Читать книгу Achtsame Spiele - Susan Kaiser Greenland - Страница 7
ОглавлениеEINLEITUNG
Meditation sieht so leicht aus. Was kann daran, auf einem Kissen zu sitzen und nichts zu tun, schon besonders schwer sein? Nun, als ich zu meditieren anfing, fühlte ich mich an eine russische Schachtelpuppe erinnert: Man öffnet sie, findet in ihrem Inneren eine weitere Puppe, die ganz genauso aussieht, nur kleiner ist, und dann noch eine und noch eine, bis schließlich die kleinste Puppe zum Vorschein kommt. Es kam mir so vor, als gäbe es Schichten über Schichten von Theorien, die ich zuerst verstehen musste, bevor ich wirklich praktizieren konnte. Freunde und Kollegen hatten mir einige Bücher empfohlen, und ich mühte mich damit ab, die verschiedenen Methoden und Begrifflichkeiten zu verstehen; die Fülle an Konzepten und Techniken schien schier endlos zu sein. Aber ich blieb dran und nach und nach wandelte sich meine Meditationspraxis immer mehr von einem Ringen zu einer Atempause. Irgendwann hatte ich schließlich die kleinste Puppe in der Hand. Ich habe dieses Buch in der Hoffnung geschrieben, es möge es anderen Eltern leichter machen als mir damals, diese Konzepte zu verstehen, und sie einfach genug darzustellen, um sie mit Kindern teilen zu können.
Eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Forschungsarbeiten belegt, was Meditierende bereits seit Jahrhunderten wissen: Achtsamkeit und Meditation fördern eine Reihe von Lebenskompetenzen, die Kindern genauso wie Erwachsenen ermöglichen, dem, was in ihrem Inneren und in ihrem Umfeld geschieht, mit mehr Weisheit und Mitgefühl zu begegnen. Die hier vorgestellten achtsamen Spiele lehren sechs solcher Lebenskompetenzen: sich konzentrieren, zur Ruhe kommen, wahrnehmen, umdeuten (orig.: reframing), sich kümmern, sich verbinden. Ich stelle sie in einem Kreis dar, in dessen Mitte sich konzentrieren steht, da stabile, flexible Aufmerksamkeit die anderen fünf Kompetenzen befördert.
So wirken sie zusammen:
Wenn die Kinder und Jugendlichen sich auf eine Erfahrung in der Gegenwart konzentrieren (etwa darauf, die Atmung zu spüren oder die Geräusche im Raum zu hören), kommt ihr Geist zur Ruhe und in ihrem Kopf entsteht neuer Raum, so dass sie klarer wahrnehmen können, was gerade vor sich geht. Während sie sich bewusst werden, was in ihrem Geist und in ihrem Körper geschieht, lernen die Kinder Sinneseindrücke („Ich fühle mich unruhig“ oder „Ich habe Schmetterlinge im Bauch“) zum Anlass zu nehmen, innezuhalten und zu reflektieren, bevor sie sprechen oder handeln. Durch diesen Prozess sind sie weniger reaktiv und werden sich zunehmend dessen gewahr, was in ihrem Inneren und um sie herum geschieht. Statt auf mögliche Resultate konzentrieren sie sich darauf, weise und mitfühlend auf die Situation zu reagieren. Die Qualitäten sich kümmern und sich verbinden tauchen von selbst auf, wenn die Kinder und Jugendlichen das Geflecht von Beziehungen, Ursachen und Bedingungen erkennen, die einen jeden Moment hervorbringen. Dann haben sie die Möglichkeit, die Situation umzudeuten, und können sich dazu entscheiden, auf eine Art zu sprechen und zu handeln, die im Einklang mit diesen Qualitäten steht. Diese sechs Lebenskompetenzen bauen aufeinander auf, so dass eine Veränderung der Aufmerksamkeit (zur Ruhe kommen, sich konzentrieren) zu einer Veränderung der Gefühle (wahrnehmen, umdeuten) führt, was wiederum zu einer Veränderung im Sprechen, Verhalten und in Beziehungen führt (sich kümmern und verbinden), eine Abfolge, die man auch in der traditionellen Meditationspraxis findet.
Über Tausende von Jahren haben Meditierende einen umfassenden Katalog zusammengestellt, der unsere inneren und äußeren Welten abbildet. Ich habe ihn auf zwei Bereiche eingegrenzt, die ich Kindern und Eltern in Spielen, Geschichten, angeleiteten Visualisierungen und Demonstrationen vorstelle. Der Kreis der sechs Lebenskompetenzen stellt den ersten Bereich dar. Der zweite umfasst universelle Themen, die eine weise und mitfühlende Haltung gegenüber dem Leben ausmachen. Diese sind:
Akzeptanz | Urteilsvermögen |
Ein offener Geist | Empathie |
Wertschätzung | Alles verändert sich |
Aufmerksamkeit | Gegenseitige Abhängigkeit |
(die Taschenlampe und das Flutlicht) | Freude |
Einstimmung | Freundlichkeit |
Zurückhaltung im Verhalten | Motivation |
Ursache und Wirkung | Geduld |
Klarheit | Gegenwärtiger Moment |
Mitgefühl | Selbstmitgefühl |
Zurückhaltung in Gedanken | Weises Selbstvertrauen |
Achtsamkeit und Meditation sind voller mysteriöser Qualitäten. Der Versuch, das Rätsel zu lösen, indem man diese Qualitäten auf eine Aufzählung reduziert, mag diesen Punkt scheinbar völlig verfehlen. Allerdings ermutigen mich andere mysteriöse kreative Disziplinen, es dennoch zu tun. Im Jazz zum Beispiel studieren die Musiker Quintenzirkel und üben Skalen, um künstlerische Qualitäten zu entfachen, die der Improvisation zu eigen sind, sich aber jeglicher Beschreibung entziehen. Ähnlich den Jazzmusikern studieren Meditierende eine Reihe von Themen und üben Lebenskompetenzen, um jene Qualitäten zu fördern, die der Achtsamkeit und der Meditation inhärent sind, auf die man aber nur äußerst schwer den Finger legen kann. In beiden kreativen Disziplinen erkennen die Praktizierenden diese mysteriösen Qualitäten, wenn sie sie wahrnehmen, und zwar nicht etwa, weil sie sie in Worte fassen könnten, sondern weil sie sie spüren. Wie ein altes Sprichwort sagt: Weisheit und Mitgefühl sind wie die zwei Flügel eines Vogels – wir brauchen beide, damit wir fliegen können.
Die konzeptuellen Themen und die praktischen Lebenskompetenzen, die man durch Achtsamkeit und Meditation lernt, fördern Weisheit und Mitgefühl. Gemeinsam können sie eine emotionale Freiheit bewirken, die Kindern und Familien im besten Fall hilft, durch die Turbulenzen des Lebens zu segeln, so wie ein Vogel abhebt und durch den Himmel segelt.
Das, was ich an achtsamen Spielen vielleicht am meisten mag, ist, dass sie Eltern und Kindern eine einzigartige Gelegenheit zum gemeinsamen Lehren und Lernen bieten. Wenig überraschend berichten viele Eltern, dass die für Kinder konzipierten Aktivitäten ihnen einen Weg in die Meditation ebnen, der ihnen bislang nicht zugänglich war. Was mich zu einem wichtigen Punkt führt: Unsere eigene Achtsamkeit hat einen starken Effekt auf alle anderen Menschen in unserem Leben, und als Eltern natürlich besonders auf unsere Kinder. Die Kinder spüren, wenn wir ruhig, gesammelt und fröhlich sind, und sie lernen an unserem Beispiel. Die Art, wie wir durchs Leben gehen, wirkt sich unmittelbar darauf aus, wie sicher sie sich fühlen und wie sie selbst sich durch die Welt bewegen. Deshalb möchte ich alle Erwachsenen dazu anregen, sich zuerst selbst der Achtsamkeitspraxis zu widmen, indem sie über die Themen in diesem Buch nachdenken und die Spiele selbst spielen, bevor sie das mit ihren Kindern tun.
Die achtsamen Spiele wurden zwar für junge Menschen entworfen, doch lassen Sie sich davon nicht in die Irre führen. Sie können Eltern und allen anderen Menschen, die eine bedeutsame Beziehung zu einem Kind oder Jugendlichen haben, genauso viel Spaß machen und deren Leben verändern. Liebe LehrerInnen, Therapeuten, Großeltern, Tanten, Onkel und GruppenleiterInnen: Diese Spiele sind auch für Sie. Haben Sie Lust, gleich eines auszuprobieren? Dann entspannen Sie sich und spüren Sie Ihre Füße.
Hallo Füße, wie geht es euch?
Wir richten unsere Aufmerksamkeit darauf, unsere Fußsohlen auf dem Boden zu spüren, um uns auf diese Weise zu entspannen, zu konzentrieren und uns dessen bewusst zu werden, was in diesem Moment geschieht.
LEBENSKOMPETENZEN: | ZIELALTER: |
Sich konzentrieren, sich kümmern | Jedes Alter |
SPIELANLEITUNG
1. Setzt oder stellt euch hin. Haltet den Rücken gerade und den Körper entspannt. Atmet ganz natürlich und nehmt wahr, was in eurem Körper und in eurem Geist in diesem Augenblick geschieht.
2. Haltet euren Körper entspannt. Falls ihr steht, haltet die Knie locker.
3. Bringt eure Aufmerksamkeit jetzt in eure Fußsohlen, und nehmt wahr, wie sich der Kontakt zum Boden anfühlt. Lasst die Gedanken und Gefühle, die durch euren Geist ziehen, kommen und gehen.
4. Spürt ihr eure Füße jetzt gerade? Falls nicht, macht euch keine Sorgen. Es ist ganz normal, dass euer Geist umherschweift. Bringt eure Aufmerksamkeit einfach zurück zu euren Fußsohlen und fangt noch einmal ein.
TIPPS
1. Sich auf eine Empfindung zu konzentrieren, wie zum Beispiel in diesem Spiel, hilft den Kindern, sich zu beruhigen, wenn sie sehr aufgeregt oder wütend sind.
2. Variieren Sie die körperlichen Empfindungen, die die Kinder wahrnehmen sollen. Bitten Sie die Kinder zum Beispiel, die kühle Türklinke in ihrer Handfläche zu spüren, wenn sie die Tür öffnen, das warme Wasser und den Seifenschaum, wenn sie ihre Hände waschen, oder die weiche Wolle an ihren Knöcheln und Füßen, wenn sie ihre Socken anziehen.
3. Wichtiger als die Dauer der achtsamen Spiele ist, dass man sie immer wieder spielt, insbesondere am Anfang.