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1.3 Die Deutsche Demokratische Republik

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1.3.1 Geschichte und Politisches System


Die Betrachtung der Geschichte der DDR - samt Ideologie und Sozialisierung der Bürger - wird näher erläutert, da hier mögliche Ursachen und Auswirkungen der Weltanschauung eines Großteils der Ostdeutschen Anfang des 21. Jahrhunderts zu vermuten ist.


Vor der Gründung der DDR versuchte die SED vergeblich durch die Volkskongressbewegung13 die Gründung der BRD, zugunsten eines einheitlichen Staates, zu verhindern (Pötzsch 1998: 72 ff). Die aus Einheitslisten hervorgegangene „Provisorische Volkskammer“ gründete am 7. Oktober 1949 den ersten „Arbeiter- und Bauernstaat“14. Trotz, dass formal eine Mehrparteienlandschaft existierte, war unter dem Schutz der Sowjetunion, die SED die führende Kraft (Mählert 2017: 25 ff).


Politische und wirtschaftliche Herausforderungen und damit einhergehende Unzufriedenheit der Bevölkerung brachten die SED- und Staatsspitze dazu, gegen die eigene Bevölkerung den Kalten Krieg zu eröffnen. Die aufgebrachte Bevölkerung brach am 17. Juni 1953 in 700 Städten und Gemeinden zu Demonstrationen und Streiks auf. Zu den ökonomischen Forderungen wurden Rufe nach Demokratie, Einheit und freien Wahlen laut. Sie flankierten den

„Arbeiteraufstand“15, welcher durch russische Panzer gestoppt wurde. 10.000 Festnahmen und 55 Menschenleben waren die negative Bilanz - aus der „Faschistischen Provokation“ von außen - wie der SED-Apparat proklamierte (Mählert 2017: 29 ff).


Mit dem Jahresbeginn 1960 setzte die SED-Regierung, nach sowjetischem Vorbild, die Massenkollektivierung von Bauern durch. Sie wurden gezwungen, Ackerland, Betriebsteile und -vermögen in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften einzubringen.16 Die Versorgungslage verschlimmerte sich und die Unzufriedenheit der Bevölkerung erreichte ein Niveau, das auch die Zahl der Republikflüchtlinge17 drastisch steigen ließ. Folglich begannen im August 1961 Volkspolizei, NVA und Betriebskampftruppen mit dem Bau der Berliner Mauer18 um ein „Ausbluten der DDR“ zu verhindern (Pötzsch 1998: 156 ff). Der nun erreichte Wendepunkt in der Geschichte der DDR nötigte die SED-Führung, die Wirtschaft voranzubringen, um die Bevölkerung milde zu stimmen. Die Loslösung von der starren, zentralen Planwirtschaft brachte einen nennenswerten Aufschwung mit sich. Der Lebensstandard verbesserte sich spürbar. Ende der 1960-er Jahre wurde das „Experiment“ abgebrochen und erneut der Weg in die zentrale Planwirtschaft eingeschlagen (ebd.).


Die marxistisch-leninistische Staats- und Rechtsauffassung schloss eine neutrale Rechtsordnung aus. Die in der DDR-Verfassung verankerten Grundrechte (Art. 27 – 29) wie Freiheit, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit wurden durch die Strafgesetzgebung des SED-Regimes stark eingeschränkt (Mihr 2002: 33 f). Mit dem Beitritt in die UNO, 1973, erkannte die DDR die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte19 offiziell an, obwohl die SED ein anderes Menschenrechtsverständnis hatte. „Damit unterstrichen die Ideologen, dass es allein der politischen Elite der DDR oblag, festzulegen, welche Rechte dem einzelnen DDR-Bürger zustanden und wie flexibel sie je nach politischer Stimmung zu handhaben waren.“ (Mihr 2002: 37). Auch die KSZE-Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975 beinhaltete wesentliche politische Menschenrechte und hatte weitreichende Folgen für den Staat. Die Bevölkerung bestand auf Reisefreiheit, Informationsfreiheit und Familienzusammenführungen. In den darauffolgenden Jahren regierte die SED mit einer Strafrechtsreform20. Die Änderung von 1979 hatte eine Beschneidung der politischen Freiheits- und Menschenrechte zum Inhalt. Zuwiderhandlungen wurden vom MfS geahndet (ebd.).


Der „gemeinsame antiimperialistische Kampf" sowie die „solidarische Unterstützung" der nationalen Befreiungsbewegung gelten als immerwährende Grundprinzipien der Außenpolitik21,22 des zweiten deutschen Staates, die tatkräftige Solidarität23 mit der nationalen Befreiungsbewegung als „Herzenssache" eines jeden Bürgers in der DDR (vgl. Spanger/Brock 1987: 159).


In den 1970er Jahren nahmen die DDR-Bürger erst durch die westliche Medienberichterstattung Kenntnis von den auch in der DDR gültigen Menschenrechtsverträgen und -abkommen. Folglich forderten immer mehr Bürger ihre Rechte ein. Sie forderten nicht allein Demokratie, tausende stellten Anträge auf die „Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft“. Hinter dieser Welle der Ausreiseanträge vermutete die DDR-Regierung „kriminelle Menschenhändlerbanden“ und westliche Organisationen24 (Mihr 2002: 42 f). Aktuelle Forschungsergebnisse weisen für die 40 Jahre DDR Opferzahlen zwischen 175.000 und 231.000 „politischer Häftlinge“25 auf. In den Jahren von 1963 bis 1989 „verkaufte“ die DDR über 33.000 politische Gefangene an die BRD mit einem Erlös von 3,5 Milliarden DM Devisen bzw. Rohstoffen und Lebensmitteln (Mihr 2002: 40 f).26


1988/1989 musste auch die SED-Spitze erkennen, dass ohne Reform die Schwächen und Mängel27 in der DDR nicht zu beheben sind. 100.000 DDR-Bürger warteten auf die Genehmigung ihrer Ausreise. Die folgende Fluchtbewegung und die Reformunfähigkeit der SED- Regierung riefen die oppositionellen Bürgerbewegungen auf den Plan. Unruhen und Demonstrationen veranlassten einen Monat nach dem 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 die Regierung zum Rücktritt (Mählert 2017: 77 ff). Am 9. November wurde auf einer SED-Pressekonferenz eine neue Reiseregelung bekannt gegeben. Westreisen ohne Vorliegen von Voraussetzungen waren „ab sofort“ erlaubt. (ebd. 89).


Das am 28. November 1989 von Bundeskanzler Kohl vorgestellte „10-Punkte-Programm“ zur Wiederherstellung der deutschen Einheit sorgte nicht nur in Europa für Unruhe (Mählert 2017: 89). Neben der zerstörten Infrastruktur und der ungebrochenen Macht der SED wuchs bei den DDR-lern das Bedürfnis nach Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Freizügigkeit. Im März 199028 sprachen sich dann 75 Prozent der DDR-Bürger für eine rasche Einheit aus, wohl, weil eine Wiedervereinigung zügig eine Verbesserung der Lebenssituation versprach, nicht aber eine Reformierung der DDR (ebd. 298).

Am 3. Oktober 1990 trat die DDR, gemäß Artikel 23 der Verfassung der Bundesrepublik, der BRD bei (Mählert 2017: 96). „Denn das allgemeine Unvermögen in Ost und West, sich eine abrupte Überwindung der SED-Herrschaft und der deutschen Teilung überhaupt vorstellen zu können, war vielleicht die Voraussetzung für das Gelingen der Revolution schlechthin.“ (Hüttmann 2012: 75). Trotz Planwirtschaft war ein Lohnwachstum in den 40 Jahren des Bestehens der DDR erkennbar. 1949 lag das durchschnittliche, monatliche Bruttoeinkommen bei 290 Mark, bis 1989 vervierfachte sich das Durchschnittseinkommen auf 1.300 Mark (Statista GmbH 1990).

Abbildung 1: Einkommen und Wert der Ost-Mark


Quelle: Daberstiel 2015

Abbildung 2: Durchschnittliches monatliches Bruttoarbeitseinkommen der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) von 1949 bis 1989


Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/249254/umfrage/durchschnittseinkom- men-in-der-ddr/ (Stand 01.04.2020)


1.3.1.1 Rolle der Kirche


Religion und Glaube galten nach sozialistischem Verständnis als „unwissenschaftlich“. Trotz garantierter Glaubensfreiheit29 hatten die Kirchen nicht die Möglichkeit ihre Rechte einzuklagen. „Sie stellten für die SED die letzte Bastion eines zu überwindenden bürgerlichen Gesellschaftssystems dar und galten als Vorposten des kapitalistischen Feindes im eigenen Land.“ (KAS). Beginnend mit den 1950er Jahren begann ein Kirchenkampf. Mit Werbung für Kirchenaustritte, anti-kirchlichen Pressekampagnen, Durchsuchungen bis hin zu Verhaftungen tat der Staat alles, um den Einfluss der Kirche zurückzudrängen (ebd.). Die staatliche Repression hatte einen Rückgang der Kirchenmitgliedschaften zur Folge. 1958 setzte die erste große Austrittswelle30 ein, zeitgleich mit der Konfrontation zwischen Staat und Kirche zum Thema Jugendweihe. Zwischen 1965 und 1975 ereilte die Kirche eine neue große Aus- trittsflut31. Verantwortlich war eine Säkularisierungswelle, welche auch in der westlichen Welt spürbar war (Wohlrab-Sahr 2001: 325).


Bis zum Mauerbau 1961 waren West- und Ostkirche als Gesamtheit wahrnehmbar. In Folge der eigenständig werdenden Teilstaaten, beschritt die Institution in der DDR den Weg zur

„Kirche im Sozialismus“32. Was blieb war die finanzielle Abhängigkeit der Institution der West-Kirche. Diskret und großzügig erfüllte die Kirche im Westen die Wünsche im Osten (Maser 2013: 86 ff).


Die evangelische und die katholische Kirche waren schon entwicklungspolitisch tätig, bevor Solidaritätsgruppen in den 1960er Jahren entstanden. Über Sammlungen wie „Brot für die Welt“ machte sie die DDR-Bevölkerung auch auf Dritte-Welt-Themen aufmerksam. Im Gegensatz zu der Auffassung der SED-Regierung proklamierte die Kirche die Verantwortung der nördlichen Industrieländer - auch sozialistischer Staaten - für die Ausbeutung der Dritten Welt. Bis 1959 entsandte die evangelische Kirche im Kampf gegen Rassismus Vertreter ins südliche Afrika. Darüber hinaus erhielten die Staaten, wie: Vietnam, Afghanistan, Nicaragua, Mosambik (ebd.), die enge politische Verbundenheit zur DDR lebten, kirchliche Hilfeleistungen (Olejniczak 1999: 211).


Fortführende Gespräche zwischen den evangelischen Kirchenvertretern mit der Staatsführung brachten zunehmend mehr Freiräume für die Kirchenmitglieder. Dies wiederum war Ende der 1970er / Anfang der 1980er Jahre die Basis zur Entstehung und Förderung politischer Aktivitäten, wie Friedens-, Menschenrechts- und Ökologiebewegungen (Mihr 2002: 42).


Bis zur Wiedervereinigung 1989 blieb die Kirche ein Fremdkörper in der „sozialistischen Gesellschaft“. Christen mussten mit Benachteiligungen rechnen. So ist nicht verwunderlich, dass der Anteil der religiös gebundenen Bevölkerung bis 1989 auf 30 Prozent sank (KAS) (Vgl. hierzu: Großbölting/Goldbeck (2015: 178 f).


Dennoch galt die evangelische Kirche als einzige autonome Großorganisation im politisch- sozialen System der DDR. Sie war Schutzraum und Kristallisationskern gesellschaftlicher Stimmungen (Knabe 1988: 553).


Die katholische Kirche hatte mit Gründung der DDR große Hürden zu meistern. Die kaum institutionelle „Minderheiten“-Kirche verfügte ab Streichung der staatlich eingetriebenen Kir- chensteuer33 1949 anfänglich über vergleichsweise wenig finanzielle Mittel und Einrichtungen, wie Kinder- und Altenheime. Mit dem Jahr 1949 begannen katholische Spendensammlungen in der DDR. Kirchen-Vertreter sammelten mit Kollekten, ebenso wurde zu Naturaliensammlungen oder Nachlassspenden34 aufgerufen. Ob der steigenden Kosten konnte die Arbeit der Einrichtungen nicht mehr finanziert werden. So wurde Mitte der 1960er Jahre das

„Caritas-Notopfer“35 eingeführt. 1970 startete die katholische Kirche die Aktion „Not in der Welt“. Gesammelt wurde in der gesamten DDR am ersten Advent per Kollekte. Die Mittel36 wurden dann weltweit37 in katholischen Strukturen, auf staatlichem Transportweg, weitergegeben. In den Folgejahren steigerten sich die Spendeneinnahmen erheblich. 1980 kamen acht Millionen Mark der DDR38 zusammen. (Puschmann 2018: 75 ff) Hier muss darauf hingewiesen werden, dass die katholische Kirche eine viel größere Distanz zum SED-Staat lebte als die evangelische Kirche (Maser 2013: 89).


„Keine Institution im geteilten Deutschland hat so viel für das Zusammenbleiben der Deutschen über Grenzen hinweg getan, wie die Kirchen.“39 (Maser 2013: 88 f) In dem religions- feindlichen Staat führte auch die Einführung der Jugendweihe zu sinkenden kirchlichen Konfirmationen und Austritten. Diese „Kultur der Konfessionslosigkeit“ hielt bis zur Wiedervereinigung an (Großbölting/Goldbeck 2015: 179).


1.3.2 Spendenaktivitäten der DDR


Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Spendenwesen in der DDR erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit, arbeitet jedoch zur Erläuterung mit detaillierten Beispielen.


Die Entwicklung des ostdeutschen Spendenwesens ist in Folge des zweiten Weltkrieges zu verstehen. Einerseits wollte man nie wieder Krieg, andererseits sollte der Wiederaufbau ohne kapitalistische Ausbeutung und Arbeitslosigkeit erfolgen. Hieraus ergaben sich solidarische, nationale Aktivitäten. Mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Fernen Osten, Anfang der 1950er Jahre, entwickelte sich die internationale Solidarität40. (Reichardt 2006: 33f). Das DDR-Verständnis von Solidarität - siehe hierzu Schleicher (1998: 5 f) - war auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Entwicklungsländer in Form von „antiimperialistischer Solidarität“41,42 fixiert. Das solidarische Selbstverständnis der Staats- und Parteiführung der DDR bestand in finanzieller, materieller und personeller Unterstützung der Entwicklungsländer (Verburg 2012: 21 ff). In der „zentralistisch-bürokratischen Solidaritätspolitik der SED“ bestand kein Bedarf an Nord-Süd-Politik, da die eigene sozialistische Gesellschaft keiner Veränderung bedurfte (Letz 1994: 51).


Priller verweist auf die Gründung privater Vereinigungen nach dem Krieg, die erst im Laufe der 1950er Jahre zu staatlichen Einrichtungen wurden. In den 1950er und 60er Jahren entstanden 90 Massenorganisationen43, die in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen aktiv waren. Mit den Mitgliedsbeiträgen wurden auch Spenden für Not- und Katastrophensituationen44 eingesammelt (Priller 2018: 64 f). Üblich war der Verkauf von Spendenmarken45, welche in den entsprechenden Mitgliedsausweis56 geklebt wurden.


Abbildung 3: Ausweise


Nachweis über Beitrags- und Solizahlung beim FDGB 1969 – 1972


FDGB-Ausweis 1978


FDGB-Ausweis 1989


FDGB-Ausweis 1978 Sonder- und Solidaritätsmarken

Den „besseren“ Umständen in den 1960er Jahren folgend, spielte die Bedeutung der internationalen Solidarität46 eine starke Rolle. Priller verweist neben den Sammlungen der Massenorganisationen auch auf die Aktivitäten der Kirchen und auf private Aktivitäten durch Gruppen außerhalb des staatlichen Systems für die internationale Solidarität aber auch für Umweltaktivitäten in der DDR. Hier wiederum wurden kirchliche Stellen (Vgl. Knabe (et al. 1988: 553 ff) eingebunden oder Kooperationen mit dem Solidaritätskomitee angestrebt. Er verweist daher explizit darauf, dass bei Spenden für Naturkatastrophen, Epidemien und Kriege die Freiwilligkeit hervorzuheben ist und diese nicht nur unter Zwang und Druck eingeworben wurden. Das Spendenwesen hatte in der DDR einen hohen Stellenwert, so Priller (2018: 60 ff). Charakteristisch nennt er die kleinen Beträge vieler47, die zu nennenswerten Summen anwuchsen. Der sich zum Teil daraus entwickelnde Wettbewerb spielte zusätzliche Gelder ein, die Löhne, der beispielsweise in Betrieben durchgeführten Sonderschichten, wurden kollektiv gespendet (ebd.).


Olejniczak beschreibt die Entwicklung der unabhängigen, oppositionellen Solidaritätsbewegung, welche erst mit der Wendezeit wahrnehmbar wurde,48 wie folgt. Diese Initiativen engagierten sich für Themen, wie Ökologie, Abrüstung und die „Dritte-Welt“49 und vereinten Marxisten, Anarchisten, Christen, Liberal-Konservative und reformierte Sozialisten. Ursache für ihre Gründung war die Kritik an der staatlichen Entwicklungs- und offiziellen Solidaritätspolitik. Die Organisationsformen wurden durch das politische System der DDR bestimmt (ebd. 1999: 195 f). Diese Gruppen stellen eine politische Massenbasis vor einem sozialen Hintergrund dar. Sie widmen sich Handlungsfeldern, die die Akteure des SED-Regimes nicht beachteten. Dennoch hatten diese Gruppen nur informellen Charakter und konnten kaum lokalpolitische Grenzen überwinden (Bruckmeier 1993). Letz hebt hervor, dass, die sich von der SED distanzierenden Solidaritätsgruppen, sehr deutlich für die Entwicklungshilfe der Dritten Welt einsetzten, deutlicher als jene im Westen (1994: 50 ff). Weiter schreibt er: „Abgelehnt wurde die Reduzierung der Solidarität auf die Traditionen und Inhalte der kommunistisch geprägten Arbeiterbewegung und ihre strikte Bindung an SED und Staat.“ Die Unterordnung des Solidaritätsgedanken unter die Außenpolitik50 grenzte alle aus, die die zentralistische Auffassung nicht teilten. Zudem kritisiert er, dass die Offiziellen der DDR die eigene Gesellschaft nicht in ihren Solidaritätsgedanken aufnahmen. Der „Eiserne Vorhang“ und die offizielle Solidaritätsarbeit erschwerten die Bemühungen der oppositionellen Bewegungen erheblich, trotz, dass sie unter dem Dach der Kirche agierten.51 Konsequenzen blieben nicht aus. Die Stagnation der Arbeit empfanden nicht nur die Akteure entmutigend, sondern erschwerten auch die Mobilisierung neuer Unterstützer52 (ebd.).


Knabe, einer der ersten bundesdeutschen Autoren, der sich mit Sozialen Bewegungen53 der DDR auseinandersetzte, kritisiert die schlechte Forschungslage. Es war nicht so, wie bei westdeutschen Forschungsarbeiten, dass auf Forschungen und Publikationen zurückgegriffen werden konnte (Knabe 1988: 553 ff). Er erläutert, dass die Bewegungen in Ost und West nahezu gleichzeitig entstanden und jeweilige Entsprechungen hatten, der Begriff der „Sozialen Bewegung“ jedoch in der DDR nicht üblich war54. Jenes gesellschaftliche Engagement wollten Kirchenvertreter als „kirchliche Friedensarbeit“ oder „Verantwortung für die Schöpfung“ verstanden wissen (ebd.). Nach Knabe bilden sich drei wesentliche Bewegungen. (Vgl. hierzu auch Bruckmeier (1993).


Die Friedensbewegungen entstehen in vielen Universitätsstädten sowie in ländlichen Gemeinden als Friedensinitiativen, im Wesentlichen als Teil innerhalb der evangelischen Kirche. Außerhalb der Kirche wurden diese Strömungen von staatlicher Seite unterbunden, was zur Folge hatte, dass diese Sozialen Bewegungen auch immer mit religiösen Vorstellungen verbunden waren und es somit auch zu kirchlich-institutionellem Interesse kam (Knabe 1988: 554 ff).55


Mitte der 1970er Jahre entstand auch, wiederum durch die Kirche flankiert, eine „Dritte-Welt- Bewegung“56. Hierzu zählen unter anderem Brot für die Welt (Siehe: 2.3.2.2.), die Leipziger Mission und weiterhin die Chile-, Nicaragua- und Südafrika-Solidarität im Sinne der „Hilfe zur Selbsthilfe“. Unter dem Kürzel „INKOTA“57 agieren seit Anfang der 1970er Jahre die Gruppierungen, welche sich den Themen wie Wohlstandskritik und Konsumverzicht aber auch Hunger, Frieden und Umwelt widmen (Knabe 1988: 555 ff). Zu ihren Aktivitäten zählen kirchliche Öffentlichkeitsarbeit, Sammelaktionen und Solidaritätskampagnen sowie überregionale Treffen, wie „Konkret für den Frieden“ oder „Friedenswerkstatt“ in Ostberlin (ebd.).


Massive Umweltschäden, wie hohe Luft- und Wasserverschmutzung, Chemikalienbelastung, Waldsterben und wilde Mülldeponien, waren Auslöser für die Entstehung von Ökologiebewegungen (Langsdorf/Hofmann 2014). Sie entstanden Anfang der 1980er Jahre inhaltlich vergleichbar mit westdeutschen Umweltgruppen. Gemeinschaftsaktionen, wie Baumpflanzungen und Müllsammlungen zählen zu den Aktivitäten, welche jedoch durch staatliche Restriktionen nur eingeschränkt öffentlichkeitswirksam beworben werden können. Sie werden hauptsächlich über Kirchenzeitungen oder Umwelt-Gottesdienste bekannt gegeben. Die politische Situation erlaubt nur in wenigen Fällen auf umweltschädliche Prozesse Einfluss zu nehmen (Knabe 1988: 555 ff). Auf die beispielhafte Initiative „Eine Mark für Espenhain“ wird später eingegangen (Siehe: 2.3.2.3.). Knabe führt fort, dass die Gruppen auf „niedriger Aktivitätsstufe“ mit Eingaben, kirchlichen Ausstellungen und der Mitarbeit in offiziellen Institutionen Einfluss nahmen (ebd.). Beleites teilt die Entwicklung der Umweltbewegungen in vier Phasen ein: „(1) die Phase der global-ethischen Debatten (1979-1984), (2) die Phase der ökologisch motivierten Proteste mit regionalem Bezug (1984-1986), (3) die Phase des politisch motivierten Aufbruchs (1986-1989) und (4) die Phase der Abnabelung von der Kirche (1989-1990)“. (ebd. 305).


„Obwohl es umfängliche Spendenaktivitäten in der DDR gegeben hatte, die seinerzeit eine breite propagandistische Würdigung der Spendenbeteiligung und der dabei erreichten Be- träge in den Medien erfuhren, fand die Spendenthematik in den politischen und wissenschaftlichen Diskursen in der DDR kaum Beachtung; sie wurde nicht hinterfragt und mehr oder weniger als Normalität58 und Selbstverständlichkeit behandelt.“ (Priller 2018: 61).


So zogen auch schon die Jüngsten59 los. Unter dem Motto „Großfahndung – Millionen für die Republik“ sammelten sie Altrohstoffe und brachten diese in die Altstoffhandlungen60. Im Jahr 1978 kamen so mehr als sechs Millionen Mark der DDR zusammen. Ein Großteil des Erlöses wurde auf das Solidaritätskonto eingezahlt (UNICEF 1979: 35). „Ausdruck der gewachsenen und gefestigten internationalistischen Haltung unserer Jungen Pioniere sind die vielen Solidaritätsaktionen, die schon den Alltag in unserer Republik mitbestimmen.“ So ist auch in der Zuarbeit durch das UNICEF-Nationalkomitee der DDR in der Publikation zu lesen, dass Millionen „Rosengrüße“ durch Pioniere per Postkarten halfen, Angela Davis aus dem Kerker der amerikanischen Klassenjustiz zu befreien (ebd. 37).


Es lassen sich zwei Engagement-Strömungen erkennen. Die vom SED-Staat initiierte anti- imperialistische Solidarität (Siehe Abbildung 4) und die sozialen oder auch oppositionellen Bewegungen (Siehe Abbildung 5) unter dem Dach der Kirche.

Abbildung 4: Solidaritätsplakate


1976


1979


1980


1982

Quelle: Antiimperialistische Solidarität in der Deutschen Demokratischen Republik (o.J.)

Abbildung 5: Faltblatt „Eine Mark für Espenhain“


Quelle: https://www.nach-gedacht.net/reiseberichte/espenhain/espenhain-orginal- faltblatt.pdf (Stand: 11.08.2020)

1.3.2.1 Solidaritätskomitee und Massenorganisationen


Die Literaturlage erweist sich im wissenschaftlichen Bereich als sehr dünn. Daher wird in diesem Kapitel auch auf die „historische Zusammenfassung“ von Achim Reichardt, dem letzten Generalsekretär des Solidaritätskomitees, zurückgegriffen. Verschiedene Solidaritätsausschüsse61,62 führten 1973 letztlich zur Bildung des Solidaritätskomitees auf Basis der Massenorganisationen63. Anfangs gingen die Spenden-Aktivitäten vom FDGB und dem DFD aus, später kam als verwaltungstechnische und organisatorische Einheit der Nationalrat der Nationalen Front64 hinzu, so Reichardt. Nicht allein das Solidaritätskomitee ist als Spendenorganisation in der DDR anzusehen, es gab auch, jedoch nicht so medial unterstützt, gesellschaftliche Organisationen und Religionsgemeinschaften (Reichardt 2006: 33 ff).


Mihr bezeichnet die Massenorganisationen als Bindeglied zwischen SED-Führung und DDR-Bevölkerung, nicht zuletzt, um in allen Gesellschaftsbereichen gesellschaftspolitische Themen zu organisieren und zu kontrollieren. (ebd. 30 f).


Achim Reichardt betont mehrfach, dass das Solidaritätskomitee eine nichtstaatliche Organisation, also eine NRO65, war (et al. 2006: 34). „Dieser Fakt muss deshalb erwähnt werden, weil die Zusammenarbeit des Solidaritätskomitees der DDR mit staatlichen Stellen verurteilt und so ausgelegt wurde, als ob es ein staatliches Organ gewesen sei und staatlichen Direktiven unterworfen war. Das war zu keiner Zeit so.“ (ebd. 22). Schleicher argumentiert am Beispiel der beginnenden 1980er Jahre dagegen: „Es waren die Jahre, in denen ZK-Wirtschaftssekretär Günter Mittag massiv darauf drängte, zur Entlastung des Staatshaushaltes Fonds des Solidaritätskomitees anzuzapfen und aus den Spenden der Bevölkerung staatliche Verpflichtungen gegenüber Partnern in der ‚Dritten Welt‘ und Befreiungsbewegungen abzudecken. Neben Ausbildungsleistungen betraf dies auch Verpflichtungen im militärischen Bereich“ (vgl. 1998: 50 f). Dem widerspricht Storkmann: „Selbständig oder gar eine von staatlichem Einfluss unabhängige Nichtregierungsorganisation angelsächsischen Models war das Solidaritätskomitee der DDR nicht66. Es stand unter strikter Kontrolle der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED“ (2012: 150). Schleicher bemerkt, dass das Solidaritätskomitee die Monopolstellung innehatte und auf Grundlage der außenpolitischen Prinzipien und Ziele der DDR agierte. Somit war es Teil der Herrschaftskultur und Organ der machtausübenden Führung der SED (ebd. 7).


In den Massenorganisationen wurden für reguläre Aktivitäten Mitgliedsbeiträge erhoben. Hinzu kamen regelmäßig monatlich Solidarbeiträge67 als Spenden, welche über die eigene Arbeit hinausreichende Ziele und Tätigkeiten finanzierten (Priller 2018: 64). Spenden und Spendenbeiträge waren in der DDR also durchaus üblich. Ihnen kam aber im Vergleich zur Bundesrepublik, wo sie eine andere politische und sozialpolitische Bedeutung hatten, ein

völlig anderer Stellenwert zu (ebd.). „Obwohl den DDR-Organisationen die ‚Zwischenräume‘ zwischen Staat und Markt fehlten, ließ es der paternalistische Staat der DDR – bewusst oder unbewusst – zu, dass die Organisationen die durch Mangel und wirtschaftliche Schwächen verursachten Lücken der staatlichen Versorgungssysteme zu schließen versuchten.“ (Priller 2018: 64).


Das Spendenaufkommen des Solidaritätskomitees wuchs jährlich. 1975 beliefen sich die Jahreseinnahmen auf 158 Millionen Mark der DDR, wobei der FDGB davon einen Anteil von 95 Millionen Mark einwarb. Zehn Jahre später, 198568 konnten 212 Millionen Mark eingenommen werden, Anteil des FDGB hier 100 Millionen Mark. Der Höchststand wurde 1988 erreicht.

Abbildung 6: Spendeneinnahmen im Jahr 1988



Quelle: Reichardt 2006


254 Millionen Mark69, wobei der Beitrag des FDGB, im Verhältnis, auf 80 Millionen Mark sank (Priller 2018: 70). Den Grund für den rückläufigen FDGB-Anteil sieht Olejniczak bei der Sammlungsweise. Vormals wurde die Spendenhöhe in Listen registriert, über Brigadetagebücher abgerechnet und in Beurteilungen erwähnt. Nunmehr wurde intransparent und damit ohne Druck, auf die Black Box des Spendenkontos 444, ohne Rechenschaft über die Mittelverwendung, ohne Information und Motivation, die Spendenzahlungen entrichtet (1999: 207 f).


„Obwohl es in der DDR diese Organisationen (Gemeint sind Massenorganisationen.), die in der kapitalistischen Gesellschaft neben Staat und Wirtschaft als Dritter Sektor bezeichnet werden, sozialökonomisch nicht zu geben brauchte und politisch-ideologisch eigentlich auch nicht geben durfte, erfüllten sie dort wichtige Funktionen.“ (Priller 2018: 65).

Reichardt stellt fest: „Mehr und mehr setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich nicht um Zwangsspenden gehandelt hat und dass die Spenden tatsächlich für Menschen in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas eingesetzt wurden. Es gab keine Finanzierungen von Experten militärischer Institutionen.“ (ebd. 265).


Basierend auf der Finanzierung der Waffenlieferungen durch die Mitgliedsbeiträge der Massenorganisationen wird die Dissertation „Geheime Solidarität“ über die ostdeutschen Militärhilfen nach Afrika, Asien und Lateinamerika von Storkmann hinzugezogen (ebd.).

Auswirkungen des Spendensystems der DDR auf das Spendenverhalten in Ostdeutschland heute -

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