Читать книгу Ich hab mit Ingwertee gegoogelt - Susanne M. Riedel - Страница 8

Shake Shake

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Oh Gott, das kann der Wecker doch nicht ernst meinen. Schwer liegt die Dunkelheit über der Stadt, schwer liegt mein Körper auf der Matratze, schwer liegt mein Kopf auf seinem Kissen und ist in keiner Weise bereit, sich von ihm zu trennen.

Das war aber auch eine blöde Idee reinzufeiern. Mitten in der Woche.

Nur noch mal kurz die Augen zumachen …

»Mum, aufstehen! Wir haben verschlafen!«, ist das nächste, was ich höre. Mist. Ich springe aus dem Bett, ziehe mir schnell irgendwas an, verabschiede Sohn 1 und Sohn 2 und wache eigentlich erst auf, als ich vor dem Kühlschrank stehe und die Zahnpasta suche. Kaffee. Gebt mir Kaffee.

Aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Hastig greife ich meinen Rucksack und stürze zur Tür hinaus.

Frische Luft ist ein Anfang. An der Bushaltestelle nutze ich die Wartezeit zum Schminken. Bei den Augenringen heute dauert das eine Weile, aber auf den 186er ist Verlass, der kommt nie, wann er soll, da hat man immer genug Zeit zum Schminken. Immer wenn ich den Slogan der BVG lese: »Weil wir Dich lieben«, denke ich: Ach ja, vielleicht kann sie es einfach nicht so zeigen? Und dann versuche ich, meine Antennen auf empfänglich zu polen, damit ich diese scheue Liebe nicht verpasse.

Gestern vor der Feier bin ich extra noch in der Drogerie gewesen, neue Wimperntusche besorgen. Das Betrachten der Regale dort ist für mich inzwischen wie das Stöbern in einem Satiremagazin. Die neuesten Trends: Unisex-Nude-Make-up. Also Schminke, die einen aussehen lässt, als wäre man einfach blass und ungeschminkt. Toll.

Und dann noch unisex, kann also auch bedenkenlos von Männern genutzt werden. Huh. Wenn da mal nicht ein Hauch von Revolution in der Luft liegt! Wenn das nicht explizit draufstünde, würde vermutlich nie ein Mann wagen, den Puder mal auszuprobieren, weil er Angst hätte, sich sofort in eine Frau zu verwandeln. Das ist wie mit diesen Einmalrasierern. Frauen kaufen lieber die doppelt so teuren mit dem rosa Griff, weil die extra für Frauen sind. Und weil das Unterbewusstsein irgendwie die Vorstellung hat, dass in dem Moment, wo man die blauen benutzt, sofort Bartwuchs einsetzt. Versteh, wer will.

In der Ecke mit der Wimperntusche stand gestern zudem ein riesiges Schild mit dem Schriftzug: »Jetzt neu: mit Shake-Shake-Technologie!« Ich war neugierig. Und im Ernst, es handelt sich um Wimperntusche, bei der man die Flasche schütteln kann, wenn die Farbe ein wenig eingetrocknet ist. Sensationell! Am Ende erfinden sie noch eine Zahnpasta mit Quetsch-Quetsch-Technologie. Aber dafür ist die Zeit vielleicht noch nicht reif.

Als der Bus endlich kommt und sich wenig später mit Schmackes in die Kurve von der Birkbuschstraße zum Wolfensteindamm legt, meldet sich mein Magen. Es war doch ein bisschen viel Sekt gestern. Man könnte sagen, mir steckt noch der Mumm in den Knochen.

Als ich vor einigen Jahren im Krankenhaussozialdienst gearbeitet habe, gehörte auch die Beratung alkoholkranker Patienten zu meinen täglichen Aufgaben. Ich bin froh, dass das heute nicht mehr so ist – mit dem Gesicht, das ich gerade habe, würde mich jeder Klient auslachen. Wir würden uns in stummer Eintracht auf die Schultern klopfen und zusammen ein Konterbier zischen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich voller Freude an die Szene, als die Tochter einer alkoholkranken Patientin mich anrief, damals in meinem Büro im Klinikum Martin Luther. Sie meldete sich am Telefon mit dem großartigen Satz: »Guten Tag, mein Name ist Schmitz, und meine Mutter liegt seit gestern bei Ihnen im Luther und Wegner.«

Manchmal braucht es gar nicht viele Worte.

Etwas später am selben Morgen stehe ich mit einem sehr bitteren Kaffee auf dem S-Bahnhof Zoo. Kurz denke ich darüber nach, den Becher zurückzutragen und dem freundlichen Herrn am Tresen zu erklären, dass »Coffee to go« übersetzt nicht »Kaffee zum Weglaufen« bedeutet. Aber dann kommt die S3, und jeder, der öfter S-Bahn fährt, weiß, da sollte man nicht zögern, die kommt vielleicht so schnell nicht wieder, man kann es nie wissen. Irgendeine Weiche ist ja immer gestört. Oder ein Signal. Oder es ist wieder Wetter. Das Wort »Zugempfindlichkeit« jedenfalls kriegt da noch mal eine ganz andere Dimension.

Und wofür das alles?

Als ich eine Stunde später an meinem Spandauer Schreibtisch sitze, stelle ich fest, dass ich heute leider nicht besonders leistungsfähig bin. Mein Kater schnurrt, mein Kopf möchte auf irgendwas Weiches, meine Augen möchten das Schild »Geschlossen« an ihre Ringe hängen. Ständig verlese und verspreche ich mich. In einer Sitzung warne ich in meinem Beitrag vor einer zickenden Zeitbombe, das ist mir schon ein bisschen peinlich. Andererseits – wenn ich mal ein Buch über meine Schwiegermutter schreibe: Der Titel würde mir schon gefallen.

In einer Mail möchte ich nun eine Wegbeschreibung an eine Frau versenden, die morgen zum Bewerbungsgespräch kommt. Glücklicherweise lese ich noch mal Korrektur. Manchmal spielt es schon eine Rolle für die Bedeutung eines Satzes, an welcher Stelle man das Leerzeichen setzt. Ich wollte schreiben: »Wenn Sie durch den Haupteingang kommen und geradeaus laufen …« Was ich stattdessen geschrieben habe, war: »Wenn Sie durch den Haupteingang kommen und gerade auslaufen …« Ich glaube, ich sollte heute ein bisschen früher Schluss machen.

Auf dem Heimweg hole ich im Supermarkt noch etwas Zwieback. Ich passiere das Regal mit Wein und Sekt sehr schnell und fast ohne hinzugucken. Im Vorbeigehen lese ich auf einem Etikett »Borderline«, bei nochmaligem Hinsehen ist es dann aber doch »Bardolino«. Ich muss ins Bett.

Zu Hause angekommen, fix und fertig mit Tee und Wärmflasche endlich wieder unter der weichen Decke, denke ich, ich könnte doch zum Einschlafen noch was lesen. Eine Freundin hat mir ein Buch geschenkt mit dem Titel »Weil Du es wert bin«. Seitlich aufgedruckt entdecke ich erst jetzt den Stempel »Preisreduziertes Mängelexemplar«. Das nenn ich mal stimmig.

Ich glaube, ich mache jetzt einfach mal die Augen zu.

Ich hab mit Ingwertee gegoogelt

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