Читать книгу Die Kussagentur - Susanne Fülscher - Страница 9

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Auch die restliche Woche passiert nichts, was uns zu Stürmen der Begeisterung hinreißt.

Am nächsten Tag stehen zwar ein paar Mädchen aus der Neun auf der Matte, kreischend und kichernd probieren sie alles durch, indem sie radikal unseren Gummibärchen- und Lakritzbestand verkleinern, doch am Ende investieren sie nicht mal einen müden Cent. Typisch. Freitag kurz vor Ladenschluss – Junko und ich können es kaum glauben – fallen sogar ein paar Jungs aus unserer Klasse ein, allerdings nur, um zu gaffen und blöde Kommentare abzugeben.

Klamotten, bäh ... Typischer Weiberkram ... Warum wir stattdessen nicht unsere Liebesdienste anbieten würden, da hätten sie dann wenigstens auch was davon, lach, lach ...

»Liebesdienste, die spinnen ja wohl !«, schimpfe ich später beim Aufräumen. »Nicht für eine Million Dollar würde ich einen von denen anfassen.«

Junko stiert auf das T-Shirt in ihrer rechten Hand. »Aber irgendwie haben sie doch auch Recht. Mit den Klamotten werden wir uns jedenfalls keine Strandkörbe und Strandkabinen zusammenverdienen.«

Ermattet lasse ich mich auf meinen Campingstuhl fallen. »Und jetzt?«

»Keinen Schimmer. Echt nicht. Pfff ...«

Da es inzwischen nieselt, holt auch Junko ihren Campingstuhl in den Schuppen und fläzt sich hinein, indem sie ihre Füße auf dem Tapeziertisch ablegt. Mitten auf dem Abendkleid, so als wäre ihr inzwischen schon alles piepegal.

»Liebesdienste, Liebesdienste ...«, murmelt sie wie eine geheime Beschwörungsformel vor sich hin.

»Du willst doch nicht allen Ernstes mit diesen Pappnasen für Geld ... äh ... dich geschlechtlich vereinigen !«

Mir graust schon allein bei der Vorstellung.

»Das nun nicht gerade, aber ...« Junko angelt sich das letzte Gummibärchen aus der Tüte, wobei sie fast aus ihrem Campingstuhl purzelt. » Wofür könnten Jungs uns noch bezahlen ... wenn nicht für das eine ... wofür sie uns aber trotzdem unbedingt brauchen ... zumindest damit ihr Leben etwas rosiger aussieht ...«

»Häh?«, mache ich, weil ich wirklich nur noch Bahnhof verstehe. Bei ihren Eltern, die vor Bildung nur so strotzen, sollte sie sich wirklich ein bisschen besser ausdrücken können.

Aber Junko ist schon wieder in ihre vermutlich sehr bedeutsamen Gedanken versunken. So sitzt sie ein paar Minuten da, dann fliegt ihr Finger in die Luft und sie trompetet nur ein Wort hinaus: »Kino!«

»Kino. Ja, ja. Ist ja gut.«

Ich spreche zu ihr wie zu einer alten, verwirrten Omi und tätschele dabei ihre Schulter. Leider Gottes habe ich ja schon länger den Verdacht, dass meine Freundin langsam in absonderliche Sphären abdriftet. Nur könnte die Entwicklung für meinen Geschmack ruhig etwas langsamer voranschreiten.

Sanne klopft an die Schuppentür und bittet uns in freundlicher Frau-Iwaki-Manier, langsam Schluss zu machen, woraufhin Junko panikartig aufspringt, das letzte T-Shirt verstaut und mich mit nach draußen in den Nieselregen zerrt. Auf der Straße erklärt sie mir dann mit sich überschlagender Stimme, wir sollten die Secondhandklamotten-Agentur sterben lassen und stattdessen einen Kinobegleitservice ins Leben rufen.

»Aha«, sage ich nicht besonders begeistert. »Und wer soll da bitte schön wen begleiten?«

»Wir die einsamen Jungs! Für 50 Cent oder auch mehr. Du hast doch selbst gesehen, wie wild die Kerle auf unsere Liebesdienste sind.«

»Liebesdienste, ganz genau.« Ich rümpfe die Nase. »Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass irgendjemand 50 Cent rausrückt, bloß um neben mir im Kino zu sitzen.«

Später zu Hause lasse ich mir Junkos Idee trotzdem noch mal durch den Kopf gehen. Was, wenn sie Recht hat und es doch den einen oder anderen gibt, der liebend gerne 50 Cent lockermacht, nur um mit mir auf eine Leinwand zu starren? Zwei, drei Filme die Woche und ich hätte pro Monat sechs Euro mehr in der Kasse. In Strandkorbkategorien gerechnet zwar ein Tropfen auf den heißen Stein, andererseits besser als gar nichts.


Montag stehen Junko und ich noch vor der Schule im Copyshop und kopieren unseren neuen Flyer, den wir am Wochenende in glutheißer Sonne auf Junkos Balkon ausgeheckt haben.

Diesmal bin ich die alleinige Namensgeberin der neuen Agentur. Näver äver alone. Junko war sofort einverstanden, was wohl nicht zuletzt an der unvergleichlichen Schreibweise lag. Der Text des Flyers lautet diesmal:

Bucht bei NÄVER ÄVER ALONE –

eurer Agentur für den besonderen Kinobesuch.

Ihr wollt nicht allein in der Kinoreihe sitzen?

Dann seid ihr hier genau richtig!

Geht mit Junko oder mit Effi oder gleich mit beiden

Kostenpunkt: 50 Cent – 1 Euro (Verhandlungsbasis)

Wo buchen? Sanderstaße 11a, Hinterhof, Loft

Wann? Täglich ab 13. Mai, außer Wochenende, 15 – 18 Uhr

Bei wem? Effi und Junko

Wie beim letzten Mal verteilen wir die Zettel nach der sechsten Stunde. Ab drei Uhr sitzen wir dann mit Herzflattern im Loft und warten auf Kundschaft. Der Tapeziertisch dient jetzt als Schreibtisch, an dem die Verträge aufgesetzt werden. Kein Kinobesuch ohne schriftliche Übereinkunft. Junko ist da übervorsichtig und traut besonders den Jungs aus unserer Klasse nicht über den Weg. Nicht dass sie uns erst als Kinobegleitung buchen und sich später vorm Bezahlen drücken.

Wir hocken gerade erst zehn Minuten auf unseren Campingstühlen, als stampfende Schritte im Hof zu hören sind.

»Yippie, Kundschaft!«, kreischt Junko.

Kurz darauf geht die Tür auf und der Mutant schiebt sich in unseren Büroraum.

»Ach, hi! Komm doch rein!« Junko verbeugt sich ehrerbietig. In etwa so wie ihre Mutter. Nur dass ihr dabei keine meterlangen Haare die Knie pinseln.

»Lukas, was hast du hier zu suchen?«, ereifere ich mich. »Du willst uns ja wohl kaum buchen.«

»Und warum nicht?« Der Mutant trippelt durch den Schuppen, als wäre er auf dem Fußballplatz, wo er um diese Uhrzeit eigentlich auch hingehört.

» Weil du mein Bruder bist und auch umsonst mit mir ins Kino gehen kannst.«

»Aber nicht mit Junko.« Schiefes Grinsen, schiefe Zähne. Eine nette kleine Zahnspange wäre auch mal fällig.

»Du willst Junko buchen?«, hake ich skeptisch nach. In meinen Augen sieht das hier eher nach Spionage aus.

»Wäre schon cool. Vor allem wenn sie sich Terminator 3 mit mir anguckt.«

Ich sehe zu Junko rüber, die unmerklich das Gesicht verzieht. »Kommen wir da denn überhaupt rein?«

»Klaro! Kenn zufällig den Kartenverkäufer«, brüstet sich der Mutant. »Der lässt mich sogar in Megabrüste auf der Alm!«

Junko kichert, wohingegen ich meinem Bruder bloß einen Vogel zeige. Nicht umsonst trägt er den Spitznamen Mutant. Früher war er ja noch ganz in Ordnung, aber im letzten halben Jahr ist er in Lichtgeschwindigkeit zum Oberangeber mutiert.

»In Ordnung ...« Junko rückt ihre Brille zurecht. »Wenn du’s wirklich ernst meinst, setzen wir am besten gleich den Vertrag auf.«

Lukas hebt zur Bestätigung den Daumen, im gleichen Moment wird die Tür erneut aufgestoßen und Klassenstreber Oskar schneit herein. Erst Jana mit den stechenden Augen, danach der Mutant und jetzt auch noch Oskar. Wie hart will uns das Schicksal eigentlich noch bestrafen?

» Hi Oskar!«, flötet Junko.

Wieder verbeugt sie sich, die Hand diesmal elegant auf dem Oberkörper abgelegt. Gleichzeitig macht der Mutant einen Satz nach vorne und stößt Oskar plumpvertraulich in die Seite. »Buch meine Schwester und wir gehen zu viert in Terminator 3.«

Oskar braucht einen Moment, um sich zu sammeln, dann sagt er mit Seitenblick auf Junko: »In Ordnung. Terminator 3.« Und mit Blick auf mich: »50 Cent sind okay?«

Bevor er es sich anders überlegen kann, schlage ich ein und Junko beginnt die Verträge aufzusetzen. Die Bezahlung erfolgt vorab, genauer gesagt an der Kinokasse, der Termin wird noch für denselben Abend anberaumt.

Kaum sind die Jungs weg, hängen wir ein improvisiertes Sind-gleich-wieder-da-Schild an die Tür, danach holen wir uns auf die Schnelle ein Eis. Um schon mal vorweg unseren Sieg zu feiern. Zwei Kunden innerhalb von einer halben Stunde ist allemal besser als einen ganzen Tag lang keine einzige Klamotte zu verkaufen – mal abgesehen von dem Unterhemd, das Sanne bestimmt nur aus purem Mitleid erstanden hat.

Als wir zurückkommen, warten bereits zwei weitere Jungs vor dem Schuppen. Leo und Bobbie aus der Parallelklasse. Meine Beine werden auf der Stelle zu Kaugummi, wobei ich nicht mal genau weiß, warum. Leo sieht zwar süß aus, aber er hinkt (seit einem Skiunfall, wie man sich erzählt), Bobbie ist durch und durch ein Idiot. Als wäre er auf der Stufe eines Kleinkindes stehen geblieben, kippt er anderen Reis in den Kragen oder bewirft einen im Winter mit matschigen Schneebällen.

»Herzlich willkommen bei NÄVER ÄVER ALONE! Hereinspaziert!«, ruft Junko wie eine Zirkusdirektorin. » Was können wir für euch tun? Sagt an!«

»Ähm«, macht Leo, um sofort wieder zu verstummen und seinen Blick zu senken.

»Kino? Heute Abend? Seid ihr noch frei?«, erkundigt sich Bobbie.

»Sorry, aber heute geht’s nicht.« Ich hebe bedauernd die Schultern. »Wir sind schon ausgebucht.«

»Hm.« Leo schielt jetzt an die Decke.

»Ach so. Na, dann«, ergänzt Bobbie.

»Und wenn ihr einfach mitkommt?« Junko grinst verschlagen. Ich kann mir schon vorstellen, was sie gerade denkt: einmal ins Kino gehen und dabei doppelt abkassieren.

Leo räuspert sich jetzt umständlich, bringt aber immer noch kein Wort über die Lippen.

»Und wie sieht’s morgen aus?«, will Bobbie wissen.

»Moment.« Junko wühlt wichtigtuerisch in den Bögen, auf denen nichts weiter als ein Karomuster zu sehen ist. »Einen Moment noch ... hm ... hm ... Ja, das ginge. Morgen haben wir ... ja genau, morgen ist Effi noch frei und ich bin es auch.«

»Super«, meint Bobbie. »Dann buche ich mal dich. Leo will Effi.«

Leo will Effi – meine Kaugummibeine drohen vollständig in sich zusammenzusacken. Bevor ich gleich noch lang hinschlage, bequeme ich mich rasch an den Bürotisch und knüpfe mir die Verträge vor. Ich notiere die Namen der beteiligten Personen, die Bedingungen, doch als ich schließlich nachfrage, in welchen Film die Herrschaften gehen wollen, herrscht auf einmal großes Schweigen.

»Ich dachte, ihr schlagt was vor«, mault Bobbie.

»Aber wir kennen doch gar nicht euren Geschmack«, wende ich mit raschem Seitenblick auf Leo ein. Der tritt inzwischen nur noch von einem Fuß auf den anderen und beäugt dabei ausführlich den matschfarbenen Bodenbelag.

»Dann treffen wir uns eben morgen um 19 Uhr am Kino und suchen gemeinsam einen Film aus«, bestimmt Junko.

Da niemand protestiert, vermerke ich auf den Verträgen bei Filmtitel jeweils ein Fragezeichen und händige den Jungs die Schriftstücke aus.

Leos Handschrift ist krakelig wie bei einem Schulanfänger, aber als die beiden kurz darauf weg sind, starre ich sie an wie ein Heiligtum.

»Stimmt was nicht mit den Verträgen?«, will Junko wissen, woraufhin ich knallrot anlaufe und bloß »Nö, nö, alles in Ordnung« murmele. Wenn ich ihr jetzt gestehe, dass ich Leos Krakelschrift süß finde, wird sie mich für hochgradig verknallt halten, was jedoch nicht der Wahrheit entspricht.

Ich bin höchstens angetan von Leo. Von seiner Handschrift und seiner Schüchternheit. Das ist alles.

Die Kussagentur

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