Читать книгу Die Kussagentur - Susanne Fülscher - Страница 7
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Der Schuppen ist nicht nur ideal, er ist geradezu fantastisch. Durch zwei kleine quadratische Fenster fällt genügend Licht, um nicht in Verdacht zu geraten, illegale Drogengeschäfte zu betreiben (das würde Mama gar nicht gefallen), außerdem gibt es genügend Platz, um alle Sachen auf einem Tapezier-, sprich Verkaufstisch, auszubreiten. Einziger Nachteil: Es mufft ein wenig nach Schimmel, was sich vielleicht ungünstig auf die Klamotten auswirken könnte.
Junko schreitet wie eine Königin durch den Schuppen und ruft in einem fort: »Genial! Genial! Absolut genial!«
Das finde ich auch – besonders wenn ich daran denke, dass ich das Geld für den Strandkorb bereits so gut wie in der Tasche habe.
Ein gelber Zettel pinnt an einer der Plastiktüten. Nehmt euch einfach, was ihr braucht. Sanne. Ein glücklicher Zufall nach dem anderen – das Leben meint es wirklich gut mit uns.
Neugierig kippen wir die Tüten auf dem Tapeziertisch aus und sichten die Kleidungsstücke, alles schrille und reichlich bunte Originale aus den siebziger, achtziger und neunziger Jahren, die meisten in Größe 36 und 38. Kaum vorstellbar, dass Sanne da mal hineingepasst hat. Heute trägt sie 44 aufwärts, bloß dezente Farben von Schwarz über Dunkelblau bis Beige. Nur ihre widerspenstigen roten Locken erinnern noch an ihre vermutlich ziemlich wilde Vergangenheit.
Unter anderem gibt es:
– schreibunt geblümte Leggins
– eine quittengelbe Röhrenhose mit hohem Bund
– einen giftgrünen Pullover mit V-Ausschnitt, der bis zum Nabel reicht
– einen schwarzen Mantel mit gigantischen Schulterpolstern und pinkfarbenem Futter
– hellblaue Röhrenjeans
– ein Sweatshirt mit Charlie-Brown-Aufdruck, das ich mir sofort unter den Nagel reiße.
Junko ergattert sich das Pendant dazu, ein Sweatshirt mit einem aufgedruckten Snoopy, und spontan beschließen wir, dass dies unsere Arbeitskleidung sein wird, sozusagen die Uniform.
»Wir brauchen dringend einen Namen für die Agentur«, meint Junko.
»Und Werbezettel«, ergänze ich. »Die verteilen wir dann überall in der Schule.«
Junko nickt und scheint in einer Flut überaus wichtiger Gedanken zu versinken.
»Was ist mit einem Vertrag? Zwischen uns, meine ich. Rechte und Pflichten ...«
»Aber wir sind Freundinnen! Wozu brauchen wir da einen Vertrag?« Manchmal hat Junko wirklich seltsame Anwandlungen.
»Man hat schon Pferde kotzen sehen«, erwidert sie daraufhin und sieht mich so komisch an, als könnte ich möglicherweise eines Tages zu der Gattung kotzendes Pferd gehören. Also halte ich lieber den Mund, denke mir allerdings meinen Teil: dass ein Vertrag zwar nicht schaden kann, ich ihn unter besten Freundinnen jedoch völlig überflüssig finde.
Um besser überlegen zu können, wechseln wir in die Eisdiele in der Fußgängerzone.
Vertrag zwischen Effi Meyer und Junko Iwaki, schreibt Junko, nachdem sie ihren Eisbecher in rasender Geschwindigkeit vertilgt hat.
Punkt 1) Die Agentur ist unser gemeinsames Baby. Mitgehangen, mitgefangen.
Ich schiele ihr über die Schulter. »Mitgehangen, mitgefangen – was soll das heißen?«
»Dass niemand von uns einfach so aussteigen kann.«
»Von mir aus«, sage ich schulterzuckend.
Punkt 1b) Die Agentur kann nur in gemeinsamer Absprache aufgelöst werden.
Punkt 2) Der Gewinn wird schwesterlich unter den Agenturchefinnen aufgeteilt.
Punkt 3) Vertragsbruch steht unter Todesstrafe.
»Sehr witzig.« Ich reiße Junko den Stift aus der Hand und streiche die erste Hälfte des Wortes Todesstrafe durch. Wobei mir allerdings nicht klar ist, warum es überhaupt so etwas wie eine Strafe geben muss, falls eine von uns beiden – aus welchen Gründen auch immer – von der Agentur genug haben sollte.
Jetzt kommt Leben in Junko. »Stell dir vor, dir fehlen bloß noch fünf Kröten zu deinem Strandkorb und dann – puff! – steige ich einfach aus!« Sie wedelt mit dem Sonnenschirmchen, das Mario in ihren Eisbecher gesteckt hat. »Du würdest mich bis zu deinem Lebensende hassen und verfluchen!«
Da mag Junko schon Recht haben, andererseits sind ihr Computer mit Flachbildschirm und die Badekabine wesentlich teurer als mein Strandkorb, was bedeutet, dass ich vermutlich bis zu meinem Lebensende nicht mehr aus dem Vertrag rauskommen werde. Also füge ich als Zusatz zu Punkt 3) an: Nachdem eine Summe von insgesamt 500 Euro erwirtschaftet worden ist, darf der Vertrag kommentarlos gekündigt werden.
Junko zieht die Augenbrauen hoch. »Ach ja? Warum denn?«
» Weil ich nicht für immer und ewig deine Sklavin sein will!«
Ich muss Junko noch eine ganze Weile bearbeiten, bis sie endlich – wenn auch zähneknirschend – einlenkt und mir ein hastiges okay, okay ins Ohr spuckt.
Dann rückt sie ein Stück von mir ab, um ihre rattenscharfe Denkerbrille zurechtzuschieben. »Aber wenn nicht Todesstrafe, was dann für eine Strafe?«
» Weiß nicht.« In einiger Entfernung flattert eine Taube vorbei. Wahrscheinlich eine liebeskranke, die sich gleich vor einen Bus schmeißen wird. »Ich will dich gar nicht bestrafen. Wozu auch?«
Ich sage das ganz ernst und meine es auch so. Immerhin ist Junko meine beste Freundin, warum sollte ich ihr also etwas Böses wollen?
Junko steckt mir daraufhin lächelnd ihren Eisschirm in die Haare und streicht kurzerhand Punkt 3). Somit bleiben Punkt 1), Punkt 1b), Punkt 2) und der Zusatz zu einem nicht mehr existierenden Punkt 3), doch da wir beide zu faul sind, das Ganze noch einmal sauber abzuschreiben, setzen wir rasch unsere Unterschriften unter das Dokument.
»Und jetzt der Agenturname«, sagt Junko mit zerknautschtem Hundefalten-Gesicht. »Also: Er muss griffig sein, lautmalerisch klingen, gut zu lesen sein und vor allem Lust aufs Einkaufen machen.«
Wenn ich ehrlich bin, nervt es mich manchmal, dass Junko bei allem, was wir tun und lassen, die Zügel in der Hand behalten muss. Sie schlägt vor, sie bestimmt und selbstverständlich entscheidet sie auch, als wäre sie die Chefin und ich nur ihre dusselige Angestellte, ihre Sklavin, die ausführt, was sie gerade wieder mal in ihrem genialen Hirn ausgebrütet hat. Um nicht ganz so dumm und geistlos dazustehen, nenne ich das Erstbeste, was mir einfällt: Die Klamotte, Alt macht neu, Junko, Effi & Co, aber Junko winkt nur müde ab. Ihre Augen blitzen nicht mal andeutungsweise vor Begeisterung.
»Dann schlag du doch was vor!«, fahre ich sie beleidigt an.
Es zuckt kurz um Junkos Mundwinkel, sie nimmt ihre Denkerbrille von der Nase, kaut an den Bügeln herum, doch auch ihr scheint nichts Brillantes einzufallen. Hah!, mache ich befriedigt, allerdings nur in Gedanken. Junko soll schließlich nicht mitkriegen, dass mich ihre momentane Gehirnleere geradezu entzückt. Immerhin geht es um die Agentur, um unser gemeinsames Baby, da sind Neid und Missgunst völlig fehl am Platz.
»Ich brauche unbedingt noch ein Eis. Sonst ...«
Schon hüpft Junko leichtfüßig zur Eisdiele, ich bleibe derweil sitzen und schaue in den knallblauen Himmel. Eine Wolke in Form einer Kuh mit Glubschaugen zieht vorüber, dann ein Engel in einem irrsinnig scharfen Minikleid. Als Junko kurz darauf an ihrem zweiten Eis schleckend zurückkommt, saust auf einmal ein genialer Gedanke durch meinen Kopf.
»Unsere Agentur heißt Trendy!« Sofort kritzele ich das Wort in riesigen Lettern auf ein Blatt Papier. »T – r – e – n – d – y!«
Junkos Zunge scheint einen Moment am Eis festzukleben, dann lächelt sie mich an und sagt: »Das ist gut! Richtig gut!«
Na also. Auch mir sei mal ein Geistesblitz gegönnt.
Doch kaum hat Junko es sich wieder bequem gemacht, grabscht sie mit der freien Hand nach dem Zettel und beginnt die verrücktesten Buchstabenkombinationen auszuprobieren. Eis tropft dabei auf den Tisch, auf ihre Hand, aber das scheint ihr egal zu sein, dann streicht sie alles bis auf unseren Vertrag durch und malt in fetten Lettern das Wort TRÄNDII aufs Papier.
»Wie findest du das? Sieht doch viel besser aus, oder?«
Ich zucke nur die Achseln. Verstehe nicht so ganz, warum Junko das Wort nun unbedingt anders beziehungsweise falsch schreiben muss.
»TRÄNDII ist cool! Abgefahren! Scharf gewürzt! Verstehst du?«
Da ich immer noch nichts sage, fügt sie ernsthaft hinzu: »Also ich würde jedenfalls eher bei einer Agentur kaufen, die TRÄNDII heißt als Trendy.«
»Klar. Weil du das Wort ja auch erfunden hast.«
»Nein, du bist die Erfinderin.« Sie knufft mich versöhnlich. »Ich hab mir nur die Schreibweise ausgedacht.«
Je mehr sich Junko anstrengt, alles geradezubiegen, desto eingeschnappter werde ich.
»Also gut ...« Junko öffnet ihren Mund sperrangelweit und lässt die Eiswaffel fast komplett in ihrem Schlund verschwinden. Nachdem sie zu Ende gekaut hat – und das dauert eine ganze Weile –, erklärt sie: »Dafür darfst du den Text für die Flugblätter ganz allein entwerfen. Ich werde mich nicht einmischen und auch nichts kritisieren. «
Na toll. Jetzt soll ich auch noch die Drecksarbeit machen. Aber da hat sich Madame gehörig geschnitten.
»Gegenvorschlag«, erwidere ich lässig. »Diejenige, die die Schreibweise der Agentur erfunden hat, muss auch das Flugblatt aufsetzen.«
Junko zieht eine unsichtbare (nur für Insider erkennbare) Schnute, nickt dann aber.
Zum Glück.
Ein kleiner Triumph, wenigstens mal für ein paar Sekunden an diesem Tag Chefin zu sein.