Читать книгу Rechtsgeschichte - Susanne Hähnchen - Страница 89
b) Formularverfahren und Beamtenkognition[7]
Оглавление154
Die Rechtsfortbildung durch die Prätoren (Rn. 117 ff) blieb auch im Prinzipat zunächst noch möglich. Um 130 n. Chr. ließ der Kaiser Hadrian jedoch die Edikte des Stadt- und des Fremdenprätors sowie das Edikt des kurulischen Ädils (zum Kaufrecht) durch den Juristen Salvius Iulianus (Rn. 166) in eine Fassung bringen, die nur noch mit Erlaubnis des princeps geändert werden durfte. Damit wurde das ohnehin schon weitgehend fest stehende Edikt endgültig zum edictum perpetuum (ewigen Edikt). Die Rechtsgrundlage für die „Versteinerung“ des Edikts ist nicht bekannt. Jedenfalls reichte der Wille des Kaisers aus, um eine prätorische Rechtsbildung für die Zukunft zu unterbinden. Unklar ist, ob auch die Edikte der Provinzstatthalter, die den römischen weitgehend ähnelten, festgeschrieben wurden.
155
Dem vom Prätor eingeleiteten Formularprozess machte in der Kaiserzeit eine neue Prozessart Konkurrenz, die extraordinaria cognitio (außerordentliche Untersuchung, gerichtliche Erkenntnis). Hier entschied ein beamteter Richter ohne Erteilung einer Klagformel auf Grund des freien Sachvortrags der Parteien. Es handelte sich um eine Klage (actio) im untechnischen Sinne, also nur nach den Regeln des materiellen Rechts, woraus sich später der (materielle) Anspruch entwickelte. Die Einrede (exceptio) war nun nicht mehr eine „Ausnahme“ von den Verurteilungsbedingungen, sondern jedes dem Beklagten günstige Vorbringen. Der Prozess war nicht zweigeteilt und der Richter hatte viel mehr Einfluss auf das Verfahren, das mit einer halbamtlichen Ladung begann und mit einem schriftlichen Urteil endete.
Die Anfänge dieser „modernen“ Prozessart gehen wohl mindestens auch auf Prozesse zwischen bzw. mit Peregrinen (Nichtrömern) in den Provinzen zurück, was eine erstaunliche Parallele zur Entstehung des Formularverfahrens darstellt. Beide Male dürfte also der (wirtschaftliche) Kontakt mit Fremden sich erneuernd und belebend auf das römische Recht ausgewirkt haben.
156
Augustus setzte kaiserliche Beamtenrichter zunächst zur Entscheidung von Rechtsfragen ein, für die es im Edikt keine Formel gab. Das waren einmal Prozesse um angeblich „kaduke“ Nachlässe im Besitz des Aerars (Rn. 149, 153).
Zum anderen konnten (römisch-rechtliche) Fideikommisse in der extraordinaria cognitio eingeklagt werden. Fideikommisse waren ursprünglich rechtlich unverbindliche Bitten an den Erben, einzelne Nachlassgegenstände oder unter gewissen Umständen auch den ganzen Nachlass an einen Dritten (fideicommissarius) herauszugeben, so etwa die „Bitte“ an die erbende Ehefrau, den Nachlass im Falle ihrer Wiederverheiratung den gemeinsamen Kindern zu überlassen. Fideikommisse wurden üblicherweise in formlosen Nachträgen zum Testament (Kodizillen) angeordnet. Augustus ließ Klagen aus Fideikommissen zu, und zwar auch, wenn ein Peregrine bedacht war. Fideikommisse dienten bald dazu, Wirkungen ähnlich der unserer Vor- und Nacherbschaft zu erreichen, die dem römischen Recht fremd war (semel heres – semper heres; einmal Erbe – immer Erbe).
Ein weiteres Beispiel für die extraordinaria cognitio war das Honorar (honorarium = Ehrensold) für einen an sich unentgeltlichen Auftrag. Der Auftrag (mandatum) hatte höhere Dienste (operae liberales) zum Gegenstand. Niedere Dienste (operae illiberales) wurden auf Grund locatio conductio (Rn. 132) für Lohn (merces) geleistet.
157
Zum kaiserlichen Beamtenprozess wurden im Laufe des Prinzipats auch Klagen zugelassen, die an sich im Formularverfahren hätten erhoben werden können. Die beiden Prozessarten traten also nebeneinander und der Formularprozess verlor faktisch an Boden. Ausdrücklich abgeschafft wurde er durch eine Kaiserkonstitution im Jahre 342 n. Chr.[8] In der Praxis der extraordinaria cognitio entstand auch der Instanzenzug an den Kaiser, genauer an das mit kaiserlichen Juristen besetzte consilium (Rat). Schließlich bildete sich der Grundsatz heraus, dass der Kaiser jedes Gerichtsverfahren an sich ziehen konnte und dass jedermann in jedem Verfahren an den Kaiser appellieren durfe.