Читать книгу Nicht schon wieder Liebe - Susan Andersen - Страница 10

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»Tante Ronnie? Hast du gewusst, dass ein Mann in unserem Haus ist?«

Veronica öffnete verschlafen ein Auge. Lizzy kniete neben dem Bett, ihr frisch geschrubbtes Gesicht so nahe an Veronicas, dass sie es leicht verschwommen wahrnahm. »Hmmm?« Veronica war kein Morgenmensch, und deshalb dauerte es einen Moment, bis die geflüsterten Worte in ihr vom Schlaf benebeltes Hirn eingedrungen waren und einen Sinn ergaben. »Ein Mann?« Sie blickte ihre Nichte blinzelnd an.

Lizzy nickte nachdrücklich. »Ein großer Mann. Mit so komischen stacheligen Haaren.«

Ach so. Coop. »Das ist Mr. Blackstock. Ich habe dir doch von ihm erzählt, erinnerst du dich? Er ist der Mann, den Marissa –« Plötzlich ging Veronica auf, dass sie diese Information eben doch noch nicht preisgegeben hatte, und sie richtete sich auf einem Ellenbogen auf und unterdrückte den Fluch, der in ihrer Kehle aufsteigen wollte. »Tut mir Leid, Lizzy Eigentlich wollte ich dir schon gestern Abend von ihm erzählen, nachdem wir Dessa und Riley nach Hause gebracht hatten, aber dann mussten wir doch erst noch einkaufen, und dann kam Mrs. Martelucchi, und anschließend musste ich mich für die Arbeit umziehen, und ...« Sie schüttelte frustriert den Kopf angesichts der Erkenntnis, wie vergeblich ihr Versuch war, das Unerklärbare zu erklären, und fröstelte dann, als ein kalter Luftzug unter ihre Bettdecke drang.

Aber sie war zumindest zugedeckt. Ihre Nichte dagegen hatte noch nicht einmal einen Bademantel an, der sie vor der Eiseskälte im Zimmer geschützt hätte, sondern trug nur ein mit lavendelblauen Blümchen bedrucktes Flanellnachthemd. Veronica hob einladend die Bettdecke hoch. »Möchtest du nicht hier reinkriechen, wo es schön warm und gemütlich ist, während Tante Ronnie dir zu erklären versucht, warum sie so eine vergessliche Idiotin ist?«

Lizzy kroch unter die Decke. »Eigentlich sollte ich das nicht«, sagte sie, rutschte aber dennoch tiefer in die Wärme hinein. »Ich muss mich für die Schule fertig machen.«

Veronica spähte an ihr vorbei, um einen Blick auf den Wecker auf ihrem Nachttisch zu werfen. »Die Schule fängt doch erst um zehn nach neun an, richtig?« Sie zog Lizzy mit dem Rücken an ihre Brust und deckte sie beide zu, dann schlang sie einen Arm um die Taille des kleinen Mädchens. »Keine Sorge, bis dahin ist es noch über eine Stunde. Du kannst dir also ruhig noch ein paar Minuten Zeit nehmen, um ein bisschen zu kuscheln.«

Sie wurde mit dem Gefühl belohnt, wie sich ihre Nichte fest an sie schmiegte.

»So, und jetzt zu Mr. Blackstock«, sagte sie. »Marissa hat ihn eingestellt, damit er sich um die Bar kümmert, und da du ja bei ihr gewohnt hast und es in Fossil so gut wie keine freien Wohnungen mehr gibt, hat sie ihm die Dachgeschosswohnung hier im Haus vermietet.« Lizzy verlagerte ihr Gewicht, und dabei kamen ihre Fußsohlen mit Veronicas Schienbeinen in Berührung. Veronica zuckte erschrocken zusammen und schnappte japsend nach Luft. »Mein Gott, deine Füße sind ja wie Eis!«

»Tut mir Leid!« Lizzy rutschte hastig ein Stück von ihr fort. »Tut mir echt Leid, Tante Ronnie!«

Veronica schlang ihren Arm noch fester um Lizzys Taille und zog ihre Nichte wieder an sich. »Hey! Kalte Füße sind doch nun wirklich nichts, wofür du dich entschuldigen musst.«

»Aber ich wollte sie nicht auf dich legen!«

Veronica lachte. »Du bist ein weibliches Wesen, Schatz. Und wir Frauen haben nun mal das gottgebene Recht, unsere kalten Füße auf die nächstbeste warme Oberfläche zu pflanzen.«

Lizzy blickte mit großen, erstaunten Augen über ihre Schulter. »Dann bist du also nicht böse auf mich?«

»Natürlich bin ich nicht böse auf dich.« Und zur Hölle mit dir, Crystal, wenn du diejenige warst, die ihr diese Unsicherheit eingetrichtert hat, diese Bereitwilligkeit, für jedes kleine Missgeschick die Schuld auf sich zu nehmen! »Ich habe mich nur erschreckt, das ist alles. Hast du denn keine Hausschuhe?«

»Hier nicht, aber im Haus von meinem Daddy hab ich welche.«

Veronica wusste, früher oder später würde sie mit Lizzy über ihre Eltern sprechen müssen, doch sie konnte sich nicht überwinden, das gleich jetzt zu tun. »Also, hast du Mr. Blackstock schon kennen gelernt?«

»Nee. Als ich ihn vorhin in der Küche gesehen hab’, bin ich schnell hier raufgekommen.«

»Was ausgesprochen klug ist, wenn man auf einen fremden Mann trifft. Im Zweifelsfall verzieh dich lieber, das sage ich mir immer. Aber ich werde dich nachher mit ihm bekannt machen, weil er dir bestimmt noch öfter über den Weg laufen wird. Zu den Zimmern, die er oben gemietet hat, gehört nämlich keine eigene Küche, deshalb müssen wir unsere mit ihm teilen.« Eine Vorstellung, die Veronica ebenso wenig begeisterte wie Lizzy.

Der Wecker auf ihrem Nachttisch schrillte, und Veronica griff über ihre Nichte hinweg, um ihn abzustellen. »Mist! Ich schätze, wir sollten jetzt besser aufstehen. Hast du in deinem Zimmer einen Bademantel?«

Lizzy schüttelte den Kopf, schenkte Veronica jedoch ein schüchternes Lächeln. »Unten ist es aber nicht so kalt wie hier.«

»Okay. Nimm dir fürs Erste ein Paar von meinen Socken aus der obersten Kommodenschublade, und nach der Schule werden wir dann gleich losfahren und Hausschuhe und einen Bademantel für dich kaufen. Und du könntest dir vielleicht auch schon mal überlegen, in welcher Farbe wir dein Zimmer streichen wollen. Dieses Weiß ist irgendwie langweilig, findest du nicht auch?«

In Lizzys braunen Augen glomm ein Fünkchen Interesse auf. »Wir werden mein Zimmer neu streichen?«

»Ich denke, das sollten wir. Es ein bisschen aufmöbeln, verstehst du?« Das gesamte Haus hatte es weiß Gott nötig, ein bisschen wohnlicher und geschmackvoller hergerichtet zu werden, wenn sie einen Käufer dafür finden wollte, damit sie und Lizzy in absehbarer Zeit wieder in die Zivilisation zurückkehren konnten. Und Lizzys Zimmer war der perfekte Ort, um mit den Verschönerungsmaßnahmen zu beginnen – es würde ihrer Nichte Auftrieb geben, solange sie hier wohnten. »Bist du bereit, in die Küche runterzuflitzen?« Lizzy nickte, und Veronica sagte: »Okay, dann zähle ich bis drei, und los geht’s! Eins, zwei, drei!« Sie warf die Bettdecke zurück, und sie und Lizzy sprangen aus dem Bett. Lizzy nahm sich ein Paar Wollsocken aus der Kommode, während Veronica die Kleidungsstücke zusammensuchte, die sie für den Tag brauchen würde. Ihre Zähne klapperten vor Kälte.

»Mann, o Mann!« Veronica überlief ein Zittern. »Ich hatte ganz vergessen, wie kalt es hier oben sein kann. Ich werd’ mich im Badezimmer echt beeilen müssen, aber du kannst ja schon mal nach unten gehen und dich aufwärmen.«

Lizzy warf ihr einen ängstlichen Blick zu. »Was, wenn Mr. Blackstock noch immer unten in der Küche ist?«

»Ach, Liebes, er wird dir ganz bestimmt nichts tun. Er ist ein sehr netter Mann.« Sie konnte nur beten, dass sie für eine solch schamlose Lüge nicht vom Blitz erschlagen würde, aber Cooper Blackstock strahlte viel zu viel Sinnlichkeit aus, als dass sie ernsthaft glauben würde, es seien kleine Mädchen, für die er eine Gefahr darstellte, und sie wollte nicht, dass Lizzy Angst vor ihm hatte.

»Kann ich nicht trotzdem einfach hier bleiben und auf dich warten?«

»Doch, natürlich, wenn dir das angenehmer ist. Aber zieh um Gottes willen diese Socken an, bevor du dir die Zehen abfrierst. Ich werde so schnell machen, wie ich kann.«

Sie machte sich nicht die Mühe, sich anzukleiden, sondern ging nur schnell auf die Toilette, wusch sich Gesicht und Hände mit kaltem Wasser, weil sie wusste, dass das warme eine Ewigkeit brauchen würde, um sich einen Weg durch die alten Rohrleitungen bis nach oben zu bahnen, und putzte sich rasch die Zähne. In Rekordzeit war sie wieder aus dem Bad heraus. »Okay, mein Schatz, dann wollen wir uns mal aufwärmen!«

Sie rannten um die Wette die Treppe hinunter, und Lizzy kicherte tatsächlich übermütig, als sie in die Küche stürmten. Beim Anblick von Cooper, der am Tisch saß und die Zeitung las, erstarb ihr Gelächter jedoch abrupt. Sie kam schlitternd zum Stehen und wich schüchtern zurück, um sich mit dem Rücken gegen ihre Tante zu drängen.

Veronica legte ihr die Hände auf die Schultern und blickte Coop über Lizzys Kopf hinweg an. Er hatte bei ihrem Erscheinen von seiner Zeitung aufgesehen, und als sein Blick jetzt auf Lizzy fiel, verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln, das überraschend sanft und gewinnend war. Der Ausdruck seiner dunklen Augen wurde weich. »Hallo, kleine Maus.«

Gefesselt von einem Ausdruck, den sie nicht in einer Million Jahre auf diesem Aufrührer-Gesicht erwartet hätte, musste Veronica sich fast gewaltsam aus seinem Bann befreien. »Äh, Lizzy, das ist Mr. Blackstock, der Mann, von dem ich dir vorhin erzählt habe. Coop, das ist meine Nichte, Lizzy Davis.«

Irgendetwas bewirkte, dass sich seine Miene für einen flüchtigen Moment anspannte, aber der seltsame Ausdruck kam und ging wieder, ehe Veronica ihn verstehen konnte. »Freut mich, dich kennen zu lernen, Lizzy Davis«, war alles, was er sagte. »Nenn mich ruhig Coop.«

»Okay«, murmelte Lizzy, drückte sich aber noch immer scheu an Veronica.

Veronicas eigene Nerven tanzten einen unerklärlichen kleinen Swing. »Ich bin überrascht, Sie schon so früh auf den Beinen zu sehen«, sagte sie zu Coop. Als sie sich am Tag zuvor in der Küche begegnet waren, war es fast schon Mittag gewesen, und sie zumindest würde jetzt noch schlafen, wenn ihre Verantwortung für Lizzy nicht wäre.

Die Schulter, die er mit einem indifferenten Achselzucken hochzog, schien einen halben Meter breit zu sein. »Hab’ heute noch Verschiedenes zu erledigen.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und er fühlte sich offenbar ganz wie zu Hause mit seiner Zeitung und seinem Kaffee, bequem gekleidet in alte Jeans und ein ausgewaschenes schwarzes T-Shirt, über dem er ein offenes beige-burgunderrot-schwarz kariertes Hemd aus Cordsamt trug.

Veronica ärgerte sich, dass es ihr so schwer fiel, ihren Blick von Coop loszureißen, und sie beugte den Kopf zu ihrer Nichte hinunter. »Du hattest Recht, Lizzy, hier unten ist es viel wärmer als oben. Und wenn du erst mal was Ordentliches im Magen hast, wird dir noch wärmer werden. Was möchtest du zum Frühstück haben?«

»Cornflakes.«

»Ist das alles? Möchtest du nicht lieber etwas Warmes essen? Vielleicht eine Schale schönen heißen Haferschleim?«

Lizzy schnitt eine Grimasse, und Coop lachte. »Ich bin ganz deiner Meinung, Lizzy Das Zeug ist wirklich ekelhaft.«

Veronica bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Es ist aber gut für sie. Haferschleim ist nahrhaft und sättigend und wird bis zum Mittagessen auf ihren Rippen haften bleiben.«

»Nicht, wenn sie ihn gleich wieder von sich gibt, weil sie den Geschmack nicht ausstehen kann.«

Lizzy löste sich aus Veronicas Armen und bewegte sich zentimeterweise auf Coop zu. »Ich mag nicht, wie er sich im Mund anfühlt«, informierte sie ihn schüchtern. »So weich und matschig.« Sie starrte auf Coops Haar und hob eine Hand, als ob sie es anfassen wollte, ließ ihre Hand dann aber hastig wieder sinken, ohne es zu berühren. Sie betrachtete seine Stachelfrisur jedoch weiterhin mit ernstem, abschätzendem Blick. »Wieso stehen deine Haare so hoch?«

»Das weiß ich nicht, Kleines. Sie wachsen ganz einfach so.« Er strich sich mit einer grobknochigen Hand über den Kopf und schenkte Lizzy ein freundliches Lächeln. »Vielleicht liegt es daran, dass ich mein Haar so kurz trage. Es würde vielleicht etwas glatter und gefälliger liegen, wenn ich es ein bisschen wachsen ließe, aber diese Haarlänge ist so praktisch und pflegeleicht.« Er beugte den Kopf zu Lizzy »Möchtest du mal fühlen?«

Lizzy schob sich noch ein Stückchen näher an ihn heran und strich mit ihrer Hand über den dichten Bürstenschnitt. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, als sie sein borstiges Haar unter ihren Fingern spürte, und Veronica stellte fest, dass ihr regelrecht die Handflächen juckten, während sie darüber spekulierte, wie es sich wohl anfühlen mochte.

Coop erwiderte Lizzys Lächeln mit einem breiten Grinsen. »Dein Haar ist auf jeden Fall sehr hübsch. Es glänzt so schön.«

»Ja.« Sie nickte ernst. »Wie Tante Ronnies.«

Coops Blick ruhte für einen Moment auf Veronica, und sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie aussah. Haarekämmen hatte nicht besonders weit oben auf ihrer Liste der Dinge gestanden, die noch vor dem Frühstück dringend erledigt werden mussten. »Stimmt«, pflichtete er schließlich träge bei und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Lizzy zu. »Wie Tante Ronnies, nur heller.«

Veronica goss sich eine Tasse Kaffee ein und verbrannte sich fast die Zunge in ihrer Gier nach dem ersten belebenden Schuss Koffein. Dann öffnete sie einen Schrank und nahm eine Schüssel und ein Glas heraus. Sie drehte sich zu ihrer Nichte um. »Um wie viel Uhr kommt der Bus, Lizagator? Hält er immer noch am Ende des Blocks?«

»Ja.« Lizzy blickte auf die Uhr über dem Herd und zuckte erschrocken zusammen. »Ach, du Schreck! Ich muss mich ganz fix anziehen!« Sie rannte aus der Küche und die Treppe hinauf.

Coop widmete sich wieder seiner Zeitung, hielt dann jedoch mitten im Umblättern inne, um einen Blick für Veronica zu erübrigen. »Sie verstehen sich echt gut darauf, ein Zimmer zu leeren.«

Veronica zuckte die Achseln und erwiderte betont lässig: »Ich hab’ eben noch nicht so ganz den Durchblick, was ihren Stundenplan betrifft.« Doch Coops Bemerkung schmerzte, denn sie zwang sie, den Stich von Eifersucht zuzugeben, den seine freundliche, ungezwungene Art mit Lizzy ihr versetzt hatte. Es war die Beobachtung, wie mühelos er ihre Nichte für sich gewonnen hatte, die sie veranlasst hatte, nach dem Bus zu fragen, und ihr schauderte innerlich bei dem Gedanken, dass sie so kleinlich sein konnte. Sie wollte ganz bestimmt nicht, dass Lizzy Angst vor Coop hatte, aber anscheinend wollte sie auch wiederum nicht, dass ihre Nichte ihn mochte. Was sagte das über sie aus?

Nachdem sie das Geschirr auf der Anrichte deponiert hatte, nahm sie eine Schachtel mit Cornflakes vom Regal und griff in den Kühlschrank, um die Milch herauszuholen. Sie trug alles zum Tisch hinüber, setzte ihre Last auf dem Platz Coop gegenüber ab und ging zurück, um ihren Kaffee zu holen. Bemüht, sich wie eine Erwachsene zu benehmen, setzte sie ein betont liebenswürdiges Lächeln auf, als sie sich auf ihrem Stuhl niederließ, und wies auf die Zeitung, die ausgebreitet vor Coop lag. »Seit wann wird die Fossil Tribune morgens ausgetragen?«

»Wird sie nicht«, erwiderte er. Er blätterte zur Titelseite zurück, damit Veronica den Schriftzug sehen konnte, der New York Times lautete.

Das überraschte sie, und einen Moment lang konnte sie nur verdutzt auf die Zeitung starren. Dann sammelte sie sich wieder und blickte Coop mit einer hochgezogenen Braue an. »Von denen sieht man in diesem kleinen Nest nicht allzu viele.«

Coop zuckte die Achseln. »Ich habe sie im Abo. Die hier und USAToday.«

»Junge, Junge! Wie ungeheuer belesen!«, gab sie spitz zurück. Dann fuchtelte sie mit einer Hand herum, als wollte sie ihren Kommentar wieder streichen. »Sorry. Das hörte sich so an, als ob Sie zu blond wären, um ganz allein und ohne fremde Hilfe die schweren Wörter auszutüfteln, und ich neige gewöhnlich nicht dazu, so grob unhöflich zu sein.« Ihr Blick blieb an seinem hellen Haar haften. »Obwohl – wenn die Farbe passt ...« Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Gott, wo kommt bloß dieser Unsinn her? Ich meine, es ist ja nicht so, als ob die Haarfarbe überhaupt eine Rolle spielte, wenn Miss Clairol Teil der Gleichung ist.« Verdammt noch mal, Mädchen, was ist bloß in dich gefahren? Reiß dich gefälligst zusammen und halt endlich die Klappe! Sie sah ihn böse an. »Das ist nur Ihre Schuld, wissen Sie.«

Seine schwarzen Brauen schnellten bis zu seinem Haaransatz hoch. »Meine Schuld? Was denn? Dass ich mich auf der scharfen Spitze Ihrer kleinen rosa Zunge aufspieße?«

Eine plötzliche Aufwallung von Hitze breitete sich entlang ihren Nervenenden aus, und sie bedachte Coop mit dem finsteren Leg-dich-ja-nicht-mit-mir-an-Blick, den sie im Allgemeinen für Handwerker reservierte, die nicht pünktlich lieferten. »Wieso müssen Sie bloß immer alles in etwas Zweideutiges und Anzügliches verwandeln?«

»Ach, tue ich das?« Seine Mundwinkel zogen sich amüsiert nach oben.

»Sie wissen ganz genau, dass Sie das tun, und irgendwie schaffen Sie es jedes Mal, mich damit auf Hochtouren zu bringen.« Das zuzugeben war wahrscheinlich keine sonderlich intelligente Idee von ihr gewesen, denn er betrachtete sie mit diesem spekulierenden Blick, der so unverhüllt sexueller Natur war und der sie immer so entnervte. Es kostete sie ihre gesamte Selbstbeherrschung, nicht nervös auf ihrem Stuhl herumzurutschen, doch sie hob energisch das Kinn und wechselte kurzerhand das Thema. »Ich brauche einen Schlüssel zum Tonk.«

Kaum waren ihr die Worte über die Lippen gekommen, bereute sie sie auch schon wieder. Verdammt. Es ist nun wirklich nicht nötig, dass du jeden deiner Schritte vor diesem Kerl ausposaunst, weißt du! Eine gewitzte Frau hätte einfach Marissa angerufen, die mit Sicherheit den Reserveschlüssel hatte.

Doch dafür war es jetzt zu spät, denn Coop nickte bereits. »Kein Problem. Ich werde einen für Sie machen lassen, wenn ich meine Besorgungen in der Stadt erledige.«

»Das muss aber noch heute Morgen geschehen«, erwiderte sie ungnädig. »Ich brauche den Schlüssel bis spätestens um elf.«

Coop richtete sich langsam aus seiner träge zurückgelehnten Haltung auf. »Wieso? Was geht denn um elf vor sich?«

Sie hatte keinen triftigen Grund, ihm das zu verheimlichen, und als Geschäftsführer der Bar hatte er jedes Recht, darüber Bescheid zu wissen. Und trotzdem hörte sie sich sagen: »Etwas, wofür ich den Schlüsel brauche, okay?«

Gleich darauf zuckte sie zurück, denn ihre Erwiderung hatte sehr viel patziger und abwehrender geklungen, als es angebracht gewesen wäre. Sie hatte unwillkürlich in dem Ton gesprochen, den sie insgeheim als ihre »Fossi’sche Kodderschnauze« bezeichnete, und dieser Ton erinnerte doch zu sehr an eine Art, die abzulegen ein hartes Stück Arbeit für sie gewesen war.

Eine Art, die jedes Mal, wenn Cooper Blackstock in ihrer Nähe war, wieder ihren hässlichen Kopf zu heben schien.

Denn solange sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie das Verlangen gehabt, die Welt jenseits von Fossil kennen zu lernen. Sie hatte sich danach gesehnt, schöne Dinge zu betrachten, ihren Verstand zu nutzen und etwas aus sich zu machen. Aber Daddy hatte sie wegen ihrer Wunschträume gnadenlos gehänselt, und da sie nie besonders gut darin gewesen war, ihre Gefühle zu verbergen, hatte sie auf die Sticheleien ihres Vaters fast immer mit einer Bissigkeit reagiert, die sie jedes Mal, wenn sie daran zurückdachte, zusammenzucken ließ.

Der Teufel sollte sie holen, wenn sie jetzt wieder in diese unschöne Angewohnheit zurückfiel. Sie öffnete den Mund, um sich zu entschuldigen – was sie an diesem Morgen ziemlich oft zu tun schien – und um Coop über den Grund zu informieren, weshalb sie den Schlüssel bis elf Uhr brauchte. Bevor jedoch auch nur so viel wie ein weiteres »Sorry« über ihre Lippen kommen konnte, schob Coop plötzlich seinen Stuhl mit einem nervtötend lauten Scharren zurück und stand auf. Im Stehen nahm er sogar noch mehr Raum ein, als er es im Sitzen getan hatte. Vielleicht war es ja auch sein fast greifbares Missfallen, das allen Sauerstoff aus dem Raum herauszusaugen und den gesamten verfügbaren Platz einzunehmen schien. Die träge Belustigung, die er noch einen Moment zuvor bekundet hatte, war gänzlich verschwunden, und Veronica hatte große Mühe, dem kalten, stählernen Blick standzuhalten, mit dem er sie jetzt musterte.

Er nickte kurz, die Hände in die Hüften gestemmt. »In Ordnung«, sagte er. »Sie werden Ihren verdammten Schlüssel bis elf Uhr kriegen. Aber ich will Ihnen mal was sagen, Prinzessin: Es wundert mich doch sehr, dass Ihnen noch keiner jemals diesen lilienweißen Hals umgedreht hat.«

Mit einem letzten finsteren Blick in Veronicas Richtung machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte aus der Küche.

Coop lieferte den frisch angefertigten Schlüssel um halb elf ab und verließ das Haus dann wieder, ohne auch nur ein Wort mit Klein Schneeweißchen zu wechseln. Als er wieder in seinen Wagen stieg, schwor er sich, dass er, wenn es auf elf Uhr zuging, auf keinen Fall irgendwo in der Nähe des Tonk sein würde, um zu sehen, zu welchem Zweck Veronica den Schlüssel hatte haben wollen. Aber um fünf Minuten vor elf ertappte er sich dann doch dabei, wie er an der Bar vorbeifuhr. Wüst vor sich hinfluchend, dass er sich überhaupt darum scherte, wo er doch in seiner Freizeit weitaus dringendere Angelegenheiten zu erledigen hatte, wendete er dennoch ein Stück weiter die Straße hinunter und parkte dann an einer Stelle, von wo aus er die Vordertür der Bar im Auge behalten konnte wie irgendein schäbiger Privatschnüffler aus einem alten B-Movie.

Er runzelte finster die Stirn, als er den Block entlangspähte. Was hatte diese Frau bloß an sich, dass seine Gedanken fast unentwegt um sie kreisten? Abgesehen von dieser sagenhaft glatten, zarten Babyhaut war sie auf ihre verklemmte, herrische Art ganz attraktiv, wie er zugeben musste. Sie war allerdings weit davon entfernt, umwerfend gut auszusehen oder sexy zu sein; sie war so schlank, dass man sie schon fast dünn nennen konnte, und sie ließ das üppig gerundete Hinterteil und die vollen Brüste vermissen, auf die er gewöhnlich stand. Also, warum ging sie ihm dann derart unter die Haut?

Ein missmutiges Knurren stieg in Coops Kehle auf, und er griff nach dem Zündschlüssel, um den Motor wieder anzulassen. Zecken hatten ebenfalls die Angewohnheit, einem unter die Haut zu kriechen, und er würde Veronica Davis ganz einfach auf die gleiche Art und Weise ausmerzen müssen, wie er es mit jedem anderen Parasiten tun würde: mit einem schnellen, energischen Ruck. Er legte den Gang ein und blickte über seine Schulter auf den Gegenverkehr. Es wurde höchste Zeit, wieder von hier zu verschwinden. Er hatte schließlich noch einiges zu erledigen.

Er musste einen Moment warten, um einen Lieferwagen vorbeifahren zu lassen, doch noch bevor er hinter ihm ausscheren und sich in den fließenden Verkehr einfädeln konnte, hielt das Fahrzeug am Bordstein vor dem Tonk. Coop lehnte sich wieder in seinen Sitz zurück. Er hatte nur gerade noch genug Zeit, um das Firmenlogo, CASCADE AIR, von der Hecktür des Wagens abzulesen, als Veronica auch schon aus dem Haus kam, eilig hinter sich abschloss und dem leichten Verkehrsstrom auswich, um die Straße zu überqueren und auf den Lieferwagen zuzusteuern.

Sturmwolken verdeckten die Sonne, während sie äußert lebhaft mit dem Fahrer sprach, einem athletisch gebauten Mann in blauem Overall, der breit auf sie herabgrinste und erheblich dichter vor ihr stand, als es nach Coops Ansicht für einen Mechaniker notwendig war. Einen Moment später schloss Veronica die Vordertür der Bar auf und verschwand mit dem Mann im Inneren.

Was hat denn das jetzt zu bedeuten? Coop stieg aus seinem Wagen und marschierte die Straße hinunter, fest entschlossen, herauszufinden, was Veronica vorhatte. Mit der Heizung oder der Kühlanlage der Bar war alles in bester Ordnung; also, wer war dieser Kerl – irgendeine alte High-School-Flamme von ihr? Benutzte sie das Tonk etwa für eine schnelle Nummer zu Mittag? Wirklich ein starkes Stück, das Familienunternehmen für einen solchen Zweck zu missbrauchen!

Und trotzdem, wenn sie das tut, dann ist das doch noch lange nicht dein Problem, oder, Blackstock? Wieso juckt dich das eigentlich? Lass sie doch machen, was sie will. Es ist ja schließlich ihre Bar. Er hielt einen Moment inne, seine Hand auf der Türklinke des Tonk, dann riss er wütend die Tür auf und betrat das Lokal. Nein, verdammt noch mal, es war Lizzys Bar! Und es ging ihm lediglich darum, die Interessen seiner Nichte zu wahren.

Er dachte an das kleine Mädchen, als er einen Moment stehen blieb, damit sich seine Augen an das trübe Halbdunkel in der Bar gewöhnten. Er hatte nicht erwartet, innerlich sofort dahinzuschmelzen, als er Lizzy begegnet war, doch er hatte nur einen Blick in diese großen, ernsten Augen geworfen, und schon war es ihm wieder genauso ergangen wie damals mit ihrem Daddy Er hatte es nie geschafft, emotional Abstand zu Eddie zu halten, ganz gleich, wie sehr er sich darum bemüht hatte, und er hatte so ein Gefühl, als ob es bei Lizzy genau das Gleiche sein würde.

Als er beschlossen hatte, seine wahre Identität geheim zu halten, hatte er geglaubt, es würde einfach sein, seine Nichte aus der Ferne zu beobachten. Auf diese Weise würde er sich nicht nur den Rücken freihalten, falls Eddie Lizzy Fotos von ihm gezeigt oder ihr von ihm erzählt hatte, sondern er würde es ihr auch ersparen, sich zusätzlich zu all den anderen Problemen, die ihr das Leben schwer machten, auch noch mit einem Verwandten befassen zu müssen, der praktisch ein Fremder für sie war.

Jetzt, im Nachhinein betrachtet, erschien ihm das doch recht naiv, aber er hatte wirklich geglaubt, dass es ein Kinderspiel für ihn sein würde, auf Distanz zu gehen, selbst als Veronica endlich aufgetaucht war und er entdeckt hatte, dass sie im selben Haus wohnen würden. Er hatte dabei allerdings nicht mit einkalkuliert, dass Lizzy eine solche Anziehungskraft auf ihn ausüben könnte. Aber sie hatte ganz einfach etwas an sich, das ihn ebenso stark zu ihr hinzog, wie es ihn stets zu Eddie hingezogen hatte.

Stimmen aus dem Hinterzimmer rissen ihn abrupt aus seinen Gedanken, und er trat von der Tür zurück. Einen Moment später kamen Veronica und ihr Mechaniker in den Barraum und, geflissentlich die kleine Stimme in seinem Hinterkopf ignorierend, die ihm abfällig zuflüsterte, dass Tante Ronnie auch nicht so ganz ohne war, was die persönliche Anziehungskraft betraf, straffte Coop die Schultern und schlenderte auf Veronica zu.

Nicht schon wieder Liebe

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