Читать книгу Weltretten für Anfänger - Susanne Frohlich - Страница 10
DAS GROSSE BUH!
ОглавлениеJa, das ist das ganz große Buh, und es hat nicht nur mich, sondern auch die Politik das Fürchten gelehrt. Jedenfalls in der Theorie. 2015 haben die Industrie- und Schwellenländer im Klimaabkommen von Paris nämlich gemeinsam erklärt, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern, um das Gröbste zu verhindern: dass die Temperatur weltweit um mehr als zwei Grad Celsius steigt und all das passiert, was Sie oben gelesen haben. Dabei halten die Klimawissenschaftler und Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bereits 1,5 Grad Celsius für das absolute Maximum, will man verhindern, dass sogenannte Kippelemente ausgelöst werden. Also Prozesse, die unumkehrbar sind und den Klimawandel so beschleunigen, dass er nicht mehr zu beherrschen wäre. Wie etwa das Abschmelzen des Permafrostbodens in Alaska, Nordkanada und weiten Teilen Sibiriens. Dort sind enorme Mengen abgestorbener Pflanzenreste eingefroren. Taut das Eis, werden sie durch Bakterien zersetzt und die Treibhausgase CO2 und Methan frei. „Allein im oberen Bereich der Permafrostböden stecken bis zu 1.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Das ist fast doppelt so viel, wie es derzeit in der gesamten Erdatmosphäre gibt“,11 schreibt Zeit Online und zitiert Professor Guido Grosse vom Alfred-Wegener-Institut: „Allein der Permafrost birgt das Potenzial, die Klimaziele von maximal zwei Grad Celsius Erderwärmung deutlich zu übertreffen.“
Nun hat es aber in den nördlicheren Breiten bereits angefangen zu tauen: „Einmal in Gang gesetzt, lässt sich der schnelle Auftauprozess nicht mehr aufhalten“, sagt Grosse. Trotzdem, so der Bericht des Weltklimarats IPCC, wäre es möglich, das Klimaziel noch zu erreichen. Dafür müssten die Emissionen aber so deutlich sinken, dass wir schnellstens das tun sollten, was die Bewegung Fridays for Future fordert: den Kohleausstieg bis 2030 und sofort ein Viertel der Kohlekraftwerke abschalten.
Aber davon ist gerade Deutschland sehr weit entfernt, wie der Klimaschutzindex zeigt. Er wurde eingeführt, um ein Klassenziel zu definieren, und misst jährlich die Bemühungen der einzelnen Länder, die Existenzgrundlage von uns allen zu schützen. 2019 blieben die ersten drei Plätze wieder einmal frei, da kein Land genug unternimmt, um den Temperaturanstieg global deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten. Am nächsten kam diesem Anspruch noch Schweden (Platz 4), das sich mit seinem Engagement bei den erneuerbaren Energien und beim Emissionsniveau immerhin das Prädikat aller Durchschnittlichen, „Hat sich stets bemüht“, verdient. Ebenso wie Marokko – auf Platz 5 –, das insbesondere mit dem rapiden Ausbau der Erneuerbaren punktet und das ambitionierte Ziel, in zwei Jahren 42 Prozent seines Strombedarfs damit zu decken, durchaus erreichen könnte. Und Deutschland? Da pfeift man einfach im dunklen Wald und hofft, dass das die bösen Geister schon vertreiben wird. Wir haben uns beim Klimaschutz nämlich nicht etwa verbessert, sondern verschlechtert, und sind von Platz 22 des Klimaschutzindex auf Platz 27 abgerutscht – also noch weiter in die Kategorie „mäßig“.
Im Keller des Index befinden sich übrigens acht der G-20-Staaten, darunter auf den letzten beiden Plätzen die USA und Saudi-Arabien. Was unter anderem damit zu tun haben könnte, dass die Umwelt längst nicht mehr nur von unserem Konsum, unserer Leichtfertigkeit und Bequemlichkeit belastet wird. Nein, auch von Menschen, die das alles für bloße Hysterie und den Anfang einer Ökodiktatur halten, in der das CO2-Dilemma nur erfunden wurde, um das Menschenrecht auf ein Steak, einen SUV, auf sechslagiges gebleichtes Toilettenpapier und Flüge zum Ballermann abzuschaffen. Von Leuten, die offenbar eine perverse Freude daran haben, anderen nicht mal mehr den kleinsten Konsum zu gönnen. Sie befinden sich damit in bester Gesellschaft: Donald Trump hat bereits 2012 getwittert, dass die Idee eines von Menschen gemachten Klimawandels bloß ein Komplott der Chinesen sei. 2015 schrieb er im Winter, es würde doch eindeutig schneien und wäre außerdem saukalt. Wo denn also bitte die Erderwärmung sei, wenn man sie mal brauche.
Klar, muss man sich auch vermeintlich qualifiziertere Dementi anhören, mit denen selbst ernannte Experten einem angeblich schlüssig nachweisen, man sei bloß auf „Klimapropaganda“ reingefallen und habe sich von der „Klimahysterie“ anstecken lassen wie von einem Schnupfen. Da werden Verschwörungen vermutet und empfohlen – wie so oft auch bei dem Thema „Flüchtlinge“ geschehen –, die „richtigen Medien“ zu Rate zu ziehen. Anstatt die „Lügenpresse“, die von den linksversifften Grünen „unterwandert“ sei. Behauptet wird, es habe schließlich schon immer „Kalt- und Warmzeiten“ gegeben oder dass der Klimawandel nicht von Menschen gemacht sei (und deshalb eben nicht von Menschen gestoppt oder wenigstens beeinflusst werden könne). Da hilft es dann meistens auch nicht, anzuführen, was der Weltklimarat, was weltweit Experten, was leider immer mehr Indizien schlüssig nachweisen: wie schmal das Brett ist, auf dem sich die Leugner bewegen.
Und ehrlich, ich fühle mich Argumenten wie dem, dass etwa auf Seite 774 des Abschlussberichts des Klimarats angeblich stehen soll, eine „langfristige Vorhersage“ sei eh nicht möglich, nicht gewachsen. Ebenso wenig wie Ausführungen, wie sie kürzlich bei einem Essen auf den Tisch kamen. Da behauptete ein Gast, die vermeintliche Vermischung des CO2 mit der Atmosphäre und deren Konzentrationsmessung sei einem Irrtum geschuldet. Er sagte, dass Flugzeugabgase die gemessene CO2-Konzentration verfälschen und die CO2-Konzentration in der Atmosphäre derzeit grundsätzlich nicht zuverlässig gemessen werden kann. Ein anderer Gast war offenbar getrieben von der Sorge, die nächste Kreuzfahrt canceln zu müssen, von der er gerade berichtet hatte. Und ergänzte in einem Ton, in dem man Blondinen gewöhnlich die Abseitsregel erklärt: „Du hast wohl noch nichts von der Oregon-Petition gehört?! Da haben über 31.000 Wissenschaftler unterschrieben und somit bestätigt, dass es keinerlei Nachweis für einen Klimawandel gibt.“
Eine Schnellrecherche ergab, dass die Petition erstens schon 20 Jahre alt ist und zweitens weniger als 0,1 Prozent der Unterzeichner überhaupt in der Klimaforschung tätig waren. „Als nämlich Journalisten nach Veröffentlichung der Petition die Unterschriften überprüften, stießen sie auf etliche Scherznamen: So stand beispielsweise ein Mitglied der britischen Pop-Gruppe Spice Girls auf der Liste (Dr. Geri Halliwell) oder fiktive Charaktere aus den erfolgreichen TV-Serien M*A*S*H und Star Wars.“12 Leider war ich schon daheim, als ich das herausfand. In solchen Situationen bedaure ich dann mal kurz, nicht Chemie studiert zu haben. Allerdings hatte ich immerhin noch anbringen können, was der Autor Marc-Uwe Kling, Schöpfer der Känguru-Chroniken auf die Frage „Was, wenn es gar keine Klimaerwärmung gibt?“ als ultimative Antwort geliefert hat: „Ja, wir könnten jetzt was gegen den Klimawandel tun, aber wenn wir dann in 50 Jahren feststellen würden, dass sich alle Wissenschaftler doch vertan haben und es gar keine Klimaerwärmung gibt, dann hätten wir völlig ohne Grund dafür gesorgt, dass man selbst in den Städten die Luft wieder atmen kann, dass die Flüsse nicht mehr giftig sind, dass Autos weder Krach machen noch stinken und dass wir nicht mehr abhängig sind von Diktatoren und deren Ölvorkommen. Da würden wir uns schön ärgern.“13
Was ich gelernt habe
Ich bin vielleicht nicht Superwoman, aber ich kann gleichzeitig David und Goliath sein. Wobei ich mich aus Team Goliath pronto werde verabschieden müssen. Tut mir und der Welt einfach nicht gut, weiterhin dort Mitglied zu sein.
Herr Appel, mein Chemielehrer, hatte doch recht, als er sagte, ich würde es noch mal bitter bereuen, seinen Unterricht vorwiegend im Café Lösch gegenüber der Schule verbummelt zu haben.
„Verzicht“ ist die grundfalsche Vokabel. Schließlich kann man beim Weltretten nur gewinnen – nämlich die eigene Lebensgrundlage!
Es wird immer Leute geben, die sogar dann noch behaupten, es gäbe keinen Klimawandel, wenn in ihrem Vorgarten bloß noch Kakteen wachsen. So, wie es immer auch welche geben wird, die der Meinung sind, dass Frauen an den Herd gehören.
Das Thema Klimawandel steht nicht gerade on top der beliebtesten Gesprächsthemen bei Essenseinladungen.
Selbst wenn es so klingt, aber „der Klimawandel“ ist kein anderer. Der Klimawandel, das sind wir.
Für den Fall, dass man mir nicht glauben will – schon klar, ich bin ja blond und eher in der „leichten“ Unterhaltung zu Hause –, hier gibt es noch mal richtig fundierten Nachschlag: klimafakten.de.
Der Klimawandel in Zahlen
Die letzten fünf Jahre waren auf unserem Planeten die wärmsten fünf Jahre aller Zeiten.
97 Prozent aller Experten weltweit bestätigen, dass der Klimawandel von Menschen gemacht ist.
In Deutschland hat sich die Durchschnittstemperatur seit dem Jahr 1880 um etwa 1,5 Grad Celsius überdurchschnittlich stark erhöht.
2018 verursachte in Deutschland die extreme Hitze im Sommer regionale Ernteeinbußen bei Kartoffeln und Getreide von bis zu 75 Prozent.
Seit den 1970er-Jahren haben die Wassermassen der Ozeane etwa 93 Prozent der gesamten Erwärmung des Klimasystems aufgenommen. (Der Rest verteilt sich wie folgt: Schmelzen von Eismassen: drei Prozent; Erwärmung der Kontinente: drei Prozent; Erwärmung der Atmosphäre: ein Prozent.)
Die Ozeane versauern, weil der pH-Wert stetig sinkt. Dies bedroht zahlreiche Meereslebewesen, weil sich Kalk bei niedrigeren pH-Werten nicht mehr gut als Schale etwa bei Muscheln und Schnecken anlagert. Ursache für diese sogenannte Versauerung ist der Anstieg von CO2 in der Luft, das teilweise von den Ozeanen aufgenommen wird. Weiterhin hohe CO2-Emissionen könnten bis Ende des Jahrhunderts dazu führen, dass der pH-Wert auf Werte fällt, die seit mehr als 50 Millionen Jahren nicht mehr in den Ozeanen vorgekommen sind.
Um die globale Erwärmung noch auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssen die menschenverursachten CO2-Emissionen bis 2030 um etwa 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2010 sinken. Das heißt, wir müssen mehr tun als geplant. Denn selbst wenn die Staaten weltweit ihre bisher vorgelegten Klimaschutzmaßnahmen umsetzten, würde die globale Erwärmung zwei Grad Celsius noch übersteigen.
Der grönländische Eisschild schwindet um 250 bis 300 Milliarden Tonnen pro Jahr, was mit jährlich rund 0,6 Millimetern zum Anstieg der globalen Meeresspiegelhöhe beiträgt. Das Tempo des Eisverlusts hat sich in den vergangenen Jahren beschleunigt.
In Nord- sowie Ostsee wurde eine Zunahme um zehn bis 20 Zentimeter über die vergangenen 100 Jahre gemessen – eine Folge ist, dass die Sturmfluten höher ausfallen. Pro Jahr steigt der Meeresspiegel an der deutschen Nordseeküste um 1,6 bis 1,8 Millimeter.
Laut des aktuellen Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services der Vereinten Nationen sind von den geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit rund eine Million vom Aussterben bedroht. Mehr als 500.000 (etwa neun Prozent) der Landtiere (weltweit schätzungsweise 5,9 Millionen Arten) haben nicht genügend Lebensraum zur Verfügung, um langfristig ohne dessen Wiederherstellung zu überleben. Mit gravierenden Folgen: Unter anderem sind mehr als 75 Prozent der Nutzpflanzenarten auf Bestäubung durch Tiere angewiesen.
Immer wieder wird betont, es werde doch schon viel gegen den Klimawandel getan – meist verbunden mit dem Hinweis, dass der CO2-Ausstoß seit 1990 zurückgegangen sei. Das ist falsch. Bis heute nimmt die Menge an CO2 zu, das Jahr für Jahr weltweit ausgestoßen wird. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) lag der durch Energieerzeugung verursachte CO2-Ausstoß zuletzt auf einem Rekordhoch von 33,1 Milliarden Tonnen CO2. Das bedeutet einen Anstieg von 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Eigentlich müssten Plastikverpackungen wie etwa Zigarettenschachteln mit dem Warnhinweis „Vorsicht! Kann töten!“ versehen werden. Die Vereinten Nationen sowie 27 führende Forschungseinrichtungen kamen in einer Studie zu dem Ergebnis, dass sich durch die steigenden Temperaturen tropische Krankheiten wie Malaria und Denguefieber weiter ausbreiten werden – einige Fälle sind bereits in Frankreich, Griechenland und Kroatien aufgetreten. In Zukunft werden wir vielleicht nicht mehr nur über Masernimpfung, sondern auch über die Chikungunya-Prophylaxe streiten (ja, schlagen Sie das ruhig mal nach …). Immerhin wurden in der EU bislang 1.800 einschlägig Erkrankte gezählt.