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2. Weitere Institutionen des klassischen Privatrechts
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Einige grundlegende Institutionen sollen noch beschrieben werden, die in den bisher erwähnten Zusammenhängen nicht erschienen.
Im Personenrecht gab es weiterhin die Sklaverei. Immerhin verleugneten die römischen Juristen nicht ganz ihr schlechtes Gewissen gegenüber dieser Erscheinung, akzeptierten sie jedoch als unabänderliche Gegebenheit ihrer Zeit.
Nach dem Naturrecht gibt es keine Sklaverei, sie ist also gegen die Natur des Menschen. Wie schon die griechischen Philosophen, insbesondere Aristoteles, hatten die römischen Juristen jedoch nur geringe Probleme damit, sie zu rechtfertigen.[19]
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Feste Altersgrenzen für die Geschäftsfähigkeit gehen wohl auf die Prokulianer (Rn. 163) zurück. Die infantes (von fari = sprechen, also die, welche noch nicht – vernünftig – sprechen können), Kinder bis zum 7. Lebensjahr, sind geschäftsunfähig (heute § 104 Nr. 1 BGB). Die pupilli (Knaben vom 7. bis 14., Mädchen vom 7. bis zum 12. Jahr) konnten ihnen vorteilhafte Geschäfte abschließen (vgl. § 107 BGB). Sonst bedurften ihre Geschäfte – wenn die pupilli nicht unter väterlicher Gewalt standen – der Zustimmung (auctoritas) ihres Vormundes (tutor).
Infantes und pupilli waren impuberes (Unmündige). Junge Leute zwischen 12 bzw. 14 und 25 Jahren hießen minores (Minderjährige). Aufgrund der lex (P)laetoria (etwa 200 v. Chr, Rn. 109) gewährte der Prätor den minores eine exceptio oder die restitutio in integrum (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) gegenüber Geschäften, durch die der minor übervorteilt worden war. In diesen Fällen blieb die Verpflichtung des Kontrahenten des Minderjährigen wirksam („hinkende Geschäfte“). War dem minor vom Prätor ein Pfleger (curator) bestellt, so waren die mit Zustimmung (consensus) dieses Pflegers geschlossenen Geschäfte des Minderjährigen auf jeden Fall wirksam.
Feste Altersgrenzen für die Deliktsfähigkeit gab es im römischen Recht nicht (vgl. heute § 828 BGB).
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Im Familienrecht wurden manus-Ehen (Rn. 65) in klassischer Zeit nur noch ausnahmsweise, etwa von (heidnischen) Priestern, geschlossen. Sonst war die freie Ehe üblich. Sie beruhte nicht auf Vertrag, sondern wurde als faktischer sozialer Zustand angesehen und konnte von jedem Partner grundsätzlich jederzeit aufgekündigt werden. Allerdings büßte der Mann, der sich ohne triftigen Grund von seiner Frau schied, dabei die dos (Mitgift) ein.
Die dos hatte die Funktion, die Frau nach Ende der Ehe zu versorgen. Das Dotalrecht nimmt in den Digesten breiten Raum ein, da es für vermögende Römer von großer Bedeutung war. Starb der Ehemann, so konnte die Frau die dos (von seinen Erben) herausverlangen. Starb die Frau, verblieb die dos oft dem Mann, jedoch war diese Regelung nicht einheitlich.
Eine Unterhaltspflicht gegenüber Ehegatten war nur sittlich, aber nicht rechtlich anerkannt. Verwandte auf- und absteigender Linie hielt man kraft kaiserlicher Entscheidungen für einander zum Unterhalt verpflichtet.
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Frauen, die nicht unter väterlicher Gewalt oder manus standen, hatten einen Vormund (tutor; in erster Linie ein Verwandter), und zu bestimmten wichtigen Geschäften bedurften sie seiner Zustimmung (auctoritas). Wie alle Vormundschaften im römischen Recht diente sie ursprünglich nicht dem Schutz des Mündels, sondern dem des Familienvermögens. Nach den augusteischen Ehegesetzen (Rn. 150) waren freigeborene Frauen mit drei, freigelassene mit vier Kindern von der Vormundschaft befreit.
Der Prätor gestattete den Frauen unter Umständen, sich ihren Vormund selbst auszusuchen. Praktisch verlor die Vormundschaft über Frauen im Prinzipat immer mehr an Bedeutung, verschwand aus dem römischen Recht am Ende des 3. Jahrhunderts ganz, erhielt sich aber im Osten des Reiches in Form der sog. Geschlechtsvormundschaft.
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Durch die Prätoren wurde auch das gesetzliche Erbrecht (Rn. 66) verändert. Dieses galt wenn ein Erblasser ohne gültiges Testament verstorben war. Die prätorischen Erben wurden in Klassen zusammengefasst[20], die hintereinander berufen wurden (sukzessive Delation). Angehörige einer nachrangigen Klasse erbten erst, wenn Angehörige einer vorhergehenden nicht vorhanden waren.
Zur ersten Klasse (unde liberi) gehörten neben den sui heredes (blutsverwandte und Adoptivkinder) auch die Abkömmlinge, die durch emancipatio (Rn. 64) aus der Gewalt des Erblassers ausgeschieden waren, sofern sie nicht in eine andere Familie adoptiert worden waren. Danach kam die Klasse unde legitimi. Dies waren die gesetzlichen Erben des alten ius civile, also nochmals die sui heredes, diesmal jedoch ohne die aus der Hausgewalt ausgeschiedenen Abkömmlinge und ansonsten der gradnächste Agnat.
Weibliche Agnaten, also die weiblichen Seitenverwandten, wurden nur dann als Erben zugelassen, wenn keine männlichen Agnaten mehr vorhanden waren. Die Klasse unde cognati umfasste alle Blutsverwandten des Erblassers bis zum sechsten oder siebten Grade. Unde vir et uxor, an letzter Stelle, berief das prätorische Edikt den Ehegatten, der mit dem Erblasser bis zu dessen Tode in gültiger Ehe (iustum matrimonium) gelebt hatte. Insbesondere die Ehefrau wurde also durch alle Verwandten von der Intestaterbfolge ausgeschlossen.
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Im Recht des Testaments entwickelte sich anknüpfend an die lex Falcidia (40 v. Chr., Rn. 109) ein dem heutigen Pflichtteilsrecht ähnliches Noterbrecht, wonach Abkömmlingen und Vorfahren des Erblassers mindestens ein Viertel ihres Intestaterbteils verbleiben musste (quarta Falcidia). Erwähnte der Erblasser diese Verwandten in seinem Testament nicht, so konnte der Berechtigte als Noterbrecht seine volle (Intestat-)Erbportion einklagen. Geschwistern des Erblassers stand das falzidische Viertel zu, wenn ihnen im Testament eine turpis persona (unehrenhafte Person) vorgezogen war. Der Rechtsbehelf, mit dem das Noterbrecht geltend gemacht wurde, war die querela inofficiosi testamenti (Klage wegen pflichtwidrigen Testaments).
Einen Ehegattenpflichtteil gab es nicht, wie das römische Recht überhaupt zurückhaltend in der Frage des Ehegattenerbrechts war. Zur Versorgung der überlebenden Ehefrau diente, wie gesagt, in erster Linie die Mitgift (dos).
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Im Sachenrecht blieb die Zweiteilung in res mancipi und res nec mancipi (Rn. 67 f) bestehen. Der hochklassische Jurist Gaius doziert dazu:
Inst. 2:
18. Magna autem differentia est inter mancipi res et nec mancipi. 19. Nam res nec mancipi ipsa traditione pleno iure alterius fiunt, si modo corporales sunt et ob id recipiunt traditionem. 20. Itaque si tibi vestem vel aurum vel argentum tradidero sive ex venditionis causa sive ex donationis sive quavis alia ex causa, statim tua fit ea res, si modo ego eius dominus sim. 21. In eadem causa sunt provincialia praedia, quorum alia stipendiaria, alia tributaria vocamus: stipendiaria sunt ea, quae in his provinciis sunt, quae propriae populi Romani esse intelleguntur; tributaria sunt ea, quae in his provinciis sunt, quae propriae Caesaris esse creduntur. 22. Mancipi vero res sunt, quae per mancipationem ad alium transferuntur; unde etiam mancipi res sunt dictae.
Übersetzung:
18. Ein großer Unterschied aber besteht zwischen res mancipi und res nec mancipi. 19. Denn die res nec mancipi werden durch Übergabe selbst vollen Rechts eines anderen, wenn sie körperlich sind und deshalb übergeben werden können. 20. Daher, wenn ich dir ein Kleidungsstück oder Gold oder Silber übergebe, sei es auf Grund Verkaufs oder Schenkung oder aus irgendeinem anderen Grund, wird diese Sache sogleich dein, wenn ich nur Eigentümer bin. 21. In der gleichen Lage sind Provinzialgrundstücke, von denen wir manche stipendiarische, andere tributarische nennen. Stipendiarische sind die, welche in den Provinzen sind, die dem römischen Volke gehören. Tributarische sind die, welche in den Provinzen sind, von denen man annimmt, dass sie dem Kaiser zu eigen sind. 22. Res mancipi aber sind, welche durch Manzipation auf einen anderen übertragen werden.
Faktisch geriet die mancipatio als an sich erforderliche Übereignungsgeschäft für res mancipi aber zunehmend außer Gebrauch, wie schon beschrieben wurde (Rn. 125 f).
Ebenso erhalten blieben die Ersitzung vom Nichteigentümer erworbener Sachen und der darauf beruhende gutgläubige Erwerb mithilfe des Schutzes durch die actio Publiciana (Rn. 124).
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Im Schuldrecht versuchte man spätestens in klassischer Zeit, die Obligationen systematisch nach ihren Entstehungsgründen einzuteilen. Bei Gaius heißt es im 3. Buch seiner Institutionen:
Inst. 3:
88. Nunc transeamus ad obligationes, quarum summa divisio in duas species diducitur: omnis enim obligatio vel ex contractu nascitur vel ex delicto.
182. Transeamus nunc ad obligationes, quae ex delicto nascuntur, veluti si quis furtum fecerit, bona rapuerit, damnum dederit, iniuriam commiserit. quarum omnium rerum uno genere consistit obligatio, cum ex contractu obligationes in IIII genera diducantur, sicut supra exposuimus.
Übersetzung:
88. Nun wollen wir zu den schuldrechtlichen Verbindlichkeiten übergehen, deren Anzahl in zwei Arten eingeteilt wird. Jegliche Obligation entsteht nämlich aus Kontrakt oder aus Delikt.
182. Wir wollen nun zu den Obligationen übergehen, die aus Delikt entstehen, wie wenn jemand einen Diebstahl verübt, Güter raubt, Schaden anrichtet, eine Persönlichkeitsverletzung begeht. Bei allen diesen Dingen besteht eine Obligation einer Art, während die Obligationen aus Kontrakt in vier Arten eingeteilt werden, wie wir oben auseinandergesetzt haben.
Heute verstehen wir Kontrakt im Sinne von Vertrag. Die Obligationen kann man aber nur grob in solche aus Vertrag und solche aus Delikt einteilen. Innerhalb des BGB unterscheiden wir zwischen vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen und zählen zu denen aus Gesetz neben dem Delikt auch die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio). Gerade diese beiden fehlen aber im Schema der Gaius-Institutionen. Sie hätten darin nur einen Platz, wenn man annähme, Gaius habe unter contractus jeden rechtmäßigen Bindungsakt verstanden, im Gegensatz zum rechtswidrigen Delikt. Das passt aber nicht zu einer anderen, möglicherweise überarbeiteten Gaius-Stelle, die den Institutionen auch vom Zusammenhang her sehr ähnlich ist:
Dig. 44, 7, 1 pr.:
Gaius libro secundo aureorum. Obligationes aut ex contractu nascuntur aut ex maleficio aut proprio quodam iure ex variis causarum figuris.
Übersetzung:
Gaius im zweiten Buch der „Goldenen“: Obligationen entstehen entweder aus Kontrakt oder aus Untat oder gewissermaßen durch das Recht selbst aus verschiedenen Figuren von Rechtsgründen.
Unter den verschiedenen, sonstigen Gründen nennt der Verfasser der „goldenen Regeln“[21] denn auch die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag.[22] In den Gaius-Institutionen hingegen werden sie in der folgenden weiteren Unterteilung nicht explizit in den Zusammenhang mit dem Schema der kontraktlichen Obligationen gebracht.
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In Inst. 3, 89 unterteilt Gaius die kontraktlichen Obligationen weiter:
Et prius videamus de his, quae ex contractu nascuntur. harum autem quattuor genera sunt: aut enim re contrahitur obligatio aut verbis aut litteris aut consensu.
Übersetzung:
Und zuerst wollen wir die betrachten, die aus Kontrakt entstehen. Deren Arten aber sind vier: Entweder nämlich durch (Hingabe einer) Sache wird die Obligation begründet oder Worte oder Schrift oder Konsens.
Auf diese Einteilung wurde hier schon eingegangen (Rn. 132). Für die Realobligation gibt Gaius sodann in Inst. 3, 90 das Beispiel Darlehen und fährt fort:
Gaius Inst. 3, 91:
Is quoque, qui non debitum accepit ab eo, qui per errorem solvit, re obligatur; nam proinde ei condici potest si paret eum dare oportere, ac si mutuum accepisset. unde quidam putant pupillum aut mulierem, cui sine tutoris auctoritate non debitum per errorem datum est, non teneri condictione, non magis quam mutui datione. sed haec species obligationis non videtur ex contractu consistere, quia is, qui solvendi animo dat, magis distrahere vult negotium quam contrahere.
Übersetzung:
Auch derjenige, der etwas nicht Geschuldetes von dem annimmt, der aufgrund Irrtums leistet, wird durch [Hingabe einer] Sache verpflichtet. Denn darauf kann man von dem kondizieren [nach der Formel] „wenn es sich herausstellt, dass er geben muss“, als wenn er ein Darlehen angenommen hätte. Daher glauben manche, dass ein Minderjähriger oder eine Frau, dem bzw. der ohne Genehmigung des Vormunds etwas nicht Geschuldetes irrtümlich gegeben worden ist, nicht mit der Kondiktionsklage haften, nicht mehr als bei der Hingabe eines Darlehens. Aber diese Art von Obligation erscheint nicht aus Kontrakt herzurühren, weil der, welcher mit der Absicht zu leisten gibt, eher ein Geschäft lösen als begründen will.
Über die Auslegung dieser Stelle gibt es bis heute viel Streit bzw. Zweifel an ihrer Echtheit. Wenn der Text echt ist, dann sah Gaius die ungerechtfertigte Bereicherung tatsächlich nicht als contractus an und die Dreiteilung in Dig. 44, 7, 1 erscheint jedenfalls sachlich richtig, die Zweiteilung in Gai. Inst. 3, 88 dementsprechend unvollständig.
In Gaius Inst. 3, 91 wird das Darlehen verglichen mit der Zahlung einer Nichtschuld (solutio indebiti), dem wichtigsten Grund einer ungerechtfertigten Bereicherung, die mit condictio zurückverlangt wurde (Rn. 127, vgl. Dig. 12, 6). Danach folgt die Darstellung eines Streites unter den klassischen Juristen („quidam putant“). Ob die condictio generell einen – wirksamen – rechtsgeschäftlichen Tatbestand (negotium) voraussetzte, ist bis heute umstritten und wird u. a. an dieser Stelle diskutiert, soll hier aber nicht vertieft werden. Möglicherweise ging es Gaius Inst. 3, 91 nämlich gar nicht darum, sondern – was viel besser in den Zusammenhang des Vorhergehenden passt – darum, ob die Zahlung einer Nichtschuld ein contractus ist bzw. wie sich diese in die Einteilung der Obligationen einfügt.
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Vorsicht ist geboten bei der Herleitung allgemeiner Regeln des Schuldrechts aus den Quellen (Rn. 171). Die klassischen Juristen haben kein „allgemeines Schuldrecht“ entwickelt, ebenso wenig einen „Allgemeinen Teil“ im Sinne desjenigen des BGB; dieser ist eine Erfindung der deutschen Pandektistik (Rn. 738). Insofern sind noch heute manche Lehrbücher des römischen Privatrechts recht pandektistisch (also letztlich ahistorisch).
Aussagen über die Folgen von sog. Leistungsstörungen werden immer (nur) für konkrete Kontraktstypen gemacht, vor allem für die Stipulation, etwa über die Unwirksamkeit der Obligation wegen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit, beispielsweise das Versprechen der Leistung eines in Wahrheit verstorbenen Sklaven oder eines Freien;[23] wegen verschuldeter nachträglicher Unmöglichkeit und wegen Verzuges (mora). Eine Übertragung auf andere Vertragstypen (Analogie) ist nicht ohne weiteres möglich.
Als Verschuldensarten sind culpa (Fahrlässigkeit) und dolus (Vorsatz) bekannt. Daneben spielt bei manchen Vertragsarten die custodia (objektiv ordnungsgemäße Bewachung der verwahrten Sache) eine Rolle. So haftete der Verwahrer ohne weiteres für den von einem Einzelnen begangenen Diebstahl, nicht aber für die Entwendung durch eine Räuberbande oder für Schäden auf Grund von Naturkatastrophen.
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Gegenstand besonders gründlicher Behandlung durch die Klassiker war das Kaufrecht. In diesem Zusammenhang haben sie sich auch mit dem Problem befasst, inwieweit Dissens (fehlende Willensübereinstimmung) oder Irrtum das Zustandekommen des Vertrages verhindern. Hier eine etwas längere Leseprobe aus dem Sabinus-Kommentar des Spätklassikers Ulpian (Rn. 170):
Dig. 18, 1, 9 pr.:
Ulpianus libro vicensimo octavo ad Sabinum. In venditionibus et emptionibus consensum debere intercedere palam est: ceterum sive in ipsa emptione dissentient sive in pretio sive in quo alio, emptio imperfecta est. si igitur ego me fundum emere putarem Cornelianum, tu mihi te vendere Sempronianum putasti, quia in corpore dissensimus, emptio nulla est. idem est, si ego me Stichum, tu Pamphilum absentem vendere putasti: nam cum in corpore dissentiatur, apparet nullam esse emptionem.
§ 1. Plane si in nomine dissentiamus, verum de corpore constet, nulla dubitatio est, quin valeat emptio et venditio: nihil enim facit error nominis, cum de corpore constat.
§ 2. Inde quaeritur, si in ipso corpore non erratur, sed in substantia error sit, ut puta si acetum pro vino veneat, aes pro auro vel plumbum pro argento vel quid aliud argento simile, an emptio et venditio sit. Marcellus scripsit libro sexto digestorum emptionem esse et venditionem, quia in corpus consensum est, etsi in materia sit erratum. ego in vino quidem consentio, quia eadem prope est, si modo vinum acuit: ceterum si vinum non acuit, sed ab initio acetum fuit, ut embamma, aliud pro alio venisse videtur. in ceteris autem nullam esse venditionem puto, quotiens in materia erratur.
Übersetzung:
Ulpian im 28. Buch zu Sabinus. (pr.) Offensichtlich muss bei Käufen und Verkäufen Konsens bestehen. Im Übrigen, wenn man im Kauf selbst oder im Preis oder in etwas anderem nicht willenseinig ist, ist der Kauf unvollständig. So also, wenn ich glaube, das Cornelianische Grundstück zu kaufen, du das Sempronianische zu verkaufen glaubst, ist der Kauf nichtig, weil wir im Gegenstand nicht einig sind. Ebenso ist es, wenn ich den Stichus [zu kaufen], du den abwesenden Pamphilus zu verkaufen glaubst. Denn da wir über den Gegenstand uneins sind, erscheint der Kauf nichtig zu sein.
§ 1. Klar, wenn wir über den Namen uneins sind, aber über den Gegenstand das Wahre feststeht, besteht kein Zweifel, dass Kauf und Verkauf gültig sind. Nichts macht nämlich der Irrtum über den Namen, wenn der Gegenstand feststeht.
§ 2. Daher wurde gefragt, ob Kauf und Verkauf bestehen, wenn nicht im Gegenstand selbst geirrt wird, der Irrtum sich vielmehr auf die Substanz bezieht, zum Beispiel, wenn Essig für Wein verkauft wird, Erz für Gold oder Blei für Silber oder etwas anderes dem Silber Ähnliches. Marcellus schrieb im sechsten Buch der Digesten, Kauf und Verkauf seien [gültig], da Konsens über den Körper bestehe, wenn auch über den Stoff geirrt worden sei. Ich stimme für den Wein zu, weil es fast dasselbe „Wesen“ ist, wenn Wein sauer wird. Im Übrigen, wenn er nicht sauer wird, sondern von Anfang an Essig war, wie Gewürzessig, erscheint etwas anderes für etwas anderes verkauft. Sonst aber meine ich, dass der Verkauf nichtig ist, soweit über den Stoff geirrt wird.
Dig. 18, 1, 11 pr.:
Ulpianus libro vicesimo octavo ad Sabinum. Alioquin quid dicemus, si caecus emptor fuit vel si in materia erratur vel in minus perito discernendarum materiarum? in corpus eos consensisse dicemus? et quemadmodum consensit, qui non vidit?
§ 1. Quod si ego me virginem emere putarem, cum esset iam mulier, emptio valebit: in sexu enim non est erratum. ceterum si ego mulierem venderem, tu puerum emere existimasti, quia in sexu error est, nulla emptio, nulla venditio est.
Übersetzung:
Ulpian im 28. Buch zu Sabinus. (pr.) Denn was sollen wir sonst sagen, wenn der Käufer blind war oder im Stoff geirrt wurde oder bei zu geringer Sachkenntnis im Unterscheiden der Stoffe? Soll man [hier] im Gegenstand einig sein?
§ 1. Wenn ich glaube, eine Jungfrau zu kaufen, wenn sie schon Frau ist, wird der Kauf gültig sein. Über das Geschlecht besteht nämlich kein Irrtum. Im Übrigen, wenn ich eine Frau verkaufe und du meinst, einen Knaben zu kaufen, weil der Irrtum sich auf das Geschlecht bezieht, sind Kauf und Verkauf nichtig.
Auf den vorstehenden, langen Text geht nicht nur § 155 BGB zurück, sondern auch § 119 BGB. Auch die – von den Römern so nicht formulierte Regel – falsa demonstratio non nocet (Falschbezeichnung schadet nichts, d.h. wenn nur das Gleiche gemeint ist, wird der Wille der Parteien respektiert) geht auf Dig. 18, 1, 9, 1 zurück.
Eine Anfechtung kannten die Römer allerdings nicht. Es ging nur um Nichtigkeit oder Wirksamkeit des Vertrages. Die Abgrenzung vom relevanten zum unbeachtlichen Eigenschaftsirrtum fiel offensichtlich schon den Klassikern schwer. Unser § 119 Abs. 2 BGB ist nicht viel weiter gelangt. Denn die entscheidende Frage, was eine wesentliche Eigenschaft ist, lässt auch unser Gesetz offen.
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Beim sog. Gefahrübergang im Kaufrecht geht es darum, von welchem Zeitpunkt ab der Käufer den Preis bezahlen muss, obwohl die Kaufsache zerstört worden oder verloren gegangen ist.
Dig. 18, 6, 8:
Idem [i.e. Paulus] libro trigesimo tertio ad edictum. Necessario sciendum est, quando perfecta sit emptio: tunc enim sciemus, cuius periculum sit: nam perfecta emptione periculum ad emptorem respiciet. et si id quod venierit appareat quid quale quantum sit, sit et pretium, et pure venit, perfecta est emptio.
Übersetzung:
Derselbe [d.h. Paulus] im 33. Buch zum Edikt. Nötig ist es zu wissen, wann ein Kauf perfekt ist. Dann nämlich wissen wir, wessen die Gefahr ist. Denn bei perfektem Kauf gehört die Gefahr zum Käufer. Und wenn offenbar ist, was, in welcher Beschaffenheit und Menge verkauft wird und wenn ohne Bedingung verkauft wird, ist der Kauf perfekt.
Allgemein trägt der Eigentümer die sog. Sachgefahr, dass also eine Sache zufällig untergeht oder verschlechtert wird – ihn trifft der Schaden oder wie man später formulierte: casum sentit dominus (den Zufall spürt der Eigentümer). Perfektion meint das Zustandekommen eines wirksamen Kaufvertrages und dadurch soll nach der Aussage des Paulus die Gefahr übergehen. Gemeint ist damit das Risiko, dass der Käufer zahlen muss, ohne die Sache überhaupt zu erhalten (Preisgefahr). Ob der Satz periculum est emptoris aber allgemein galt, d.h. die Gefahr immer schon mit Abschluss des Kaufvertrages auf den Käufer überging, war lange umstritten.[24] Möglicherweise erklärt sich die römische Regel durch den alten Barkauf, bei dem der Käufer sofort Eigentum erwarb. Wenn der Verkäufer sie noch behielt, musste er zudem für custodia (Rn. 183) haften. Anders jedenfalls die §§ 446, 447 BGB, wonach die Gefahr erst mit der Übergabe der Kaufsache an den Käufer auf diesen übergeht, weil er sie dann erst beherrschen kann, bei Annahmeverzug des Käufers oder beim sog. Versendungskauf mit Übergabe an den Transporteur.
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Erst wenn feststeht, dass ein gültiger Kauf zustandegekommen (perfekt) ist, kann auch das Problem der Gewährleistung wegen Sach- oder Rechtsmängeln auftreten. Hinsichtlich der Gewährleistung wegen Sachmängeln entwickelten die Römer ein System aus Wandlung (Rückgängigmachung des Kaufes), Minderung und – bei Zusagen (dicta et promissa) oder Arglist (dolus) – Schadensersatz. Diese waren noch ganz ähnlich in den §§ 459, 462, 463 der alten, bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung des BGB zu finden. Auch die in Nr. 2 und 3 der seit 1.1.2002 geltenden Fassung des § 437 BGB aufgezählten Rechtsbehelfe erinnern noch an das römische Recht, obgleich die dogmatische Grundlage der Rechte des Käufers jetzt nicht mehr die Gewährleistung darstellt, sondern die Verletzung der Pflichten des Verkäufers. Neu ist hingegen die Nacherfüllung.
Die römische Rechtsmängelhaftung gestaltete sich recht kompliziert. Sie zielte auf Wandlung oder Schadensersatz in einfacher oder doppelter Höhe des Kaufpreises und setzte grundsätzlich voraus, dass der berechtigte Dritte die Sache vom Käufer herausgeklagt hatte (Eviktionsprinzip).
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Die römische Miete wurde (neben Pacht, Dienstvertrag und Werkvertrag) erfasst von der locatio conductio (Rn. 131). Sie bot dem Mieter keinen Besitzschutz gegenüber dem Hauswirt, von dem er gemietet hatte. Entzog der Vermieter (Eigentümer) dem Mieter die vermietete Sache, z. B. die Wohnung, so verletzte er zwar den Vertrag und machte sich für eventuelle Schäden ersatzpflichtig. Die Wohnung konnte der Mieter aber nicht zurück verlangen. Er wurde also juristisch schlechter behandelt als der Eigentümer.
Veräußerte der Vermieter die insula (Mietskaserne) an einen anderen, so hatte der Mieter gegenüber diesem Nachfolger keinerlei Rechte. Der Nachfolger des Vermieters durfte die Mieter sogar gewaltsam aus der Mietsache vertreiben (verkürzt: „Kauf bricht Miete“; anders heute § 566 BGB). Der Mieter konnte nur Schadensersatz von seinem Vermieter verlangen, wegen Vertragsverletzung.
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Die sog. Innominatrealkontrakte füllten eine von den bisher erwähnten Kontraktstypen offen gelassene Lücke. Die bisher genannten Verträge wie der Kauf hatten einen eigenen Namen. Die Innominatkontrakte waren hingegen „unbenannte“ Austauschverträge und setzten voraus, dass bereits eine Leistung erbracht wurde, was reale Bindung (durch Hingabe) bewirkte.
Hatte z. B. jemand Geld gezahlt und mit dem Empfänger die Freilassung eines Sklavens vereinbart, so entsprach dies keinem der üblichen Verträge bzw. es gab keine Klage für so eine Vereinbarung (Freilassung). Der Leistende konnte aber bei Ausbleiben der Gegenleistung mittels einer actio in factum, also einer von dem Prätor auf den konkreten Sachverhalt formulierten Klage, entweder seine Leistung (das Geld) zurückverlangen oder die Gegenleistung (Freilassung) einklagen. Die Entwicklung erreichte also ein Zwischenstadium zwischen den Rechtsfolgen des § 812 Abs. 1 S. 2, 2. Fall BGB (Rückforderung einer Leistung wegen Zweckverfehlung) und den gegenseitigen Verträgen gem. §§ 320 ff BGB, indem der zuerst Leistende zwischen beiden Rechtsfolgen wählen konnte. Damit war ein wichtiger Schritt in Richtung auf die Vertragsfreiheit (Rn. 132) bei gegenseitigen Verträgen getan.
Auch der Austausch zweier Sachen – der nach Ansicht der Proculianer (Rn. 164), die sich letztlich durchsetzte, nicht mit der Kaufklage vollzogen werden konnte – gehört hierher.
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Die Schenkung (donatio) war gültige causa für Zuwendungen, aber auch für die Stipulation. Daher konnte weder das durch sog. Handschenkung (sofort vollzogene Schenkung) Zugewendete noch die zum Zwecke eines Schenkungsversprechens erteilte Stipulation kondiziert werden, d.h. Handschenkung und Schenkungsversprechen in Stipulationsform waren „kondiktionsfest“, endgültig wirksam.
Verboten blieben weiterhin donationes immodicae (unangemessene Schenkungen) nach der lex Cincia (Rn. 109) sowie Schenkungen unter Ehegatten. Justinian verlangte später für Schenkungen im Wert von 500 solidi (im gemeinen Recht 4666,67 Mark) nach älteren, aber nachklassischen Vorbildern die behördliche Beurkundung (insinuatio). Schenkungen von geringerem Wert waren formfrei. Diese Grenze galt gleichermaßen für Handschenkungen wie für Schenkungsversprechen. Die Schenkung war nun ein sog. pactum legitimum (Rn. 132) geworden.
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Der Anwendungsbereich der abstrakten condictio (Rn. 127) wurde in hoch- und spätklassischer Zeit deutlich erweitert. Hierzu gab es besonders viele Interpolationsvermutungen (Rn. 220), weil die spätere Systematisierung in den Digesten viele Entwicklungen verdeckt hat. Entscheidend ist, dass die Römer noch zwischen Herausgabe des Erlangten bei der condictio und Herausgabe nur der noch vorhandenen Bereicherung aus Billigkeitsgründen bei anderen (prätorischen) Klagen unterschieden. Dies wurde in der späteren Entwicklung vermischt und heute zielen die §§ 812 ff BGB, insbesondere § 818 Abs. 3 BGB (Entreicherung), anders als das Kondiktionenrecht der Römer grundsätzlich nur auf die Herausgabe der noch vorhandenen Bereicherung.
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Im Deliktsrecht arbeitete die klassische Jurisprudenz vor allem im Hinblick auf die lex Aquilia (Rn. 108) sowie die nach ihrem Vorbild gegebenen analogen Klagen die objektiven und subjektiven Elemente des Unrechts heraus, also Rechtfertigungsgründe und Verschulden. Allerdings unterschieden die Römer noch nicht zwischen (objektiver) Rechtswidrigkeit und (subjektivem) Verschulden, sondern bezogen beide Aspekte einheitlich in den Komplex der (aquilischen) iniuria ein. Den Rechtfertigungsgrund erkennen wir wieder in
Dig. 9, 2, 4:
Gaius libero septimo ad edictum provinciale. Itaque si servum tuum latronem insidiantem mihi occidero, securus ero: nam adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere.
Übersetzung:
Gaius im 7. Buch zum Provinzialedikt. Daher, wenn ich deinen Sklaven, der mir als Straßenräuber auflauert, töte, werde ich sicher sein. Denn nach natürlicher Vernunft ist es erlaubt, sich gegen eine Gefahr zu verteidigen.