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Was kommt in die Lücke?

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Vor fast viertausend Jahren berief Gott aus einem brennenden Dornbusch heraus einen Mann namens Mose. Die Geschichte ist im 2. Mose Kapitel 3 nachzulesen, und wenn Sie schon länger mit Glauben und Kirche zu tun haben, dann haben Sie sie bestimmt schon einmal gehört. Hier noch einmal kurz die Geschichte, gewürzt mit ein paar Details, die meiner Phantasie entsprungen sind.

Gott trifft Mose mitten in der Wüste und präsentiert ihm einen umwerfenden Plan. Er will, dass Mose nach Ägypten – die damals mächtigste Nation der Welt – geht und den Pharao dort auffordert, die Millionen israelitischen Sklaven freizulassen, die für ihn arbeiten. Das verschlägt Mose wirklich die Sprache, allerdings nicht im positiven Sinn. Schon allein bei der Vorstellung fängt er an zu schwitzen und zu stottern und zu hyperventilieren.

Also fragt Mose Gott erst einmal, wie er denn überhaupt heißt, in dem verzweifelten Versuch, irgendetwas zu finden, das ihm dabei helfen könnte, den Israeliten diesen unglaublichen Plan plausibel zu machen.

Instinktiv ist Mose klar, dass das Allerwichtigste in diesem Moment die Frage ist, mit wem er es hier überhaupt zu tun hat. Wer da aus dem brennenden Busch heraus zu ihm spricht, ist viel wichtiger als seine eigenen Fähigkeiten, sein Bildungsstand und sein Lebenslauf und auch wichtiger als die Macht des Pharaos oder die Politik, die Ägypten verfolgt, oder wie er es anstellen soll, von jetzt auf gleich ein Gegner der Sklaverei zu werden.

Und Gott ist bereit, Mose zu sagen, wer er ist, und ihm seinen Namen zu nennen.

„Mose, mein Name ist … Der Ich bin.“

Es folgt eine lange, unbehagliche Pause, in der sich Mose vorbeugt und lauscht, ob der Busch sein Geheimnis preisgibt: Sprich weiter, ich höre zu. Du bist … was? Ja, wer denn nun? … Moment … ist das etwa alles? Einfach nur „Der ich bin“? Da fehlt doch was.

Aber mehr sagt Gott nicht. Dafür, dass er ein vollkommener Gott ist, hat er offenbar eklatante Probleme mit der Grammatik. Weiß er denn nicht, dass da noch ein Nomen kommen muss, weil sonst die Aussage unvollständig ist?

Vielleicht ist in dieser Aussage eine Botschaft für Mose – und für uns alle – enthalten: nicht das Ich bin einfach überspringen. Füllen Sie nicht leichtfertig in die Lücke ein, wer Sie sind.

Denken Sie einmal über diese beiden Worte nach: Ich bin. Nur zwei kleine Silben, aber die stärkste, ja, umwälzendste Aussage, die man machen kann. Darin steckt eine Kraft, die von der Vergangenheit befreien, durch die Gegenwart lotsen und den Rahmen für die Zukunft stecken kann.

Ich bin hier nicht irgendwie mystisch, sondern es handelt sich um etwas sehr Konkretes und Praktisches. Gott hat genau diesen Ausdruck gewählt, um sich selbst präzise zu beschreiben, weil Identität und Selbstbild grundlegende Lebensprinzipien sind. Das ist ein ganz wesentlicher und großer Aspekt der „Ich bin“-Offenbarung Mose gegenüber.

Dennoch braucht der Name Gottes kein weiteres Wort, weil Gott alles und jeder ist, was er im Moment gerade sein muss. Er ist die Fülle, er ist die Vollendung, er ist die Erfüllung jedes Bedürfnisses und jedes nur denkbaren Verlangens. Man könnte beliebig Superlative aneinanderreihen und würde damit Gott nicht einmal annähernd gerecht, aber Sie und ich, wir Menschen, wir brauchen noch ein weiteres, ein drittes Wort. Wir müssen unsere Identität an konkreten, greifbaren und beschreibenden Begriffen festmachen. Wir müssen die Aussage vervollständigen, und das tun wir auch ständig, ob es uns bewusst ist oder nicht.

Auf der allgemeinsten, der Makroebene, ist dieser fehlende Begriff unser Name.

Aber das ist nur der Anfang.

Dieser Begriff ist nicht nur der Name, den uns unsere Eltern gegeben haben, oder der Spitzname, der uns damals auf der Klassenfahrt verpasst worden ist, und es geht bei diesem Begriff auch nicht um den Namen, den Sie bei der Tupperparty auf Ihr Namensschildchen schreiben, oder darum, wie Sie von Ihren Freunden genannt werden.

Wie würden Sie denn selbst den Satz „Ich bin …“ zu Ende bringen? Was würden Sie einsetzen? Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Es ist jedenfalls nicht so einfach, wie es sich anhört.

Wenn Sie zu einer Gemeinde gehören, dann bekommen Sie in der Regel jede Menge Hilfestellung bei der Beantwortung der Frage, wer Gott ist. Sie erfahren von seiner Liebe, seiner Heiligkeit, seiner Gerechtigkeit und seiner Güte. Es wird mit theologischen Begriffen wie Allgegenwart, Allwissenheit und Allmacht hantiert, und wir lernen, Gott in jeder herrlichen Einzelheit zu beschreiben, einschließlich der dazugehörenden Bibelstellen. Das ist natürlich gut und richtig und auch wichtig, aber wer wir sind, das wissen wir oft nicht. Und das ist eine verhängnisvolle Abkoppelung.

Es ist ja das Eine, zu wissen, wer Gott für Sie ist, aber wer sind Sie selbst für sich? Wie sehen Sie sich selbst? Vielleicht können Sie Gott beschreiben und definieren, aber passt das mit dem zusammen, wie Sie sich selbst beschreiben und definieren?

Denn es ist ja nicht so, dass wir uns nicht selbst definieren würden. Das tun wir sogar ständig. Wir füllen die Lücke, wer wir sind, aus, allerdings meist ganz unbewusst. Wir halten gar nicht lange genug inne, um zu merken, welches zusätzliche dritte Wort wir einsetzen, um zu beschreiben oder gar zu definieren, wer wir sind. Das geschieht wie automatisch – und ist unglaublich aufschlussreich. Ich bin ein ziemlich guter Vater. Ich bin ein grottenschlechter Handwerker. Ich bin ein aggressiver Autofahrer. Ich bin ein mittelmäßiger Musiker. Ich bin erfolgreich. Ich bin ein Versager. Ich bin …

Ich spreche von einem zusätzlichen Wort zu dem „Ich bin“, aber in Wirklichkeit sind es oft viel mehr Wörter. Das „dritte Wort“ kann auch eine Redewendung, ein ganzer Satz oder sogar eine Aufzählung sein. Es kann eine Befürchtung oder ein Gefühl sein, eine Erinnerung oder ein Trauma, aber es kann auch ein Vorwurf oder eine Anklage sein, die tief in unserer Psyche gespeichert ist.

Wir füllen diese Lücke nach dem „Ich bin …“ schon unser Leben lang aus, aber nur selten halten wir inne, um zu hinterfragen, ob das dritte Wort tatsächlich stimmt.

Ich muss dabei an die Lückentests in der Schule denken, bei denen ein Begriff oder manchmal auch zwei fehlten und die Aufgabe darin bestand, den richtigen Begriff in die entsprechende Lücke einzusetzen.

Auf den ersten Blick schien das ziemlich einfach, aber das war es oft gar nicht, denn für jede Lücke gab es eine – und nur eine – richtige Antwort. Entweder das eingesetzte Wort war richtig, oder es war falsch. Das war meistens richtig schwer.

Bei Multiple-Choice-Tests hatte man wenigstens eine Chance von 1:4, die richtige Antwort anzukreuzen, und bei offenen Fragen, zu denen man selbst eine Antwort formulieren musste, konnte man auch noch Punkte für Kreativität, Fleiß und allgemeines Gelaber einheimsen. Und in allgemeinem Gelaber war ich immer ziemlich gut.

Doch bei diesen gnadenlosen Lücken war das ganz anders. Da war kein Platz für Überflüssiges oder Fehler. Beim Lückentest ging es nur um die eine korrekte Antwort.

Und es gab nur eine Person – den Lehrer bzw. die Lehrerin –, die das Recht hatte zu entscheiden, was in die Lücke gehörte. Er oder sie traf die Entscheidung, wofür die Lücke stand.

Wer hat in Bezug auf Ihr Leben das Recht, diese Lücke auszufüllen und den richtigen Begriff einzusetzen? Sie selbst? Oder sind es Ihre Eltern, Ihre Freunde oder Ihre Lebensumstände?

Ich habe mir vor kurzem ein altes 60 Minutes-Interview mit Bob Dylan angeschaut, in dem der Interviewer fragte, warum er sich Bob Dylan und nicht mehr Robert Zimmerman nenne?

„Man kann sich doch nennen, wie man will“, antwortete Dylan auf die für ihn so typische nonchalante Art: „Das hier ist schließlich ,the land oft the brave and the free‘.“1

Seinen offiziellen Namen kann man ja tatsächlich relativ problemlos ändern. Aus einem Zimmerman kann durch das Ausfüllen einiger Formulare und eine Unterschrift ganz einfach ein Dylan werden. Aber was ist mit den inneren Bezeichnungen und Namen, die Sie definieren? Wer entscheidet über die? Und was ist, wenn Ihnen das, was bei Ihnen bisher in die Lücke eingefüllt wurde, nicht gefällt? Lässt es sich noch ändern? Und wenn ja, in welchem Ausmaß ist das möglich, und in welchem Ausmaß sollte es dann auch geschehen?

Und gibt es denn auch hier nur eine richtige Antwort? Lassen sich all die Nuancen, die Komplexität und die Widersprüche Ihres Lebens so kurz und knapp zusammenfassen?

Das alles sind ganz praktische Fragen, die den Kern Ihres Selbstbildes und Ihres Identitätsgefühls betreffen.

Wahrscheinlich brauchen Sie sich ja inzwischen nicht mehr mit Lückentests herumzuschlagen, aber die „Ich-bin“-Fragen des Lebens sind eine noch viel größere Herausforderung, weil Sie sie tagtäglich beantworten. Und Ihre Antworten lenken wohl oder übel den Verlauf Ihres Lebens bzw. lenken ihn um.

Im Folgenden ein paar dritte Wörter, die ich ständig sowohl in meinem Kopf als auch laut aus meinem Mund höre: Unfähig. Dumm. Stark. Getrieben. Verkorkst. Loyal. Verletzt. Überfordert. Gesegnet. Fähig. Enttäuscht. Kaputt. Hoffnungsvoll. Abgestumpft. Zufrieden.

Kreisen Sie doch einmal im Geiste die Wörter ein, mit denen Sie sich identifizieren können, und ergänzen Sie welche, die Sie noch hinzufügen würden. Wie oft sagen oder denken Sie die betreffenden Wörter über sich selbst? Was glauben Sie, welche dieser Begriffe Sie in einem Jahr bzw. in zehn Jahren einkreisen werden? Und welche werden Sie an Ihre Kinder weitergeben, sodass die sie später einmal für sich selbst einkreisen?

Und jetzt – nur so zum Spaß – verändern Sie doch einmal dieses Wort – das dritte Wort.

Das verändert alles.

Und jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter. Wie sieht Ihr Selbstbild aus im Vergleich zu dem Bild, das Sie anderen gern von sich vermitteln möchten? Inwieweit unterscheidet es sich von der Vorstellung, wie Sie gerne wären? Oder anders gefragt: Täuschen Sie anderen etwas vor? Halten Sie eine falsche Fassade aufrecht, um die Defizite und Schwächen zu tarnen, die Sie bei sich selbst feststellen?

Und eine noch schwerwiegendere Frage wäre ja, wie all das, was Sie über sich selbst denken, im Vergleich zu dem aussieht, was Gott über Sie denkt. Passen Ihr Selbstbild und Ihre Selbsteinschätzung mit der Persönlichkeit zusammen, als die Sie geschaffen sind und die Sie sein sollen?

Das sind große, verwirrende, aber auch mutige Fragen, und sie richtig zu beantworten, dauert ein Leben lang.

Wenn Sie sich diesen Fragen allerdings nie stellen, dann werden Sie einen großen Teil Ihres Lebens damit verbringen, sich zu verstellen, Leistung zu bringen, perfekt zu wirken, zu versuchen, anderen zu gefallen und sich zu beweisen. Doch Ihr wahres Selbst werden Sie nicht finden.

Unbrauchbar?

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