheiten zu dieser alten Division zu erinnern. Ihm war, als wäre die Einheit in Fort Ord in Kalifornien stationiert gewesen, das man bereits während der Clinton-Administration geschlossen hatte, damals, als er noch selbst auf die Highschool gegangen war. Er rechnete kurz nach. Wenn der Mann vor ihm in den Neunzigern Brigadekommandant gewesen war, dann müsste er jetzt mindestens siebzig Jahre alt sein.
»Wurde es, und zwar 1994«, bestätigte Tackaberry. »Ich war der letzte Kommandant der Flugbrigade. Ich mag zwar alt sein, Major, aber ich bin kein Idiot.«
Walker hob beschwichtigend die Hände. »Sir, vielleicht können wir noch mal von vorn anfangen. Was genau wollen Sie von mir?«
»Sie scheinen ein Problem mit Desertionen zu haben, Major. Als XO sollten Sie darüber unbedingt Bescheid wissen.« Der große, pensionierte Colonel hielt einen Moment inne und beugte sich dann nach vorn. »Sie wissen doch darüber Bescheid, oder?«
Während sich Walker bemühte, eine passende Antwort zu formulieren, tauchte der kommandierende Sergeant Major des Bataillons aus der Dunkelheit neben dem TOC auf. Er warf Tackaberry einen Blick zu, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Walker.
»Entschuldigen Sie, Major. Wir müssen uns unterhalten«, sagte Turner.
»Aah, Sergeant Major Turner. Okay. Darf ich Ihnen Colonel Tackaberry … pensionierter Lightfighter aus Fort Ord vorstellen?«, antwortete Walker.
»Der Sarmajor und ich werden uns gleich miteinander bekannt machen, Walker«, antwortete Tackaberry. »Aber, mein Junge, ich habe Ihnen eine konkrete Frage gestellt, die Sie bisher noch nicht beantwortet haben.«
»Colonel, bei allem Respekt, ich glaube nicht, dass ich Ihnen auch nur das Geringste erklären muss«, erwiderte Walker heftig.
»Ach, wirklich.« Tackaberry legte seinen Kopf zur Seite. »Okay, na dann. Sarmajor Turner, wie viele Desertionen gab es um die letzte Woche herum?«
Während er die Frage stellte, drehte sich der hochgewachsene Colonel so schnell zu Turner um, wie ein automatisches Maschinengewehr, das sich auf sein Ziel ausrichtet.
Dieser trat automatisch einen Schritt zurück, dann lächelte er wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht eines herandonnernden Sattelschleppers gefangen war.
»Sir, nach meinen Berechnungen waren es annähernd sechzig Desertionen«, antwortete Turner.
Walker starrte ihn mit offenem Mund an und fragte sich, warum um alles in der Welt ausgerechnet der kommandierende Sergeant Major ihm den Dolch in den Rücken stieß.
Tackaberry richtete seinen Blick wieder auf Walker. »Major? Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass Ihr CO darüber Bescheid weiß? Weil ich nämlich keine Bemühungen erkennen kann, mit denen die Leute bei der Stange gehalten werden sollen, und das ist ein ziemlich ernstes Problem.«
»Um das wir uns kümmern werden, Sir«, entgegnete Walker. Die Antwort klang selbst in seinen Ohren ziemlich lahm.
Tackaberry drehte sich abrupt zu Turner um. »Stimmt das, Sergeant Major?«
»Äh …«, stammelte Turner und warf zuerst Walker einen Blick zu, dann sah er den vor ihm aufragenden pensionierten Colonel an.
»Sir, ich bin mir sicher, dass man sich damit befassen wird …«
»Wann haben Sie das Problem mit den Fahnenflüchtigen entdeckt, Sarmajor?«
»Vor einiger Zeit, Sir«, antwortete Turner.
»Und wann genau, Turner?«, fragte Tackaberry drängend.
»Vor … vor einiger Zeit, Sir«, wiederholte Turner.
»Das ist ein wenig ungenau, Sarmajor.«
»Ja, Sir. Entschuldigen Sie, Sir, aber meine Erinnerung lässt mich gerade in Stich. Geben Sie mir und dem Major ein paar Minuten, dann werden wir die Sache klären.«
Tackaberry grunzte. »Ja, genau. Das glaube ich gern. Ich erkenne das Lightfighter-Gemauschel, wenn ich es sehe. Wie viele Jahre sind Sie dabei, Sarmajor?«
»Inzwischen fast dreißig, Sir. Und Sie?«
»Ich hatte dreiunddreißig Jahre. Die Army hat sich zwar seitdem ein wenig verändert, aber ich bin kein Idiot. Sie können das Spiel gern weiter treiben und so tun, als wüssten Sie nicht, wovon ich gerade spreche, Sarmajor … aber ich werde die Angelegenheit hier und jetzt mit Ihrem XO klären.«
»Ähm, ja, Sir«, antwortete Turner.
Tackaberry wandte sich unvermittelt wieder Walker zu. »Walker. Wie viele Jahre sind Sie dabei? Stehen Sie schon zur Beförderung an?«
»Äh, nein, Sir. Ich war erst vor zwei Jahren dran.«
»Gut. Dann verstehen Sie bestimmt, wenn ich Ihnen sage, dass ich zwanzig kampferfahrene Schützen habe, die sich Ihrer Truppe anschließen wollen. Wir mögen vielleicht alt sein, aber wir können immer noch alles, was wir früher gemacht haben und wir verfügen alle über Führungserfahrung.«
»Ähm … was? Sir, ich bin mir nicht sicher, ob das möglich …«
»Tut mir leid, Major. Lassen Sie mich das klarstellen. Ich bitte Sie verdammt noch mal um nichts. Ich teile Ihnen gerade mit, dass ich diese Angelegenheit direkt mit Ihrem CO klären werde. Und zwar von Angesicht zu Angesicht.« Tackaberry drehte sich wieder abrupt zu Turner um. »Irgendwelche Probleme damit, Sarmajor?«
»Nein, Sir«, antwortete Turner wie aus der Pistole geschossen.
»Major?«, fragte Tackaberry fordernd.
»Sir, Colonel, wer auch immer Sie sind … das glaube ich nicht. Colonel Lee ist ein viel beschäftigter Mann und …«
»Walker, was sind Sie eigentlich? So was wie eine KI? Existiert Ihre gesamte Lebenserfahrung nur irgendwo in einer Konfigurationsdatei?«
Walker war echt verwundert. »Entschuldigung?«
Tackaberry trat näher an ihn heran und sorgte damit dafür, dass seine mehr als 1,90 Meter große Gestalt über Walker aufragte. Der alte Mann sah auf ihn herab und in der Morgendämmerung konnte Walker sein geradezu mitleidiges Lächeln sehen.
»Walker, Sie sind hundertprozentig einer von diesen Typen, dem seine Leute scheißegal sind. Ich kann das sehen. Turner sieht es auch. Jeder, der mit Ihnen zu tun hat, kann das sehen. Sie sind ein hinterhältiger Mistkerl, und Sie haben Ihrem kommandierenden Offizier das Problem mit den Fahnenflüchtigen verschwiegen, weil Sie ihn nicht ablenken wollten. Richtig?«
Walker war schockiert. »Hören Sie, ich muss mir diesen Scheiß hier nicht antun und …«
»Ganz sicher?« Tackaberry beugte sich so weit nach vorn, dass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von Walkers entfernt war.
»Sind Sie absolut sicher, dass Sie sich das nicht von mir sagen lassen müssen? Denken Sie wirklich, Sie sind der erste Buddy-Ficker, den ich treffe?« Dann machte der hochgewachsene Mann einen großen Schritt nach hinten. »Meinen Sie, Ihr CO hat noch nicht herausgefunden, was Sie für einer sind? Glauben Sie, Sie sind echt so gut darin, die Leute zum Narren zu halten?« Er wandte sich wieder an Turner. »Sarmajor, hat Sie dieser Mann hinters Licht geführt?«
Turners Schweigen war vernichtend.
Tackaberry grinste hämisch, während die Sonne am Horizont auftauchte. Dann starrte er zornig auf Walker herab.
»Ich treffe mich mit Ihrem CO, sobald es seine Terminplanung zulässt«, tönte er. »Sorgen Sie dafür, Walker.«
»Ja, Sir«, antwortete Walker automatisch.