Читать книгу Rituale für Hipster & Heilige und alles dazwischen - Steve Kennedy Henkel - Страница 15
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(7) Kaffee-Meditation
Meine Freundin Jana hat drei Prioritäten in ihrem Leben. Ihre Kinder, ihren Beruf und sehr guten Kaffee. Nur in Bezug auf die Reihenfolge bin ich mir nicht sicher. Der Kaffee könnte auch ganz oben stehen.
Einmal waren wir zusammen auf einer Fortbildung. Der Tag begann mit einer Andacht in einer Kapelle. Eine Minute vor Beginn betritt Jana die Kapelle, setzt sich zu mir in die erste Reihe und stellt ihren Latte Macchiato auf die Gesangbuch-Ablage vor uns. Gefrühstückt hat sich nicht. Aber diesen Latte Macchiato braucht sie. Mein inneres Spießer-Ich steht kurz vor der Eskalation – auf dem Altar stehen Brot und Wein für das heilige Abendmahl, von der Wand schaut Jesus vom Kreuz zu uns herüber, und da vor uns steht Janas Latte. „Das kannst du doch nicht machen!“, flüstere ich. „Wieso nicht?“, antwortet sie. Da stolpert mein inneres Spießer-Ich und legt sich hin. Ja, wieso eigentlich nicht? Ich hasse es, wenn Jana mich mit so etwas entwaffnet. Andererseits tut es mir gut, dass mal wieder jemand meinem inneren Spießer-Ich die Grenzen aufzeigt, sonst bildet es sich zu viel auf sich ein – und meine anderen inneren Ichs müssen ja auch noch Platz haben.
Vielleicht ist der Kaffee in der Kapelle genau am richtigen Platz, denn seien wir ehrlich: Kaffee hat für manche schon einen quasi-religiösen Charakter! Für die ganzen Kaffee-Memes, die Instagram täglich produziert, hätte ein 2006er Nokia-Handy auf keinen Fall genug Speicherplatz gehabt.
Wäre ein mittelalterlicher Mönch mit Stress und Überforderung konfrontiert worden, so hätte er seine Routine unterbrochen und sich in der Stille seiner Klosterkirche vor Gott betend auf den Boden geworfen. Heute stehen wir vom Schreibtisch auf und suchen Rettung bei der Kaffeemaschine: Hilf doch heiliger Nespresso, erquicke uns, seliger Cold Brew!
Klar, vom Koffein erwarten wir keine Wunder, aber wir wissen, dass es wirkt.
Was Koffein kann ist die eine Sache.
Doch zum „Kaffee trinken“ gehört mehr.
Wenn meine Oma zum Kaffeetrinken einlädt, dann ist das mehr als „Tassen voll und Kopf in’n Nacken“. Unausgesprochen verbindet sich damit eine Uhrzeit (15 Uhr – und wehe du kommst zu spät!), ein soziales Event und Nahrung in Form von Kuchen. An guten Tagen gibt’s im Anschluss auch noch ein Likörchen.
Kaffee trinken ist ein Ritual. Und das kann es für dich auch sein, wenn du nicht an Omas Kaffeetafel sitzt, sondern zu Hause oder im Büro. Das volle Potenzial einer Kaffeepause ist mehr als Druckbetankung mit Koffein – es ist die Pausentaste für dein Gedankenkreisen, die To-do-Liste und die Mails.
Richtiger Kaffee – nicht das Instant-Zeug – fordert Zeit! Er muss eingefüllt werden. Das Wasser muss heiß werden. Es muss sich durch die gemahlenen Bohnen schleichen und ihnen Farbe und Geschmack abtrotzen, bevor es schließlich als Kaffee in deine Tasse tropft. Diese Zeit ist ein Geschenk an dich.
Während ich zu Hause eine Filtermaschine habe, steht in meinem Büro ein kleiner Automat. Wenn ich denke, „jetzt brauche ich einen Kaffee“, stehe ich vom Schreibtisch auf und lasse die Maschine aufheizen. Aber während sie heiß wird und mit dem Kaffee anfängt, erledige ich irgend etwas anderes, bringe Kollegen etwas vorbei oder beantworte Mails. Und inzwischen habe ich meinen Kaffee vergessen. So stehe ich dann eine Stunde später wieder vor der Maschine und schaue betreten meinen kalten Kaffee an. Kalter Kaffee – na ja, das ist ja auch nicht Sinn der Sache. Aber das passiert, wenn ich die geschenkte Zeit nicht annehme und auch noch diese zwei Minuten „produktiv“ verbringen will.
So muss ich mich manchmal selbst zwingen, mir diese Zeit schenken zu lassen. Denn durch diese „gesparten“ zwei Minuten ist eigentlich nichts an meinem Tag effektiver geworden. Im Gegenteil. Regelmäßige Pausen, in denen man etwas ganz anderes macht, steigern sogar die Produktivität in den eigentlichen Arbeitszeiten.
Lass dir also – gerade an Tagen, die voll sind – diese Zeit schenken. Achte auf dich selbst. Gönn dir deinen Kaffee als Zwei-Minuten-Auszeit, als dein kleines, heiliges Ritual zum Aufladen.
Die Meditation kann auch neben der Kaffeemaschine aufgehängt werden.
Eröffnung
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Meditation
Atme mehrmals langsam und tief durch.
Gott, ich bin da.
Ich bin ganz da.
Gib du mir die Ruhe und die Kraft, die ich jetzt brauche.
Du hast die Bohnen in der Ferne wachsen lassen,
jetzt bringen sie die Wärme des Südens zu mir.
Nur aufgebrochen zeigen sie ihr volles Aroma.
Wie auch unser Leben erst durch Brüche und Druck an Tiefe gewinnt.
Wie das heiße Wasser durch den Kaffee fließt,
so fließt du mit deiner Kraft durch mich.
Mach mich stark und wach für diesen Tag.
Wie der Kaffee langsam die Tasse füllt,
so füllst du mich mit Ruhe.
Mach mich ruhig und schenk mir Kraft.
Ich bin da.
Ganz da.
Gib du mir die Ruhe und die Kraft, die ich jetzt brauche.
Amen.
[Vaterunser]
Segen
Der Herr ist mein Licht und mein Heil;
vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Kraft;
Wovor sollte mir grauen?
Psalm 27, 1 (Luther-Übersetzung)