Читать книгу Nie mehr Keks und Schokolade - Susanne Fülscher - Страница 8

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5Nicht ein Gramm habe ich abgenommen, nicht mal ein klitzekleines! Das Leben ist echt hart. Zu allem Überfluss kriegen wir auch noch eine Neue. Ruperts kommt mit so einer blässlichen, dicklichen Blondine in die Klasse, stellt sie kurz als »Schtella« vor, woraufhin die blässliche, dickliche Blondine widerspricht und meint, nein, sie heiße Stella, Stella mit »st«.

Aha. Very interesting. Aber warum platziert Ruperts Stella mit »St« ausgerechnet neben mich? Als ob es nicht noch mehr freie Plätze in der Klasse gäbe! Zum Beispiel neben Ole oder Nadine. Aber nein! Schicksalsgott Ruperts hat befohlen, dass sich Stella mit »St« neben mich setzt, was sie dann auch tut. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich entsetzlich zu ekeln. Stella hat nämlich nicht nur die blöde Angewohnheit, sich mit »St« zu schreiben, nein, sie schweißelt auch noch wie der Teufel vor sich hin und verbreitet einen Ekel erregenden Geruch.

Gerade, als ich das registriere, beugt sie sich zu mir rüber, grinst mich an und fragt mich, wie ich heiße.

»Nina.« Aus einem unerklärlichen Impuls heraus reiche ich ihr die Hand.

Die gleiche Prozedur mit Julie Brown. Während sich die müffelnde Stella von rechts halb auf meinen Tisch legt, tut Julie Brown dasselbe von der linken Seite und genau vor meinen Augen schütteln sie sich die Hände und die falsche Schlange von Julie Brown sagt auch noch mit zuckersüßem Stimmchen: »Herzlich willkommen, Schtella!«

Na dann! Auf dass die zwei beste Freundinnen werden!

Die ersten beiden Stunden dümpeln so vor sich hin, in der großen Pause will Stella mit »St« mir ein Gespräch aufzwingen, was ich aber schnellstens abbiege, indem ich vorgebe dringend aufs Klo zu müssen. Als ich zurückkomme, steht sie dann zum Glück mit Julie Brown zusammen und scheint meine Anwesenheit nicht unbedingt zu vermissen.

Leider schlägt das Schicksal dann voll in Deutsch zu. Frau Brückner ist eigentlich eine großartige Lehrerin, aber heute hat sie wohl der Hund gebissen, als sie anordnet, wir sollen in Zweiergruppen alles notieren, was uns zum Thema Sucht einfällt. Und da Julie Brown schon mit ihrem Schwärm Bert zusammenarbeitet, werde ich mit Stella in eine Gruppe gesteckt. Nicht dass ich etwas gegen blonde, dickliche Mädchen habe – schließlich bin ich auch so etwas in der Art –, aber miese Gerüche lassen sich nun mal nicht wegdiskutieren. Außerdem kommt man sich bei Gruppenarbeit gemeingefährlich nahe, da man wegen der anderen im Klassenraum flüstern muss. Am liebsten würde ich mich tot stellen oder weglaufen oder Frau Brückner von Stellas Ausdünstungen erzählen und dass ich auf keinen Fall mit ihr Gruppenarbeit machen kann, aber ich bin wie gelähmt.

Dabei ist Stella mit »St« eigentlich ganz in Ordnung. Das heißt, sie fängt an zu sabbeln und zu reden und die ganze Arbeit zu machen, während ich einfach nur dasitze und mitschreibe. Gut – das Thema interessiert mich auch nicht besonders. Weder kenne ich jemanden, der säuft oder kokst oder in Spielsalons rennt oder sich gar zu Tode hungert. Und passieren wird mir so etwas schon gar nicht.

Stella kennt sich erstaunlicherweise sehr gut aus. Sie meint, auch lieben könne zur Sucht werden und klauen und kaufen und Sport, eigentlich alles. Hoffentlich nicht auch nach Schweiß stinken, denke ich, gemein, wie ich bin. Andernfalls steht mir ein super Schuljahr bevor!

Als wir später unsere Ergebnisse vortragen, heimsen wir ein Extra-Lob ein. Während die anderen aus unserer Klasse nur Tabletten, Heroin, Schnaps und dergleichen auf ihrem Zettel stehen haben, sind wir diejenigen, die – wie Frau Brückner es nennt – auch an die »nicht stoffgebundenen« Drogen gedacht haben.

Alles schön und gut, aber noch lange kein Grund, dass ich Stella in den Pausen und nach der Schule dichter als fünfzig Meter an mich ranlasse. Ich brauche keine Mädchen um mich herum, die mir ihre dusseligen Möchtegern-Jungs-Geschichten aufhalsen, und darauf wird es früher oder später doch hinauslaufen.

Auf dem Weg zum Bus greife ich gedankenverloren in meine Jackentasche, in der sich leider – oder zum Glück – nur zuckerfreies Kaugummi befindet. Ich stopfe mir schnell einen Streifen in den Mund und hoffe, dass sich mein kneifender Magen etwas beruhigen wird. Noch bis vor ein paar Tagen hatte ich immer etwas Süßes dabei, wovon ich mich ganz nach Belieben bedient habe. Aber so etwas wie eine Sucht? Jedenfalls fällt es mir schrecklich schwer, jetzt nicht in den nächsten Laden zu rennen, um mir irgendeinen Riegel zu kaufen. Vor meinem inneren Auge tauchen Berge von Schokolade und fetter Sahnetorte auf – mein Magen ist kurz vorm Durchdrehen. Zum Glück kommt im selben Moment der Bus angefahren, ich steige ein und konzentriere mich auf Stellas Geruch. Mit einem Schlag ist mein Hunger weg. Triumphierend schaue ich aus dem Fenster und genieße die Landschaft, die ich bisher nie so richtig wahrgenommen habe.

Zu Hause erwartet mich Mama mit einem sorgenzerknitterten Gesicht. Kaum dass ich meine Jacke ausgezogen habe, zerrt sie mich in die Küche und reißt den Mülleimer auf, in dem noch all die leeren Sahnebecher von gestern liegen.

»Es ist ja schön und gut, dass du kochst, aber was soll das, bitte schön?«

Oje – wieso habe ich gestern bloß nicht mehr den Müll runtergebracht? Ich setze ein harmloses Grinsen auf.

»Keine Ahnung, was du meinst.« Bei manchen Personen in meinem Umfeld finde ich es äußerst befriedigend, wie gedruckt zu lügen.

»Kein Mensch kocht mit so viel Sahne und Käse und Butter!«

Mama kann es nicht wissen. Unmöglich!

»Aber es hat euch doch geschmeckt!«

»Ja, sicher! Fett ist ein guter Geschmacksträger!«

Mama klingt bitter; bestimmt hat sie heute Morgen ein Kilo mehr auf die Waage gebracht. Und ich spiele weiter das unschuldige Mäuschen.

»Hast du am Anfang immer alles richtig gemacht? Ich mein, als du mit Kochen angefangen hast?«

»Natürlich nicht!« Mama ist plötzlich wie umgekrempelt. Sie lächelt sogar und klopft mir irgendwie unbeholfen auf die Schulter. »Komm, lass uns jetzt essen.«

Ich traue meinen Augen nicht, als sie die Reste von gestern auf den Tisch stellt. Hühnerfleisch mit Kartoffeln und einer klebrigen Soße.

»Ich hab schon gegessen«, sage ich schnell und will mich aus der Küche stehlen.

»Ach – und was?«

»Zwei Schokoriegel und ein Brötchen …« Meine Stimme ist so leise, dass ich mich selbst kaum verstehe.

»Nina, es passt mir nicht, dass du immer unterwegs isst. Und dann noch so ungesunden Süßkram. Gerade in der Wachstumsphase braucht man viele Vitamine.«

»Ich hab mir doch zwei Äpfel gekauft«, schiebe ich schnell hinterher. »Und auf meinem Schulbrot waren Sprossen.«

Dass ich das Brot in der großen Pause wieder in den Mülleimer entsorgt habe, verschweige ich lieber.

»Na gut.« Mama sieht überhaupt nicht glücklich aus, als sie sich alleine an den Tisch setzt. Sie würdigt mich keines Blickes mehr.

»Ich gehe nachher zum Handball«, sage ich nach einer Weile leise.

»Fein. Du hast dich angemeldet?«

Ich nicke und sage, dass ich jetzt auch dabeibleiben werde. Kein Hin und Her mehr.

Erleichtert dampfe ich in mein Zimmer ab und packe meine Sporttasche. Irgendwie fühle ich mich auf einmal total high. Leicht und unbeschwert – der Hunger ist wie weggeblasen. Gleich gehe ich zum Sport, das wird mir gut tun, danach gibt’s nur noch Wasser und Kräutertee und morgen früh werde ich mit einem richtig guten Gefühl auf die Waage steigen …

Bevor ich mich wieder auf den Weg mache, husche ich in aller Eile über die Hausaufgaben. Es fällt mir erstaunlich leicht, mich zu konzentrieren, keine Ahnung, was für eine geheime Kraft mich antreibt. Englisch geht wie von selbst und Mathe erscheint mir so leicht wie nie zuvor.

Halb drei bin ich fertig, eine halbe Stunde später stehe ich fertig umgezogen in der Halle.

Andrea scheint sich richtig zu freuen, als sie mich sieht. Sie kommt auf mich zugesprintet und klopft mir so heftig auf die Schulter, dass ich fast umfalle.

»Dann wollen wir mal, Nina. Übernächstes Wochenende hast du dein erstes Turnier.«

»Was? So schnell?« Wenn ich eins nicht leiden kann, dann schlechte Leistungen, weil ich nicht genügend Zeit hatte, mich vorzubereiten.

»Das schaffst du schon«, meint Andrea ungerührt, bläst in ihre Trillerpfeife und treibt uns an ein paar Runden um die Halle zu laufen. Zeit genug, um mir die anderen Mädels der Gruppe genauer anzusehen. Die meisten sind kräftig, um nicht zu sagen stämmig gebaut, was mir sehr gut in den Kram passt. Irgendwie fühle ich mich wohler, wenn ich mich nicht permanent an dürren Ballettgrazien wie Billi messen muss.

Nach dem Aufwärmtraining geht’s ans erste Spiel, bei dem ich gleich zwei Tore hintereinander werfe. Staunende Blicke. Neidische Blicke. Andrea nimmt mich später zur Seite:

»Was für ein Glück wir mit dir haben!« Abermals klopft sie mir in ihrer burschikosen Art auf die Schulter.

»Wenn du beim Turnier auch so gut spielst …« Weiter sagt sie nichts, aber ihr Blick spricht Bände. Sie freut sich, dass ich in ihrer Gruppe mitmache, sie findet, dass ich was draufhabe – endlich mal jemand, der mir wirklich was zutraut!

Zu Hause bin ich dann wie beschwipst vor Freude. Erst gucke ich in aller Ruhe »Fünf unter einem Dach« – Fanny ist inzwischen mit dem Fitnesstyp Rolf zusammen –, dann macht sich leider Gottes wieder mein Magen bemerkbar. Hunger! Hunger!, sendet er unmissverständlich an mein Gehirn. Zum Glück habe ich einen Verstand, der mich davon abhält, sofort zum Kühlschrank zu rennen und mich voll zu stopfen.

Zwanzig Minuten später ruft Mama mich zum Abendbrot. Ich kann nicht schon wieder so tun, als hätte ich auswärts gegessen, das wird Mama mir im Leben nicht abkaufen, also gehe ich in die Küche, rede mir währenddessen gut zu ja nicht die Beherrschung zu verlieren.

Man staune, aber die Stars der Familie, Papa und Billi, sind ausnahmsweise mal zugegen. Es gibt Brot, Salat und leckere Aalhäppchen. Ich halte mich an den Salat, belege ansonsten nur eine halbe Scheibe Brot mit magerem Schinken und hoffe, dass mein neues Essverhalten nicht weiter auffällt.

Tut es nicht. Mama und Papa unterhalten sich angeregt über einen Fall von Steuerhinterziehung in ihrem Bekanntenkreis, das heißt, Papa redet in einer Tour und Mama lauscht andächtig seinen salbungsvollen Worten. Billi ist sowieso ziemlich abwesend. Lustig vor sich hin mampfend, blättert sie in einem Ballettmagazin.

Somit habe ich meine Ruhe. Ab morgen werde ich mit Hilfe meiner Tabelle jede einzelne Kalorie aufschreiben, ich werde eine Statistik anlegen und gucken, wie viel ich abnehme, wenn ich bestimmte Sachen in bestimmten Mengen esse. Kaum dass ich aufgegessen habe, räume ich meinen Teller in die Spülmaschine und gehe raus. Keine vorwurfsvollen Blicke. Die drei sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie gar nichts mitbekommen …

Als ich die Tür zu meinem Zimmer hinter mir schließe, fühle ich mich plötzlich schwer und plump und kriege ein schlechtes Gewissen wegen der Salatsoße. Wahrscheinlich hat Mama viel zu viel Öl drangekippt, sodass meine Fettzellen jetzt gerade einen Freudentanz aufführen, weil sie so feine Nahrung kriegen. Kurzerhand ziehe ich mich nackt aus, mache die Deckenbeleuchtung an und stelle mich mit geschlossenen Augen vor den Spiegel. Es muss sein. Mein Herz pocht laut, dann öffne ich langsam meine Augen.

Schock!

Auf den ersten Blick sehe ich wie ein Teigkloß aus, weiß, schwammig und total unförmig. Ich starre mich an wie ein fremdes Etwas, einen Außerirdischen von mir aus, der die Frechheit hatte, auf dieser unserer Erde zu landen.

Nach und nach gewöhnen sich meine Augen an mein Spiegelbild. Okay, ich bin nicht besonders groß, aber immerhin habe ich so etwas wie den Ansatz einer Taille. Meine Oberschenkel sind eindeutig zu dick und seitlich an den Hüften kleben fiese Fettpolster.

Nackt, wie ich bin, setze ich mich aufs Bett und starre auf die Fettrolle, die jetzt unterhalb meiner Brüste hervorploppt. Ich hasse mich! Obwohl ich in den letzten Stunden so gut wie nichts gegessen habe, sehe ich immer noch wie eine fette Made aus! Warum bin ich nicht Billi? Warum nicht Fanny? Warum muss ich mich so quälen und nehme doch nicht ab?

Kurz überlege ich, ob ich zur nächsten Tankstelle gehen und mich dort mit Chips und Süßigkeiten eindecken soll, aber dann entscheide ich anders: Es kann sich nur etwas ändern, wenn ich einen klaren Kopf behalte, wenn ich mein Pensum konsequent durchziehe. Und das bedeutet für heute Abend, dass ich noch ein paar Kalorien abbaue, zumindest die von der Salatsoße.

Hastig laufe ich ins Bad und zerre die dreckigen Sportsachen aus dem Wäschepuff, Sportschuhe an – fertig bin ich.

Leider fängt Billi mich auf dem Flur ab. »Wo willst du denn hin?«, fragt sie einigermaßen erstaunt.

»Ein bisschen frische Luft schnappen.«

»Noch mehr Sport?« Mama ist jetzt zu allem Überfluss auch noch in den Flur gekommen. »Hat dir das Training vorhin nicht gereicht?«

»Billi trainiert doch auch ohne Ende und kein Mensch sagt was!«

»Ich stehe aber auf der Bühne.«

»Wie schön für dich!« Ich schnappe mir den Schlüssel und öffne die Haustür.

»Aber nicht, dass du im Dunkeln durch den Park läufst!«, ruft Mama mir noch nach.

Warum eigentlich nicht?, denke ich, während ich lossprinte. Wenn ich überfallen und abgemurkst werde, wird mich doch sowieso niemand vermissen.

Nie mehr Keks und Schokolade

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