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1.2 Rückbesinnung auf das Mysterium der Hölle bei Hans Urs von Balthasar

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Der schweizer Theologe ist der wohl letzte Denker, der sich in ernst zu nehmender Weise mit der Frage der Hölle befasst hat. Aber nicht nur deshalb bietet es sich an, seine Überlegungen zum Gegenstand der folgenden Untersuchung zu machen. „Balthasar ist vielleicht der gebildetste Mann seiner Zeit.“37 Neben einem schier unerschöpflichen Fundus an Wissen aus nahezu allen Bereichen der Literatur, Kunst, Musik und Philosophie verfügte der promovierte Germanist vor allem auch über ganz außergewöhnliche Kenntnisse der Theologiegeschichte, insbesondere aber der Patristik. Seine theologischen Überlegungen durchmessen daher einen ungewöhnlich weit aufgespannten geistesgeschichtlichen Horizont. Bei aller Weite seines Denkens weiß Balthasar sich aber immer in unverbrüchlicher Treue auf das Wort der Schrift als norma normans allen Theologisierens verpflichtet. Von dorther fühlt er sich nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, dort, wo es ihm nötig erscheint, Irrtümer und Fehler in der theologischen Tradition als solche aufzudecken und Korrekturen einzufordern. „Entschieden rückte er die Überzeugung von der absoluten Barmherzigkeit Gottes in das Zentrum seiner Theologie und überdachte von hieraus nochmals die überkommenen Traditionen. Dies gilt insbesondere für die Eschatologie, in der die Linien seiner gesamten Theologie sich verdichten.“38

Theologie als Reflexion auf die in Jesus Christus ergangene Selbstoffenbarung Gottes muss, so Balthasar, Spiegel ihres Gegenstandes sein. Im Zentrum der Botschaft Jesu aber steht der unbedingte Heilswille Gottes. Im Christusereignis ist das Reich Gottes bereits in dieser Welt angebrochen und seine endgültige Durchsetzung zum Heil aller Menschen zugleich verheißen. Schlechthinniger Ort der Heilswahrheit ist darum nach balthasarschem Verständnis die Eschatologie, denn erst eingedenk seiner Verendgültigung ist das in der Person Jesu Christi ergehende Beziehungsangebot in seiner ganzen Tiefe zu ermessen. „Gott ist das ‚Letzte Ding‘ des Geschöpfs. Er ist als Gewonnener Himmel, als Verlorener Hölle, als Prüfender Gericht, als Reinigender Fegefeuer.“39 Rede von Gott ist demnach nur dann dem christlichen Gottesbild angemessen, wenn sie zuinnerst eschatologisch dimensioniert ist.

Von dieser Grundüberzeugung her verfolgt Balthasar, darin bewusst den Spuren Karl Barths40 und anderer protestantischer Theologen seiner Zeit folgend, das Programm einer umfassenden Eschatologisierung der Theologie in allen ihren Lehrstücken.41 „Es ist jedoch begreiflich, daß dieses Aufpflügen der Theologie von der Eschatologie her eine beruhigte systematische Darstellung nicht gefördert hat; sind doch die Letzten Dinge viel eher der Ort, wo – spätestens! – die Aporetik der Theologie sichtbar wird. Es gibt kein ‚System‘ der Letzten Dinge“42. Balthasars Theologie sprengt darum jede klassische Systematik; vor allem sprengt sie die Grenzen aller Traktate auf. Dies heißt nun aber nicht, sie verliefe sich gleichsam in einer Aufaddierung von Disparatem. Vielmehr ist sein Werk in allen seinen Teilen christozentrisch ausgerichtet und strukturiert und hat in diesem Sinne durchaus eine innere Einheit.

Die eigentliche Originalität des balthasarschen Denkens liegt nun aber darin, dass er den Einheitspunkt der Theologie noch einmal auf eine zentrierende Mitte zugespitzt sieht. Hans Urs von Balthasar zufolge ergeht die Selbstoffenbarung Gottes zuhöchst im Karsamstagsereignis. Einzig vom Höllenabstieg Jesu Christi her ist darum seiner Überzeugung nach die christliche Heilsbotschaft angemessen zu erschließen und in ihrer ganzen Tiefe auszuloten. Damit ist klar, dass die balthasarsche Rede von der Hölle jeder Drohgebärde von Grund auf zuwider läuft. Sie ist vielmehr fundamental darauf ausgerichtet, eine universale Hoffnungsperspektive zu eröffnen und als begründet auszuweisen. Der Grundgedanke dabei ist, dass der Sohn Gottes das göttliche Heil bis in die tiefsten Abgründe des Menschen und seiner Welt hineinträgt und dergestalt Hoffnung auch und gerade dort stiftet, wo völlige Hoffnungslosigkeit herrscht. Von diesem Ereignis her entwickelt Balthasar also seine Theologie insgesamt, was in der Konsequenz zugleich bedeutet, dass alle seine theologischen Aussagen, sei es explizit oder auch implizit, die Signatur des Descensus Christi ad inferos tragen.

Es kann nicht verwundern, wenn eine solche Grundkonzeption in starkem Maße polarisierend wirkt. Balthasar hat ebenso glühende Bewunderer,43 wie auch vehemente Gegner. Gegen seine Verächter ist der Theologe vielfach „in Schutz zu nehmen – nicht, um eine sachliche Debatte zu blockieren, sondern um – gelinde gesagt – unterkomplexe Zuschreibungen abzuwehren.“44 Im Fokus polemischer Kritik stand zunächst einmal, wie nicht anders zu erwarten, die Frage der Hoffnung auf das Heil aller. Ihren Höhepunkt erreichten die diesbezüglichen Anfeindungen Balthasars durch Vertreter kirchlich rechtskonservativer Kreise in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre.45 Nach einer längeren Phase, in der seine Theologie der Hölle eher verhalten diskutiert wurde, löste im Jahr 2007 dann die amerikanische Theologin Alyssa L. Pittstick mit ihrer Dissertation,46 in der sie Balthasars Theologie des Karsamstags unter Häresieverdacht stellt, im englischsprachigen Raum neue und z. T. abermals heftige Auseinandersetzungen aus.47 Eine eingehende, systematische Darstellung und Untersuchung des balthasarschen Entwurfs zu einer Theologie der Hölle jedoch bleiben bei allen KritikerInnen gleichermaßen zu vermissen.

Nun sind in jüngerer Zeit bemerkenswerter Weise zwei große Arbeiten zur Höllenthematik erschienen, aber auch diese handeln beide nicht von Balthasar. In ihrer schon mehrfach zitierten Dissertation zeigt Elke Jüngling u. a. in einer systematisch-theologischen Bestandsaufnahme,48 dass es sich bei der Hölle keineswegs um einen veralteten Glaubensartikel handelt. Hans Urs von Balthasar gehört aber leider nicht zu den 20 von ihr exemplarisch ausgewählten und besprochenen Theologen. Eine eher fundamentaltheologische Perspektive nimmt Markus Schulze ein und fragt: „Ist die Hölle menschenmöglich?“49 Seine Arbeit dazu will er ausdrücklich verstanden wissen „als eine historisch-systematische Hinführung zu Balthasar und der Auseinandersetzung um sein Werk“50. Er denkt also „bis an Balthasar heran, nicht wirklich in seine Eschatologie hinein.“51 Diese angemessen zur Sprache zu bringen, formuliert er allerdings explizit als dringende Forschungsaufgabe.52

Der Stand innerhalb der Balthasar-Rezeption bleibt also auch durch erste Ansätze zu einer Wiederentdeckung der Höllenfrage unverändert. Zur Diskussion steht immer wieder das gedankliche Endergebnis der balthasarschen Theologie der Hölle, ohne dass aber die Wege seiner Herleitung angemessen erschlossen und erhellt wären. Die Tragfähigkeit jeder Kritik, sei sie nun negativ oder auch positiv53, kann damit nur eine deutlich begrenzte sein. Damit aber wird letztlich die Chance vergeben, das nicht nur so ganz originäre, sondern zweifellos auch sehr reiche Denken Balthasars auf heutige Frage- und Problemstellungen hin auszuwerten und fruchtbar zu machen. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Beitrag zur Bearbeitung dieses Desiderats.

Sperare Contra Spem

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