Читать книгу Nicht schon wieder Liebe - Susan Andersen - Страница 8

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James Cooper Blackstock erwachte am folgenden Morgen auf die gleiche Art und Weise, wie er immer aufwachte: aus tiefem Schlaf zu sofortigem, hellwachem Bewusstsein, und das im Bruchteil einer Sekunde. Er drehte sich auf den Rücken und starrte stirnrunzelnd an die Zimmerdecke, als er sich darüber klar wurde, dass das Erste, was ihm an diesem Morgen durch den Kopf ging, absolut identisch war mit dem, was ihn gestern Abend unmittelbar vor dem Einschlafen als Letztes beschäftigt hatte – Veronica Davis.

Verdammt. Sie hatte überhaupt kein Recht, seine Gedanken so mit Beschlag zu belegen; also, was hatte das nun wieder zu bedeuten?

Coop schlug die Bettdecke zurück und erhob sich auf die Füße, dann reckte und streckte er sich ausgiebig, bis seine Gelenke knackten. Er kratzte sich am Bauch, strich ein paarmal geistesabwesend über seine morgendliche Erektion und strebte Richtung Badezimmer. Okay, es lag wahrscheinlich nur daran, dass ihr Aussehen noch nicht einmal annähernd dem entsprach, was er sich vorgestellt hatte. Er hatte nämlich eine Frau erwartet, die genau wie ihre verstorbene Schwester war. Obwohl er Crystal nie persönlich kennen gelernt hatte, hatte er in den vergangenen Wochen eine Menge über ihre Extravaganz und ihren unverhohlenen Sexappeal gehört. Wer hätte da gedacht, dass sich Klein Miss Veronica als ein Wesen entpuppen würde, das stattdessen mehr wie eine moderne Ausgabe von Schneewittchen aussah, mit diesem glatten schwarzen Haar, diesen graugrünen Augen und dieser weißen Haut?

Oh, Mann, diese zarte, weiße, streichelweiche Haut!

Coop griff nach seiner Zahnbürste und runzelte finster die Stirn. Im Grunde war es eine Schande, eine solch kindsköpfige Milde an eine Davis zu verschwenden. Denn Veronica mochte sich zwar in Khakihosen, schlichte weiße T-Shirts und zierliche Ballerinas kleiden; sie mochte sogar eine durchaus passable Vorstellung von einer Prinzessin geben, die zu niederer Sklavenarbeit gezwungen wurde, nur weil er sie gebeten hatte, ein paar Drinks zu servieren. Aber in jener Hinsicht, auf die es ankam, war sie genau wie ihre Schwester Crystal. Sie war letztendlich auch nur eine Davis, ein egozentrisches Biest, das sich für nichts und niemanden interessierte außer für sich selbst.

Coop putzte sich die Zähne und sprühte sich Deo in die Achselhöhlen. Dann verteilte er eine Portion Rasierschaum auf seinen Wangen und griff nach seinem Rasiermesser. Er mochte Crystal zwar nie kennen gelernt haben, doch er kannte sie trotzdem zur Genüge. Er hatte bei seiner Mutter einiges über die Methoden von Frauen gelernt, die mit aller Macht danach strebten, sozial aufzusteigen; und nach allem, was er so über Crystal gehört hatte, hätte sie wohl sogar seiner Mutter noch das eine oder andere beibringen können. Doch es waren nicht einfach nur alte Vorurteile, die seine Meinung beeinflussten. Er kannte den Typ Frau, der Crystal war, auch aus Briefen und Telefongesprächen mit seinem Halbbruder Eddie, der trotz der Tatsache, dass er als Alleinerbe des reichsten Mannes von Fossil aufgewachsen war, wahrscheinlich der netteste Kerl in Gottes weitem Erdenrund war.

Und unglücklicherweise auch einer, dessen naiver Glaube an das Gute in jedem Menschen ihm eine Unmenge Schmerz eingebracht hatte.

Coop glaubte nur sehr selten an das Gute in irgendjemandem, und vor allem Crystal hatte diese Art von Vertrauen nicht verdient. Mit achtundzwanzig hatte sie seinen damals zwanzigjährigen Halbbruder verführt. Coop hatte den starken Verdacht, dass sie absichtlich schwanger geworden war, damit Eddie sie würde heiraten müssen, nur dass Eddies Vater diesen Plan im Keim erstickt hatte. Dennoch hatte sie ihren Kopf durchgesetzt, indem sie Lizzy, die sein Bruder mehr als sein eigenes Leben liebte, als Trumpfkarte und Druckmittel benutzt hatte. Und wenn das nicht so ziemlich alles sagte, würde Coop seine ihm von der Marine zugeteilten Springerstiefel fressen.

Crystal war ein Luder gewesen, eine Frau, die andere ausgenutzt und es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, mit allen Tricks zu arbeiten, um zuallererst einmal ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Verdammt, sie war praktisch ein wandelnder Mord gewesen, der nur darauf wartete zu geschehen. Aber Cooper wusste auch, dass es nicht Eddie war, der sie ermordet hatte, und er war nach Fossil gekommen, um das zu beweisen.

Dass er diese Räume im Haus der Davis’ hatte mieten können, war ein unerwarteter Glücksfall gewesen. Fast zwei Wochen lang hatte er das gesamte Haus für sich allein gehabt und jedes Zimmer gründlich durchgekämmt, auf der Suche nach Beweismaterial, das es ihm ermöglichen würde, seinen Bruder zu entlasten. Aber der einzige Beweis, den er bisher gefunden hatte, war der, dass Crystal narzistisch und nur mit sich selbst beschäftigt gewesen war. Sämtliche Schränke quollen förmlich über von ihren Kleidern, und er war auf unzählige protzig gerahmte Fotos gestoßen, auf denen sie mit ihren blond gesträhnten, hochtoupierten braunen Haaren zu sehen war, ihr Make-up fingerdick, ihre Jeans so hauteng, als wären sie mit Farbe auf ihren Körper gesprüht, ihre Blusen bis zur gesetzlich gerade noch zulässigen Grenze aufgeknöpft.

Von Lizzy dagegen hatte er gerade mal ein Foto gefunden. Coop hielt mitten in der Bewegung inne, die Rasierklinge über seinem Adamsapfel schwebend, und atmete ein paarmal tief durch, um sich zu beruhigen und so zu verhindern, dass er etwas abschnitt, was er in Zukunft vielleicht noch brauchen würde. Aber, verdammte Pest noch mal! Sein Bruder hatte sämtliche Mittel, die ihm zur Verfügung standen, in den Versuch gesteckt, das Sorgerecht für seine Tochter zu bekommen, und die Tatsache, dass man ihn stattdessen des Mordes an ihrer Mutter beschuldigt hatte, bewies doch nur wieder, dass es verdammt wenig Gerechtigkeit auf der Welt gab.

Als Coop unten in der Küche ein Geräusch hörte, wusch er sich rasch den restlichen Rasierschaum vom Gesicht, stieg in seine Jeans und zog sich einen Pullover über den Kopf. Veronica war kein bisschen besser als ihre Schwester, und obwohl er an dem Tag vor mehr als siebzehn Jahren, an dem er das Haus seiner Mutter verlassen hatte, endgültig aufgehört hatte, sich über Frauen aufzuregen, hatte Klein Schneeweißchen ihn vergangenen Abend doch beinahe auf hundertachtzig gebracht.

Als der weichherzige Trottel, der er war, hatte er fast ein schlechtes Gewissen bekommen, als er hereingekommen war und festgestellt hatte, dass er sie drüben im Tonk so hart rangenommen hatte, dass sie vor Erschöpfung geweint hatte. Aber dann war sie so unverschämt gewesen, sich auf Lizzy zu berufen und sie als Vorwand zu benutzen, um ihn zu zwingen, die Wohnung zu räumen, und da hatten sich sein Schuldbewusstsein und sein Mitleid schlagartig in Luft aufgelöst. Wenn sie wirklich so verdammt besorgt um ihre Nichte gewesen wäre, hätte sie ihren Hintern schon vor einem Monat in Bewegung gesetzt und wäre nach Fossil zurückgekommen.

Er verdrängte den Gedanken, dass ausgerechnet er es nötig hatte, so zu reden, und verließ das Badezimmer. Herrgott noch mal, es war ja nun wirklich nicht so, dass er vorgehabt hätte, seine Identität als Eddies Halbbruder geheim zu halten, als er nach Fossil gekommen war. Aber als er erfahren hatte, dass Lizzy nicht in ihrem eigenen Zuhause lebte, weil ihre Tante Veronica Besseres zu tun hatte, als zurückzukommen und sich um sie zu kümmern, war er nach The Bluff hinaufgefahren, um sich der Frau vorzustellen, die sich des Kindes angenommen hatte. Bevor er jedoch mehr hatte tun können, als seinen Namen zu nennen, hatte Marissa Travits ihn irrtümlich für einen Bewerber um die freie Stelle in der Spelunke gehalten, und da war ihm der Gedanke gekommen, dass das Tonk ein idealer Ort wäre, um Informationen zu sammeln, die ihm helfen würden, Eddies Namen reinzuwaschen.

Und das würde Lizzy am Ende sehr viel mehr nützen als ein Onkel, an den sie sich nicht einmal mehr erinnern würde, da sie ihn nur ein oder zweimal gesehen hatte, als sie noch ein Baby war. Besonders ein Onkel, der überhaupt nicht mit kleinen Mädchen umzugehen verstand.

Coop eilte die Hintertreppe hinunter, blieb dann jedoch am Fuß der Treppe wie angewurzelt stehen. Veronica saß breitbeinig auf einem Stuhl am Küchentisch, ihr Oberkörper über die Tischplatte drapiert. Ihr Haar war ein zerzaustes Durcheinander, und ihr Kinn war auf ihre Faust gestützt, während sie mit trüben, schlafverquollenen Augen auf die gurgelnde Kaffeemaschine starrte.

Er hatte etliche hauchdünne, aufreizende kleine Nachthemden gesehen, als er Crystals Kommodenschubladen durchsucht hatte, aber Veronicas Aufzug stand in keinerlei Beziehung zu irgendeinem dieser Fummel. Stattdessen trug sie einen türkisfarbenen Thermo-Pyjama und dicke Wollsocken. Anscheinend teilte sie die Vorliebe ihrer Schwester für Kleidung, die ihre erotischen Reize zur Schau stellte, nicht.

Und deshalb ärgerte es ihn umso mehr, dass es ihn trotzdem fast erregte, als er sie in etwas sah, was praktisch nicht viel mehr als eine farbige lange Unterhose war.

Er zog scharrend einen Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich darauf nieder. »Ich erwarte Sie heute Abend um Punkt acht Uhr im Tonk.«

»Erwarten Sie von mir aus, so viel Sie wollen.« Sie hatte müde die Augen geschlossen, doch jetzt öffnete sie das eine wieder und starrte ihn über den Tisch hinweg an. »Wenn Sie Glück haben, werden Sie mich dort vielleicht sogar sehen.«

»Vielleicht? Verdammt noch mal, das könnte Ihnen so passen! Wir waren schon knapp an Personal, bevor Rosetta gekündigt hat – und jetzt wird es wirklich eng. Wir brauchen sehr viel mehr Hilfe, als wir momentan haben, und das bedeutet, dass Sie einspringen müssen, Prinzessin, bis sich jemand auf die Stellenanzeige meldet, die ich aufgegeben habe.«

Jetzt waren ihre beiden Augen offen, und ihrem Ausdruck nach war sie alles andere als zufrieden mit ihm. Das kam ihm gerade recht, weil er von ihr auch nicht gerade entzückt war.

Dann kniff sie die Augen zusammen, bis sie kaum mehr als ein Funkeln von Grün zwischen dichten dunklen Wimpern waren, und blickte ihn finster an. »Hören Sie zu, Knackarsch –«

Er setzte sich mit einem Ruck auf seinem Stuhl auf und langte blitzschnell über den Tisch, um ihr Handgelenk zu packen und auf die Tischplatte zu drücken. »Wie haben Sie mich gerade genannt?«

»Oh, tut mir schrecklich Leid – mögen Sie etwa keine Kosenamen? Gott, und ich liebe es geradezu, Prinzessin, Süße oder Zuckerschneckchen genannt zu werden!«

»Zuckerschätzchen«, korrigierte er sie. Er fühlte, wie es belustigt um seine Mundwinkel zuckte. »Aber Zuckerschneckchen ist auch nicht schlecht; werde ich mir merken müssen.« Er ließ seine Fingerspitzen prüfend über ihren Unterarm gleiten. Ihre Haut fühlte sich genauso zart und seidenglatt an, wie sie aussah, und er hörte augenblicklich auf damit und zog seine Finger wieder unter ihrem lockeren Pyjamaärmel hervor. Wohl wissend, dass sie eine wütende Reaktion von ihm erwartete, zog er stattdessen nur lässig eine Braue hoch und schenkte ihr sein freundlichstes Guter-alter-Kumpel-Lächeln. »Okay, na schön, dann von mir aus Knackarsch. Eigentlich ist das sogar ein Titel, mit dem ich mich durchaus anfreunden könnte – wenn man bedenkt, wie gut er zu mir passt, und alles.«

»Na toll«, knurrte sie angewidert und zog ihre Hand unter seiner hervor. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, als das Gluckern der Kaffeemaschine verstummte, und ging zur Anrichte, um sich eine Tasse Kaffee einzuschenken. »Vielleicht sollte ich Sie stattdessen einfach nur Mr. Bescheiden nennen.«

Coop stellte fest, dass ihm dieser Schlagabtausch ein bisschen zu viel Spaß machte, und stand ebenfalls auf. »Sie können mich von mir aus nennen, wie es Ihnen gerade in den Kram passt«, sagte er und starrte auf sie hinunter. »Sorgen Sie einfach nur dafür, dass Sie um Punkt acht im Tonk sind.«

Dann wandte er sich ab und verließ die Küche, ehe ihm diese schläfrigen grünen Augen und diese herausfordernde Haltung noch weismachen konnten, dass er es hier mit einer Sorte Frau zu tun hatte, die ganz anders war, als er glaubte.

Eine Stunde später stand Veronica im Schlafzimmer und rümpfte angewidert die Nase über den Gestank, der von ihrem Blazer ausströmte. Sie hatte sich den penetranten Geruch nach Zigarettenrauch von ihrer Haut und aus ihrem Haar gewaschen, aber ihre gute Jacke stank noch immer danach, und sie warf sie beiseite, um sie später in die Reinigung zu bringen. Vielleicht würde sie im Tonk arbeiten müssen, bis sie eine neue Kellnerin gefunden hatten, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie jeden Abend mit diesem scheußlichen Geruch in Kleidern und Haaren zu Lizzy nach Hause zurückkommen würde. Was für ein Beispiel würde sie dem Kind damit geben? Sie zog sich fertig an, dann machte sie sich auf die Suche nach dem Telefonbuch.

Eine Stunde später verließ sie das Haus in der Baker Street und fuhr zu Marissa. Es war gut zwölf Jahre her, seit sie in dieser verschlafenen Kleinstadt gelebt hatte, aber sie schien sich zwischen ihren einzelnen Besuchen zu Hause nie sonderlich verändert zu haben. Sicher, einige der Obstplantagen an beiden Enden der Stadt hatten inzwischen neuen Wohnsiedlungen Platz gemacht, entlang der Hauptstraße hatten ein paar weitere Fast-Food-Lokale aufgemacht, und gleich hinter der 1-82 war ein neuer Big K gebaut worden. Aber dennoch war Fossil noch immer ein ziemlich hinterwäldlerisch anmutendes Kaff. Und die Ebenen und Hügel in der Umgebung der Stadt trugen noch immer die gleichen deprimierenden schlammbraunen und staubgrauen Farbschattierungen des Winters zur Schau.

Die Birken reckten ihre kahlen Äste jedoch einem kristallblauen Himmel entgegen und warfen ihre verkürzten Schatten auf die Straßen und Gehwege. Winterliches Sonnenlicht strömte durch die Windschutzscheibe ihres Wagens, als Veronica durch die Stadt fuhr, eine willkommene Abwechslung von dem um diese Jahreszeit meist dicht bewölkten Himmel über Seattle, wo sie jetzt lebte.

Und wo sie auch weiterhin zu leben gedachte, und zwar mit Lizzy, sobald sie einen Käufer für die Bar und das Haus gefunden hatte.

Wenige Minuten später bog sie in eine kreisförmige Einfahrt hinter einem großen, aus Holz und Flussgestein erbauten Haus ein und stellte den Motor ab. Dann saß sie einfach nur für einen Moment da und starrte gedankenverloren auf die Rückseite des feudalen Hauses. The Bluff, wie diese Gegend mit Ausblick auf die Stadt und den Fluss hieß, war der Stadtteil, in dem die Reichen wohnten, und Veronica konnte nie so ganz über die Tatsache hinwegkommen, dass ihre älteste Freundin jetzt hier wohnte, und das schon seit einiger Zeit. Marissa hatte es wahrhaftig weit gebracht, wenn man bedachte, dass sie einmal in der Baker Street gewohnt hatte, in einem Haus, das so eng an Veronicas gequetscht war, dass sie den niedrigen Zaun zwischen den beiden Grundstücken früher immer als eine Art Trittstein von der einen Hinterveranda zur anderen benutzt hatten.

Veronica lächelte vor sich hin. Die niedrige Steinmauer, die die Grenze zwischen Marissas Grundstück und dem ihres nächsten Nachbarn markierte, war etwas ganz anderes als der wackelige, windschiefe Holzzaun in der Baker Street, und man konnte mit Sicherheit davon ausgehen, dass niemand sie jemals so benutzte, wie sie und Marissa damals ihren Holzzaun benutzt hatten. Es könnte eine Frau glatt umbringen, wenn sie versuchen würde, zwischen diesen weit auseinander liegenden Häusern mal eben von einer Veranda zur anderen zu hüpfen.

Umbringen. O Gott. Veronicas Lächeln verschwand schlagartig. Sie schalt sich für ihren erschreckenden Mangel an Feingefühl in Bezug auf den Tod ihrer Schwester, während sie die Hand nach dem Türgriff ausstreckte. Wie hatte sie das schon so schnell wieder vergessen können? Sie hatte doch erst vor zwei Tagen davon erfahren.

Als sie aus dem Auto stieg, schwang plötzlich die Hintertür auf, und Marissa rannte über die mit Backstein gepflasterte Terrasse zur Auffahrt, während sie mit den Armen in der Luft herumfuchtelte und vor Freude jubelte. Veronicas Stimmung hob sich schlagartig, und die beiden Frauen trafen sich in der Mitte des Gartens und umarmten einander überschwänglich.

Früher einmal hatten ihre gemeinsamen Freunde sie Pat und Patachon genannt, weil Marissa fast einen Meter achtzig groß und recht füllig gebaut war, während Veronica nur knapp einen Meter vierundsechzig maß und eher zierlich und feinknochig war. Sie passten jetzt zwar von der Statur her kein bisschen besser zusammen als früher, und dennoch fühlte Veronica sich, als wäre sie nach Hause gekommen, als ihre älteste Freundin sie herzlich in die Arme zog und sie an ihren üppigen Busen drückte.

Schließlich trat Marissa einen Schritt zurück und umschloss Veronicas Schultern mit ihren langen, perfekt manikürten Händen, um sie auf Armeslänge von sich abzuhalten, während sie sie prüfend vom Kopf bis zu den Zehenspitzen musterte.

»Du hast dein Haar abgeschnitten«, sagte sie und berührte Veronicas glatten Bob. »Wie schick – gefällt mir wirklich gut. Hast du das in Europa machen lassen?«

»Ja, in Edinburgh.« Dann stiegen die Schuldgefühle, mit denen Veronica seit ihrer Rückkehr von Schottland gelebt hatte, wieder in ihrem Inneren auf, um sie zu überschwemmen. »Ach, Rissa, es tut mir so Leid, dass ich überhaupt nicht daran gedacht hatte, eine Telefonnummer zu hinterlassen, unter der man mich hätte erreichen können. Ich kann einfach nicht fassen, dass Crystals Beerdigung schon fast einen Monat her war, bevor du mich endlich aufspüren konntest.« Sie lachte, aber es war ein kurzlebiges Lachen ohne jeden Humor. »Gott, wenn ich daran denke, wie sehr ich von mir selbst eingenommen war! Die Restaurierung dieses Schlosses war mein großer Durchbruch, und ich hab’ mich echt für die Größte gehalten, weil ich die ganze Arbeit rechtzeitig geschafft hatte und ohne das Budget zu sprengen. Ich habe so ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, dass Crystal bereits tot und begraben war, als ich noch damit beschäftigt war, mir lobend auf die Schulter zu klopfen und mir zu den zukünftigen Kunden zu gratulieren, die mir dieses gelungene Projekt einbringen würde.«

Marissa schüttelte sie sanft. »Hör endlich auf damit.«

»Du hast ja Recht, du hast ja Recht.« Veronica holte tief Luft, stieß den Atem wieder aus und trat einen Schritt zurück, während sie die Schultern straffte. »Es geht hier nicht um mich.«

»Natürlich geht es um dich – deine Schwester ist ermordet worden!«

Das traf Veronica mitten ins Herz, doch sie schüttelte den Kopf. »Nein, es geht um Lizzy, die ihre Mama verloren hat, deren Daddy des Mordes beschuldigt worden ist und deren Tante verschollen war, als sie sie am dringendsten brauchte. Wie geht es ihr überhaupt? Das war in den beiden kurzen Telefongesprächen kaum zu erkennen.«

»Ach, Ronnie, sie bricht mir das Herz.« Marissa ergriff Veronicas Hand und führte sie ins Haus. Sie gingen über den glänzenden Fliesenboden einer Küche, deren Arbeitsplatten aus Granit mit allem möglichen Familien-Krimskrams übersät waren und deren hochmoderner Kühlschrank von kindlichen Kunstwerken nur so strotzte. »Sie verhält sich zwar, als ob überhaupt nichts passiert wäre, aber innerlich muss es ihr verdammt zu schaffen machen. Das Schlimme ist, dass sie nicht nur mit dem Verlust ihrer Eltern fertig werden muss, sondern auch noch mit dem Gerede der Leute. Und du weißt ja, wie diese Stadt sein kann – jeder Hans und Franz kennt jedes einzelne Detail darüber, warum Eddie und Crystal nicht mehr da sind, und hat nichts Besseres zu tun, als sich das Maul darüber zu zerreißen.«

Sie ließen sich auf dem weich gepolsterten Sofa im Wohnzimmer nieder, die Knie hochgezogen und ihre Körper halb gedreht, sodass sie sich gegenseitig ansehen konnten. »Nichts von alledem hat sie jedoch noch weiter in ihr Schneckenhaus hineingetrieben, was schon ziemlich bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, wie schüchtern sie ist.« Marissa zog das Ende ihres dicken sandbraunen Zopfes zuerst glättend durch die eine Faust, dann durch die andere. »Meine Kinder haben mir erzählt, dass einige ihrer Mitschüler ihr in der Schule das Leben ganz schön schwer gemacht haben, aber zum Glück hat Lizzy ja Freunde, die ihr Rückhalt geben. Dessa ist weiß Gott eine grimmige kleine Kämpferin, die Lizzy in jedem Fall beisteht. Und Riley ist neulich mit einer blutigen Nase nach Hause gekommen, weil er Lizzy gegen einen seiner Mitschüler verteidigt hat.«

»Deine Kinder sind echt Klasse, Marissa.«

In den Wangen ihrer Freundin erschienen tiefe Grübchen. »Tja, wer hätte das gedacht? Jedes Mal, wenn ich denke, dass eine Schule mit militärischer Disziplin genau das Richtige für die beiden wäre, drehen sie sich um und tun etwas, was mich so stolz auf sie macht, dass ich platzen könnte.« Sie zuckte die Achseln. »Ich schätze mal, es ist eine Verschwörung mit dem Ziel, zu sehen, wie schnell sie mich in den Wahnsinn treiben können, aber was soll eine Frau dagegen machen?«

Veronica schnaubte verächtlich. »Nun komm schon! Als ob du auch nur die kleinste Kleinigkeit an den beiden ändern würdest, selbst wenn du könntest! Du hast bei ihrer Erziehung wirklich großartige Arbeit geleistet. Es muss ganz schön hart für dich gewesen sein, nachdem Denny tot war.«

»Na ja, zugegeben, manchmal ist es wirklich hart gewesen, aber Dennys Tod liegt nun schon fünf Jahre zurück, und das Leben geht weiter – besonders, wenn man Kinder hat.« Marissa zuckte die Achseln. »Man tut eben einfach, was man tun muss.«

»Also, was du getan hast, ist schon phänomenal. Und dass du dann auch noch meine Probleme auf dich geladen hast...« Veronica streckte die Hand aus und berührte Marissas Schulter. »Ich schulde dir so viel dafür, dass du dich um Lizzy gekümmert und das Tonk in Gang gehalten hast, dass ich gar nicht weiß, wie ich das jemals wieder gutmachen soll.«

»Ach, was, Unsinn!« Marissa machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber wo wir gerade vom Tonk sprechen, ist dieser Cooper nicht ein Goldschatz? Und so ein netter Kerl, so ein richtig knuffiger Typ!«

»Ein knuffiger Typ?« Das war nicht unbedingt die Bezeichnung, die Veronica als Erstes in den Sinn gekommen wäre.

»Ja, wirklich. Er ist so charmant, und man kann so gut mit ihm arbeiten, und er trinkt nicht sämtliche Lagerbestände leer, so wie der Kerl, den ich zuerst eingestellt hatte.«

Charmant? Bei jedem anderen außer ihr vielleicht. Und wie war das, bitte? Man konnte so gut mit ihm arbeiten? »Du findest ihn knuffig?«

Marissa lachte. »Okay, ich gebe zu, er sieht nicht gerade aus wie ein Engel –«

»Das kannst du laut sagen. Er erinnert mich an einen dieser Vampire, die im Fernsehen neuerdings so populär sind. Aber nicht diese New-Age-Sensibelchen, die immer versuchen, ihre gemeine, gottlose Art zu bessern. Er ist mehr der Typ hartgesottener Erzschurke, der sich raubend und plündernd einen Weg durch die Masse bahnt.«

»Nee, für einen Vampir ist er zu braun gebrannt«, widersprach Marissa. »Trotzdem, ich hätte nichts dagegen, von ihm geraubt zu werden.« Dann lachte sie und beugte sich vor, um Veronica flüchtig an sich zu drücken. »Ach, V, es ist so schön, dich wieder hier zu haben! Du hattest schon immer so eine großartige Einstellung zu den Dingen.«

»Ich weiß noch nicht so recht, was ich davon halten soll, dass ich wieder hier bin«, gestand Veronica, »aber es ist auf jeden Fall schön, dich wiederzusehen. Und ich muss unbedingt alles wissen, was du mir über die Leute von Fossil erzählen kannst.« Sie rieb mit den Händen über ihre in Khaki gehüllten Schenkel. »Das Tonk hat zu wenig Personal, und dein Goldschatz hat mich informiert, dass ich in der Bar mit anfassen muss, bis wir das Problem mit dem Personalmangel gelöst haben.«

»Ach je.« Marissa schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. »Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie begeistert du warst, als du das gehört hast.«

»O ja.« Veronica schnitt eine Grimasse. »Von der Zeit an, als wir alt genug waren, um einen Mopp zu schwingen, haben Crystal und ich wohl die Hälfte unserer Sonntage dafür geopfert, den Laden sauber zu machen.« Ihre Abneigung gegen das Tonk war eng mit den Erinnerungen an ihren Vater verknüpft – sein Charme, sein mangelnder Ehrgeiz und sein angeborener Chauvinismus waren in ihrem Bewusstsein untrennbar mit der Bar verbunden, die ihrer Familie gehörte. »Aber das brauche ich dir natürlich nicht zu erzählen. Ich habe ja weiß Gott oft genug meinen Ärger über Daddys Vorstellungen von den Aufgaben einer Frau bei dir abgelassen und über Mamas Art, ihn noch darin zu bestärken, indem sie sich weigerte, ihn dazu zu bringen, auch nur einen Finger krumm zu machen.« Sie zuckte entschuldigend die Achseln, weil sie dieses leidige Thema wieder zur Sprache gebracht hatte. »Ich werde im Tonk arbeiten, weil mir gar nichts anderes übrig bleibt, wenn ich einen Käufer für den Laden finden will. Für Lizzy möchte ich jeden Penny aus dem Geschäft herausholen, den ich herausholen kann, damit sie später mal die Freiheit hat, sich auszusuchen, was sie mit ihrem Leben anfangen möchte. Aber in der Sekunde, in der wir eine neue Kellnerin gefunden haben, bin ich wieder raus aus dem Laden!«

»Hm, weißt du, ich will dich ja bestimmt nicht entmutigen, Liebes, aber die Wirtschaft in unserer Gegend hat in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erlebt. Und das bedeutet, dass es schwieriger geworden ist, Leute für die schlechter bezahlten Jobs zu finden, deshalb könnte es eine Weile dauern, bis ihr eine neue Kellnerin findet.«

»Na toll.« Veronica wurde ganz flau im Magen, doch sie straffte energisch die Schultern und schob diese entmutigende Neuigkeit erst einmal beiseite. »Ist das der Grund, weshalb ich nach Hause gekommen bin, um feststellen zu müssen, dass sich Cooper Blackstock in Crystals Haus eingenistet hat?«

»Ja. Es gibt so gut wie keine freien Mietwohnungen, deshalb dachte ich mir – warum ihn nicht in dieses leere Haus stecken, wo er leicht erreichbar ist und nur einen Katzensprung von der Bar entfernt?«

Weil er mich dort stört. Vor Veronicas geistigem Auge stieg ein Bild von Coop auf, wie er an diesem Morgen ausgesehen hatte: sein hartes, kantiges Kinn ganz glatt rasiert, das blonde Haar störrisch hochstehend, seine dunklen Brauen zu einem finsteren Ausdruck zusammengezogen. Er hatte mehr als seinen gerechten Anteil des Küchentisches für sich beansprucht, als er ihr gegenübergesessen und ihr mit seinen breiten Schultern die Sicht versperrt hatte.

Doch sie verdrängte das Bild wieder. Mit Blackstock würde sie sich später befassen; im Moment hatte sie dringendere Probleme. »Gott, Mare, ich fühle mich, als ob ich mitten in einer Folge von Twilight Zone geraten wäre. Es gibt einen Teil von mir, der sich immer Sorgen darüber gemacht hat, dass es mit Crystal einmal ein böses Ende nehmen würde, aber das waren eher unbestimmte Vorstellungen, verstehst du? Ich hatte zum Beispiel oft Angst, dass sie sich betrunken ans Steuer setzen und mit dem Auto verunglücken könnte, oder dass einer der Männer, mit denen sie ihre ewigen Spielchen getrieben hat, eines Tages plötzlich ausrasten und sie schlagen könnte. Dass er ihr vielleicht ein blaues Auge verpassen oder ihr die Lippen blutig schlagen würde.«

Sie blickte ihre Freundin in fassungslosem Entsetzen an. »Aber dass es so schlimm kommen würde, das hätte ich ganz sicher niemals für möglich gehalten. Wie konnte Eddie das bloß tun? Ich fand immer, er war unglaublich nett und geduldig, denn – machen wir uns doch nichts vor – wir beide wussten doch genau, wie Crystal sein konnte. Aber das hier! Ich meine, ich wusste, dass sie mitten in einem Sorgerechtskampf um Lizzy waren, aber ich hätte doch niemals gedacht ... ich wäre ja nie auf die Idee gekommen ...« Sie strich sich die Haare aus der Stirn zurück und schluckte hart. »Gott, und ich habe ihr sogar noch dazu geraten, ihn Lizzy großziehen zu lassen, weil ich dachte, er wäre besser geeignet als Crystal.«

»Er war ja auch besser geeignet. Ich vermute, er ist plötzlich einfach durchgedreht.«

»Sie sind sich aber sicher, dass er derjenige ist, der es getan hat?« Veronica schüttelte ungeduldig den Kopf. »Klar, natürlich sind sie das – er muss es ja logischerweise gewesen sein, nicht? Wenn er unschuldig wäre, wäre er ja niemals abgehauen und hätte es Lizzy überlassen, ganz allein mit allem fertig zu werden.« Ein bitterer Geschmack machte sich auf ihrer Zunge breit.

»Eddie und Crystal haben sich an dem bewussten Abend in aller Öffentlichkeit ziemlich heftig gestritten«, sagte Marissa sanft. »Eddie hat ihr ein paarmal gedroht. Und später hat die Polizei seine Lederjacke in einem Müllcontainer auf demselben Parkplatz gefunden, wo Crystals Leiche lag. Sie hatte Spuren davon unter ihren Fingernägeln.« Gleich darauf, als ihr klar wurde, was sie gerade eben gesagt hatte, streckte sie den Arm aus und drückte Veronicas Hand. »Entschuldige bitte, V Das war ziemlich gefühllos von mir. Wollen wir nicht lieber über etwas anderes reden, was meinst du?«

»Ja.« Veronica schluckte hart, von dem verzweifelten Bedürfnis erfüllt, die schrecklichen Bilder auszulöschen, die sie in Gedanken vor sich sah. »Hilf mir, jemanden wirklich Gutes zu finden, der auf Lizzy aufpasst, wenn ich arbeiten muss.«

Nicht schon wieder Liebe

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