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Paradoxer Glaubensvater
ОглавлениеEiner der dramatisch unqualifiziertesten biblischen Helden, den ich mir vorstellen kann, ist Jakob. Ich habe mich vor einer Weile bei der Vorbereitung einer Predigtreihe sehr intensiv mit seinem Leben beschäftigt, und dann kam mir wie aus dem Nichts ein ebenso erschütternder wie ernüchternder Gedanke:
Gott kann die Person nicht segnen, die man nur vorgibt zu sein.
Bevor mir dieser Gedanke kam, hatte ich mich gefragt, wieso um Himmels willen ich beschlossen hatte, fünf Wochen lang ausgerechnet über diesen paradoxen Glaubensvater zu predigen. Es stellte sich nämlich heraus, dass er der komplizierteste biblische Antiheld war, mit dem ich mich je befasst hatte. Die meisten Geschichten, in denen Jakob eine Rolle spielt, sind wie eine Folge aus der Serie Die Sopranos – man weiß nicht, zu wem man halten soll, weil einer so verkorkst ist wie der andere. Wie in der Situation, als Jakobs Onkel ihn betrunken macht und Jakob daraufhin in seiner Hochzeitsnacht aus Versehen mit der falschen Frau schläft.
Jakob war ein Lügner, ein Betrüger, ein Trickser, ein Gauner und ein Hochstapler. Einen Großteil seines Lebens wurde er von den Konsequenzen eigener schlechter Entscheidungen verfolgt und musste in dem Chaos leben, das er dadurch selbst verursacht hatte. Wenn also jemand die Bezeichnung „ungeeignet“ bzw. „unqualifiziert“ verdient hätte, dann Jakob. Er war nicht unbedingt der Typ, aus dem ordentliche Predigtgliederungen und Sonntagsschullektionen gemacht sind.
Und trotzdem wurde er von Gott erwählt, berufen und reich gesegnet. Und am Ende spielte Jakob sogar eine wichtige Rolle in Gottes Heilsplan für diese Welt. Er taucht in der Bibel als eine der wichtigsten und zugleich als eine der verkorkstesten Gestalten auf.
Als ich an jenem Donnerstagnachmittag über meiner Bibel und meinen Notizen saß, traf mich wie aus heiterem Himmel die Erkenntnis, dass ich in vielerlei Hinsicht ganz genauso bin wie Jakob. Wenn auch natürlich nicht annähernd so wichtig für den Lauf der Menschheitsgeschichte. Aus rein menschlicher Sicht bin ich ganz genau so unqualifiziert wie er, aber in Gottes Augen auch ganz genau so wertvoll und geliebt.
Ich merke oft selbst, dass ich mich – genau wie Jakob – verstelle und tue, als wäre ich jemand anders, weil mir so peinlich ist, wie ich wirklich bin. Das liegt daran, dass ich dann meine Schwächen für das Problem halte und glaube, die Lösung könnte darin bestehen, dass ich einfach so lange so tue, als wäre ich schon so, wie ich gern sein möchte, bis ich es schaffe, wirklich so zu sein.
Aber Gott kann ja niemanden segnen, der ich gar nicht bin. Er möchte mich so gern segnen, aber nur mein wahres Ich, mit all seinen Stärken und Schwächen und Widersprüchen.
Je intensiver ich mich mit der Geschichte von Jakob auseinandersetzte, desto klarer wurde mir, dass es Gott selbst ist, der dafür sorgt, dass wir qualifiziert sind für das, wozu er uns beruft. Jakob ist ein Paradebeispiel dafür, was für ein Durcheinander und heftige Verwicklungen durch persönliche Schwächen entstehen können, aber er ist auch ein spektakuläres Beispiel dafür, wie jemand es schafft – wenn auch erst gegen Ende seines Lebens –, seine Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, über sie hinauszublicken und Gott zu vertrauen.
Erst als er das endlich tat, übernahm Gott. Er setzte Jakobs Grenzen außer Kraft und übertrumpfte selbst dessen Unfähigkeit.
Jakob war absolut und auf schmerzliche und spektakuläre Weise menschlich. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb sein Leben mich so klar und deutlich anspricht. Ich kann mich besser in sein Versagen und in seine Fehlschläge hineinversetzen als in seine Heldentaten, und ich nehme an, dass es Ihnen nicht anders geht.
Was ich durch die intensive Beschäftigung mit Jakob gelernt habe, hat mein Denken radikal verändert, und deshalb werde ich in den letzten paar Kapiteln dieses Buches auch noch ausführlicher und detaillierter auf Jakobs Leben eingehen. Seine Geschichte ist nämlich ein faszinierendes Beispiel dafür, wie die Kraft Gottes in unserer Schwäche wirkt.
Letztlich hat Gott Jakob nicht trotz seiner Schwächen, sondern durch seine Schwächen befreit, gerettet, weiterentwickelt und neu ausgerichtet, und das Gleiche kann er auch bei Ihnen und mir tun.
An dem Tag, an dem mich der Theologe auf YouTube darüber informierte, dass ich unqualifiziert sei, erinnerte mich Gott an einen Bibelvers, in dem es um unsere Befähigung geht.
Wir halten uns selbst nicht dazu fähig, irgendetwas zu bewirken, was bleibenden Wert hätte. Unsere Kraft dazu kommt von Gott. Er hat uns befähigt dazu, Diener seines neuen Bundes zu sein, eines Bundes, der nicht auf schriftlichen Gesetzen beruht, sondern auf dem Geist Gottes. Der alte Weg führt in den Tod, aber auf dem neuen Weg schenkt der Heilige Geist Leben. (2. Korinther 3,5-6, Neues-Leben-Übersetzung).
Und plötzlich fühlte ich mich befreit.
Ja, unqualifiziert passt sehr gut. Das hat was. Und ich befinde mich dabei in allerbester Gesellschaft – angefangen bei Jakob.
Also nur zu, schreiben Sie es auf meine Visitenkarten und auch auf meine Twitter-Vita.
Gott hat mich berufen. Gott hat mich ausgerüstet. Gott hat mir Türen geöffnet. Meine Qualifikation oder das Fehlen selbiger hat demnach offenbar keine besonders große Rolle gespielt.
Ich hatte also doch ein wenig festen Boden unter den Füßen bei der Verteidigung meines Stammbaums im geistlichen Dienst. Aber warum? Tatsache ist: Gott segnet meine Bemühungen trotzdem, und zwar mehr, als ich es je verdient hätte. Und das ist erstaunlich! Wieso sollte ich mir da wünschen, meinen Einfluss und meinen Erfolg lediglich auf das zu beschränken, wozu ich qualifiziert bin?
„Unqualifiziert“ war also gar keine Kritik, sondern ein Kompliment. Zugegeben, ein unbeabsichtigtes und zweifelhaftes Kompliment, aber nichtsdestotrotz ein Kompliment. Ich wurde in aller Öffentlichkeit daran erinnert, dass Gott an mir und durch mich viel mehr für mich getan hat, als ich verdient habe.
Ich hoffe, das klingt jetzt nicht stolz, weil es das nämlich wirklich nicht ist. Ich glaube sogar, dass es das Gegenteil von stolz ist, nämlich demütig. Echte Demut bedeutet nicht, sich selbst schlechtzumachen, sondern anzuerkennen, dass man alles Gott zu verdanken hat. Es bedeutet, die eigene Bestimmung anzunehmen, und zwar nicht auf der Grundlage dessen, wer man ist oder was man kann, sondern aufgrund dessen, wer Gott ist und was er durch einen tun will.
Ich bin überzeugt davon, dass der zitierte Theologe Gott und die Gemeinde liebt. Wenn wir irgendwann beide im Himmel sind, lade ich ihn vielleicht mal zu mir nach Hause ein auf ein paar Erdnüsse, und vielleicht lachen wir dann zusammen über die ganze Geschichte.
Aber im Moment ist das, was einer anderen Person einfällt, wenn sie meinen Namen hört, nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, was Gott und was mir selbst bei meinem Namen einfällt.
Am Ende habe ich mir diesen kleinen Teil des Interviews noch mindestens fünfmal mehr angeschaut und beim letzten Mal dann laut gelacht. Ich habe den Link an ein paar Freunde geschickt und sogar ganz kurz überlegt, wie lustig es wäre, ihn über Instagram zu verbreiten.
Dann machte ich mich für den Gottesdienst fertig. Vor dem Gottesdienst betete ich noch mit dem Team, wie ich es fast immer tue, fügte aber am Ende noch einen Satz hinzu, den ich sonst nicht betete. Mein Team fragte sich wahrscheinlich, was um Himmels willen ich meinte, aber ich selbst musste lächeln und war von einer seltsamen Zuversicht und Dankbarkeit erfüllt, als ich betete: „Und danke, Herr … dass wir unqualifiziert sind.“