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Kapitel 4

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Nachdem der Hotelmanager gegangen war, trat Dylan auf den Balkon hinaus und stellte sich an die Balustrade. Laura gesellte sich zu ihm.

„Eigentlich wäre es ein schöner Tag, um Besichtigungen zu machen, aber ich habe keine Lust, heute noch einmal überfallen zu werden“, seufzte Laura.

„Dann bleiben wir den Rest des Nachmittags hier im Hotel und morgen sehen wir uns trotzdem noch ein wenig mehr von Cusco an“, erwiderte er trotzig. Es ärgerte ihn, dass ihr Urlaub von den Vorkommnissen so stark beeinflusst wurde und wollte nicht zulassen, dass er ihnen ganz verdorben wurde.

„Wir lassen uns von denen doch nicht die schöne Zeit hier vermiesen und wir werden schon noch dahinter kommen, was es mit diesem Buch auf sich hat“, redete er sich in Rage.

Laura setzte sich auf einen der beiden Liegestühle und erwiderte: „Du hast recht, aber zwei Mal an einem Tag ist wirklich genug und dabei ist der gestrige Diebstahl noch gar nicht mitgezählt.“

Dylan setzte sich ebenfalls. Nachdem sie eine Weile stumm nebeneinandergesessen hatten, stand Laura auf, um nach drinnen zu gehen.

„Ich hole mir einen Roman, soll ich dir etwas mitbringen?“, fragte sie ihn.

„Ja, bitte. Bringst du mir meinen Notizblock mit?“

Sie brachte ihm den Block und setzte sich wieder auf ihren Liegestuhl. Bald darauf war sie in das Buch versunken, während Dylan sich Notizen für ein neues Buch machte, in dem er die Geschehnisse, der beiden letzten Tage, mit einfließen lassen wollte. Er schrieb sich alles haarklein auf. An jedes einzelne Detail wollte er sich später erinnern. Als es anfing zu dämmern, ging er nach drinnen, schaltete das Licht am Balkon ein und brachte zwei kalte Getränke, aus der Minibar, mit nach draußen und reichte eines davon seiner Frau.

„Danke. Das ist ein schöner Abend. Wenigsten konnten wir uns ein wenig von dem ganzen Trubel erholen“, lächelte sie ihn an.

„Es ist bald acht Uhr. Auf dieses Essen, das sie uns zusammenstellen wollten, bin ich schon gespannt und ich habe schon ziemlichen Hunger“, gab er zu.

Wie versprochen, pünktlich um zwanzig Uhr, klopfte es an der Tür und ein Kellner stand mit einem Serviertisch davor.

„Kommen sie nur herein, wir sind schon am Verhungern.“

Dylan hielt sich mit einer Hand den Bauch und mit der anderen winkte er den Kellner herein.

„Möchten Sie hier im Zimmer essen oder soll ich es ihnen draußen auf dem Balkon servieren?“, wollte dieser wissen.

„Es ist ein schöner, lauer Abend, ich denke wir essen lieber draußen“, nickte Dylan ihm zu.

Die Räder vom Wagen quietschen leicht, als der Kellner ihn über den Holzboden in Richtung Balkon schob. Er deckte den kleinen Tisch und rückte zwei Sessel zurecht. Dylan setzte sich Laura gegenüber und gemeinsam mit ihr wartete er gespannt, was unter den Abdeckungen, die auf Warmhalteplatten standen, zu Vorschein kommen würde.

„Als ersten Gang möchte ich Ihnen ´Chupe de Camarones´ servieren. Eine Suppe aus Garnelen, Kartoffeln und Gemüse.“

Vorsichtig stellte er die Suppenteller vor den beiden ab.

„Das duftet wirklich herrlich“, schwärmte Laura und kostete.

„Und sie schmeckt auch so gut, wie sie riecht“, setzte sie nach. Dylan tauchte seinen Löffel ebenfalls in die Suppe und war von dem fein abgestimmten Geschmack von Garnelen und Gemüse begeistert.

Schweigend genoss er die Suppe und als er fertig war, sah er, dass auch Laura schon gespannt auf den nächsten Gang wartete.

„Ceviche. Das sind rohe Calamari in Limettensaft mariniert. Heute Morgen frisch aus Lima eingeflogen“, erklärte der Kellner.

Die Calamari schmeckten ebenfalls fabelhaft. Dylan stellte fest, dass sie genau richtig waren, nicht ein bisschen zäh, wie so oft, sondern äußerst zart und durch die Limette mit einem angenehmen säuerlichen Geschmack verfeinert.

„Das ist eine schöne Entschädigung für diesen verpatzten Tag. So gut haben wir schon lange nicht mehr gegessen“, stellte auch Laura fest.

„Da hast du recht. Dafür nehmen wir uns meistens wirklich zu wenig Zeit. Ich frage mich allerdings immer noch, was dieser Dieb gesucht hat“, erwiderte er, da ihm die Ereignisse der letzten Stunden nicht aus dem Kopf gehen wollten.

Der Kellner räumte die leer gegessenen Teller ab und trat mit einem Lächeln und dem nächsten Gang an den Tisch.

„Als Hauptgang darf ich ihnen Lomo saltado servieren. Das sind mit Zwiebeln und Paprika gebratene Rindfleischstücke“, stellte er die herrlich duftenden Teller vor ihre Nasen.

Sie kosteten beide gleichzeitig und Laura verzog entzückt die Mundwinkel nach oben.

„Das Fleisch ist perfekt. So zart und saftig.“

Auch Dylan versenkte mit Genuss die Zähne in das zarte Fleisch und die Soße fand er wirklich himmlisch.

„Und ich würde gerne wissen, was der Kerl mit meiner Handtasche wollte, so offensichtlich ganz ohne meine Brieftasche“, nahm Laura den Gesprächsfaden von vorhin wieder auf.

„Keine Ahnung“, schüttelte Dylan den Kopf.

Als sie beide ihre Teller bis auf den letzten Bissen geleert hatten, war der Kellner schon wieder zur Stelle und servierte ihnen den letzten Gang des Abends.

Mit den verlockenden Worten: „Flan de coco“, stellte er, mit elegantem Schwung, die Teller mit den kleinen Dessertschalen vor die beiden hin.

Dylan liebte Desserts und genüsslich schaufelte er zum Abschluss die leckere Creme in sich hinein. Er blickte zu Laura und sah, dass sie ihre mindestens genauso genoss wie er und musste lächeln.

„Das Essen war wirklich hervorragend, bitte richten sie das dem Koch aus“, lobte Dylan.

„Es freut mich, dass es ihnen so gut geschmeckt hat“, verneigte der Kellner sich leicht.

Er nahm die leer gegessenen Schalen auf und brachte sie zu seinem Servierwagen. Nachdem er den Tisch fertig abgeräumt hatte, nickte er den beiden als Verabschiedung zu und verließ den Balkon. Gleich darauf hörten sie, wie die Tür der Suite geschlossen wurde.

Laura seufzte im Hinblick auf das Essen: „Das müssen wir wirklich wieder öfter tun.“

Dylan, der sehr zufrieden und satt war, nickte stumm.

Nachdem sie, von dem vielen guten Essen, müde geworden waren, saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander und schauten auf die Sterne hoch, die inzwischen zahlreich aus der Dunkelheit auf sie nieder glänzten.

Dylan durchbrach schließlich die Stille: „Vielleicht sollten wir wirklich, so wie der Teniente uns geraten hatte, die letzten beiden Tage noch einmal genau Revue passieren lassen“, schlug er vor.

„Das lässt dich nicht los, nicht wahr?“, lächelte sie ihn an.

Er schüttelte, um Nachsicht bittend, den Kopf und gemeinsam mit ihr, ging er noch einmal alle Schritte durch, die sie in Peru bisher getan hatten.

„Wir sind in Lima angekommen, wo uns ein Mann, dessen Name ich mir nicht gemerkt habe, vom Gate abgeholt und uns zu unserem Flugzeug nach Cusco begleitet hat“, fing Dylan an.

Laura setzte fort: „Die haben unser Gepäck automatisch in die neue Maschine umgeladen und wir sind eingestiegen.“

„Danach sind wir nach Cusco geflogen. Hast du mit irgendjemanden an Bord des Flugzeuges gesprochen?“, fragte Dylan sie.

„Nein, ich bin nur einmal aufgestanden, um zur Toilette zu gehen. Geredet habe ich mit keinem“, antwortete Laura.

„Am Flughafen wurden wir dann direkt vom Flugzeug mit einem Wagen abgeholt und unsere Koffer hat man uns direkt ins Hotel nach Cusco geliefert“, setzte er fort.

„Wir sind in den Hubschrauber gestiegen und nach Aquas Calientes geflogen, wo wir direkt mit dem Auto von Tomas zur Ruinenstadt hochgefahren wurden“, ergänzte Laura.

„Bist du in Machu Picchu mit jemanden in näheren Kontakt gekommen?“, wollte Laura wissen.

„Nein, nur die üblichen Reporter und Autogrammjäger“, seufzte er.

Aber plötzlich kam Dylan ein Gedanke. Er erinnerte sich wieder an das seltsame Verhalten von Professor Martinez bei der Lesung und dass dieser sich gebückt hatte, bevor er die Bühne bei der Lesung verlassen hatte. Seine Aktentasche war gleich daneben gestanden. Wortlos stand er auf, ging ins Schlafzimmer, öffnete die Kleiderschranktür und nahm seine Aktentasche heraus.

Laura war ihm, mit fragender Miene, nach drinnen gefolgt und fragte ihn: „Was machst du?“

„Die Geschichte mit Professor Martinez war das einzige Seltsame in den letzten Tagen“, antwortete Dylan. „Bevor er von der Bühne ging, hat er sich beim Lesungstisch gebückt. Vielleicht hat er etwas in meine Tasche gesteckt.“

Er schüttete den Inhalt auf das Bett. Neben seinen Lesungsunterlagen kam ein kleines Notizbuch zum Vorschein. Dylan nahm es verwundert in die Hand.

„Das gehört mir nicht und ich habe es auch noch nie gesehen.“

„Lass mal sehen“, Laura nahm es ihm aus der Hand und schlug es auf. Auf der ersten Seite stand der Name Rodriguez.

„Soweit ich das, mit meinen rudimentären Kenntnissen in Spanisch, verstehe, hat da jemand eine Art Tagebuch niedergeschrieben.“

„Gib es mir, ich lese es dir vor.“

Dylan streckte neugierig die Hand nach dem Buch aus und Laura gab es ihm zurück. Dylan, der durch seinen, aus Spanien stammenden, Vater die Sprache perfekt beherrschte, begann zu lesen.

12. März 2016. Heute Morgen haben wir unsere Ausrüstung genommen, die Autos auf einem Parkplatz in der Nähe von Puerto Maldonado stehen lassen und sind nun zu Fuß unterwegs. Der Dschungel ist fantastisch und es tut gut zu laufen, nach all den Monaten am Schreibtisch, praktisch den ganzen Tag eingesperrt in mein kleines Büro. Die nächsten vierzehn Tage werden wir wandern und uns von dem ernähren, das wir unterwegs an Essbarem finden werden. Es ist toll, dass ich in meinem Alter noch so eine Tour machen kann. Andere wären nicht mehr fit genug dafür. Ramon, der Führer unserer kleinen Gruppe aus vier zusammengewürfelten Leuten aus verschiedenen Landesteilen, scheint sich sehr gut in der Wildnis auszukennen. Ich freue mich darauf einfach einmal die Seele baumeln zu lassen und an nichts denken zu müssen.

Während der Wanderung hat Ramon, mit einem Grashalm, eine Tarantel aus ihrem Erdloch gelockt und sie auf seine Hand genommen. Wir konnten sie auf diese Art gefahrlos anfassen. Ihre feinen Haare fühlten sich fast wie ein weiches Fell an. Ein für mich angsteinflößendes, aber faszinierendes Tier.“

Laura schüttelte sich bei dem Gedanken an das haarige Vieh.

„Brrr, wir kann man so etwas nur anfassen“, ekelte sie sich. Dylan grinste sie neckisch an, da er um ihren Ekel vor allen Krabbeltieren wusste. Sie gab ihm einen Klaps auf den Arm und er las weiter.

Eine Stunde bevor es dunkel wurde, ließ Ramon uns das Lager aufbauen. Die drei kleinen Zelte waren schnell aufgestellt und er hat uns dabei geholfen, ein kleines Lagerfeuer zu entzünden. Wir kochten Wasser in einem Topf und Ramon schnitt Wurzeln und kleine unterwegs gesammelte Beeren ins Wasser. Die daraus entstandene Suppe schmeckte gut. Was man aus zufällig gefundenen Pflanzen alles machen kann, ist wirklich toll. Morgen will er uns zeigen, wie man ein kleines Tier fängt, um ein wenig Abwechslung in unseren Speiseplan zu bekommen. Ich bin durch den langen Marsch doch sehr müde und werde jetzt schlafen gehen. Bin gespannt auf den morgigen Tag und was wir alles erleben werden.“

Laura sah ihn an, als er aufhörte zu übersetzen und meinte: „Das scheint wirklich ein Reisetagebuch zu sein.“

„Ja, irgendetwas muss während dieser Reise geschehen sein. Etwas das so wichtig ist, dass jemand dieses Buch haben möchte.“

„Lies bitte weiter, ich bin neugierig, wie es weiter geht“, gähnte Laura, inzwischen ebenfalls ziemlich schläfrig.

13. März 2016. Wir haben unser Lager sehr früh abgebrochen und sind losgewandert. Ramon muss den Weg immer wieder, mit einer Machete, ein wenig freihacken. Ich bin heute auf einen verzierten Stein gestoßen. Ramon meint, dass der Weg, auf dem wir unterwegs sind, ein alter Pfad der Inkas war. Zu Mittag hat Ramon wieder eine Art Suppe aus Wurzeln und Kräutern gekocht, sehr schmackhaft.

Am frühen Nachmittag hat er uns gezeigt, wie wir Fallen für Kleintiere bauen. Wir haben sie ein wenig verteilt aufgestellt und hatten Glück, ein Meerschweinchen ging uns in die Falle. Ramon zeigte uns, wie man es richtig zerlegt und zubereitet. Das, über der Feuerstelle gebratene Fleisch, hat wirklich gut geschmeckt.“

Einige weitere Tage lang wurden ähnliche Aktivitäten beschrieben. Die Gruppe sammelte Beeren und Früchte und versuchte sich, zum Teil sehr unbeholfen, im Jagen. Dylan und Laura lachten über die ungeschickten Versuche, ein weiteres Meerschweinchen zu fangen. Dazwischen notierte der Schreiber immer wieder Wegbeschreibungen. Am fünften Tag beschrieb Rodriguez, wie er mehrere Steinbilder im Wald entdeckt hatte.

Der sechste Tag jedoch sollte alles für die kleine Wandergruppe verändern.

17. März 2016. Ich habe wieder einen verzierten Stein gefunden. Dieses Mal bin ich ein wenig von der Gruppe weggegangen, tiefer in den Dschungel hinein. Vorsichtshalber habe ich an Bäumen ein paar Markierungen angebracht, so wie Ramon es uns beigebracht hat, um wieder zurückzufinden. Ein paar hundert Meter weiter östlich von unserem Weg, habe ich dann einen weiteren dieser Steine gefunden und noch ein wenig weiter, bin ich auf ein verwachsenes Gebäude gestoßen. Einen Eingang konnte ich rund herum jedoch nicht finden, aber etwa zwanzig Meter weiter stand noch ein weiteres Gebäude. Hinter diesem Gebäude lag eine kleine Lichtung und rund herum konnte ich weitere vom Wald überwucherte Bauten erkennen. Ich bin zurückgelaufen zu den anderen und wir sind gemeinsam zur Lichtung gegangen. Ramon meinte, dass es eine alte Siedlung der Inkas sein muss, die in all den Jahren in Vergessenheit geraten war. Jeder für sich erkundete nach und nach die Gebäude. Bei einem der Bauten, der wie ein kleiner überwachsener Hügel aussah, entdeckte ich einen Eingang ins Innere. Ich packte meine Taschenlampe aus und leuchtete hinein. Außer einen schmalen Gang, konnte ich nicht viel erkennen. Vorsichtig trat ich ein und ging langsam den Gang hinein, der in einem größeren Raum endete. Dort konnte ich eine Steintür erkennen, die reich mit Ornamenten und Figuren verziert war. In der Mitte ein Gott der Inkas. Ich drückte gegen die Tür, konnte sie aber nicht verrücken. Sie rührte sich keinen Millimeter. Ich suchte nach einem Mechanismus, der die Tür öffnen könnte, aber da war nichts zu erkennen. Simon, einer meiner Wanderkollegen, kam ebenfalls in den Raum und wir suchten gemeinsam weiter. Nach und nach war die ganze Gruppe in dem Raum versammelt und wir fahndete gemeinsam nach einer Möglichkeit die Türe zu öffnen. Erfolglos. Nachdem es draußen schon anfing zu dämmern, beschlossen wir, die Nacht über in der Siedlung zu bleiben und schlugen unser Nachtlager in diesem Raum auf. Um wilde Tiere abzuhalten, verbarrikadierten wir den Eingang mit Ästen.“

Laura gähnte herzhaft neben ihm und Dylan begann nun ebenfalls müde zu werden und meinte: „Wollen wir morgen weiterlesen? Mir fallen inzwischen die Augen während des Lesens zu. Ich kann einfach nicht mehr.“

Er konnte seine Augen nicht mehr offenhalten, nicht einmal mehr mit der größten Willenskraft.

„Ja, ich bin auch verdammt müde, aber ich bin schon so gespannt, wie es weiter geht“, lächelte Laura ihn an.

„Ja, ich auch. Bestimmt ist diese Tür der Schlüssel zu diesem Einbruch in unserem Zimmer.“

„Meinst du?“, fragte sie ihn.

„Wer weiß, vielleicht haben sie die auch gar nicht aufbekommen“, gähnte er erneut.

Er legte das Buch auf den Nachttisch und stand auf, um sich umzuziehen. Laura tat es ihm gleich und Dylan fiel bald darauf neben ihr müde ins Bett und schaltete das Licht aus. Er rollte sich zu Laura, sie kuschelte sich an ihn und sie schliefen beide, fast sofort, völlig erledigt ein.

Als Dylan am nächsten Morgen aufwachte, schlief Laura noch tief und fest, aber er konnte es nicht erwarten, weiter in dem Tagebuch zu lesen. Er hatte noch keine Seite gelesen, als sie neben ihm aufwachte, sich zu ihm hinüber drehte und neugierig fragte: „Wie lange liest du schon?“

„Guten Morgen! Ich habe gerade erst angefangen.“

„Liest du mir weiter vor? Und, haben sie die Türe nun aufbekommen?“, wollte sie sofort wissen.

„Warte ich lese dort weiter, wo wir gestern gemeinsam aufgehört haben“, grinste er sie wissend an.

Laura stieß ihn ungeduldig an und er begann zu lesen.

18. März 2016. Als ich aufwachte, versuchte Julio, ein Polizist aus Cusco, schon wieder die Tür zu öffnen. Ich gesellte mich zu ihm und wir untersuchten die gesamte Wand nach einem Öffnungsmechanismus. Simon und Pedro gesellten sich bald zu uns und wir probierten alles Mögliche aus. Ich wollte eine kleine Vase anheben, die neben der Tür auf einem Steinpodest stand, aber sie ließ sich nicht vom Platz bewegen. Drehen ließ die Vase sich allerdings und ich dachte, sie wäre vielleicht angeschraubt und drehte solange weiter, bis plötzlich die Steintür nach oben glitt. Der Mechanismus hatte nach so vielen hunderten Jahren tatsächlich noch funktioniert. Wir leuchteten mit unseren Taschenlampen in den dunklen Raum, den das Tor freigegeben hatte. Inzwischen war die gesamte Gruppe versammelt. Ich trat als Erster durch die Tür und als ich das Licht meiner Lampe durch den Raum gleiten ließ, blieb mir fast das Herz stehen. Überall glänzte Gold. Figuren, Münzen, große Statuen, Gefäße und Teller. Wahnsinn, hier liegt ein Vermögen. Die anderen waren natürlich auch ganz aus dem Häuschen, wir hatten einen riesigen Goldschatz der alten Inkas gefunden.

Wir nahmen einige kleinere Dinge mit nach draußen ins Freie, um sie genauer anzusehen und uns zu beraten, wie wir vorgehen sollten. Ich bin der Meinung, diese Kunstschätze gehören unbedingt in ein Museum, damit jeder diese Kostbarkeiten sehen kann. Simon und Julio wollen das Gold unter uns aufteilen und verschweigen, was wir hier gefunden haben. Ich, als Historiker, finde das falsch. Ich werde den Fund selbstverständlich melden. Ramon ist meiner Meinung, er findet auch, dass der Schatz dem gesamten Volk gehören sollte und nicht ein paar Einzelnen. Pedro, der junge Versicherungsvertreter aus Lima ist unentschlossen, aber ich denke, er hätte das Gold auch eher gerne für sich, aber er ist der Idee, es einem Museum zu stiften, ebenfalls nicht ganz abgeneigt.

Nach dem Mittagessen hat sich die Situation zugespitzt. Simon und Julio wollen den Schatz mit allen Mitteln behalten und meinten, wir wären verrückt, es einem Museum geben zu wollen und dass dies niemanden etwas bringen würde. Sie haben bereits ein paar kleine Stücke, die gerade noch gut zu tragen sind, eingepackt.

Der Rückweg gestaltet sich immer schwieriger. Julio meutert inzwischen, er würde es nicht zulassen, dass wir das alles verschenken würden.

Ramon und ich mussten uns vor den anderen verstecken. Wir haben uns in den Dschungel verkrochen. Ich kann sie hören, wie sich nach uns suchen. Inzwischen haben sie auch Pedro auf ihrer Seite. Ich fürchte, sie wollen verhindern, dass wir die Lage der Stadt preisgeben können. Die drei machen mir Angst.

Wir sind, trotz unserer Verfolger, gut vorangekommen in Richtung Zivilisation.

Oh Gott, sie haben Ramon erwischt. Sie hatten uns aufgestöbert und sind uns durch den Dschungel nachgelaufen. Ramon hat sich am Fuß verletzt und sie haben ihn erwischt. Ich habe noch gehört, wie er geschrien hat und wie sie auf ihn einschlugen. Er ist bestimmt tot. Ich bin weitergelaufen, so schnell ich konnte und sie haben meine Spur verloren. Keine Ahnung, wie ich hier wieder rauskommen soll.

19. März 2016. Ich glaube, ich konnte sie abhängen. Seit gestern Nachmittag habe ich nichts mehr gehört, was auf ihre Nähe hindeuten könnte.

20. März 2016.

Endlich habe ich eine kleine Siedlung erreicht. Ich habe versucht, die Polizei zu kontaktieren, aber der nächste Posten ist fünfzig Kilometer entfernt, hat mir Sandro, einer der Bauern hier, gesagt und das einzige Telefon ist kaputt. Sandro will mich morgen in die nächste Stadt fahren. Sicherheitshalber werde ich dieses Buch per Post nachhause senden.“

„Hier endet das Buch abrupt“, wandte Dylan sich enttäuscht zu Laura.

Die Anwältin in ihr stellte sofort fest: „Na jetzt ist mir klar, warum diese Männer gestern unbedingt dieses Buch haben wollten. Erstens beschreibt es einen riesen Goldschatz und zweitens einen Mord.“

Er seufzte und fragte sich, wie er mit diesen Informationen umgehen sollte und meinte: „Was sollen wir jetzt tun? Er beschreibt hier einen Polizeibeamten aus Cusco als einen der Mörder.“

Laura verzog den Mund und nickte stumm.

„Wer weiß, ob da nicht mehrere korrupte Beamte sitzen und dann kommen die damit davon und am Ende lassen sie uns auch noch verschwinden“, ergänzte Dylan.

„Besser wir lassen die hiesige Polizei außen vor“, stellte Laura bedauernd fest.

„Am besten wird sein, ich rufe Santiago Cruz an und erzähl ihm von diesem Buch. Vielleicht hat er eine Ahnung, wer dieser Rodriguez ist“, schlug Dylan vor, fischte sein Mobiltelefon vom Nachtisch und scrollte zu Santiagos Nummer.

Dieses Mal musste er einige Zeit lang läuten lassen, bis Santiago Cruz abhob.

„Hola Mr. Huntley. Haben Sie etwas von Professor Martinez gehört?“, fragte er sofort.

„Nein, leider nicht. Ich konnte ihn auch weiterhin nicht erreichen, aber ich schätze, das Buch, welches diese Angreifer gesucht haben, ist aufgetaucht“, erzählte er Santiago.

„Im Ernst, was ist das für ein Buch und wie sind Sie überhaupt dazu gekommen?“, wollte dieser neugierig und aufgeregt wissen.

„Professor Martinez muss es mir in meine Aktentasche gesteckt haben, bevor er von der Bühne gegangen ist. Es ist ein Tagebuch von einem Mann namens Rodriguez und beschreibt in groben Zügen den Fund eines Inkaschatzes, sowie den Mord an deren Tourleiter“, erläuterte Dylan.

„Professor Martinez ist mit einem Professor Andre Rodriguez befreundet, vielleicht ist das sein Buch. Waren Sie mit dem Buch schon bei der Polizei?“

„Nein, wir haben ein Problem. Einer der Mörder in dem Buch wird als Julio, ein Polizist aus Cusco beschrieben. Ein weiterer, Pedro, ist Versicherungsvertreter aus Lima. Dummerweise sind das sehr häufige Namen und das Buch nennt keine Nachnamen, vielleicht kannte Rodriguez sie auch gar nicht. Die Aufzeichnungen reißen ab, als er ein kleines Dorf erreicht hat. Ein Bauer wollte ihn in die Stadt fahren. Das Buch hatte er offenbar per Post nachhause gesendet.“

„Könnten Sie mit dem Buch nach Lima kommen oder mir Teile daraus per Fax senden?“, wollte Santiago wissen. „Vielleicht kann ich etwas aus dem Buch herauslesen, dass uns weiterhilft.“

„Ja natürlich können wir kommen. Wir werden den nächsten möglichen Flug nehmen. Ich werde mich gleich darum kümmern. Sobald ich weiß, wann wir landen, melde ich mich bei Ihnen. Können Sie uns vom Flughafen abholen?“

„Selbstverständlich. Sagen Sie mir einfach Bescheid, wann sie ankommen.“

„Dann hören wir uns später“, verabschiedete sich Dylan von Santiago und wählte sofort erneut.

Laura fing schon an, ihre Sachen zusammenzupacken, und Dylan hatte Glück, er fand einen Flug, der innerhalb der nächsten zwei Stunden ging und es gab noch freie Plätze. Nachdem er Santiago ihre Ankunftszeit durchgegeben hatte, ließen sie sich von der Rezeption ein Taxi rufen. Als das Taxi ankam, schickte die Rezeptionistin einen Hoteldiener zu ihnen in die Suite, der sich um das Gepäck kümmern sollte. Als alles verstaut war, fuhren sie zum Flughafen.

Der dunkle Wagen, der zuvor auf der anderen Straßenseite geparkt hatte, folgte dem Taxi. Der Fahrer begann hektisch zu telefonieren.

Dylan und Laura ließen die Eincheckformalitäten über sich ergehen und konnten danach gleich zum Gate weitergehen, da die Boardingtime kurz bevorstand. Nach einer kurzen Wartezeit kletterten sie in das Flugzeug nach Lima. Dylan setzte sich entspannt auf seinen Sitz am Fenster und Laura ließ sich neben ihm nieder.

Zwei weitere Männer betraten das Flugzeug etwas nach ihnen und setzten sich einige Reihen hinter den beiden, auf ihre Sitzplätze. Leise tuschelten die Männer miteinander und blickten von hinten auf Dylan und Laura, als ob sie Angst hätten, die beiden könnten ihnen selbst im Flugzeug entwischen.

Die Macht des Jaguars

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