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10.
Der Panther

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Catan lief durch die Nacht. Er war schnell, schneller als die, die ihn zu jagen versuchten. Die Würmer, die aus dem Feuer kamen, die Schlangen, die unter dem Sand warteten, die Grawnyas in der Luft und die Herden wilder Cosgrachs – sie alle konnten ihm nichts anhaben. Er war der Panther. Niemand war schneller als er.

Das Kind schlief in seinen Armen. Seine Schreie hatten ihn anfangs begleitet, so regelmäßig und unablässig wie sein eigener Atem, doch irgendwann hatte es aufgehört. Vielleicht hing das damit zusammen, dass Catan begonnen hatte, mit ihm zu reden. Es waren nur Kleinigkeiten, mal ein Wort, mal eine kurze Erklärung. Der Junge war viel zu klein, um ihn zu verstehen, das wusste Catan, aber er hatte den Eindruck, dass es ihm trotzdem guttat.

Im Morgengrauen fand er neben einem Bach einen Baum mit breiter Krone. Er fütterte den Jungen mit dem frischen Wasser, dann kletterte er den Stamm hinauf und hockte sich in eine Astgabel. Unter ihm erwachte die Wüste langsam zum Leben.

»Wir nannten sie früher die Wüste der Eitelkeit«, sagte Catan. Der Junge gähnte. »Der Sand war verglast. Künstler kamen hierher und schnitten wunderbare Kunstgebilde zurecht. Der König gab mir eines als Geschenk für meine zukünftige Braut.«

Er schüttelte den Kopf. »Es liegt immer noch verpackt unter meinem Bett. Ich weiß noch nicht einmal, wie es aussieht.«

Eine Weile gab er sich den Gedanken an die Braut, die er nie gehabt hatte, hin, dann gähnte auch er.

»Aber das ist vorbei«, sagte er, während er sich mit dem Rücken gegen den Stamm lehnte. Der Junge lag in seinen Armen und betrachtete ihn aufmerksam, so als warte er auf eine Fortsetzung der Geschichte. Die Aura, die ihn stets umgab, leuchtete leicht. Er war etwas Besonderes, das spürte Catan jedes Mal, wenn er ihn ansah.

»Die Zeit hat uns eingeholt, alles hat sich geändert.« Er wandte sich von der Wüste ab, von dem schwarz verfärbten, gesplitterten Glas und den kopfgroßen Spinnen, die sich nach der kalten Nacht darauf wärmten.

»Früher war es nie kalt. Man konnte draußen schlafen ohne eine Decke. Und man wusste, wann Tag und Nacht kamen und wann es regnen würde.«

Auch das änderte sich, je näher er seinem Ziel kam. Tag und Nacht schienen sich willkürlich abzuwechseln, der Regen kam und ging. Und es regnete nicht immer Wasser. Am ersten Abend war es noch so gewesen, am zweiten war Asche aus dem Himmel gefallen, in der Nacht Blut.

»Alles ist anders«, sagte Catan leise. Er schloss die Augen. Es war der erste Schlaf, den er sich seit dem Sprung durch das Portal gönnte. Die Wüste war zu heiß, um sie bei Tag zu durchqueren. Er hätte sie umgehen können, doch das war schon vor dem, was die Gläubigen Vertreibung nannten, nicht ungefährlich gewesen.

Auch die Toten brauchen einen Ort für sich, dachte er.

»So viel Zeit ist vergangen, Junge.« Er erinnerte sich an den Tag, an dem er an die Quelle getreten war und nur ein schlammiges Loch vorgefunden hatte. Wie lange sie gebraucht hatten, um zu erkennen, dass sie zu Verlorenen geworden waren, hilflos einer tickenden, nicht aufzuhaltenden Uhr ausgesetzt. Die Gläubigen beteten um Vergebung, und als das nicht half, begannen sie einander umzubringen. Nicht so, wie Elfen es schon immer getan hatten, aus Freude am Ruhm und mit einer gewissen Lässigkeit, sondern wütend, verbissen und mit regelrecht unvorstellbarer Grausamkeit. Aus irgendeinem Grund, den er nicht verstand, schien das Wissen um die eigene Sterblichkeit den Wunsch zu erzeugen, anderen das Leben zu nehmen.

Catan war den Kämpfen aus dem Weg gegangen. Seine Schwester, die damals noch fast ein Kind gewesen war, hatte ihm ins Gesicht gespuckt, als er ihr sagte, er würde das Reich verlassen. Mittlerweile musste Brigdhe längst erwachsen sein. Catan nahm an, dass sie sich entweder dem Orden des Hammers oder den Flammenrittern angeschlossen hatte. Er wusste nicht, inwiefern sich die beiden Sekten unterschieden, und es interessierte ihn auch nicht.

»So viel Zeit.« Und wie er sie verschwendet hatte. Sein Herr hatte ihm eine Weisung erteilt, hatte ihn ausgesandt, nach der Ursache der Vertreibung zu suchen. Catan hatte seinem Befehl gehorcht, zumindest am Anfang. Durch das Reich war er gezogen, dann durch die Welt der Menschen. Unzähligen Spuren war er gefolgt, doch jede hatte zuletzt im Nichts geendet.

»Wenn du wüsstest, was ich alles gesehen habe, Junge«, sagte er. Die Blätter raschelten über ihm, als ein warmer Wind aufkam. Sie waren das einzig Grüne in der Einöde. »Ich zog über Kontinente und Ozeane. Ich kletterte auf Berge und durchquerte Wüsten, heißer als diese. Ich sprach mit Weisen und mit Narren, und am Ende fand ich einen Platz unter der Erde.«

Er war müde gewesen, so unendlich müde, als er die Ausgestoßenen fand. Sie machten ihn zu ihrem Herrscher, gaben seinem Leben einen Sinn, seinem Handeln einen Zweck. Er belohnte sie dafür, indem er sie belog und ihnen sagte, das Schicksal habe ihn zu ihnen geführt. Sie glaubten ihm und eine Weile glaubte er es sogar selbst. Catan schämte sich, wenn er daran dachte, wie sehr er seinen Herrn enttäuscht haben musste.

»Aber dann kamst du zu mir«, sagte er. »Du wirst mir meine Ehre zurückgeben, Junge.«

Junge. Kind. So nannte er Talamh. Er versuchte, nicht an seinen Namen zu denken, nicht an die Mutter, deren verzweifelte Schreie ihm durch das Portal gefolgt waren. Es erleichterte ihm den Weg und den Gedanken an das, was an seinem Ziel geschehen würde.

»Hab keine Angst«, flüsterte Catan. »Es wird schnell gehen.«

Elfenzeit 7: Sinenomen

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