Читать книгу Goldgrube - Sue Grafton - Страница 7
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ОглавлениеIch fuhr im Büro vorbei und legte eine Akte zu dem Fall an, in die ich die Daten eintrug, die Donovan mir gegeben hatte. Es sah nach nicht viel aus, nur ein Fitzelchen Information, aber das Geburtsdatum und die Sozialversicherungsnummer waren eine ungemein wertvolle Hilfe zum Nachweis der Identität. Im Notfall konnte ich immer noch bei Guy Maleks früheren Klassenkameraden nachfragen, ob er sich bei irgend jemandem gemeldet hatte, seit er verschwunden war. Nachdem er sich jahrelang so schlimm aufgeführt hatte, war nicht anzunehmen, daß andere ihn gut gekannt oder Wert darauf gelegt hatten, ihn überhaupt zu kennen, aber vielleicht hatte er ja Gesinnungsgenossen gehabt. Ich notierte mir den Namen, den Donovan genannt hätte. Paul Trasatti könnte eine Spur sein. Womöglich war Guy ja im Laufe der letzten fünfzehn Jahre solider geworden und hin und wieder zu Klassentreffen gekommen. Oft sind es gerade die größten »Versager« aus der Schulzeit, die am begierigsten darauf sind, mit ihren späteren Erfolgen zu prahlen.
Wenn ich um einen Tip gebeten würde, wohin er wohl seine Schritte auf dem Weg ins Exil zuerst gelenkt hatte, würde ich San Francisco sagen, das nur sechs Stunden Autofahrt oder eine Flugstunde im Norden lag. Guy hatte Santa Teresa verlassen, als Haight-Ashbury auf dem Gipfel seiner Beliebtheit stand. Jedes Blumenkind, das nicht bereits hirntot von Drogen war, zog es damals nach Haight. Dort tobte die Party aller Partys, und mit zehntausend Dollar in der Tasche war Guy seine Einladung dazu sicher.
Um halb vier schloß ich mein Büro ab und ging in den ersten Stock hinunter, um mir Instruktionen für die beiden Vorladungen zu eidlichen Zeugenaussagen geben zu lassen. Dann holte ich mein Auto und fuhr zu den Maleks hinaus. Das Haus stand am Ende eines schmalen Sträßchens, und das sechs Hektar große Grundstück war von einer zweieinhalb Meter hohen Mauer umgeben, die hin und wieder von einem hölzernen Tor durchbrochen wurde. Ich war in dieser Stadt aufgewachsen und hatte gedacht, ich würde jede Ecke von ihr kennen, aber das hier war mir neu, eine erstklassige Santa-Teresa-Immobilie, die auf die dreißiger Jahre zurückging. Die Maleks besaßen offenbar das letzte Stück flachen Landes im Umkreis von Meilen. Das hintere Ende des Anwesens mußte steil bergauf gehen, da über mir die Umrisse der Santa Ynez Mountains aufragten und so nahe wirkten, als könnte man sie berühren. Von der Straße aus konnte ich vereinzelte Büschel violettblühenden Salbeis und Eismyrtensträucher erkennen.
Die eisernen Torflügel am Eingang zum Anwesen standen offen. Ich folgte der langen, gebogenen Auffahrt an einem rissigen, vernachlässigten Tennisplatz vorbei auf eine gepflasterte Wendefläche, die innerhalb der L-Form des Haupthauses lag. Sowohl das Haus als auch die Mauer, die das Grundstück umgab, waren mit dunklem Terrakotta in einem merkwürdigen Farbton irgendwo zwischen Ziegelrot und Staubrosa verputzt. Wuchtige Nadelbäume überragten das Anwesen, und ein Wald aus immergrünen Eichen erstreckte sich zur Rechten des Hauses, so weit das Auge reichte. Durch das Dach aus Zweigen drang kaum Sonnenlicht. Neben der Vorderfront des Hauses hatten die Kiefern eine Nadeldecke hinterlassen, die den Boden völlig übersäuert haben mußte. Es wuchs kaum oder gar kein Gras, und der feuchte Geruch der nackten Erde war durchdringend. Hier und da konnte sich eine zerzauste Palme behaupten. Auf der rechten Seite standen mehrere Nebengebäude – ein Bungalow, ein Gärtnerschuppen, ein Gewächshaus –, und links befand sich eine lange Reihe von Garagen. Die Zufahrt ging offenbar hinter dem Haus weiter. Auf einer gekiesten Fläche war eine Harley-Davidson geparkt. Es gab Blumenbeete, doch selbst der gelegentlichen Andeutung von Farbe gelang es nicht, die bedrückende Düsternis des herrschaftlichen Hauses und die tiefen Schatten, die es umgaben, aufzulockern.
Das Haus war im mediterranen Stil gebaut. Sämtliche Fenster waren von Läden flankiert. Mehrere Balustraden durchbrachen die nüchternen Linien der Fassade, und eine zierliche Treppe wand sich linker Hand zu einer Veranda im ersten Stock empor. Alle Verzierungen waren in Dunkelgrün ausgeführt, wobei die Farbe mit den Jahren verblaßt war. Das Dach bestand aus alten roten Ziegeln, auf denen grüne Algen weiche Polster bildeten. Die Urnen aus gegossenem Beton zu beiden Seiten der Haustür waren mit winterharten Pflanzen bestückt, die zu kahlen Stöcken abgestorben waren. Die Tür selbst sah aus, als hätte man sie aus einer der ersten kalifornischen Missionsstationen ausgebaut. Als ich auf die Klingel drückte, hörte ich drinnen einen tiefen Ton erklingen, der den Bewohnern mein Kommen kundtat.
Kurz darauf wurde die Tür von einer Weißen unbestimmbaren Alters in einer grauen Baumwolltracht geöffnet. Sie war mittelgroß, ziemlich dick, und ihre Schultern und Brüste hingen auf eine Taille herab, die sich ausgedehnt hatte, um die allmähliche Gewichtszunahme aufzufangen. Ich schätzte sie auf Anfang Vierzig, aber sicher war ich mir nicht.
»Ja?« Ihre Augenbrauen hätten gezupft werden müssen, und ihr blondes Haar wies einen dunklen, von Grau durchzogenen Ansatz auf. Ich stand einer Frau gegenüber, die anscheinend mit irgendeinem stumpfen Gerät auf ihr eigenes Haar einzuhacken pflegte, was mir nicht völlig fremd war. Ihre Ponyfransen waren ein bißchen zu kurz geraten und ringelten sich unvorteilhaft über der Stirn. Vielleicht waren vierzig Dollar für einen Haarschnitt doch nicht zuviel.
Ich reichte ihr meine Visitenkarte. »Sind Sie Myrna?«
»Richtig.«
»Ich bin Kinsey Millhone«, sagte ich. »Ich glaube, Donovan hat angerufen, um Ihnen mitzuteilen, daß ich heute nachmittag vorbeikommen würde. Ist Bennet zu Hause?«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber sie schien zu wissen, wovon ich sprach. Sie war unattraktiv und ihre Nase vielleicht eine halbe Nummer zu groß für ihr Gesicht. Auf ihren Lippen hafteten die Überreste von dunklem Lippenstift, der vermutlich beim Mittagessen abgegangen war oder nun am Rand ihrer Kaffeetasse prangte. Jetzt war ich gerade erst ein Fan von Billig-Kosmetika geworden und führte mich schon auf wie eine Expertin. Zum Totlachen, dachte ich.
»Er ist gerade gekommen. Er hat gesagt, ich soll Sie in der Bibliothek unterbringen, wenn Sie eintreffen, bevor er wieder unten ist. Würden Sie bitte mitkommen?«
»Klar«, sagte ich. Ich fand die Vorstellung herrlich, in der Bibliothek »untergebracht« zu werden wie eine Topfpflanze.
Ich folgte ihr durch die Eingangshalle zu einem Raum auf der rechten Seite. Heimlich musterte ich meine Umgebung und bemühte mich, dabei nicht wie ein gaffender Idiot auszusehen. In den Häusern der Reichen ziemt es sich nicht, mit offenem Mund zu starren. Der Fußboden bestand aus dunklem Parkett, das in einem komplizierten Fischgrätmuster verlegt worden war und dessen polierte Holzwinkel sich nahtlos ineinanderfügten. Die Eingangshalle war zwei Stockwerke hoch, doch von oben kam kaum oder eher gar kein Licht herein. An den Wänden hingen in regelmäßigen Abständen Wandteppiche und verblichene Darstellungen von Frauen mit hochgeschnürten Taillen und Gesichtern von der Form hartgekochter Eier. Herren in Umhängen ritten auf Pferden, gefolgt von Jagdhunden an Ketten. Hinter ihnen schleppte ein fröhliches Häuflein Holzfäller einen toten Hirsch, dem die Speere aus dem Leib staken wie dem heiligen Sebastian. Ich wußte sofort, daß in ihrer Welt keine Tierschützer vorkämen.
Die Bibliothek sah aus wie ein privater Herrenclub oder vielmehr so, wie ich mir einen solchen Ort vorstellen würde, wenn dort auch Frauen zugelassen wären. Mehrere große, rote orientalische Teppiche waren direkt nebeneinander ausgelegt und bedeckten den Boden vollständig. Eine Wand war komplett mit dunklem Walnußholz vertäfelt, während an den anderen drei Wänden bis zur Decke reichende Bücherregale standen. Die Fenster waren hoch und schmal, Karos aus Bleiglas, die mehr kalte Luft hereinließen als Nachmittagslicht. Es gab drei Gruppen abgenutzter rotlederner Clubsessel und einen riesenhaften Kamin aus grauem Stein mit einem Gaszünder, dessen Feuerstelle von zahllosen Feuern geschwärzt war. Der Raum roch nach verkohltem Eichenholz und modrigen Büchern und strahlte jene Feuchtigkeit aus, die mit schlecht gearbeiteten Fundamenten einhergeht. Für eine Familie, die in der Baubranche ein Vermögen gescheffelt hatte, müßten sie wirklich mal daran denken, ein bißchen Geld in das Haus zu stecken. Im Sinne umfassender Verschönerungen der Inneneinrichtung hätte ein kurzer Abstecher zu Pier I Wunder gewirkt.
Obwohl ich mir selbst überlassen war, machte ich mir ausnahmsweise nicht die Mühe herumzuschnüffeln. Guy Malek war seit siebzehn Jahren weg. Ich würde keine Abschrift vom Fahrplan des Busses finden, mit dem er davongefahren war, oder eine Schublade voller Tagebücher, die er als Junge geführt hatte. Ich hörte jemanden im ersten Stock gehen, hörte die Decke knarren, als sich die Schritte im Zimmer über mir von einer Seite zur anderen bewegten. Ich drehte eine Runde in der Bibliothek und blickte dabei aus jedem Fenster, an dem ich vorbeikam. Der Raum war gut zehn Meter lang. Am anderen Ende ging ein Wintergarten auf den Rasen hinter dem Haus hinaus, eine weite Fläche abgestorbenen Grases mit einem trüb aussehenden Zierkarpfenteich in der Mitte. Die Oberfläche des Wassers war von Seerosenblättern überwuchert.
Ich ging wieder zur Tür zurück und hörte, wie jemand die Treppe herunterkam und den Flur entlangschritt. Die Tür ging auf, und Bennet Malek kam herein. Er war vier Jahre jünger als Donovan und hatte das gleiche helle Haar. Wo Donovans Haar glänzte, war das Bennets matt, und er trug es kurz geschnitten, um einen offensichtlichen Hang zur Lockenbildung zu unterbinden. Das Ringen darum, stets frisch rasiert zu sein, hatte er offenbar aufgegeben, und so umgaben jetzt ein blonder Bart und Schnurrbart die untere Partie seines Gesichts. Er war untersetzt, wirkte um die Schultern herum bullig und hatte einen breiten Brustkorb. Er trug Jeans und ein marineblaues Sweatshirt, dessen hochgeschobene Ärmel den Blick auf dichtbehaarte Unterarme freigaben. Tasha hatte ihn als einen Mann beschrieben, der Gelder in verschiedene zum Scheitern verurteilte kommerzielle Unternehmungen steckte und verlor. Ich fragte mich, wie ich auf ihn reagiert hätte, wenn ich nicht vorher von seinem schlechten Geschäftssinn gewußt hätte. So mußte ich allerdings feststellen, daß die solide Selbstsicherheit, die er sich auszustrahlen bemühte, an mir abprallte. Erst mit Verspätung fiel mir auf, daß er die letzten zwei Zentimeter eines Drinks in der rechten Hand hielt, Gin oder Wodka auf Eis mit einem Streifen Zitronenschale. Er stellte das Glas auf den Beistelltisch, der ihm am nächsten stand.
Er streckte die Hand aus und schüttelte meine mit unnötiger Kraft. Wir wollten ja kein Armdrücken veranstalten, was sollte das also? Seine Fingerspitzen waren eisig und fühlten sich leicht feucht an. »Bennet Malek, Miss Millhone. Erfreut, Sie kennenzulernen. Don hat mir gesagt, daß Sie kommen würden. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Er hatte eine laute, dröhnende Stimme und hielt ständig Blickkontakt. Sehr männlich, dachte ich.
»Danke, nein. Ich möchte nicht mehr von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen als unbedingt nötig. Ich weiß, daß Sie zu tun haben.«
»In Ordnung. Möchten Sie nicht Platz nehmen?« sagte er. Seine zuvorkommende Art wirkte aufgesetzt, die Masche eines Verkäufers, um den Kunden einzulullen. Ich befand mich erst dreißig Sekunden oder noch weniger in der Gesellschaft dieses Mannes und hatte bereits eine Abneigung gegen ihn entwickelt.
Ich hockte mich auf die Kante eines Clubsessels mit einer breiten, eingesunkenen Sitzfläche. Die lederne Oberfläche war glatt, und ich mußte dagegen ankämpfen, nach hinten in die Tiefen abzurutschen. Als Kind habe ich immer die Rutschbahn im Wohnwagenpark zu blitzartiger Schnelligkeit aufpoliert, indem ich sie heftig mit Cut-Rite-Wachspapier abgerieben hatte. Das glänzende Lederpolster fühlte sich genauso spiegelblank an. Um nicht die Haftung zu verlieren, mußte ich mein Gewicht nach vorn verlagern, die Füße eng beieinanderhalten und flach auf den Boden stellen.
Bennet setzte sich mit einer Reihe knarrender Geräusche auf den Sessel zu meiner Linken. »Sie sind also Privatdetektivin«, sagte er.
»Genau. Ich habe seit zehn Jahren eine Lizenz. Davor war ich bei der Polizei. Und Sie? Was machen Sie beruflich?«
»Ich mache in Risikokapital. Ich suche vielversprechende kleine Firmen mit Solvenzproblemen.«
Und dann läßt er sie ausbluten, kein Zweifel. »Klingt interessant«, bemerkte ich.
»Es ist befriedigend. Sagen wir es so.« Er hatte seine Stimme zu einem vertraulichen Tonfall abgesenkt. »Sie haben also mit Don gesprochen?«
»Stimmt. Erst vor ein paar Stunden.«
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. »Hat er das verschwundene Testament erwähnt?«
»Davon hat mich Tasha bereits beim Mittagessen unterrichtet«, antwortete ich. Ich fragte mich, warum er dieses Thema anschnitt. Die Existenz eines zweiten Testaments war wirklich nicht mein Problem. »Da hat Ihr Bruder wohl Glück gehabt«, sagte ich.
Er schnaubte. »Ich sage Ihnen, was mich nervt. Ich weiß noch, wie Dad das zweite Testament unterschrieben hat. Ich sehe den Tag so deutlich vor mir, wie ich hier sitze. Dads Anwalt und zwei Zeugen kamen ins Haus.«
»Das ist ja interessant. Wissen Sie noch, wer das war?«
»Die Zeugen? Zwei Frauen. Daran kann ich mich erinnern. Ich dachte, sie arbeiteten für den Anwalt, aber das habe ich mir womöglich nur ausgedacht. Soweit ich weiß, waren sie jedenfalls nicht mit Dad befreundet. Sie kamen alle vier hier herein und gingen etwa eine halbe Stunde später wieder.«
»Haben Sie das Tasha erzählt?«
»Ich habe erwähnt, daß ich an dem Tag, als das zweite Testament unterzeichnet wurde, hier war. Ich weiß jetzt nicht mehr, ob ich Zeugen erwähnt habe.«
»An Ihrer Stelle würde ich ihr das sagen. Vielleicht fällt ihr ein, wie man herausfinden kann, wer sie waren. Soweit ich gehört habe, bestreitet niemand die Tatsache, daß ein zweites Testament aufgesetzt wurde, aber wurde es in Ihrer Gegenwart unterzeichnet? Wurden Sie von den Verfügungen unterrichtet?«
»Tja, ich war nicht mit ihm im Zimmer, falls Sie darauf hinauswollen. Dad hat später davon gesprochen, aber sich nie detailliert dazu geäußert. Die Frage ist, was ist damit passiert?«
Ich zuckte die Achseln. »Ihr Vater könnte es sich anders überlegt haben. Er könnte es zerrissen und weggeworfen haben.«
Bennet rutschte unruhig hin und her. »Das sagen alle, aber ich bin nicht davon überzeugt. Es ist eine interessante Frage, wenn man sich’s genauer überlegt. Ich meine, sehen Sie sich nur die Fakten an. Plötzlich ist das Testament verschwunden, und das schwarze Schaf der Familie sahnt ab wie ein Bandit. Dad hat es im März unterschrieben, und wenige Tage später ist Guy verschwunden.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Ihr Bruder es gestohlen hat?«
»Ich sage nur, warum nicht? Zutrauen würde ich es ihm. Sonst hat er ja auch alles gestohlen.«
»Aber was würde das nützen? Selbst wenn er eine Kopie verschwinden ließe, hat der Anwalt vermutlich das Original behalten. Nachdem Guy verschwunden war, konnte er nicht wissen, ob Ihr Vater nicht auf der Stelle noch ein Testament gleichen Inhaltes verfassen würde. Oder ein vollkommen anderes drittes. Danach zu urteilen, was mir Donovan erzählt hat, konnte Ihr Vater mit Worten recht massiv werden, aber wenn es darum ging, den Worten Taten folgen zu lassen, war er weniger gut.«
Er schüttelte den Kopf und sah gönnerhaft drein. »Wie wahr! Deshalb gehe ich ja Dads Papiere alle noch mal durch. Nicht daß wir Guy irgendwelche Gelder vorenthalten wollten, auf die er womöglich Anspruch hat, aber das ist meiner Meinung nach Schwachsinn. Er hat seinen Anteil bereits kassiert. Dad hatte das zweite Testament in der ausdrücklichen Absicht aufgesetzt, Guys Ansprüche auszuschalten. Deshalb hat er ihm das Geld ja überhaupt gegeben – um ihn ein für allemal auszubezahlen. Ich habe ihn im Laufe der Jahre oft darauf anspielen hören. In seinen Augen waren die zehn Riesen, die er meinem Bruder gegeben hat, der Schlußstrich.«
»Tja, ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, aber das ist wirklich nicht mein Gebiet. Tasha ist die Expertin. Am besten setzen Sie sich mit ihr zusammen und besprechen das.«
»Was ist mit der Abmachung, die mein Vater mit Guy getroffen hat?« fuhr er vorwurfsvoll fort. »Es war zwar eine mündliche Vereinbarung, aber zählt das denn gar nicht?«
»He, da sind Sie an der falschen Adresse. Ich habe keine Ahnung. Kein Mensch weiß, wo Guy ist, geschweige denn, was er ausgehandelt hat, als er wegging.«
Sein Lächeln schwand, und ich sah ihm an, daß er gegen den Wunsch ankämpfte, weiterhin über diesen Punkt zu streiten. »Da haben Sie natürlich recht«, sagte er. »Also, was soll ich Ihnen über Guy sagen?«
»Fangen wir mal mit dem Nächstliegenden an. Hat er Ihnen irgend etwas über seine Pläne erzählt, bevor er wegging?«
»Es gehörte leider nicht zu Guys Gewohnheiten, irgend etwas mit mir zu besprechen.«
Ich veränderte meine Fragestellung ein wenig. »Könnte er nach San Francisco gewollt haben? Donovan sagt, daß er damals Drogen genommen hat, und Haight könne eine gewisse Anziehungskraft für ihn gehabt haben.«
»Gut möglich. Aber wenn er dorthin gefahren ist, hat er zu mir nie ein Wort davon gesagt. Ich sollte vermutlich vorausschicken, daß wir zwei uns nicht besonders nahestanden. Ich möchte nicht unkooperativ erscheinen, aber ich habe nicht viele Informationen zu bieten.«
»Haben Sie ihn je von einem möglichen Berufswunsch reden hören? Hatte er irgendwelche persönlichen Vorlieben?«
Bennets Lächeln war dünn. »Sein Berufswunsch bestand darin, so wenig wie möglich zu tun. Und seine Vorliebe war es, in Schwierigkeiten zu geraten und allen anderen das Leben zur Hölle zu machen.«
»Was war mit seiner Arbeit? Was für Jobs hatte er?«
»Nichts von Belang. Als er noch keine Zwanzig war, hat er in einer Pizzeria gearbeitet, bis man ihn dabei erwischt hat, wie er Geld eingesteckt hat. Er hatte auch einmal einen Job als Telefonverkäufer. Ganze zwei Tage lang. Ich kann mich nicht erinnern, daß er jemals besonders viel getan hätte, bevor er anfing, für Dad zu arbeiten. Eine Zeitlang hat er Benzin gezapft, also hat er vielleicht als Tankwart Karriere gemacht.«
»Was für einen Wagen fuhr er?«
»Er fuhr den Familien-Chevy, bis er einen Unfall mit Fahrerflucht gebaut hat und sein Führerschein eingezogen wurde. Danach hat ihn Dad keines der Familienfahrzeuge mehr benutzen lassen.«
»Wissen Sie, ob er seinen Führerschein je wiederbekommen hat?«
»Wenn nicht, ist er vermutlich ohne gefahren. Er hat sich nie groß um die kleinen Regeln und Vorschriften im Leben geschert.«
»Hatte er irgendwelche Hobbys?«
»Nein, es sei denn, Sie zählen Doperauchen und Bumsen dazu.«
»Was war mit seinen persönlichen Interessen? Ging er Jagen oder Fischen? Fallschirmspringen?« Ich stocherte und wühlte herum, einfach um ein Gefühl für die richtige Richtung zu bekommen.
Bennet schüttelte den Kopf. »Er war Vegetarier. Er sagte, nichts solle je sterben müssen, damit er essen kann. Er hatte panische Höhenangst, von daher bezweifle ich, daß er je aus einem Flugzeug gesprungen ist, einen Berg bestiegen oder sich in Bungee-Jumping versucht hat.«
»Tja, dann können wir das zumindest ausschließen«, sagte ich. »Hatte er irgendwelche gesundheitlichen Probleme?«
»Gesundheitliche Probleme? Was denn zum Beispiel?«
»Ich weiß nicht. Ich versuche nur, irgendwie einen Anhaltspunkt zu finden, der mich zu ihm führt. War er Diabetiker? Hatte er Allergien oder chronische Krankheiten?«
»Oh! Jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen. Nein. Soweit ich weiß, war er bei guter Gesundheit – für jemanden, der so viel getrunken und Drogen genommen hat.«
»Donovan sagt, er hatte einen guten Freund. Jemand namens Paul?«
»Sie meinen Paul Trasatti. Ich kann Ihnen seine Telefonnummer geben. Er lebt immer noch hier.«
»Das wäre gut.«
Er nannte mir die Nummer aus dem Gedächtnis, und ich schrieb sie rasch in das kleine spiralgebundene Notizbuch, das ich immer bei mir habe.
Ich versuchte, an Gebiete zu denken, die ich noch nicht abgedeckt hatte. »War er Kriegsdienstverweigerer? Hat er gegen den Vietnamkrieg protestiert?«
»Das brauchte er nicht. Die Army wollte ihn gar nicht. Er hatte schlechte Füße. Dieser Glückspilz! Politik war ihm immer scheißegal. Soweit ich weiß, ist er nicht mal wählen gegangen.«
»Was ist mit Religion? Hat er Yoga gemacht? Meditiert? Ist er über glühende Kohlen gelaufen?« Es war wie Zähneziehen.
Er schüttelte erneut den Kopf. »Nichts davon.«
»Wie steht’s mit Bankkonten?«
»Nee. Zumindest hatte er damals keine.«
»Hat er irgendwelche Aktien oder Wertpapiere besessen?«
Bennet schüttelte erneut den Kopf. Langsam machte es den Eindruck, als ob er sich über meine Hartnäckigkeit amüsierte, was ich ärgerlich fand.
»Irgend etwas muß ihm wichtig gewesen sein«, beharrte ich.
»Er war eine Niete, ganz einfach. Er hat nie für jemanden einen Finger krumm gemacht, außer für sich selbst. Ein typischer Narziß. Die Mädchen konnten nie genug von ihm kriegen. Machen Sie sich einen Reim drauf.«
»Hören Sie, Bennet. Ich verstehe Ihre Feindseligkeit, aber auf diese Kommentare kann ich verzichten. Sie müssen ihn doch einmal gern gehabt haben.«
»Natürlich«, sagte er und wandte den Blick ab. »Aber das war, bevor er für uns alle zu einer solchen Plage wurde. Außerdem ist er seit Jahren verschwunden. Auf irgendeiner Ebene habe ich wohl schon eine Art brüderlicher Gefühle, aber angesichts seiner langen Abwesenheit sind sie schwer aufrechtzuerhalten.«
»Und nachdem er gegangen ist, hat niemand von Ihnen jemals wieder von ihm gehört?«
Er nahm wieder Blickkontakt auf. »Ich kann nur für mich selbst sprechen. Er hat mich weder angerufen noch mir geschrieben. Wenn er mit irgend jemand anders in Verbindung stand, so hat man mir nichts davon erzählt. Vielleicht weiß Paul etwas.«
»Was macht Paul beruflich?«
»Er handelt mit seltenen Büchern. Er kauft und verkauft Autographen, Briefe und Manuskripte. Solches Zeug.« Er machte den Mund zu und lächelte schwach. Er gab nichts von sich aus preis, außer ich fragte ganz direkt danach.
So kam ich nicht weiter, und es war vermutlich Zeit zu gehen. »Was ist mit Jack? Könnte Guy sich ihm anvertraut haben?«
»Das können Sie ihn selbst fragen. Er ist da draußen«, sagte Bennet. Er gestikulierte zum Fenster hin, und ich folgte seinem Blick. Einen Moment lang sah ich Jack, wie er den Rasen hinterm Haus überquerte und auf einen Abhang zu seiner Linken zuging. Die Rückseite des Anwesens bekam gerade genug Sonne ab, um eine Mischung von struppigen, unregelmäßig wachsenden Gräsern hervorzubringen. Unter einen Arm hatte er nachlässig zwei Golfschläger geklemmt, und in der Hand hielt er einen Eimer und ein Netz in einem blauen Plastikrahmen.
Als wir ihn eingeholt hatten und Bennet uns miteinander bekannt machte, war Jack gerade dabei, mit einem Sand-Wedge Golfbälle in das Netz zu schießen, das er achtzehn Meter weiter weg aufgestellt hatte. Bennet entfernte sich und ließ mich zurück, damit ich Jack beim Üben seiner kurzen Schläge zusehen konnte. Wenn er ausholte, konnte ich das leise Pfeifen des Schlägers hören, der durch die Luft sauste. Dann kam ein Plop, und der Ball flog mit unfehlbarer Genauigkeit in hohem Bogen auf das Netz zu. Hin und wieder landete ein Schlag daneben im Gras und kam mit kurzem Hüpfen auf, doch meistens traf er sein anvisiertes Ziel.
Jack trug eine Schirmmütze, auf deren Rand in Blockbuchstaben PEBBLE BEACH stand. Sein Haar war hellbraun, und ein Büschel davon stand über dem Klettverschluß am Hinterkopf hoch. Er trug Khakihosen und ein Golfhemd, auf dem vorne das Emblem von St. Andrew’s aufgenäht war wie ein Rangabzeichen. Er war schlanker als seine beiden Brüder, und Arme und Gesicht waren gebräunt. Ich sah ihm an, wie er die Flugbahn des Balls berechnete, während dieser durch die Luft flog. Er sagte: »Hoffentlich halten Sie mich nicht für ungehobelt, aber ich habe bald ein Turnier.«
Ich murmelte höflich etwas, da ich seine Konzentration nicht stören wollte.
Pfeifen. Plop. »Sie sind engagiert worden, um Guy zu finden«, sagte er, als der Ball landete. Er runzelte über sich selbst die Stirn und korrigierte seine Haltung. »Wie läuft’s?«
Ich lächelte kurz. »Bis jetzt habe ich nur sein Geburtsdatum und seine Sozialversicherungsnummer.«
»Warum hat Donovan gesagt, daß Sie mit mir sprechen sollen?«
»Warum soll ich nicht mit Ihnen sprechen?«
Er ignorierte mich für einen Moment. Ich sah zu, wie er zum Netz ging, sich hinabbeugte, die unzähligen Bälle aufsammelte und sie in seinen Plastikeimer warf. Dann kam er an die Stelle zurück, an der ich stand, und fing wieder von vorne an. Sein Schlag sah immer genau gleich aus – jedesmal, ohne Änderung. Schlag, Plop, ins Netz. Dann legte er den nächsten Ball hin. Schlag, Plop, ins Netz. Bei einem Schlag schüttelte er den Kopf und antwortete verspätet auf meine Bemerkung.
»Donovan kann nicht viel mit mir anfangen. Im Grunde seines Herzens ist er Puritaner. Bei ihm gibt’s nur Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit. Man muß produktiv sein – erledigen, was ansteht. Dieses ganze Pflicht-Geschrei. In seinen Augen ist Golf es nicht wert, ernst genommen zu werden, es sei denn, es bringt einem ein jährliches Einkommen von einer halben Million Dollar ein.« Er hielt inne, um mich anzusehen, und lehnte sich dabei leicht auf seinen Golfschläger, als wäre er ein Stock. »Ich habe keine Ahnung, wohin Guy verschwunden ist, falls Sie mich das fragen wollten. Ich war gerade in meinem letzten Jahr in Wake Forest, daher habe ich nur am Telefon davon gehört. Dad hat angerufen und mir erzählt, daß er Guy vor die Tür gesetzt hat. Sie hatten sich wegen irgendwas gestritten, und er ist abgezogen.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Als ich zu Mutters Beerdigung im Januar nach Hause fuhr. Als ich in den Semesterferien im Frühling wiederkam, war Guy vielleicht seit drei Tagen weg. Ich dachte mir, daß sich das Ganze irgendwann geben würde, aber dazu kam es nie. Als ich im Juni meinen Abschluß machte und nach Hause kam, wurde über das Thema nicht mehr gesprochen. Nicht, daß es uns verboten worden wäre, ihn zu erwähnen. Wir haben es einfach von uns aus nicht getan, ich schätze, aus Rücksicht auf Dad.«
»Und Sie haben nie von Guy gehört? Kein Anruf, keine Postkarte in all den Jahren?«
Jack schüttelte den Kopf.
»Hat Ihnen das nichts ausgemacht?«
»Aber sicher. Ich habe ihn angehimmelt. Für mich war er ein Rebell, ein wahrer Individualist. Ich habe die Uni gehaßt und war unglücklich. Ich war in fast allen Fächern schlecht. Das einzige, was ich wollte, war Golf spielen, und ich konnte nicht einsehen, warum ich unbedingt einen akademischen Abschluß brauchte. Ich wäre in Null Komma nichts mit Guy gegangen, wenn er mir erzählt hätte, was los war. Was soll ich Ihnen sagen? Er hat mich nie angerufen. Er hat nie geschrieben. Er hat nie durchblicken lassen, daß ich ihm nicht scheißegal bin. C’est la vie.«
»Und es hat auch nie jemand außerhalb der Familie berichtet, daß er ihm begegnet wäre?«
»Zum Beispiel auf einer Versammlung oder so? Sie greifen aber wirklich nach jedem Strohhalm.«
»Man sollte meinen, daß Sie irgend etwas gehört haben müßten.«
»Warum denn? Ich meine, was ist schon groß passiert? Wahrscheinlich ziehen ständig irgendwelche Leute so was durch. Sie verschwinden, und kein Mensch hört jemals wieder von ihnen. Es gibt kein Gesetz, das besagt, daß man mit Leuten in Kontakt bleiben muß, nur weil man mit ihnen verwandt ist.«
»Tja, stimmt«, sagte ich und dachte daran, wie ich selbst meinen Verwandten aus dem Weg ging. »Fällt Ihnen sonst jemand ein, der mir weiterhelfen könnte? Hatte er eine Freundin?«
Jack lächelte spöttisch. »Guy war die Sorte Mann, vor denen Mütter ihre kleinen Mädchen warnen.«
»Donovan hat mir erzählt, daß Frauen ihn attraktiv fanden, aber ich begreife das nicht. Worin lag denn seine Anziehungskraft?«
»Es waren keine Frauen. Es waren Mädchen. Melodrama ist verführerisch, wenn man siebzehn ist.«
Ich dachte kurz darüber nach, aber es schien mir eine weitere Sackgasse zu sein. »Gut. Wenn Ihnen irgend etwas einfällt, würden Sie sich dann bei mir melden?« Ich holte eine Visitenkarte aus meiner Handtasche und reichte sie ihm hinüber.
Jack sah auf meinen Namen. »Wie wird der Nachname betont?«
»Mill-hone«, erklärte ich. »Betonung auf der ersten Silbe. Die zweite reimt sich auf ›bone‹.«
Er nickte. »In Ordnung. Sie werden natürlich nichts von mir hören, aber zumindest können Sie sagen, daß Sie es versucht haben.« Er lächelte. »Ich bin mir sicher, daß Don zu cool war, das auszusprechen«, sagte er freundlich, »aber wir hoffen alle, daß Sie ihn nicht finden werden. Dann können wir nämlich bei Gericht beantragen, daß er für tot erklärt wird, und seinen Anteil zwischen uns dreien aufteilen.«
»Das ist doch der Zweck einer ›gewissenhaften Suche‹, oder nicht? Sagen Sie Donovan, ich rufe ihn in ein oder zwei Tagen an«, sagte ich.
Ich ging über die Wiese zum Haus zurück. Was für ein Haufen, dachte ich. Hinter mir konnte ich das Pfeifen von Jacks Schwung und das Geräusch hören, wie der Schlägerkopf den Ball traf. Ich hätte noch einmal an der Vordertür klopfen und die Haushälterin fragen können, ob Donovans Frau Christie zu Hause war. Als alte College-Kameradin von Tasha könnte zumindest sie entgegenkommend sein. Andererseits war sie noch gar nicht mit Donovan verheiratet gewesen, als Guy wegging, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie irgend etwas von Belang beizutragen wüßte. Wo stand ich also nun?
Ich stieg in mein Auto, ließ den Motor an und legte den ersten Gang ein. Gemächlich fuhr ich die lange Zufahrt zur tiefer gelegenen Straße hinunter. Am Tor hielt ich an, kuppelte aus und ließ das Auto im Leerlauf vor sich hin tuckern, während ich die Möglichkeiten erwog. Soweit ich es beurteilen konnte, hatte Guy Malek keine Immobilien in Santa Teresa County besessen, also hatte es keinen Sinn, Steuerlisten oder Grundbücher einzusehen. Den Aussagen seiner Brüder zufolge hatte er nicht einmal je eine eigene Wohnung gemietet, was bedeutete, daß ich weder einen früheren Vermieter fragen noch mich bei Wasserwerk, Gaswerk oder der Telefongesellschaft nach einer Nachsendeadresse erkundigen konnte. Die meisten solcher Unterlagen werden sowieso keine siebzehn Jahre lang aufgehoben. Und sonst? Als er Santa Teresa verließ, hatte er keinen Job und auch keinen nennenswerten beruflichen Werdegang hinter sich, also war es zwecklos, bei den hiesigen Gewerkschaften oder bei der Sozialversicherung nachzufragen. Er ging nicht wählen, besaß weder Auto noch Waffe, jagte und fischte nicht, was wohl hieß, daß er keinerlei offizielle Genehmigungen oder Zulassungen besaß. Aber vermutlich hatte er sich mittlerweile einen Führerschein und ein Auto besorgt. Und wenn ich außerdem sein früheres Verhalten als Indiz nahm, dann hatte er bestimmt irgendwo ein Vorstrafenregister, mit Sicherheit jedoch beim National Crime Information Center. Dummerweise hatte ich zu diesen Daten keinen Zugang, und mir fiel auch auf die Schnelle niemand ein, der bereit wäre, eine Suche über den Computer zu veranlassen. Einem Polizeibeamten mit der entsprechenden Befugnis stehen alle möglichen Quellen zur Verfügung, die ich als lizenzierte Privatdetektivin nicht anzapfen konnte.
Ich schaltete meinen VW in den ersten Gang, bog nach links ab und fuhr zur Kfz-Zulassungsstelle hinüber. Es war kurz vor Büroschluß, und das Gebäude leerte sich allmählich. Ich füllte ein Formular aus, mit dem ich um eine Auskunft aus den Unterlagen bat. Die Daten der Zulassungsstelle sind häufig veraltet. Leute ziehen um, aber die neue Adresse erscheint erst dann in den Computern der Zulassungsstelle, wenn ein Führerschein oder eine Fahrzeuganmeldung erneuert wird. Falls Guy Malek also den Bundesstaat verlassen hatte, könnten sämtliche Daten seit Jahren überholt sein, wenn er überhaupt noch geführt wurde. Im Moment erschien es mir aber als die schnellste Methode, eine vorläufige Klärung der Situation herbeizuführen. Da ich seine Führerscheinnummer nicht wußte, nahm ich mir ein ANI-Formular für verschiedene Anfragen und trug seinen vollständigen Namen und sein Geburtsdatum ein. Der automatische Namensindex würde entweder keine Eintragung unter den vorliegenden Daten aufweisen oder für Nachname, Vorname, Mittelinitial und Geburtsdatum eine Entsprechung finden. Sobald ich wieder im Büro war, würde ich das Formular nach Sacramento schicken. Mit etwas Glück bekam ich wenigstens seine postalische Adresse.
Da das Büro fast leer war, bat ich kurzerhand eine der Angestellten, den Namen über ihren Computer zu suchen.
Sie drehte sich um und schenkte mir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. »Sind Sie verrückt? Dafür könnte ich gefeuert werden«, fauchte sie. Sie drehte den Monitor auf seinem Gelenkfuß herum, damit ich nicht auf den Bildschirm spähen konnte.
»Ich bin Privatdetektivin«, sagte ich.
»Von mir aus können Sie der Papst sein. Sie müssen schon auf Nachricht aus Sacramento warten. Von mir erfahren Sie nichts.«
»Den Versuch war es wert«, sagte ich. Ich rang mir ein gewinnendes Lächeln ab, aber damit kam ich nicht weit.
»Sie haben vielleicht Nerven«, sagte sie. Sie drehte sich mit vorwurfsvollem Kopfschütteln zur Seite und begann ihren Schreibtisch aufzuräumen.
Soviel zu meinen Überredungskünsten.