Читать книгу Nie mehr Keks und Schokolade - Susanne Fülscher - Страница 4

Оглавление

1Boh – ist mir schlecht! Richtiggehend übel. Eigentlich liebe ich süße Sachen, Nussschokolade, Lakritzschnecken, Lebkuchenherzen, Nugatpralinen, aber diesmal habe ich wohl übertrieben. Ein halber Marmorkuchen musste dran glauben, und das, obgleich er eigentlich ziemlich muffig schmeckte. Kein Wunder. Mama hat ihn nämlich schon letzte Woche anlässlich von Billis 17. Geburtstag gebacken und seitdem modert er in unserem Vorratsschrank vor sich hin. Normalerweise finde ich muffigen Kuchen eklig – da soll mir doch bitte schön mal einer erklären, warum ich ihn dennoch wie ein ausgehungertes Tier verschlungen habe?

Zur Strafe muss ich mit zur Ballettaufführung meiner Schwester. Das heißt, ich hätte natürlich sowieso hingemusst. Meine Schwester ist so etwas wie eine Primaballerina. Schön, dürr und talentiert. Überhaupt – talentiert ist das Lieblingswort meiner Mutter. Es bezieht sich allerdings nur auf Dinge, die mit tanzen zu tun haben. Dieses Mädchen ist talentiert, jenes auch und besonders meine Schwester Billi, aber wenn man gute Noten nach Hause bringt, hat das nix mit Talent zu tun.

Okay, Billi kann sich klasse bewegen, aber wer interessiert sich schon dafür, dass meine Schwester in so einem albernen Tutu über die Bühne trippelt und so tut, als sei sie ein Schwan. Noch schlimmer ist es bei modernen Choreografien. Da trägt sie immer einen hautengen Catsuit, der ihre hervorstehenden Hüpfknochen betont, und legt so einen tragischen Gesichtsausdruck auf, was ich einfach dämlich finde. Weil sie den nur einstudiert hat, bei uns zu Hause vorm Badezimmerspiegel! Alles Lug und Trug!

»Nina!« Das ist Papa, der schon eine Weile darauf drängt, dass wir losfahren.

»Komme gleich!«, rufe ich, während mich die schiere Verzweiflung packt. Ich hab nichts anzuziehen, und das ist kein Scherz! Meine Lieblingsjeans kneift an allen Ecken und Enden – wahrscheinlich liegt’s am Marmorkuchen – und meine Zweitlieblingssachen, ein kurzer Cordrock und eine karierte Workerhose, sind in den letzten Wochen sowieso schon zu eng geworden. Es ist mir peinlich, zuzugeben, aber irgendwie scheine ich seit einiger Zeit wie ein Hefekuchen aufzugehen.

Hektisch durchwühle ich meinen Kleiderschrank. Erst fällt mir eine ausgeleierte Jogginghose in die Hände, in der ich mich unmöglich in der Öffentlichkeit zeigen kann, dann so ein langweiliger kackbrauner T-Shirt-Rock mit Gummizug. Gut, der müsste gehen …

Da wird die Tür aufgerissen. Mama flattert herein und beschwert sich, dass ich noch in Unterhose dastehe.

»Was soll ich bloß anziehen?« Verzweifelt deute ich in den Schrank. »Lauter blöde alte Sachen.«

»Leih dir doch was von Billi.«

Ha, ha, sehr witzig. In Billis Sachen passt vielleicht ein dreijähriges Mädchen, das durch einen genetischen Defekt bereits die Größe einer 17-Jährigen hat, aber nicht ich fette Kuh! Warum haben mir meine Eltern überhaupt einen so mädchenhaft grazil klingenden Namen wie Nina gegeben? Warum heiße ich nicht Trampel oder Nilpferd oder Mega-Dino?

Ohne mich weiter um Mama zu scheren, schlüpfe ich in den kackbraunen Mauerblümchenrock, ziehe dazu mein einziges Glamourstück, eine Kuhfellbluse, an. Mama sagt zwar nichts, aber man sieht ihr an, dass sie mein Outfit nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Dann wirft sie mir meine Jeansjacke hin und stelzt vor mir her auf den Flur.

Mama hat sich heute wirklich in Schale geworfen. Sie trägt eine Art Abendkleid, bodenlang und quietschgrün, und geschminkt ist sie, als hätte sie drei Tuschkästen auf einmal verbraucht. Wenn Billi eine Aufführung ihrer Ballettklasse hat, tut Mama immer so, als müsse sie irgendeine Adelige aus »Fünf unter einem Dach« spielen. Ich finde das so peinlich, dass ich jedes Mal hoffe, wir haben eine Autopanne und können nicht mehr rechtzeitig erscheinen.

Leider kommt mir das blöde Schicksal nie zur Hilfe. Fast immer sind wir auch noch unter den Ersten und dann muss ich mir angucken, wie Mama mit Sektglas und stolz geschwellter Brust durchs Foyer wackelt. Wohlgemerkt mit nach auswärts gedrehten Füßen. Alle Welt soll ihr nämlich ansehen, dass sie auch mal was mit Ballett am Hut hatte.

»Am Hut haben« ist vielleicht der falsche Ausdruck. Mama war früher der Meinung, sie würde so etwas wie eine zweite Pawlowa-Dingsbums werden, aber dann sind Billi und ich dazwischengekommen und sie konnte sich ihre Karriere abschminken. Sagt Großmutter jedenfalls. Mama behauptet hingegen, sie hätte sowieso nie das Zeug zu einer Primaballerina gehabt und außerdem wäre ihr die Schufterei auch zu anstrengend gewesen. Tagein, tagaus, Training, Proben, abends und am Wochenende Vorstellungen … Meine Theorie lautet: Mama würde uns noch heute liebend gern in die Wüste schicken, nur um einmal wie Billi im Rampenlicht zu stehen. Warum macht sie sonst so ein Trara um Billis Tanzausbildung? Im Ernst: Falls Billi nach Abschluss ihrer Ballettklasse nicht sofort ein großartiges Engagement in Paris, New York oder auf dem Mond ergattert, gibt Mama sich bestimmt die Kugel. Immerhin ist sie dafür verantwortlich, dass Billi nach der zehnten Klasse von der Schule abgegangen ist und gerade dabei ist, so ziemlich zu verblöden.

Als wir rauskommen, veranstaltet Papa schon ein penetrantes Hupkonzert.

»Alle Frauen an Bord!«, ruft er und rückt sich seine superteure Designerhornbrille zurecht.

Ich quetsche mich nach hinten neben Großmutter, die sich ihre Haare zur Feier des Tages kürbisfarben gefärbt hat. Sie trägt einen blau-schwarz gemusterten Hosenanzug im Marlene-Dietrich-Stil und Herrenschuhe mit Lochmuster. Also, wenn ich Rentner wäre und im Umkreis von 30 Kilometern leben würde, ich wäre sofort hin und weg von Großmutter. Keine spießige Dauerwelle, keine beige gemusterten Tantenkleider. Großmutter liegt immer im Trend und sieht dabei noch lange nicht so übertrieben aufgebrezelt aus wie meine Mutter.

»Was wird eigentlich getanzt?« Großmutter sieht mich erwartungsvoll an, als ob ich Billis Managerin wäre.

»Wieso fragst du mich? Das Fachpersonal sitzt vorne!«

Großmutter beugt sich vor und zieht Mama spaßeshalber eine Strähne aus ihrer Hochsteckfrisur.

»Lass das!«, faucht Mama. Ich glaube, es wäre das Schlimmste für sie, mit einer heraushängenden Haarsträhne zu der Ballettaufführung ihrer Tochter gehen zu müssen. Was für eine grobe Nachlässigkeit!

Großmutter wirft mir einen verschwörerischen Blick zu und wiederholt ihre Frage in Richtung Hochsteckfrisur.

»Vivaldi lebt«, antwortet Mama immer noch beleidigt. Großmutter kichert. »Vivaldi lebt. Was soll das denn bedeuten?«

»Dass Vivaldi lebt!«, tönt Papa. Er ist immer ganz versessen darauf, in jeder freien Minute seines Lebens irgendein Scherzchen anzubringen.

»Eine moderne Choreografie von einem ehemaligen Ballettschüler.« Mama klingt wie eine Nachrichtensprecherin. »Lassen wir uns überraschen.«

Oh Gott! Wie oft habe ich den Satz schon gehört: Lassen wir uns überraschen! Jedes Mal dasselbe. Und wenn ich dann im abgedunkelten Zuschauerraum sitze, kriege ich doch nur wieder Billis tragischen Gesichtsausdruck präsentiert!

Wie ich prophezeit habe, sind wir tatsächlich wieder unter den Ersten. Papa will mir netterweise ein Eis spendieren, aber der Marmorkuchen liegt mir immer noch wie ein Betonklotz im Magen. Außerdem verdirbt mir das durch die Bank dürre Ballettpublikum jedes Mal den Appetit.

Ich setze mich im Foyer auf einen Samtsessel und kaue an meinen Fingernägeln. Das ist die beste Art, Zeit totzuschlagen. Mama verschwindet auf der Toilette, um einen weiteren Tuschkasten auf ihrem Gesicht zu entleeren, während Großmutter und Papa sich Richtung Sektbar aufmachen. Ihrer Meinung nach ist so eine Ballettaufführung eine klasse Gelegenheit, sich mal wieder einen hinter die Binde zu kippen.

Schlag sieben geht es endlich los. Im Zuschauerraum wird’s dunkel, Geigen fiedeln, was das Zeug hält.

Mittlerweile ist mir noch schlechter. Das Süßzeug gärt wie der Teufel in meinem Magen und verlangt zur Verstärkung Currywurst und Pommes oder zumindest eine riesige saure Gurke, aber da von alldem nichts in Reichweite ist, rumpelt und pumpelt es so laut, dass sich ein paar Leute aus der Reihe vor mir schon nach mir umdrehen. Die gerechte Strafe für meine Gefräßigkeit …

Der Vorhang geht auf, wow!, eine ganze Horde wild gewordener Mädchen trampelt in grasgrünen Marsmännchenanzügen auf die Bühne. Unter ihnen meine Schwester. Ich erkenne sie sofort, weil sie sich als Megastar ihrer Klasse aus der Gruppe löst und vorne an der Bühne herumstampft. Natürlich mit tragischem Gesichtsausdruck.

Ich langweile mich zu Tode. Da finde ich ja »Schwanensee« oder »Romeo und Julia« noch besser, wo es wenigstens eine richtige Story gibt! Aber so ein nichts sagendes Gehampel bringt doch die stärkste Frau zum Einschlafen!

Gott sei Dank wird in der zweiten Szene nicht mehr getrampelt. Billi trägt ein flatteriges Flügelkleid und tanzt barfuß mit einem dunkelhaarigen Typen ein Pas de deux. Das sieht ganz anständig aus, zumal der Typ wirklich süß ist. Eine durchtrainierte Figur und längere, blonde Haare, die bei jeder Bewegung um seinen Kopf flattern. Nach einer Stunde und zehn Minuten ist der Spuk vorüber. Meine Schwester steht strahlend und aus dem letzten Loch pfeifend am Bühnenrand und heimst Applaus ein.

Ich finde Klatschen albern. Man muss sich nur vorstellen, da sitzt ein ganzer Haufen Erwachsener und schlägt wie auf Kommando die Handflächen aufeinander. Genauso gut könnte man im Chor mit der Zunge schnalzen oder sich auf die Wangen klopfen. Aber na ja … Meiner Schwester scheint es jedenfalls zu gefallen.

Mama ist völlig aus dem Häuschen. Sie klebt der Frau in der Reihe vor ihr fast in den Haaren und donnert ihre Hände gegeneinander, als gelte es, ganz besonders hartnäckige Bakterien auf der Haut zu töten. Großmutter und Papa sind zwar auch schwer begeistert und stolz und weiß der Himmel was, aber sie führen sich immerhin nicht so affig auf.

Danach ist Sektparty angesagt. Das ist immer der grässlichste Teil der Veranstaltung. Papa und Großmutter bepicheln sich und umringen Billi, während Mama vor Glück über ihren geratenen Erst-Nachwuchs nur noch versonnen vor sich hin lächelt. Ich bin dann ausgeblendet. Einfach weggebeamt. Genauso gut könnte ich jetzt auf einer Eisscholle am Südpol hocken und keiner würde es bemerken.

Um nicht völlig vor Langeweile zu verenden, vertreibe ich mir die Zeit damit, nach dem schönen Tanzpartner meiner Schwester Ausschau zu halten. Er steht in einer Gruppe ältlicher Tanten, die wahrscheinlich zu seiner Familie gehören, und trinkt Cola. In so einen könnte ich mich glatt verlieben. Aber leider weiß ich, dass ich bei einem von seiner Sorte sowieso keine Chancen hätte! Typen wie er stehen auf dünne, grazile Balletteusen, wenn sie denn überhaupt auf Mädchen stehen …

Plötzlich habe ich einen dicken Schmatzer im Nacken. Angewidert drehe ich mich um und schaue in das lachende Gesicht meiner Schwester, das ungeschminkt auch nicht so genial aussieht.

»Na? Wie hat’s dir gefallen?«

»Och, war ganz okay …«, murmelte ich. »Du warst wirklich gut.« Ich bin einfach nicht in der Lage, wahrheitsgemäß zu antworten. Und meine Schwester würde es sowieso als Neid meinerseits auslegen.

»Nachher steigt noch eine Tanzparty. Wär schön, wenn du mitkommst.« Billi hebt ihr Sektglas und guckt blasiert, so wie das manchmal die Diven in alten Hollywoodfilmen tun.

»Nö. Danke.« Sie kann sich doch wohl vorstellen, dass ich als Schwesterntrampel so was von fehl am Platz wäre.

»Ach, komm! Paps und Mum kriege ich locker rum!«

»Ich will aber nicht!«, maule ich und stellte mir vor, wie es wäre, ungelenk auf einer Balletteusenparty herumzustehen. Tanzen könnte ich nicht – Gott, wie blamabel! – und reden würde auch keiner mit mir. Was ist an einem vierzehnjährigen Dickerchen, das immerhin gut in der Schule ist, schon Interessantes dran?

»Dann eben nicht!«. Billi zieht beleidigt ab, dreht sich aber noch einmal um. »Weißt du, dass du manchmal eine ganz schöne Zicke bist?«

Klar bin ich das! Zickig, langweilig und etwas minderbemittelt. Das ist doch, was alle denken!

Ohne mich noch weiter um den süßen Tänzer, meine begabte Schwester und sonstige Verwandtschaft zu kümmern, verlasse ich das Schlachtfeld.

Kaum bin ich zu Hause, bimmelt das Telefon.

Mama ist dran. Völlig hysterischer Tonfall. Wie ich denn dazu käme, ihnen so einen Schrecken einzujagen!

»Mama, ich bin vierzehn! Ich fahre jeden Tag mit dem Bus durch die Gegend. Wo liegt das Problem?«

»Das kann ich dir genau sagen!« Mamas Stimme überschlägt sich fast. »Erstens hast du es nicht für nötig befunden, uns mal Bescheid zu sagen, und zweitens ist es fast zehn Uhr.«

»Eben. Deshalb ziehe ich jetzt auch meinen Schlafanzug an und gehe zu Bett!« Ich mag keinen Familienstreit. Und am Telefon schon gar nicht.

Mama keift noch eine Weile weiter, im Hintergrund höre ich Papa und Großmutter beschwichtigend auf sie einreden, Geraschel, dann ist Großmutter dran.

»Hauptsache, dir ist nichts passiert«, sagt sie.

Endlich mal ein vernünftiges Wort.

»Trotzdem solltest du so etwas nicht noch einmal tun, verstanden?«

»Klar, Omamuttchen.«

Dann lege ich auf. Es ist mir ein Rätsel, wie bei Großmutters besonnener Art so eine panische Keiftante wie meine Mama entstehen konnte.

Nie mehr Keks und Schokolade

Подняться наверх