Читать книгу Schöne Mädchen fallen nicht vom Himmel - Susanne Fülscher - Страница 8

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Today Model Agency stand draußen auf einem Messingschild. Ich klingelte, da ging die Tür auch schon surrend auf. Kein Flur – ich befand mich sofort in einem hellen, freundlichen Raum, lauter Grünpflanzen, zwei Schreibtische gepflastert mit Akten, Mappen, Modelfotos – und an die Wände waren Sedcards gepinnt. Ein Typ mit Ziegenbart und langen Haaren kam auf mich zu, er heiße Peter, sagte er, und arbeite als Booker in diesem Laden.

»Hallo, ich bin Karen.« Schüchtern streckte ich meine Hand aus, aber Peter war schon zu einem der Schreibtische gegangen, wo er in einem Stapel Mappen herumwühlte.

»Testfotos?«, fragte er ohne aufzusehen.

»Ja. Frau Deny …«

Dann klingelte das Telefon. Peter nahm ab, o Eddie!, wie schön, dass du anrufst, blablabla, so ging das minutenlang, die Tür klappte, ein paar Mädchen huschten durch den Raum, ebenso bleiche und dürre Geschöpfe wie ich, sie kicherten und waren gleich wieder draußen, warten …

Irgendwann bequemte sich Peter und legte endlich den Hörer auf.

»Ja … Ich hab hier eine Notiz. Du kriegst den Jo. Ein junger Fotograf …« Er hielt inne und taxierte mich von oben bis unten. »Ja, ganz nett«, murmelte er. »Weißt du überhaupt, was wir mit dir anstellen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Erst mal nehme ich deine Daten auf, danach gehen wir zu Jo rüber, der macht erste Testfotos von dir. Da kannst du dich ein bisschen vor der Kamera ausprobieren und wir sehen, wie du rüberkommst.« Er lächelte mich freundlich an. »Normalerweise produzieren wir mehrere Testreihen. Für die provisorische Sedcard und um dein Book aufzubauen.«

Bevor er weiterreden konnte, fragte ich ihn, ob mich das Ganze etwas kosten würde.

»Im Prinzip schon. Aber die Agentur schießt die Kosten für die Fotos vor. Wenn du später Aufträge bekommst, wird das Geld verrechnet.«

»Und wenn ich keine Aufträge kriege?«

»Das ist dann unser Risiko.«

»Also muss ich jetzt keinen Cent bezahlen?«, hakte ich nach.

»Keine Angst.« Er lachte immer noch so nett, wie Antonio es manchmal tat, wenn er mir ein besonders leckeres Häppchen hinhielt. »Wir sind eine seriöse Agentur.«

Einigermaßen beruhigt ließ ich mich ins Nebengebäude bringen, wo Jo noch bei einem Shooting mit einer schönen Schwarzhaarigen war.

»Du kannst inzwischen diesen Bogen ausfüllen.« Schwups, war er draußen. Ich hockte mich auf einen freien Stuhl und trug Namen, Adresse, Größe und Gewicht ein – bei den Maßen musste ich passen. Also machte ich weiter mit Augenfarbe, Haarfarbe, Schuhgröße und Konfektionsgröße. Englisch, Französisch trug ich bei den Sprachen ein, Führerschein hatte ich nicht – fertig. Dann hieß es warten, warten und nochmals warten. Niemand in diesem verdammten Studio nahm Notiz von mir. Vielleicht war alles ein Missverständnis und man hatte mich gar nicht für diesen Nachmittag eingeplant. Was könnte ich in diesem Moment alles anfangen! Robin treffen, ins Schwimmbad oder ins Café gehen, etwas für die Schule tun, Staub saugen – es machte doch überhaupt keinen Sinn, stundenlang hier rumzuhocken. Doch dann ging auf einmal alles ganz schnell: Die Schwarzhaarige verließ das Studio, der Fotograf kam auf mich zu, plötzlich war ein Haufen Menschen um mich herum, man diskutierte, taxierte mich, griff mir in die Haare und schon saß ich bei der Visagistin auf dem Stuhl. Als Erstes drehte sie meine Spaghettihaare auf heiße Wickler, dann wandte sie sich meinem nackten, bleichen Gesicht zu. Sie massierte mir eine Feuchtigkeitscreme in die Haut, ließ sie eine Weile einziehen, bevor sie eine flüssige Grundierung auftrug, dann tauchte sie einen Pinsel in transparenten Puder und bestäubte mein Gesicht. Anschließend experimentierte sie mit unzähligen dunklen Lidschattenfarben und vollendete ihr Werk mit schwarzem Kajal, den sie rund um die Augen auftrug. Als Krönung tuschte sie noch meine Wimpern und malte meinen Mund derart pingelig aus, als restauriere sie ein kostbares Gemälde. Zum Schluss legte sie mir ein Papiertuch über die Lippen und stäubte mit dem Pinsel ein bisschen losen Puder drauf. Haare auf, durchbürsten, eine kräftige Ladung Spray – Kunstwerk Karen fertig. Über eine Stunde hatte die ganze Prozedur gedauert.

Die Visagistin trat zur Seite, damit ich mich in voller Schönheit betrachten konnte. Eine etwa fünfundzwanzigjährige fremde Frau lächelte mir entgegen. Ihre Haare fielen in weichen Wellen auf die Schultern, ihr Gesicht wirkte schmal und zart und irgendwo unterhalb ihrer Nase prangte ein blutroter Schmollmund.

»Und? Gefällst du dir?« Jo war plötzlich hinter mir, er grinste und meinte, aus mir sei ja was ganz Anständiges geworden.

»Ja«, stotterte ich, und um von meiner Aufregung abzulenken, fragte ich, was ich denn anziehen würde.

»Du kannst deine Sachen anbehalten. Wir machen heute nur Porträts.«

Die Stylistin hängte mir eine bunte Glaskugelkette um den Hals, dann erläuterte Jo mir seine Arbeitsweise. Er sei zwar noch neu in der Branche, habe aber sehr genaue Vorstellungen davon, wie sich ein Model zu verhalten habe. Bitte alle Anweisungen befolgen, keine Starallüren. Er brachte das so grantig hervor, dass ich annahm, er habe es üblicherweise nur mit nervigen Möchtegern-Diven zu tun.

Jos Ansprache hatte zur Folge, dass ich ziemlich verunsichert war. Fotografiert zu werden fand ich bisher immer klasse, aber hier im Studio unter den Argusaugen dieser Crew – allesamt Profis, die in ihrem Leben schon tausend und mehr schöne Mädchen gesehen hatten –, war es etwas anderes. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch stand ich auf und ging durch den Raum, als hätte ich gerade eben erst laufen gelernt.

Ich dachte an Robin, wie er mich beim Abschied angesehen hatte – das war wichtig, nur das. Warum die Sache hier also ernst nehmen? Es war ein Freizeitspaß, vielleicht der erste und letzte dieser Art, und wenn es nicht klappte – so what? Ich konnte doch auch im Café jobben oder bei der Post Briefe sortieren oder babysitten.

»Jetzt mal los!«, rief irgendjemand und klatschte in die Hände.

Ich ging auf meinen Platz und wartete ab, was kommen würde. Zuerst schoss Jo ein paar Polaroids, anhand derer er sehen konnte, ob das Make-up stimmte und das Licht okay war. Das dauerte nicht lange, schon kurz darauf steckten fünf Köpfe zusammen und sahen sich die Fotos an.

Danach wurde es ernst. Die richtigen Fotos. Ich wurde frontal fotografiert, anschließend musste ich mich auf einen Studiohocker setzen, die Haare nach hinten schütteln, den Kopf zur Seite drehen, lächeln, ernst gucken, sinnlich, wie ein junges Mädchen … Wieder aufstehen, die Hände in die Hosentaschen stecken, frech grinsen, einmal lasziv durch den Raum schreiten, ja super!, weiter so, guck Bea an, ja, jetzt schau mal in die andere Richtung

War ich anfangs noch unbeholfen und verklemmt, löste sich plötzlich der Knoten. Auf einmal dachte ich nicht mehr groß darüber nach, wie ich wohl wirkte, ich lachte einfach oder guckte eben ernst, es war wie ein Rausch, ein toller Traum, in dem man alles gut machte.

Ehe ich mich versah, war Feierabend. Schade.

»Hat dir aber Spaß gemacht, was?« Jo sah begeistert aus, als er das sagte.

Ich nickte. Bestimmt glühten meine Wangen trotz der dicken Make-up-Schicht.

»Darf ich … ein paar Fotos sehen?«

Jo holte die Polaroids; ich konnte nicht anders und riss sie ihm gierig aus den Händen. Das war nicht ich, das war eine Wunderfee, schön, geheimnisvoll, dämonisch – das konnte doch nicht ich sein!

»Gefallen sie dir?«

»Sie sind super«, sagte ich mit voller Überzeugung. »Ich würde gerne eins mitnehmen. Ist das okay?« Im selben Moment hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Nur eingebildete Teenies wollten ihre Starfotos neidischen Freundinnen zeigen. Doch Jo wühlte schon in den Bildern, gab mir dann zwei Polaroids.

»Es hat Spaß gemacht, mit dir zu arbeiten.«

Schon war er draußen und ich stand mit einer ganzen Packung Abschminktücher in der Hand vorm Spiegel, schnell, schnell, heizte mir die Visagistin ein. Dabei wäre ich zu gerne so nach Hause gegangen, einmal angeben, schaut mal, wie toll ich aussehen kann … aber nein, ich wollte mich vor diesen Leuten nicht blamieren. Also griff ich brav zur Abschminklotion, rieb und wusch und irgendwann war ich wieder die alte Karen, blass und dünn und so ohne jeden Glamour.

Mit dem Bus fuhr ich in die Stadt zu meinen Eltern. Ich hatte einen Bärenhunger.

»Mama!«, rief ich. »Du musst dir unbedingt die Polaroids ansehen!«

Obwohl Anna gerade mit ein paar Tellern auf den Händen angetänzelt kam, stürmte ich ihr entgegen.

»Du hast so schwarzes Zeug unter den Augen«, bemerkte Anna nüchtern.

Ohne zu antworten düste ich weiter in die Küche, wo ich einfach Antonio um den Hals fiel.

»He! Hast du sechs Richtige im Lotto?«

»So ungefähr.«

Ich wühlte in meiner Tasche, dann hielt ich Robert und Antonio die Fotos unter die Nase.

»Wow!«, sagte Antonio – Robert schwieg. Ich schaute mir ganz genau sein Gesicht an, konnte aber keine Reaktion darin erkennen. Ein wenig war ich schon enttäuscht. Er sollte sagen, wie schön er mich fand, nicht nur vor sich hin starren.

Dann kam Anna in die Küche.

»Zeig mal her.«

Sie nahm Antonio die Fotos aus der Hand und betrachtete sie eine Weile.

»Sehr schön«, murmelte sie schließlich. »Aber erkannt hätte ich dich nicht!«

»Papa gefallen sie nicht«, sagte ich beleidigt.

Anstatt wenigstens jetzt etwas wettzumachen wandte er sich seinen Töpfen zu und fragte mich, ob ich etwas essen wolle.

»Nein danke.« Mein Magen schmerzte schon vor Hunger, aber nun war zu meiner Enttäuschung noch Wut hinzugekommen – wie konnte ich da ans Essen denken!

»Leg Karen ein paar Scampi auf den Grill.« Anna lächelte und drückte mich, Antonio überschwemmte mich mit italienischen Komplimenten.

Jaja, bella! Sollte sich Antonio doch den Mund fusselig reden. Was nützte es, wenn Robert die beleidigte Leberwurst spielte. Zehn Minuten später waren meine Scampi fertig. Obwohl ich mir vorgenommen hatte nicht eines dieser fischigen Teile anzurühren, war mein Hunger doch größer. Schade – ich hätte Robert so gerne eins ausgewischt. Immerhin redete ich nicht mit ihm und auch er machte keine Anstalten, sich mit mir zu unterhalten. Ich aß schnell auf, fuhr dann auf direktem Weg nach Hause. Es war zum Heulen. Ich feierte einen der größten Triumphe meines Lebens, aber außer Antonio schien sich niemand so richtig mit mir zu freuen.

Schöne Mädchen fallen nicht vom Himmel

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