Читать книгу Nicht schon wieder Liebe - Susan Andersen - Страница 11
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ОглавлениеVeronica sah Coop durch die Bar schlendern, als ob der Laden ihm gehörte, und spürte prompt, wie sich ihre Nackenmuskeln verkrampften. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich bin nur kurz vorbeigekommen, um zu sehen, ob Sie vielleicht Hilfe brauchen.« Um seine Lippen spielte ein liebenswürdiges Lächeln, doch die dunklen Augen, die Kody, den Installateur von Cascade Air, musterten, ließen eine Art wachsamer Neugier erkennen.
Ihre instinktive Reaktion war, Coops Angebot energisch und unmissverständlich abzulehnen, und in Wahrheit gab es im Moment auch wirklich nichts, was er hätte tun können. Sie unterdrückte jedoch den Drang, ihn mit einem patzigen »Nein!« abzufertigen. Solange er der Geschäftsführer des Tonk war, konnte sie auf ihre Retourkutschen getrost verzichten, und als Inhaber dieser Position hatte er ein Recht darauf zu erfahren, was sie mit der Bar vorhatte. Also bat sie Kody mit einem Seufzer, sie für einen Moment zu entschuldigen, griff nach Coops Unterarm und führte ihn außer Hörweite.
Sie bereute es augenblicklich, ihn angefasst zu haben. Die Schicht weichen Cordsamts, die ihre Haut davor bewahrte, einander zu berühren, tat leider nicht das Geringste, um zu verhindern, dass Coops Körperwärme durch den karierten Stoff hindurchstrahlte, und sie nahm deutlich die muskulöse Kraft seines Armes unter ihrer Hand wahr.
Sie nahm den ganzen Mann deutlich wahr. Viel zu deutlich. Das war von Anfang an das Problem mit diesem Kerl gewesen. Und sie verstand das einfach nicht. Sie hatte noch nie auf den schmollmundigen Typ mit dem eisenharten, muskelgestählten Körper gestanden – der Typ Mann, auf den sie gewöhnlich abfuhr, war kultiviert und gebildet und bevorzugte elegant geschnittene Anzüge mit farblich darauf abgestimmten Krawatten. Coop hingegen glaubte wahrscheinlich, Kultiviertheit bestünde darin, Bier in einen Maßkrug zu gießen, statt es direkt aus der Dose zu schlürfen.
Als ihr klar wurde, wie abfällig dieser Gedanke war, schämte sie sich fast ein bisschen. So zu denken war nicht nur erstaunlich snobistisch für jemanden, der in einer Bar aufgewachsen war, sondern sie sah im Geist auch plötzlich wieder die New York Times vor sich, die am Morgen auf dem Küchentisch gelegen hatte.
Dann verdrängte sie das Gefühl mit einem kaum merklichen Achselzucken. Na und? Was war denn das schon? Er las also Zeitung – und sehr viel umfassender als sie, wie sie zugeben musste. Das machte es aber noch lange nicht wahrscheinlicher, dass er auf eine Sportveranstaltung verzichten würde, um stattdessen einen Bummel durch ein Museum zu machen. Und es waren nun mal die Museumsbesucher, nicht die Sportstypen, die immer die Art von Mann gewesen waren, die ihren, Veronicas, Motor auf Touren brachten.
Sie war aber trotzdem froh, als sie und Coop die Theke erreichten und sie ihre Hand wieder sinken lassen konnte, ohne allzu nervös zu erscheinen. »Okay, die Sache ist folgendermaßen«, erklärte sie. »Ich kann den Zigarettenrauch in diesem Laden nicht ausstehen, und deshalb lasse ich ein Luftfiltersystem einbauen, das den Rauch ansaugt und die Luft reinigt.«
»Und Sie sind nicht auf den Gedanken gekommen, dass ich als Geschäftsführer daran interessiert sein könnte, davon zu erfahren?« Sein Ton war neutral, und auch sein Gesichtsausdruck verriet nichts. Doch seine Körpersprache, als er mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihr aufragte, besagte: Na los, Mädchen, erklär mir das mal! »Sie haben bisher noch nicht mal einen Blick in die Bücher geworfen. Wieso gehen Sie so selbstverständlich davon aus, dass sich das Tonk so eine Anlage überhaupt leisten kann?«
Veronica fühlte, wie die Wut in ihr aufwallte, doch sie drückte schnell einen Deckel darauf. »Sie haben vollkommen Recht«, erwiderte sie mit hart erkämpfter Milde. »Ich hätte Ihnen gleich heute Morgen sagen sollen, was ich vorhabe, und ich entschuldige mich für mein Versäumnis, Sie darüber zu informieren. Aber ich informiere Sie ja jetzt. Und wenn das Tonk sich eine solche Anlage nicht leisten kann, dann werde ich sie wohl einfach aus meiner eigenen Tasche bezahlen müssen, schätze ich mal.« Sie lächelte fast, als er misstrauisch blinzelte und dann die Augen zu Schlitzen verengte, als versuchte er, den Haken an der Sache zu entdecken. »Ich sollte Ihnen wahrscheinlich auch sagen, dass ich heute zu Franklin’s Realty fahren werde, um die Bar zum Verkauf anzubieten, und ich hoffe, ehrlich gesagt, dass das neue Luftfiltersystem ihren Verkaufswert erhöhen wird. Aber selbst wenn es keinen Einfluss auf den Wert hat, kann ich es einfach nicht ertragen, wie alles – von meinem Haar bis hin zu meiner Unterwäsche – zum Himmel stinkt, wenn ich den Laden hier verlasse. Und mir gefällt auch die Vorstellung nicht, dass Lizzy den Rauch an mir riecht. Es erscheint mir doch ziemlich heuchlerisch, Lizzy beibringen zu wollen, dass sie selbst niemals anfangen sollte zu rauchen und dann jeden Abend mit einem Gestank in den Kleidern nach Hause zu kommen, als ob ich mich in einem vollen Aschenbecher gewälzt hätte.«
Coop prüfte ihre Erklärung aus jedem nur denkbaren Blickwinkel, konnte aber nichts daran auszusetzen finden. Was aber nicht heißen sollte, dass er ihr über den Weg traute. Er blickte sie mit einer fragend hochgezogenen Braue an. »Sie werden das Geld einsacken und abhauen, Zuckerschneckchen?«
»Nein, Knackarsch, ich werde das Geld auf ein Treuhandkonto für meine Nichte einzahlen. Aber den zweiten Teil haben Sie schon ganz richtig verstanden. In dem Moment, in dem dieser Laden verkauft ist, schmeiße ich hier alles hin, packe Lizzy ein und flüchte von hier. Und ich werde ganz bestimmt nicht zurückblicken, bevor wir die Stadtgrenze hinter uns gelassen haben. Nicht, dass das länger als fünf Minuten dauern wird.«
Coop war nicht gerade begeistert von der Idee, dass sie Lizzy aus ihrer gewohnten Umgebung reißen wollte, denn seine Nichte würde schlicht und einfach sofort wieder kehrtmachen und zurückkommen müssen, sobald Eddie entlastet war. Doch da er, Coop, wohl kaum in der Lage war, das zu sagen, nickte er nur kurz. »Okay, dagegen ist wohl nichts einzuwenden. Solange Sie sich in der Zwischenzeit nicht um Ihre Pflichten im Tonk herumdrücken.«
»Apropos Pflichten – das bringt mich auf ein weiteres Problem.« Sie stand so kerzengerade da, als ob sie einen Besenstiel verschluckt hätte, ihre Schultern gestrafft, die elegante Linie ihres Kinns erhoben. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich gestern Abend überhaupt nicht mehr dazu gekommen bin, einen Arbeitsplan mit Ihnen aufzustellen. Also, ich bin gerne bereit, mir meine freien Tage von Ihnen diktieren zu lassen, aber rechnen Sie nicht damit, dass ich vor neun Uhr abends mit der Arbeit anfange.«
Herr im Himmel! Er hatte Ausbilder bei der Marine gehabt, die noch nicht einmal annähernd solche Kontrollfreaks gewesen waren wie diese Frau hier, und als er jetzt auf ihr entschlossen hochgerecktes kleines Kinn und die kühlen grünen Augen hinunterblickte, überkam ihn der fast unwiderstehliche Drang, sie ein bisschen aufzumischen und durcheinander zu bringen, und sei es auch nur, um diesen herrischen Ausdruck von ihrem Gesicht zu vertreiben. Sie war so verdammt ordentlich. Ihr glänzendes schwarzes Haar war offensichtlich das Ergebnis eines sündhaft teuren Haarschnitts, denn es saß absolut perfekt, ohne dass auch nur eine einzige Strähne in Unordnung gewesen wäre. Er musste jedoch unwillkürlich daran zurückdenken, wie ihr Haar an diesem Morgen gewesen war – völlig vom Schlafen zerzaust und verwuschelt, sodass es so ausgesehen hatte, als ob sie gerade eine heiße Runde wilden, hemmungslosen Sex gehabt hätte und eben gerade erst aus dem Bett gerollt wäre.
Okay, dachte Coop. Gebt mir zwanzig Minuten, und ich werd’ sie mir vornehmen und dafür sorgen, dass sie wirklich so aussieht.
Dieser Gedanke ernüchterte ihn schlagartig. Verdammt, wo war der denn hergekommen? Er holte tief Luft und stieß den Atem langsam wieder aus, dann gestand er sich ein, dass es wahrscheinlich nur eine dieser typischen Reaktionen eines Mannes auf eine Frau war, die ihm Bedingungen zu stellen versuchte. Wenn du sie nicht schlagen kannst, roll’ sie auf der Matratze rum, bis sie endlich kapiert haben, wer der Boss ist.
Er brauchte seine Zuständigkeit jedoch nicht mit Hilfe von Sex zu beweisen, so verlockend diese Vorstellung auch sein mochte. Er war der Geschäftsführer dieses Ladens, und das war alle Autorität, die er brauchte.
»Sie sind ein richtiger kleiner Vier-Sterne-General, was?« Coop streckte die Hand aus, zog eine dünne Strähne aus ihrer perfekt sitzenden Frisur und arrangierte sie auf ihrer Wange. Seine Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen, als Veronica seine Hand wegschlug und die Haarsträhne ärgerlich wieder an ihren Platz schob. Coop vergrub seine Hände in den Hosentaschen in dem Versuch, das Gefühl ihres glatten, seidigen Haares zu ignorieren, das noch immer an seinen Fingerspitzen zu haften schien, und setzte seine beste »Leg dich bloß nicht mit mir an!«-Miene auf. »Aber ich mache hier den Arbeitsplan, Süße, nicht Sie. Und wenn ich Sie schon vor neun Uhr im Tonk brauche, dann werden Sie gefälligst zur Verfügung stehen.«
»Ach, meinen Sie?« Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Schön, dann machen Sie sich mal auf eine Überraschung gefasst, Blackstock. Sie können sich von mir aus auf Ihre behaarte Brust trommeln, bis Sie grün werden –«
»Schwarz«, korrigierte Coop sie. Als Veronica ihm einen verständnislosen Blick zuwarf, fügte er erklärend hinzu: »Der Ausdruck heißt: ›Bis du schwarz wirst.‹«
»Grün, schwarz – wie auch immer, das ist doch völlig egal. Jedenfalls ... ich habe trotzdem nicht vor, vor neun Uhr abends zur Arbeit zu erscheinen, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall.« Dann überraschte sie ihn, indem sie leicht in sich zusammensackte und sich mit den Fingern durch das Haar fuhr. Ihre Handbewegung enthüllte eine Sorgenfalte zwischen ihren schmalen schwarzen Augenbrauen. »Lizzy braucht jetzt erst einmal Stabilität in ihrem Leben«, erklärte sie, »und zwar dringender noch als irgendetwas anderes. Nachdem Crystal tot ist und ihr Dad spurlos verschwunden, bin ich die einzige Familienangehörige, die sie noch hat. Na ja, abgesehen von einem Stiefbruder oder Halbbruder von Eddie, oder irgendwas in der Art. Aber von diesem Mann kenne ich noch nicht einmal den Namen, geschweige denn, dass ich wüsste, wo ich ihn auftreiben könnte, und er ist offensichtlich nicht allzu sehr um Lizzys Wohl besorgt, sonst hätte er doch bestimmt mal angerufen oder wäre hergekommen, um zu sehen, wie es ihr geht.«
Coop zuckte zusammen, doch Veronica tat ihre Feststellung mit einer Handbewegung ab, als ob sie keine Rolle spielte. »Die Sache ist die: Ich gebe offen zu, dass ich keinen blassen Schimmer davon habe, wie man ein Kind großzieht, aber mir scheint, das Wichtigste, was ich tun kann, ist, so oft wie möglich für Lizzy da zu sein, und zwar von früh bis spät. Ich wollte einen Fachmann finden, der ihr hilft, mit der Tatsache fertig zu werden, dass ihr Vater des Mordes an ihrer Mutter angeklagt worden ist, aber Fossil ist nicht gerade eine Brutstätte für Kinderpsychologen. Und deshalb werde ich abends nicht eher zur Arbeit gehen, bis sie gemütlich im Bett liegt und eingeschlafen ist.« Sie reckte energisch das Kinn vor, während sie Coop fest anblickte. »Finden Sie sich damit ab, Cooper. Außerdem kommt es ja sowieso nur selten vor, dass hier in der Bar schon vor neun Uhr Hochbetrieb herrscht.«
»In Ordnung.«
Veronica blinzelte verdutzt, dann kniff sie die Augen etwas zusammen. »Das war ja fast schon zu leicht. Also, wieso macht mich das dann misstrauisch, und wieso denke ich, dass daran was faul sein muss?«
»Keine Ahnung, Prinzessin, da bin ich überfragt. Aber wenn es Sie beruhigt – ich habe deshalb zugestimmt, weil Sie absolut stichhaltige und überzeugende Gründe angeführt haben. Solange es wegen der Kleinen ist, werden Sie von mir kein Wort dagegen hören. Wenn Sie aber anfangen, sich aufzuspielen, nur weil Sie hier die Inhaberin sind, dann werden Sie sich schneller nach einem neuen Barkeeper umsehen müssen, als Sie Sex-On-The-Beach sagen können.«
»Warum sollte ich das denn sagen wollen? Oh! Das ist ein Cocktail, richtig?«
Coop warf ihr lediglich einen Blick unter halb gesenkten Lidern hervor zu, und ein Lächeln der Befriedigung zog seine Mundwinkel nach oben, als er sah, wie sie prompt wütend wurde.
Dann bedachte sie ihn plötzlich mit einem Lächeln, das so reizend und liebenswürdig war, dass bei Coop sämtliche Warnglocken zu schrillen begannen. »Und solange Sie ein so vernünftiger und einsichtiger Mann sind, sollte ich Sie wahrscheinlich auch darüber informieren, dass ich vorhabe, Nachforschungen über Sie anzustellen und Ihre Vergangenheit zu überprüfen.«
Er hatte tatsächlich gedacht, er hätte sie vielleicht doch falsch beurteilt, doch ihre kleine Bombe zerstörte dieses Hirngespinst im Nu. »Sie meinen, eine polizeiliche Überprüfung?«, wollte er wissen. »Was zum Teufel soll denn das?« Er trat einen Schritt vor und baute sich vor ihr auf.
Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte ihm direkt in die Augen. »Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Cooper: Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, dass Sie Lizzy jemals etwas antun würden. Aber Sie sind ein Fremder, der mit einem sechsjährigen Mädchen unter einem Dach lebt, und es fällt mir nicht im Traum ein, Lizzys Sicherheit wegen eines Gefühls aus dem Bauch heraus zu riskieren. Mein Bauch hat sich nämlich schon mal geirrt. Und deshalb sage ich Ihnen klipp und klar, dass ich mich vergewissern werde, dass Sie nicht einschlägig vorbestraft sind. Und wenn ich herausfinden sollte, dass man Ihnen nicht über den Weg trauen kann, dann werden Sie sich so schnell auf der Straße wiederfinden, dass Ihnen der Kopf schwirrt – und zum Teufel mit Ihrem Mietvertrag.«
Er hatte ihrer Argumentation nichts entgegenzusetzen, aber das hielt ihn nicht davon ab, sich bis auf den Grund seiner Seele beleidigt zu fühlen. Er war ein rechtschaffener Mann. Verdammt noch mal, er war ein Ex-Marine – er hatte dreizehn Jahre seines Lebens damit verbracht, dieses Land zu schützen, damit Leute wie Veronica Davis in Sicherheit leben konnten. Es ärgerte ihn maßlos, dass sie dachte, er könnte irgendein Perverser sein, der Jagd auf kleine Mädchen machte.
Mit einem empörten Schnauben machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte zur Tür.
Veronicas Herz versuchte, ihre Kehle hochzuklettern, als sie Coop erbost aus der Bar stürmen sah. Es war ihre verdammte Pflicht, Lizzy zu schützen, und Coops Vergangenheit zu überprüfen war nur vernünftig.
»Veronica?«
Sie wandte sich um, um Kody mit seinem Klemmbrett herbeikommen zu sehen.
»Ich habe den Kostenvoranschlag fertig, um den Sie mich gebeten hatten«, erklärte er. »Haben Sie einen Moment Zeit, um sich mit mir hinzusetzen und die Aufstellung durchzugehen?«
Sie dachte an den beleidigten Zorn, den sie in Coops Augen gesehen hatte, und – noch beunruhigender – an den flüchtigen Eindruck von etwas, das fast wie ... Schmerz ausgesehen hatte.
Dann schüttelte sie energisch den Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Kody zu. Mach dich nicht lächerlich. Diesem Kerl könnte doch selbst ein Sherman-Panzer nichts anhaben. »Ja, natürlich«, erwiderte sie. »Setzen wir uns doch gleich hier drüben hin, und dann können Sie mir sagen, was der Spaß kosten wird.«
Ein roter Schleier des Zorns trübte Coops für gewöhnlich so nüchternes und logisches Denkvermögen, während er die Straße hinuntermarschierte, und er hätte in seiner Wut beinahe die Fahrertür aus den Angeln gerissen, als er in seinen Wagen stieg. Er knallte die Tür hinter sich zu, ließ den Motor an und parkte aus. Auf seinem Weg aus der Stadt heraus bog er auf die Interstate ein, die gleich hinter dem Big K verlief, und trat dann das Gaspedal bis zum Boden durch, kaum dass die Hinterräder seines Wagens die Autobahnauffahrt hinter sich gelassen hatten. Er schaltete den CD-Player ein, drehte ihn auf volle Lautstärke auf und fegte mit kreischenden Lautsprechern und heulendem Motor die Autobahn entlang.
Der Wagen brauste durch graubraune, mit Schnee überstäubte Hügel und schlammbraune Ebenen, vorbei an Obstgärten, die mit endlosen Reihen skelettartiger Bäume bestanden waren. Coop donnerte an unscheinbaren kleinen Ortschaften mit Gebäuden aus Leichtbausteinen vorbei und verlangsamte sein Tempo erst wieder, als ungefähr fünfzehn Meilen außerhalb der Stadt plötzlich ein Wolkenbruch niederging. Da schaltete er die Scheibenwischer auf die höchste Stufe und die Lüftung auf volle Kraft, um den Dunst auf den sich rasch beschlagenden Scheiben aufzulösen, nahm die nächste Ausfahrt, fuhr zurück auf die Autobahn, die wieder nach Norden führte, und trat das Gaspedal abermals bis zum Anschlag durch.
Es goss wie aus Kübeln, und ein paar Meilen südlich von Fossil kam eine Stelle, wo Wasser auf der Fahrbahn stand. Das Auto verlor die Bodenhaftung, sodass die Reifen auf der Wasseroberfläche schwammen. Das Heck des Wagens schwänzelte gefährlich, während Coop darum kämpfte, wieder Halt auf der Straße zu finden. Er nahm den Fuß vom Gaspedal, bekam den Wagen schließlich wieder unter Kontrolle und fuhr augenblicklich langsamer. Es hatte keinen Sinn, sich umzubringen, nur weil Veronica Davis ein misstrauischer Mensch war.
Er wusste selbst nicht so recht, warum ihn das so wütend machte – in irgendeinem abgelegenen Winkel seines Verstandes begrüßte er ihre Vorsicht eigentlich sogar. Sie schien alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Lizzy zu schützen, und dagegen ließ sich wohl kaum etwas einwenden? Außer ...
Er hatte verdammt hart gearbeitet, um es zu einem gewisses Maß an Achtung und Respekt in seinem Leben zu bringen. Gott allein wusste, dass seine eigene Mutter nie daran geglaubt hatte, dass jemals etwas Gescheites aus ihm würde, und er hatte sich abgeschuftet, um zu beweisen, dass sie Unrecht hatte, und um der Typ Mann zu werden, auf den er stolz sein konnte. Da konnte man es ihm wahrhaftig nicht verübeln, dass er sauer reagierte, wenn man ihn mit Phädophilen und weiß der Kuckuck wem sonst noch alles in einen Topf warf.
Aber es war völlig sinnlos, noch länger darüber nachzugrübeln. Tatsächlich wurde es höchste Zeit, dass er überhaupt damit aufhörte, über Klein Miss Davis nachzudenken. Während seines kurzen Aufenthalts im Tonk hatte er etliche, mehr oder minder aufschlussreiche Informationen über den Mord an Crystal zusammengetragen. Er hatte auch einige der Gründe gehört, weshalb allgemein angenommen wurde, dass Eddie der richtige Kandidat für das Amt des Hauptverdächtigen war. Doch er wusste noch nicht annähernd so viel, wie er gehofft hatte, und ganz sicher hatte er nichts erfahren, was ausreichen würde, um Eddies Namen reinzuwaschen. Es wurde also Zeit, dass er seine Anstrengungen verstärkte.
Coop fuhr zu dem kleinen Geschäftsviertel in der Innenstadt von Fossil und bog auf einen ordentlich gepflasterten Parkplatz ein. Dann saß er einfach nur für einen Moment da und horchte auf das blecherne Prasseln des Regens auf dem Autodach, während er zu den vorspringenden Ecken eines im Fünfzigerjahrestil erbauten Gebäudes aus Redwoodholz hinaufstarrte. Auf einem dezenten Schild über dem Eingang stand: FOSSIL PROFESSIONAL BUILDING.
Er atmete ein paarmal tief durch, um die plötzliche nervöse Anspannung loszuwerden, die warnend die Nervenenden an seinem Rückgrat entlang schwirren ließ, nahm sein Scheckheft aus dem Handschuhfach und stieg aus dem Wagen. Er schloss nur rasch die Tür ab, dann flitzte er durch den strömenden Regen auf das Gebäude zu. Verdammt, war das kalt! Er hätte einen Mantel anziehen sollen.
Einen Moment später blieb er vor einer Tür mit der Aufschrift »NEIL PEAVY, ANWALT« stehen und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Er trocknete seine Hand an einer geschützten Stelle des schwarzen T-Shirts ab, das er unter seinem karierten Hemd trug, und griff dann nach der Türklinke.
Ein gedämpftes Glockenzeichen ertönte über seinem Kopf, als er die Tür öffnete, und eine junge Frau blickte vom Empfangstresen auf. Sie schenkte ihm ein geübtes Lächeln. »Guten Morgen, Sir. Kann ich Ihnen helfen?«
Coop ging über den eleganten anthrazitgrauen Teppichboden zu dem geschwungenen, in Mauve und Grau gehaltenen Empfangstresen hinüber. »Mein Name ist Cooper Blackstock«, sagte er. »Ich möchte bitte Mr. Peavy sprechen.«
»Haben Sie einen Termin?«
»Nein. Aber wenn er heute keine Zeit hat, mich zu empfangen, könnte ich vielleicht einen vereinbaren.«
Sie griff nach einem Telefonhörer und hielt dann inne, ihr Finger über der Taste der Sprechanlage schwebend. »Kann ich ihm sagen, um welche Angelegenheit es sich handelt, Mr. Blackstock?«
»Das möchte ich ihm lieber selbst sagen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Ihr professionelles Lächeln verblasste nicht einen Moment, mit einem kurzen Nicken in Coops Richtung drückte sie den Knopf unter ihrem Finger. »Mr. Peavy«, sagte sie einen Moment später. »Hier ist ein Mr. Blackstock, der Sie sprechen möchte. Ja, Sir, Cooper Blackstock.« Sie hörte einen Moment zu, dann sagte sie: »Nein, Sir. Er hat keinen Ter – Ja. Ja. In Ordnung, Sir.«
Sie legte den Hörer wieder auf und blickte Coop an. »Er hat gleich ein Konferenzgespräch mit einem Mandanten angesetzt, aber er meint, wenn es Ihnen nichts ausmacht, eine Weile zu warten, könnte er einen Teil seiner Mittagspause für Sie reservieren.«
»Danke. Das ist sehr freundlich.« Coop ließ sich auf einem unbequemen grau gepolsterten Stuhl im Eames-Stil nieder und griff nach der ersten Zeitschrift, die ihm in die Hand fiel. Er blätterte die Seiten durch, ohne sehr viel mehr aufzunehmen als den vagen Eindruck, dass die Hälfte des Inhalts aus nahrhaften Kochrezepten bestand, während die andere Hälfte Diät-Tipps gewidmet war.
»Mr. Blackstock?«
Er blickte auf und sah, wie die Empfangssekretärin ein Klemmbrett über die Theke reichte. »Ich brauche noch ein paar Angaben von Ihnen. Wenn Sie so freundlich wären, das hier auszufüllen.«
Er stand auf und füllte das Formular aus. Dann setzte er sich wieder und griff nach einer anderen Zeitschrift.
Diese entpuppte sich als eine ältere Ausgabe des Time Magazin, und er stieß auf einen Artikel, der ihn auf eine Idee brachte. Der Inhalt nahm ihn voll und ganz in Anspruch, bis schließlich eine Seitentür aufging und die Sekretärin den Kopf heraussteckte. »Mr. Peavy ist jetzt frei.«
Coop notierte sich rasch das Datum und die Ausgabe der Zeitschrift und erhob sich, um der jungen Frau in das Herz der Bürosuite zu folgen.
Einen Moment später blieb sie vor einer geschlossenen Tür stehen, die ein Stück weiter den Gang hinunter lag, und klopfte leise an. Eine männliche Stimme forderte sie zum Eintreten auf. Die Empfangsdame öffnete die Tür und trat einen Schritt zurück, um Coop eintreten zu lassen. Sie schloss die Tür wieder, sobald er hindurchgegangen war. Ein Mann, der wie Anfang vierzig aussah, erhob sich hinter einem Eichenschreibtisch, um Coop zu begrüßen.
»Mr. Blackstock, ich bin Neil Peavy« Sein braunes Haar war schon etwas schütter, aber unter seinem teuren Maßanzug sah er ausgesprochen fit aus, und er hatte die etwas weichlich anmutende Aura eines Mannes, der auf sich achtet. Er beugte sich über den Schreibtisch und streckte Coop eine makellos manikürte Hand hin. Sie tauschten einen Händedruck, dann wies Mr. Peavy auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. »Bitte. Nehmen Sie doch Platz.« Er ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder. »Sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann.«
Coop setzte sich auf den Besucherstuhl und blickte den Anwalt an. »Sie können mir ein paar Informationen über den Fall Eddie Chapman geben.«
Das Gesicht des Anwalts verschloss sich augenblicklich. »Wer oder was sind Sie? Reporter? Wenn ja, dann sollten Sie es eigentlich besser wissen, anstatt mich zu bitten, vertrauliche Informationen über einen Mandanten preiszugeben.« Er erhob sich von seinem Platz. »Also, wenn das alles ist ...«
Coop streckte die Beine aus, legte lässig einen Fuß über den anderen und lehnte sich bequem in seinem Stuhl zurück. »Ich bin kein Reporter, Mr. Peavy. Ich bin –« Nichts, was ich einfach so herausposaunen werde, ohne zuerst ein paar Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Er zog sein Scheckheft aus der hinteren Tasche seiner Jeans. »Hören Sie. Lassen Sie mich einen Scheck über einen Honorarvorschuss für Sie ausstellen.«
Peavys Augenbrauen zogen sich zusammen. »Warum wollen Sie das tun?«
»Weil ich die gleiche Vertraulichkeit erwarte, die Sie auch für Chapman geltend machen. Ich brauche die Garantie, dass das, was wir hier besprechen, unter uns bleiben wird.«
Coop konnte sehen, dass der Anwalt innerlich hin und her gerissen war, doch genau wie er gehofft hatte, gewann Peavys Neugier schließlich die Oberhand. Er nickte kurz. »In Ordnung.«
»Reichen fünfhundert als Vorschuss?«
Als der Anwalt zustimmte, schrieb Coop den Scheck aus, riss ihn aus dem Scheckheft heraus und reichte ihn Peavy
Neil Peavy legte ihn vor sich auf die glänzend polierte Schreibtischplatte, dann stützte er sein Gewicht auf seine Hände und blickte Coop forschend an. »Okay, worum geht es hier wirklich?«
»Eddie Chapman ist mein Bruder.«
In den Augen des Anwalts blitzte Ärger auf. »Ich weiß zwar nicht, was das soll oder was Sie vorhaben, Mr. Blackstock, aber ich denke, Sie sollten jetzt besser gehen. Eddie Chapman ist ein Einzelkind.«
»Mein Halbbruder, hätte ich wohl besser sagen sollen.« Coop zuckte die Achseln, ohne sich für die mangelhafte Information zu entschuldigen. Er und Eddie mochten im Laufe ihres Lebens zwar nur sporadisch Kontakt gehabt haben, aber sie hatten sich immer als Brüder betrachtet – und zum Teufel mit der gesetzlichen Klassifizierung. »Eddie ist das einzige Kind von Thomas Chapman, aber bevor Chapman in ihr Leben trat, war unsere Mutter mit Dave Blackstock verheiratet.«
Neil Peavy ließ sich langsam wieder auf seinen Stuhl sinken. »In Ordnung. Das akzeptiere ich. Aber ich weiß noch immer nicht genau, was Sie eigentlich von mir wollen. Ich bin nach wie vor verpflichtet, die Angelegenheit meines Mandanten vertraulich zu behandeln. Ich kann mit Ihnen nicht über das sprechen, was er mir gesagt hat.«
»Ich weiß, dass Eddie unschuldig ist«, erwiderte Coop. »Deshalb brauche ich nicht zu fragen, ob er Ihnen irgendein Verbrechen gestanden hat. Ich möchte vor allem herausfinden, was ihn veranlasst hat, sich aus dem Staub machen.«
»Tja, das wüsste ich auch gern.« Neil spreizte die Finger auf der Tischplatte und betrachtete seine gepflegten Nägel. »Die Beweise gegen ihn waren nicht derart belastend. Er bemühte sich, die Vormundschaft für seine Tochter auf dem Rechtsweg zu erlangen, und die Chancen, dass das Kind ihm zugesprochen werden würde, standen gar nicht so schlecht, deshalb kann dieser spezielle Konflikt trotz allem, was das Büro des Staatsanwalts angeführt hat, nicht als Tatmotiv durchgehen. Eddie und Crystal hatten an dem Abend, an dem sie ermordet wurde, eine heftige Auseinandersetzung im Tonk, für die es diverse Zeugen gibt, aber das war nichts Neues. Sie hatten sich auch vorher schon des Öfteren gestritten. Der einzige Indizienbeweis in diesem Fall war seine Lederjacke, und er hatte nun mal die leidige Angewohnheit, seine Jacke beinahe überall zu vergessen, daher hätte praktisch jeder sie tragen können. Zum Teufel noch mal, er hat sie ja sogar schon einmal hier im Büro liegen lassen. Es gab nicht die kleinste Spur von DNS, um ihn mit dem Verbrechen in Verbindung zu bringen, und keiner hat ihn zusammen mit der Ermordeten gesehen, nachdem sie die Bar verlassen hatten, geschweige denn, dass es Zeugen gäbe, die beobachtet hätten, wie er ihr die Hände um den Hals legte und sie erwürgte.« An Neil Peavys Schläfe begann eine Ader zu pochen, und sein Gesicht überzog sich mit Röte. Er warf Coop einen entschuldigenden Blick zu und machte eine verächtliche Handbewegung.
»Tut mir Leid. Aber jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, platzt mir der Kragen. Der Staatsanwalt hatte lediglich Indizien, und wir hatten eine gute Chance auf einen Freispruch. Eddie war gegen Kaution auf freiem Fuß und hielt sich wacker, aber als der Richter entschied, dass ein hinreichender Tatverdacht für einen Prozess vorlag, ergriff Eddie die Flucht. Und nichts lässt Vollstreckungsbehörden oder angehende Geschworene so schnell darauf schließen, dass ein Tatverdächtiger schuldig ist, wie das.«
»Wahrscheinlich ist er in Panik geraten.« Coop richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Können Sie sich irgendeinen Grund denken, warum er es plötzlich mit der Angst zu tun bekommen haben könnte?«
Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir Leid. Ich habe keine Ahnung. Wenn er einfach abgewartet und Ruhe bewahrt hätte, wäre die Sache inzwischen wahrscheinlich schon ausgestanden.«
»Nun ja, wie auch immer, ich habe auf jeden Fall die Absicht herauszufinden, was da los ist«, sagte Coop und erhob sich von seinem Stuhl.
Neil stand ebenfalls auf und streckte Coop die Hand hin. »Ich wünsche Ihnen viel Glück«, sagte er, als sie sich die Hand gaben. »Und falls Sie irgendetwas in Erfahrung bringen, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich darüber informieren würden.«
»Das werde ich tun. Und falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, das helfen könnte, Licht in diese Angelegenheit zu bringen – ich bin an den meisten Abenden im Tonk zu finden.« Coop lächelte schief, als der Anwalt irritiert eine Braue hochzog. »Als Barkeeper und Geschäftsführer, nicht als Stammgast.«
Neils Lächeln hatte etwas Onkelhaftes. »Das ist gut zu wissen. Ich muss unbedingt demnächst mal auf ein Bier vorbeikommen.« Er nahm den Scheck von der polierten Platte seines Schreibtischs und hielt ihn Coop hin. »Hier. Wir haben nicht so viel Zeit miteinander verbracht, dass dieses Honorar gerechtfertigt wäre.«
»Stellen Sie mir die Zeit, die ich hier war, in Rechnung und verbuchen Sie den Rest als Anzahlung«, erwiderte Coop. »Ich habe wahrscheinlich bald noch weitere Fragen an Sie, und es war mir ernst mit meinem Wunsch, dass das, worüber wir sprechen, auf jeden Fall unter uns bleibt. Je weniger Leute über meine Beziehung zu Eddie Bescheid wissen, desto größer ist die Chance, dass der wahre Mörder einen verhängnisvollen Fehler macht oder jemand etwas ausplaudert.«
Neil zuckte die Achseln, als ob er da so seine Zweifel hätte, doch er legte den Scheck trotzdem wieder auf den Schreibtisch zurück. »In Ordnung.« Er geleitete Coop zur Tür.
Der Regen hatte ein klein wenig nachgelassen, als Coop wenig später das Gebäude verließ. Sein Besuch bei Neil Peavy hatte sich zwar nicht als so informativ erwiesen wie erhofft, aber es war zumindest ein Anfang. Er würde eben einfach weiterforschen müssen.
Beharrlichkeit und Ausdauer zahlten sich immer aus. Früher oder später würde er bestimmt auf etwas Entscheidendes stoßen.