Читать книгу Achtsame Spiele - Susan Kaiser Greenland - Страница 10

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Teil zwei


Wahrnehmen

und

umdeuten

Zwei junge Fische schwimmen gemeinsam im Fluss. Zufällig begegnen sie einem älteren Fisch, der in die Gegenrichtung schwimmt und ihnen zunickt: „Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?“ Die beiden jungen Fische schwimmen weiter. Nach einer Weile sieht der eine den anderen an und fragt: „Was zum Teufel ist Wasser?“

Der Clou an dieser Geschichte, die David Foster Wallace zu Beginn seiner Abschlussrede 2005 vor den Absolventen des Kenyon College hielt, ist, dass die offensichtlichsten und grundlegendsten Tatsachen des Lebens häufig die sind, die am schwierigsten zu sehen und zu besprechen sind. Ich musste an Wallaces Fischgeschichte denken, als ich für eine Forschungsstudie an der University of California, Los Angeles (UCLA), in Kindertagesstätten für kleine Kinder unterrichtete und auf der Tafel eines Vorschulklassenzimmers das Wort Atmosphäre geschrieben sah. Ich fragte die Leiterin, Gay MacDonald, ob das Wort Atmosphäre nicht über den Horizont meiner vierjährigen Schüler hinausginge. Sie aber erinnerte mich daran, dass kleine Kinder große Begriffe lernen können, wenn sie in einem angemessenen Kontext gelehrt werden. Die großen Konzepte, die sich durch ein kontemplatives Training ziehen, kann man auf einfache Weise erklären und spielerisch unterrichten, selbst wenn sie nicht der Entwicklungsphase der Kinder entsprechen. Genau wie die beiden jungen Fische in Wallaces Geschichte fröhlich in etwas herumschwimmen, das sie nicht benennen können, verkörpern Kinder fröhlich Qualitäten wie Weisheit und Mitgefühl, die sie konzeptuell noch nicht verstehen. Und viele von uns, die seit langem Meditation praktizieren, müssen bescheiden zugeben, dass so manche dieser Qualitäten auch unser eigenes konzeptuelles Verständnis übersteigen.

Meditation ähnelt in so mancher Hinsicht der Gartenarbeit, zum Beispiel darin, wie wichtig Vorbereitung ist. Der größte Fehler, den unerfahrene Gärtner machen, besteht darin, die Samen auszusäen, bevor sie den Boden vorbereitet haben. Genauso wie es ausdauernde körperliche Anstrengung erfordert, vor dem Pflanzen Steine aus den Gartenbeeten zu entfernen, erfordert es ausdauernde geistige Anstrengung, Muster in Gedanken und Verhaltensweisen freizulegen, die Leiden verursachen. Und sogar noch mehr ausdauernde Anstrengung ist erforderlich, um etwas an ihnen zu ändern. Die Veränderung von Mustern und Verhaltensweisen erfordert eine Veränderung in unserer Haltung dem Leben gegenüber – und meistens ist das ein langer und holpriger Prozess. Das ist jedoch kein Grund zur Entmutigung. Die Kinder müssen sich nur daran erinnern, dass es hilfreicher ist, sich dieser inneren Arbeit mit zarter Hand und Sinn für Humor zu nähern, anstatt mit dem geistigen Äquivalent einer Hacke, mit der ein Gärtner Steine aus der Erde entfernt.


3

EIN OFFENER GEIST

Mein inzwischen erwachsener Sohn erzählte mir, dass die folgende Geschichte für ihn immer noch eine hilfreiche Erinnerung daran ist, dass wir nie sicher wissen können, was als Nächstes geschehen wird:

Ein Vater und sein Sohn wachen eines Morgens auf und müssen feststellen, dass ihr Pferd davongelaufen ist. Das spricht sich schnell herum, und als die Nachbarin die Neuigkeit hört, ruft sie aus: „Was für ein Pech!“ Der Bauer erwidert: „Wir werden sehen.“

Das Pferd kommt zurück und bringt einen prachtvollen Hengst mit. Die Nachbarin ruft aus: „Wie wunderbar!“ Und der Bauer sagt: „Wir werden sehen.“

Der Sohn des Bauers steigt auf den Hengst, aber das Pferd bäumt sich auf, und bei dem Versuch, es zu zügeln, wird der Sohn zu Boden geworfen. Er bricht sich ein Bein. Die Nachbarin ruft aus: „Wie schrecklich!“ Wieder antwortet der Bauer: „Wir werden sehen.“

Ein Krieg bricht aus, und die jungen Männer im Dorf werden in die Armee eingezogen, doch der Sohn des Bauern wird zurückgelassen, weil er ein gebrochenes Bein hat. Die Nachbarin beglückwünscht den Bauern, doch dieser zuckt mit den Schultern: „Wir werden sehen.“

Achtsamkeit und Meditation helfen den Kindern – und ihren Eltern ebenso –, besser mit Komplexität und Ungewissheit zurechtzukommen, so wie der Bauer in dieser Geschichte. Viele von uns empfinden dies als Erleichterung. Joseph Goldstein, zukunftsweisender amerikanischer Meditationslehrer und Mitbegründer der Insight Meditation Society, hielt einmal einen Vortrag in Los Angeles, in dem er über seinen Versuch sprach, Widersprüchlichkeiten zwischen zwei kontemplativen Denkschulen zu entwirren. Goldstein erzählte dem dicht gedrängten Publikum, er habe große Anstrengungen unternommen, um herauszufinden, welche der beiden Ansichten korrekt war, bis ihm klar geworden sei, dass nicht die eine richtig und die andere falsch sein müsse. „Also,“ sagte er, „das war eine richtige Erleichterung.“ Sieben Jahre nach diesem Vortrag schilderte er die Erleichterung des Nicht-Wissens ausführlich in einem Artikel, der auf der Website des Fernsehsenders PBS veröffentlicht ist:

Wir wissen nicht viel. Wir wissen nicht viel mehr, als wir wissen. Und es ist eine Erleichterung, unsere Anhaftung an Ansichten loszulassen, unsere Anhaftung an Meinungen, besonders über Dinge, die wir nicht wissen. Ein neues Mantra nahm langsam in meinem Kopf Gestalt an: „Wer weiß?“ Dieses Nicht-Wissen hat nichts mit Verunsicherung oder Verwirrung zu tun. Es ist vielmehr wie ein frischer Atemzug, eine Offenheit des Geistes. Nicht-Wissen bedeutet einfach, den Geist im Hinblick auf diese außerordentlich interessanten Fragen offen zu halten, auf die wir noch keine Antworten haben mögen.

Wenn ältere Kinder, insbesondere Jugendliche, sich damit anfreunden, nicht auf alles eine Antwort zu haben, kann die negative Konnotation, die Nicht-Wissen normalerweise hat, sich umkehren. Wenn sie nicht länger das Bedürfnis haben, sofort eine Antwort zu finden, sind die Kinder in der Lage, entspannter auf das zu reagieren, was geschieht. Dann sind sie empfänglicher für andere Sichtweisen und neugierig darauf, was sie wohl hinter der nächsten Ecke erwarten mag. Dasselbe gilt für Eltern. Myla Kabat-Zinn und ihr Mann Dr. Jon Kabat-Zinn sprechen in ihrem Buch über Elternschaft, Mit Kindern wachsen, über die Vorteile eines offenen Geistes. Jon Kabat-Zinn ist der Pionier der säkularen Achtsamkeitsbewegung. Er hat an der medizinischen Fakultät der Universität von Massachusetts das Programm Stressreduktion durch Achtsamkeit (Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz: MBSR) entwickelt und zahlreiche Bücher über Achtsamkeit verfasst. Er und seine Frau schreiben:

Achtsame Elternschaft beinhaltet, sich daran zu erinnern, was wirklich wichtig ist, während wir mit unseren Kindern den Aktivitäten des täglichen Lebens nachgehen. Oftmals stellen wir dann fest, dass wir uns daran erinnern müssen, was das ist, oder sogar zugeben müssen, dass wir im Augenblick keine Ahnung haben, da wir den Faden, den Sinn und die Richtung in unserem Leben so leicht verlieren. Aber sogar in den aufreibenden, manchmal schrecklichen Momenten als Eltern können wir bewusst einen Schritt zurücktreten und von vorne anfangen und uns fragen, wie zum ersten Mal und mit frischem Blick: „Was ist hier wirklich wichtig?“

Jede Erfahrung ist einzigartig, und die Ursachen und Umstände, die einen jeden Moment hervorbringen, sind unzählig. Selbst wenn die Kinder eine Erfahrung aus allen erdenklichen Blickwinkeln betrachten, so gut es ihnen möglich ist, können sie niemals alle Perspektiven erfassen. In seinem Buch Rückkehr zur Menschlichkeit weist der Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt Tibets, darauf hin, dass wir nie das gesamte Bild sehen, egal, wie sehr wir uns auch bemühen. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was er damit meint, nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, um über das erstaunliche Netz sich verändernder Ursachen und Umstände nachzudenken, die diesen Moment hervorgebracht haben. Wären Ihre Eltern sich nie begegnet, wären Sie nicht geboren worden. Wären Ihre Großeltern sich nicht begegnet, hätten Ihre Eltern nicht das Licht der Welt erblickt – und Sie wären ebenso wenig hier. Generation um Generation sind Ihre Vorfahren sich begegnet und haben ein Kind bekommen, das zu einem von unzähligen Verbindungsgliedern in einer Reihe von kausalen Zusammenhängen wurde, die es schließlich möglich macht, dass Sie jetzt dieses Buch lesen. Falls Sie nicht zufällig mit mir blutsverwandt sind, bestehe ich aus Ursachen und Umständen, die einem völlig anderen Stammbaum als dem Ihren entspringen. Wenn nicht all meine Vorfahren gelebt, geliebt und Kinder bekommen hätten, könnten Sie dieses Buch nicht lesen, weil ich nicht hier wäre, um es zu schreiben. Ganz egal, ob Sie und ich nun aufgrund eines göttlichen Planes, eines zufälligen Glückstreffers oder irgendetwas dazwischen hier sind – unser Planet, mit allem und allen sich darauf Befindenden, ist ein sich permanent veränderndes, miteinander verbundenes und mysteriöses Puzzle. Der Dalai Lama findet im Hinblick auf diese potenziell überwältigenden Gedanken tröstliche Worte und sagt, dass die menschliche Urteilsfähigkeit immer unvollständig bleibt, egal, wie sehr wir uns auch bemühen. Falls wir nicht gerade hellsichtig oder allwissend sind – wie Buddha oder Gott –, würden wir nie das vollständige Bild sehen und niemals alle Ursachen kennen, die eine jede beliebige Situation bedingt haben. Genauso wenig könnten wir alle Konsequenzen unserer Handlungen voraussehen. Es würde immer irgendeinen Unsicherheitsfaktor geben. Es sei daher wichtig, dies anzuerkennen, aber wir sollten uns keine Sorgen darüber machen. Noch weniger sollte es uns veranlassen, am Wert rationaler Beurteilung zu zweifeln. Stattdessen sollte es unsere Handlungen durch angemessene Bescheidenheit und Vorsicht mäßigen. Und dass wir eine Antwort nicht kennen, könnte zugegebenermaßen manchmal auch sehr hilfreich sein.

Selbst für kleine Kinder, die das wahnwitzige Geflecht von Ursachen und Umständen, die einen jeden Moment hervorbringen, noch nicht verstehen können, ist die Ungewissheit weniger bedrohlich, wenn sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sie nicht auf alle Fragen eine Antwort haben müssen. In Annaka Harris’ Bilderbuch I Wonder, mit Illustrationen von John Rowe, gehen Eva und ihre Mutter in einer mondhellen Nacht durch den Wald. Als die Mutter Eva etwas fragt, ist Eva verlegen, weil sie die Antwort nicht weiß. Doch die Mutter beruhigt Eva: „Es ist in Ordnung, ‚ich weiß nicht‘, zu sagen.“ Schließlich wissen auch Eltern nicht auf alle Fragen eine Antwort. Ermutigt durch ihr neu entdecktes Selbstvertrauen, lässt Eva ihrer Kreativität freien Lauf und stellt eine Frage nach der anderen: „Wie machen der Mond und die Sonne das, dass sie nahe beieinander bleiben?“ – „Sind sie Freunde?“ – „Wo war der Schmetterling, bevor er mich besuchen kam?“ Anstatt sich angesichts der Ungewissheit schlecht zu fühlen, findet Eva die Geheimnisse des Lebens, die sie mit ihrer Mutter gemeinsam erkunden kann, nun aufregend.

Im folgenden Spiel dürfen jüngere Kinder raten, was sich in einer mysteriös aussehenden Kiste befindet. Die geheimnisvolle Kiste ist ein spielerisches Sprungbrett in Gespräche darüber, wie es ist, etwas Neues zu beginnen, die Antwort auf eine Frage nicht zu kennen und nicht zu wissen, was als Nächstes geschehen wird. Zur Vorbereitung füllen Sie die geheimnisvolle Kiste mit kleinen Gegenständen, so dass die Kinder es nicht sehen, und platzieren die geschlossene Kiste dann in nicht allzu weiter Distanz vor den Kindern.

Die geheimnisvolle Kiste

Wir raten, was sich in einer geheimnisvollen Kiste befindet, und nehmen wahr, wie es sich anfühlt, wenn uns eine Frage gestellt wird und wir die Antwort nicht kennen.

LEBENSKOMPETENZEN:ZIELALTER:
Wahrnehmen, umdeutenJüngere Kinder

SPIELANLEITUNG

1. Lasst uns raten, was in der geheimnisvollen Kiste ist. Hören Sie sich die Vermutungen der Kinder an.

2. Gesprächsthemen: Wie fühlt es sich an, nicht zu wissen, was in der Kiste ist?

Fühlt ihr euch aufgeregt? Frustriert? Oder anders?

3. Nehmt die Kiste und befühlt sie, schaut sie euch an und schüttelt sie – aber öffnet sie nicht. Habt ihr noch mehr Vermutungen darüber, was sich in ihrem Inneren befinden könnte?

Hören Sie sich die Vermutungen der Kinder an.

4. Lasst sie uns öffnen und nachsehen.

5. Gesprächsthemen: Wie fühlt es sich an, wenn ihr nicht wisst, was als Nächstes geschehen wird? Probiert ihr gerne neue Sachen aus oder möchtet ihr lieber nichts Neues ausprobieren? Wie ist es, mit einer Sache zu rechnen, dann aber eine andere vorzufinden? Wie fühlt ihr euch, wenn ihr auf etwas warten müsst (darauf, ein Geschenk aufzumachen, einen Freund zu Hause zu besuchen oder mit dem Schaukeln an der Reihe zu sein)?

TIPPS

1. Vorschläge für den Inhalt der Kiste: Büroklammern, Blumen, Luftballons, Legosteine oder Radiergummis.

2. Bei sehr kleinen Kindern ist es sinnvoll, ihnen Beispiele von Dingen zu nennen, die sich in der Kiste befinden könnten, bevor sie zu raten anfangen.

3. Lassen Sie die Kinder sich dabei abwechseln, etwas in die Kiste zu legen, während die anderen raten.


Das große Bild erinnert ältere Kinder und Jugendliche daran, dass sie zwar Nachforschungen anstellen und alles, was sie in Erfahrung gebracht haben, abwägen können, bevor sie zu einer Schlussfolgerung kommen, aber mitunter trotzdem noch nicht genügend Informationen haben, um eine Frage richtig zu beantworten. Es ist hilfreich, den Kindern vor dem Spiel das folgende Bild zu zeigen, auf dem einige Menschen mit geschlossenen Augen verschiedene Teile eines Elefanten berühren.

Das große Bild

Wir stellen uns vor, wie es wäre, wenn wir raten, um was es sich bei einer Sache handelt, indem wir nur einen Teil davon mit geschlossenen Augen berühren. Wir lernen dabei, dass das, was wir glauben, von den Informationen abhängt, die wir haben.

LEBENSKOMPETENZEN:ZIELALTER:
Wahrnehmen, umdeutenÄltere Kinder, Jugendliche (mit einer Modifikation für jüngere Kinder)

GESPRÄCHSANLEITUNG

1. Was wäre, wenn ihr einen Teil eines Elefanten mit geschlossenen Augen berühren und raten solltet, was ihr da berührt? Könntet ihr es erraten?

• Wenn ihr nur den Rüssel des Elefanten berühren würdet, was würdet ihr denken, worum es sich handelt? (Tipp: Der Rüssel des Elefanten ist lang und rund wie eine Schlange oder ein Schlauch.)

• Wenn ihr nur ein Bein des Elefanten berühren würdet, was würdet ihr denken, worum es sich handelt? (Tipp: Das Bein des Elefanten ist groß und rund wie ein Baumstamm.)

• Wenn ihr nur einen Stoßzahn des Elefanten berühren würdet, was würdet ihr denken, worum es sich handelt? (Tipp: Der Stoßzahn des Elefanten ist scharf wie ein Messer.)

• Wenn ihr nur das Ohr des Elefanten berühren würdet, was würdet ihr denken, worum es sich handelt? (Tipp: Das Ohr des Elefanten ist dünn und breit wie ein Fächer.)

2. Gesprächsthemen: Erzählt eine Geschichte über eine Situation, in der ihr jemanden missverstanden habt, weil ihr nicht alle Informationen hattet. Erzählt eine Geschichte über eine Situation, in der jemand euch missverstanden hat, weil er oder sie nicht die ganze Geschichte kannte.

TIPPS

1. Wandeln Sie Das große Bild für jüngere Kinder etwas ab, indem Sie ein großes Kuscheltier in einiger Entfernung vor sie hinsetzen. Lassen Sie sie dann raten, um was für ein Tier es sich handelt, indem sie die Augen schließen und nur einen Teil des Kuscheltiers berühren (ein Bein, ein Ohr, den runden Bauch). Wenn Sie vermuten, dass es den Kindern in der Aufregung schwerfallen wird, die Augen geschlossen zu halten, können sie eine Augenbinde verwenden (wie in dem Spiel „Dem Esel den Schwanz anheften“).

Natürlich ist es schwer zu erraten, was man gerade berührt, wenn man das größere Bild nicht sehen kann. Was aber, wenn die Kinder zwar das größere Bild sehen können, sich aber nicht einig sind, was es ist? Muss das eine Kind Recht und das andere Unrecht haben? Oder ist es möglich, dass manche Dinge mehrere Dinge gleichzeitig sind? Das finden die Kinder in dem Spiel Ente oder Kaninchen? heraus, einem Spiel, das auf einer berühmten optischen Illusion basiert, die man entweder als Ente oder Kaninchen deuten kann, nicht aber als beides gleichzeitig. Diese mehrdeutige Zeichnung wurde erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts von dem amerikanischen Psychologen Joseph Jastrow verwendet. In philosophischen Kreisen ist sie durch die Arbeit des österreichisch-britischen Philosophen Ludwig Wittgenstein weithin bekannt. Für das folgende Spiel können Sie die Enten-/ Kaninchenzeichnung verwenden, die im Anhang abgedruckt ist.

Ente oder Kaninchen?

Wir betrachten eine Zeichnung, die sowohl wie eine Ente als auch wie ein Kaninchen aussieht, um besser zu verstehen, wie einige Dinge mehr als nur eine Sache sein können.

LEBENSKOMPETENZEN:ZIELALTER:
Wahrnehmen, umdeutenJedes Alter

GESPRÄCHSANLEITUNG

1. Lasst uns gemeinsam die Zeichnung betrachten.

Zeigen Sie allen die Illustration.

2. Ist es eine Ente oder ein Kaninchen?

Warten Sie auf die Antworten der Kinder und äußern Sie dann ebenfalls Ihre Vermutung. (Falls entweder die Ente oder das Kaninchen von niemandem gewählt wurde, wählen Sie dieses Tier und erklären Sie den Kindern, wie man auch dieses Tier in der Zeichnung sehen kann.)

3. Schaut noch einmal hin und seht, ob es für euch jetzt anders aussieht. Was denkt ihr? Ist es eine Ente oder ein Kaninchen?

4. Wer hat Recht, wer hat Unrecht?

5. Lasst uns die Zeichnung noch einmal betrachten. Wie sieht sie jetzt aus? Habt ihr eure Meinung geändert?

6. Gesprächsthemen: Denkt ihr, dass die Zeichnung in Wirklichkeit entweder eine Ente oder ein Kaninchen sein soll? Könnte sie auch beides sein?


TIPPS

1. Amy Krouse Rosenthal und Tom Lichtenheld haben ein originelles Bilderbuch herausgegeben, das auf der Enten-/Kaninchenzeichnung basiert. Sie können es mit den Kindern anschauen und so das Gespräch über diese Themen noch erweitern.

Das folgende Spiel, bei dem die Kinder mit Handzeichen auf Fragen antworten, zeigt, dass Komplexität und Widerspruch überall existieren, sogar bei den alltäglichsten Vorkommnissen.

Die kleine Fingeranzeige

Wir zeigen mit dem kleinen Finger nach oben, nach unten oder zur Seite, um auf diese Weise besser wahrzunehmen, wie wir uns fühlen, und dies anderen mitzuteilen.

LEBENSKOMPETENZEN:ZIELALTER:
Wahrnehmen, umdeutenJedes Alter

SPIELANLEITUNG

1. Wir können viele verschiedene Gefühle haben – manchmal sind wir glücklich, manchmal traurig, manchmal müde, manchmal aufgeregt – und all diese sind ganz normale Gefühle. Es gibt keine richtigen oder falschen Gefühle und unsere Gefühle ändern sich. Wir fühlen uns vermutlich jetzt anders, als wir es heute Morgen taten, und später am Tag werden wir uns anders fühlen, als wir es jetzt tun. Manchmal fühlen wir uns genauso wie jemand anderes und manchmal fühlen wir uns anders – und beides ist in Ordnung.

2. Nehmt einen Atemzug, und nehmt wahr, wie ihr euch im Augenblick fühlt.

3. Ich stelle eine Frage, und ihr alle gebt eure Antwort zur gleichen Zeit, indem ihr sie mit dem kleinen Finger anzeigt, wenn ich „1–2- 3-los“ sage.

4. Die Frage lautet: „Ist es jetzt gerade einfach oder schwierig, still zu sitzen?“ Wenn es einfach ist, zeigt mit dem kleinen Finger zum Boden; wenn es schwierig ist, zeigt mit dem kleinen Finger zum Himmel; und wenn es irgendetwas dazwischen ist, zeigt mit dem kleinen Finger zur Seite. 1–2-3-los.

5. Behaltet den kleinen Finger noch in der Luft, damit wir alle sehen können, wie jeder von euch sich im Augenblick fühlt. Erinnert euch daran, dass es keine richtige oder falsche Antwort gibt. Interessant!

Stellen Sie weitere Fragen, solange die Kinder bei der Sache sind.

TIPPS

1. Die kleine Fingeranzeige ist eine vergnügliche und effiziente Art, logistische Fragen zu klären („Wer möchte eine Pause machen?“), aber meistens nutzen wir sie, um herauszufinden, wie die Kinder sich im Moment fühlen. Mögliche Fragen sind hier: „Habt ihr viel Energie oder seid ihr müde? Fühlt ihr euch ruhig oder aufgeregt? Fühlt ihr euch entspannt oder angespannt?“

2. Wenn die Kinder den kleinen Finger in die Luft halten und sich umschauen, sehen sie, wie die anderen die gleiche Frage beantwortet haben. Es wird verschiedene Antworten geben, und für einige Kinder ist es ein wahrer Augenöffner, wenn sie erfahren, dass nicht alle ihrer Meinung sind. Andererseits tut es Kindern, die sich nicht zur Gruppe zugehörig fühlen, oft gut, wenn sie sehen, dass andere eine Frage genauso beantworten wie sie selbst.

3. Um die positive oder negative Assoziation mit bestimmten Handgesten zu verringern, ändern Sie die Bedeutung des nach oben, unten oder zur Seite zeigenden kleinen Fingers. Wenn der kleine Finger nach oben „schwierig, still zu sitzen“ bedeutet, ändern Sie die Richtung, so dass in der nächsten Runde der kleine Finger nach oben „einfach, still zu sitzen“ bedeutet. Dieses untergräbt die reflexhaften Urteile, die häufig mit den Antworten einhergehen (beispielsweise: Ärger ist schlecht, Dankbarkeit ist gut) und schafft ein Umfeld, in dem die Kinder mit einem offenen Geist beobachten können, was in ihrer inneren und äußeren Welt vor sich geht.

4. Gelegentlich schreckt der Name Die kleine Fingeranzeige ältere Kinder und Jugendliche ab. Sie können das Spiel in diesem Fall stattdessen auch Das Daumen-Spiel nennen und die Kinder bitten, die Fragen mit dem Daumen nach oben, dem Daumen nach unten oder dem Daumen zur Seite zu beantworten.

Der Geist ist voller vielfältiger und mitunter widersprüchlicher Gedanken, Gefühle und Überzeugungen. In dem Bemühen, das, was in ihnen und um sie herum vor sich geht, zu verstehen und zu lenken, kann es allerdings passieren, dass die Kinder ihre Erfahrungen allzu sehr vereinfachen. Kinder (und Eltern) neigen dazu, Aspekte ihrer inneren Welt in Schubladen zu stecken, indem sie sie als schwarz oder weiß, gut oder schlecht, richtig oder falsch, Ente oder Kaninchen bezeichnen. Und das, was in ihrer Umgebung geschieht, kategorisieren sie oft gleichermaßen. Aber das Leben ist viel zu komplex für diese Art des binären Denkens, und im Allgemeinen passen unsere Lebenserfahrungen nicht in solch klare Kategorien. Mittels der Lebenskompetenzen wahrnehmen und umdeuten lernen die Kinder und Jugendlichen, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen und nicht reflexhaft zu urteilen. Stattdessen lernen sie, mit einem offenen Geist eine Erfahrung als das Wunder, das sie ist, und in ihrer ganzen Komplexität zu sehen. F. Scott Fitzgerald charakterisiert geistige Offenheit in einem bekannten Spruch: „Die wahre Prüfung einer erstklassigen Intelligenz ist die Fähigkeit, zwei gegensätzliche Ideen im Kopf zu behalten und weiter zu funktionieren.“

Achtsamkeit und Meditation helfen den Kindern, genau das zu lernen. Die jungen Meditierenden entdecken, dass selbst Gegenteile voneinander abhängig sein können und dass man an beide gleichzeitig denken kann, wie etwa an Yin und Yang, Käufer und Verkäufer, Lehrer und Schüler oder Eltern und Kinder.


Achtsame Spiele

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