Читать книгу Schöne Mädchen fallen nicht vom Himmel - Susanne Fülscher - Страница 6
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ОглавлениеEs war wirklich so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. »Wart mal …«, sagte er und langte mir im selben Moment mit einer Wucht an den Kopf, dass ich einen dumpfen Knall spürte.
»Schon weg. Du hattest da eine Wespe.«
»Danke.«
Ich sah ihn wie benommen an und fand, dass die Wassertropfen, die in seinen Wimpern hingen, wunderschön glitzerten. Das war’s dann auch schon. Er tauchte weg und ich dachte, Mist, jetzt bist du verliebt und weißt nicht, wohin mit deinen Gefühlen. So etwas war mir in langen siebzehn Jahren noch nicht passiert.
Zurück zu Katja und Lena, die beide in der Sonne brutzelten. Ich musste mich zusammennehmen, um meinen Mund zu halten. In meiner Magengegend zog sich alles krampfhaft zusammen, Hunger oder Völlegefühl, nicht mal das konnte ich noch unterscheiden. Ich sollte mich also in einen völlig Fremden verliebt haben. Das war doch durch und durch idiotisch. Einbildung. Sonnenbedingter Hormonschub. Der Wahnsinn!
Vielleicht ging Lena demnächst mal ins Wasser, dann könnte ich Katja fragen. Stattdessen fing Lena wieder mit der Modelsache an, die sie offensichtlich wie verrückt wurmte.
»Hat die Frau denn gesagt, für wen sie arbeitet?«
»Für eine Agentur. Today Model Agency.« Ein Wunder, dass mir unter diesen Umständen der Name einfiel.
»Hört sich ziemlich unseriös an.«
»Woher willst denn du das wissen?«
Ich zog Shorts und T-Shirt über meinen nassen Badeanzug und ging einmal quer über den Rasen zum Kiosk. Lena sollte mich bloß in Ruhe lassen. Da sprach doch der pure Neid aus jeder Pore ihres brathähnchenbraunen Körpers. Mein Gott! Es kam mir bald vor, als hätte ich bereits oben ohne für irgendein Schmuddelblatt posiert und würde jetzt endgültig auf die schiefe Bahn geraten. Ich holte mir ein Eis und ertappte mich dabei, wie ich unauffällig das Terrain sondierte. Wie würde der Junge außerhalb des Schwimmbeckens in Klamotten und mit trockenen Haaren aussehen? Würde ich ihn überhaupt wiedererkennen?
Als ich mich auf einen der Stühle an der Balustrade setzte, kam Katja dazu.
»Lena hat wohl grad einen Sonnenstich«, sagte sie und lachte. »Darf ich mal probieren?«
Ich hielt ihr mein Eis hin und guckte mich noch einmal um, dann erzählte ich ihr die Episode von vorhin beim Schwimmen. »Sei mal ehrlich. Hältst du mich jetzt für völlig bekloppt?«
Katja hob die Schultern: »Na ja, mir ist so was eben noch nicht passiert, aber möglich ist …«
Weiter kam sie nicht, weil ich ihr einen ordentlichen Rippenstoß versetzte. Besagter Junge näherte sich mit Siebenmeilenschritten und es hatte ganz den Anschein, als ob er direkt auf uns zusteuerte.
»Hat sie dich auch wirklich nicht gestochen?« Schon war er über mir und betastete meine Haare. Während ich glaubte, ich müsse auf der Stelle ohnmächtig werden, ging Katja taktvoll zum Kiosk.
Was bloß reden? Mir fiel nichts ein.
»Möchtest du ein Eis?« Er strahlte mich an.
»Ich hab doch noch …«, stotterte ich.
»Eins auf Vorrat?«
Ich nickte, dann verschwand er in Richtung Kiosk. Zeit genug, um mir einen Schlachtplan zurechtzulegen. Erstens: ihn nach seinem Namen fragen. Zweitens: Alter. Drittens: Lieblingseis … Noch während ich so vor mich hin sponn, tauchte Lena klatschnass am Schwimmbadhorizont auf und war eins, zwei, drei bei mir. Die fehlte mir noch.
Doch dann passierte etwas Verrücktes: Der Typ kam mit zwei Eistüten zurück und Lena fiel ihm theatralisch um den Hals.
»Oh! Du hast mir ein Eis mitgebracht, Robin!«
»Das ist eigentlich für sie.« Er zeigte auf mich und meine wackelpuddingweichen Storchenbeine.
»Ihr kennt euch?«, fragte Lena.
»Ja. Seit ein paar Minuten«, entgegnete der Junge, der also Robin hieß.
Ich nahm mein Eis und ließ das andere in den Papierkorb wandern. Derweil spürte ich die ganze Zeit Lenas eisigen Blick auf meinem Rücken.
»Und woher kennt ihr euch?«, fragte ich, indem ich um mindestens fünf Zentimeter in den Himmel wuchs.
»Lena ist meine Cousine.«
»Wie lustig«, sagte ich ohne vernünftigen Grund.
Robin schlug vor, wir sollten unsere Sachen holen und uns zu ihm legen, aber Lena wollte unbedingt an ihrem Lieblingsplatz bleiben.
»Vielleicht morgen oder übermorgen.«
Merkwürdig, dass sie Robin nicht bat zu uns zu kommen.
»Na dann …«, sagte er und warf mir einen Blick zu, der mein Eis fast zum Schmelzen brachte.
Ich wedelte kurz mit der Tüte. »Bis dann!«, rief ich, während ich Lena folgte. Liebend gerne hätte ich meine Sachen gepackt und wäre ins andere Lager gewechselt, aber das konnte ich ja schließlich nicht einfach machen. Kaum dass wir wieder auf unseren Decken lagen, war Katja plötzlich neben mir. Sie drückte unauffällig meine Hand und grinste. Wahrscheinlich sah man auf einen Kilometer Entfernung, was gerade mit mir passiert war: die seltsame Wandlung eines Neutrums in ein schrecklich verknalltes Wesen.
* * *
Am Abend stellte ich mich nackt vor den Spiegel und versuchte mich mit den Augen eines Jungen zu sehen. Wie würde er meine dünnen Beine finden, meine Minibrüste? Ich guckte und guckte, aber irgendwie wollte es mir nicht gelingen, meine Erscheinung im Ganzen wahrzunehmen. Mal hatte ich nur die knochigen Knie im Auge, mal die etwas zu breit geratene Nase – es gab mich zwar, das war unbestreitbar, aber statt eine ganze Person zu sein zerfiel ich immer wieder in lauter Einzelteile. Egal ob ich die kritische Brille oder die wohlwollende aufsetzte, es kam immer das Gleiche dabei raus.
Als Anna und Robert gegen eins in die Wohnung kamen, hatte ich immer noch kein Auge zugetan. Wie früher als kleines Kind tapste ich auf den Flur und warf mich Anna in die Arme.
»Ich kann nicht schlafen!«, jammerte ich.
»Bald sind Ferien. Dann kannst du alles nachholen.« Anna ging voraus in die Küche. »Ich mach uns einen Milchshake.«
»Jetzt noch?« Wenn Anna mitten in der Nacht Milchshakes zubereitete, war es immer Zeit für intime Geständnisse. Meinerseits – versteht sich. Etwas missmutig tapste ich hinter Anna her in die Küche, beschloss ihr den Vorfall mit Robin erst mal vorzuenthalten. Dafür war alles zu frisch, zu belanglos, einfach zu unausgegoren. Da erzählte ich schon lieber die Sache mit den Modelfotos.
Anna sah mich schräg von der Seite an, dann meinte sie, im Prinzip solle ihre Tochter werden, was sie wolle, aber wenn ich sie fragen würde, Model sei nicht gerade der Beruf, bei dem sie vor Begeisterung an die Decke springen würde.
»Von Beruf ist doch gar nicht die Rede. Die Frau hat ein paar Polaroids von mir gemacht – das ist alles.«
»Und? Würdest du gerne …?«
Der Rest des Satzes ging im Brummgeräusch des Mixers unter. »Wäre vielleicht ganz lustig. So nebenbei ein bisschen Geld verdienen.«
Anna füllte den Milchshake in zwei Gläser und stellte mir eines davon hin. »Vanille.« Dann begutachtete sie mich, als würde sie mich zum ersten Mal in ihrem Leben sehen.
»Kann schon sein, dass du das Zeug dazu hast«, stellte sie trocken fest. »Objektiv betrachtet.«
»Was sind das denn plötzlich für Töne?«
»Na ja, du bist groß und schlank, deine Augen sind schön, dein Mund ist sinnlich und deine Haare …«
» … sind nicht mehr wert als Spaghetti aglio olio.«
Anna fing tatsächlich an zu lachen. »Glaubst du etwa, alle Models haben dicke Mähnen, die sie nur zu schütteln brauchen und schon fallen sie in üppigen Locken auf die Schultern?«
»Hört sich ja fast so an, als wolltest du mich jetzt plötzlich zum Model machen.«
Ich trank meinen Milchshake in hastigen Schlucken.
»Nein. Absolut nicht.« Anna grinste. »Es gibt nichts Schrecklicheres als Eltern, die ihre Kinder in bestimmte Berufe pressen wollen.«
Als ich wieder im Bett lag, dachte ich zum ersten Mal, dass es ziemlich cool wäre, Model zu werden. Im Rampenlicht zu stehen, schön wie eine Göttin – aber wie sollte ausgerechnet mir das gelingen?