Читать книгу Weltretten für Anfänger - Susanne Frohlich - Страница 6

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Ich habe es natürlich geahnt. So, wie man spürt, dass man mit Sicherheit mindestens fünf Kilogramm zugenommen hat oder dass auch ganz wenig Rauchen nicht unbedingt gesundheitsfördernd ist. Aber, wie bei allen vagen Ahnungen, schwingt immer noch ein bisschen Hoffnung mit … es wird schon nicht ganz so schlimm sein. Eins mal vorneweg: Ich will dem Klima gar nichts Böses – ganz im Gegenteil, es ist mein ureigenster Wunsch, dass es dem Klima bald sehr viel besser geht. Und ich weiß, es gibt keine Alternativen zum sofortigen Handeln. Keinerlei Verhandlungsspielraum. Mit anderen Worten: Der Ernst der Lage ist mir durchaus bewusst. Ich habe verstanden. Genauso wie mir klar war, dass es in meinem Verhalten noch Luft nach oben für jede Menge Verbesserungen gibt. Allerdings dachte ich auch, man kann über mich zumindest sagen: „Sie hat sich bemüht.“ Nach Schulnoten hätte ich mir etwa eine Drei minus gegeben. Sozusagen die Eins des kleinen Mannes. Wie grausig es mit meiner eigenen Klimabilanz dann doch steht, hätte ich nicht für möglich gehalten. Den ersten Schock bekam ich, als ich meinen ökologischen Fußabdruck überprüfte. Das kann man, sehr umweltverträglich, schön von zu Hause aus erledigen. Im Netz gibt es einen empfehlenswerten Test bei fussabdruck.de von Brot für die Welt.

Falls Sie sich nun fragen, was genau denn der ökologische Fußabdruck ist, kann ich Ihnen mit der Onlineerklärung von wikipedia.org weiterhelfen: „Unter dem ökologischen Fußabdruck (auch englisch Ecological Footprint) wird die biologisch produktive Fläche auf der Erde verstanden, die notwendig ist, um den Lebensstil und Lebensstandard eines Menschen (unter den heutigen Produktionsbedingungen) dauerhaft zu ermöglichen. Er wird als Nachhaltigkeitsindikator bezeichnet. Das schließt Flächen ein, die zur Produktion von Kleidung und Nahrung oder zur Bereitstellung von Energie benötigt werden, aber z. B. auch zur Entsorgung von Müll oder zum Binden des durch menschliche Aktivitäten freigesetzten Kohlenstoffdioxids. Der Fußabdruck kann dann mit der Biokapazität der Welt oder der Region verglichen werden, also der biologisch produktiven Fläche, die vorhanden ist.“1

Ich bin schon ganz gespannt: Welche Schuhgröße wird mein Abdruck wohl haben? Voller Elan lege ich los. Zu Beginn des Tests habe ich sofort ein sehr erhabenes Gefühl, schließlich geht es als Erstes um die Ernährung. Nun lebe ich seit einigen Jahren fleischlos und weiß, dass das dem Klima verdammt guttut. „Wie oft isst Du Fleisch und Wurst?“, lautete auch gleich die erste Frage, und stolz wie eine Erstklässlerin, die sich schnipsend meldet, wähle ich „Nie“ aus – direkt in freudiger Erwartung einer ganzen Reihe von Fleißsternchen. Aber schon bei Frage zwei sind die ersten Sternchen im Kopf ausradiert: „Wie oft verzehrst Du weitere tierische Produkte?“ Ich muss es hier gestehen: Im Kaffee trinke ich ab und an Hafermilch, aber noch immer ist mir die schnöde Kuhmilch sehr viel lieber. Ja, ich weiß! Aber es kommt noch schlimmer: Von Quark bin ich geradezu abhängig. Auch Eier finde ich ehrlich gesagt sehr lecker. Schon deshalb muss ich in dieser Kategorie „Häufig“ anklicken.

Bei der Frage nach dem Fischkonsum geht es mir ähnlich. Obwohl mir natürlich klar ist, dass es gut wäre, neben dem Fleisch auch auf Fisch zu verzichten … Aber das Wissen über etwas ist das eine, der Verzicht das andere. Ich mag Fisch, leider nicht nur in den Weltmeeren, sondern auch auf meinem Teller. Dazu kommt – wenn ich neben Fleisch auch noch auf Fisch verzichten müsste –, dass es teilweise doch schwierig im Restaurant wird, irgendwas zu finden. Ich entstamme einer Generation, in der ein Essen ohne Fisch oder Fleisch gar keine richtige Mahlzeit darstellt. Dass Sättigungsbeilagen ein ganzes Gericht sein sollen, ist für uns schwer vorstellbar. „Da fehlt doch was!“, will man sofort ausrufen.

Und, mal ehrlich, Fisch ist ja auch so gesund. Habe ich jedenfalls jahrelang gedacht und auch überall gelesen. Nachdem ich mit Professor Michalsen, dem Ernährungspapst, in Berlin für ein Buch darüber gesprochen hatte, hat sich jedoch eine gewisse Ernüchterung eingestellt. Fisch ist, was die gesundheitlichen Aspekte angeht, eine Art Schweiz der Nahrungsmittel. Neutral sozusagen. Voll von gesunden Fetten und Eiweiß auf der einen Seite, belastet auf der anderen. Nimmt man die Überfischung der Weltmeere dazu, wäre Fisch eigentlich runter vom Speiseplan. Es stünde dann zwei zu eins gegen den Fisch – er hätte somit verloren oder, je nach Interpretation, gewonnen. Eigentlich. Das ist ein Wort, das mein Verhältnis zum Klima sehr gut beschreibt. Eigentlich bin ich willig. Eigentlich strenge ich mich an, nach meinem Gefühl jedenfalls schon. Aber ich bin eben auch faul. Bequem. Ein Gewohnheitstier. Eigentlich müsste man mir in den Hintern treten. Nur, wer soll das tun? Wer wird sich das trauen?

Nach dem Fisch kommt die Frage nach dem Einkaufsverhalten: „Wie oft kaufst Du Bio-Lebensmittel?“ „Ausschließlich“ wäre gelogen, und ich bin kurz davor, das zu tun. Zu schwindeln, um mich selbst besser zu fühlen. Um hier bei diesem Test wenigstens ein bisschen günstiger abzuschneiden. „Gelegentlich“ trifft es beim Bioeinkauf allerdings eher. Ähnlich sieht es bei der nächsten Frage aus: „Wie oft kaufst Du saisonale Produkte aus Deiner Region?“ Auf Erdbeeren im Winter verzichte ich. Immerhin. Aber ansonsten? Da ist noch Luft nach oben, keine Frage. Oft genug lasse ich meine Lust entscheiden, meinen Appetit, und nicht meinen Verstand. „Meistens“ kreuze ich an und weiß, dass das mir gegenüber schon ziemlich wohlwollend ist.

„Wirfst Du Lebensmittel weg?“, lautet die folgende Frage, und schon während ich sie lese, beginne ich mich zu schämen. Zutiefst. Regelmäßig landet Essen bei mir im Müll. Heute Morgen erst habe ich ein Plastik(!)schälchen grüne Soße, zwei faulige Nektarinen und einen Kanten schimmeliges Brot entsorgt. Außerdem einen abgelaufenen Joghurt aus dem Kühlschrank geräumt. Ich habe eine mittelschwere Phobie, was abgelaufene Lebensmittel angeht. Auch wenn ich weiß, dass das aufgedruckte Datum eine Empfehlung ist, ein Mindesthaltbarkeitsdatum. In der Theorie ist mir das klar.

Ich beschließe, ab jetzt zu probieren. Komme mir todesmutig vor, als ich ein Löffelchen Joghurt in meinen Mund schiebe. Allein zu wissen, dass er theoretisch nur bis vorvorgestern haltbar war, lässt einen leichten Ekel in mir aufsteigen. „Du bist bekloppt, das ist dumm!“, rede ich mir selbst gut zu. Ich weiß, mein Verhalten ist lächerlich, ich kann aber nur schwer dagegen an. Der Joghurt schmeckt einwandfrei und wäre normalerweise im Müll gelandet. Ich schwöre mir selbst, ab jetzt alles zumindest zu testen.

Ich glaube, meine unnötige Wegwerferei hat sowohl mit meinem Einkaufsverhalten als auch mit meiner Ordnung zu tun. Ich neige nämlich zur Gier und gehe sehr gern einkaufen. Oft genug lachen mich Lebensmittel geradezu an und rufen aus den Regalen heraus: „Nimm mich, kauf mich, iss mich.“ Eine Freundin, die sehr viel klüger ist als ich, schreibt sich ganz klassisch Listen. Einkaufslisten. Sie plant, was es zu essen geben soll, und hält sich strikt an das, was auf ihrem Zettelchen steht. Und schafft es, jegliche Zwischenrufe aus den Regalen mit gebührender Strenge zu ignorieren. Danach räumt sie ihre Einkäufe nach einem ausklügelten Prinzip weg. Alles, was länger haltbar ist, rutscht im Kühlschrank oder im Vorratsschrank einfach nach hinten, und das, was wegmuss oder -sollte, nach vorne. Das ist keine hochkomplexe Teilchenphysik, sondern auch für jemanden wie mich durchaus machbar. Beschließe, dass sich mein „Wegschmeißverhalten“ eklatant ändern muss.

Der Test spuckt mir nach dem Bereich Ernährung ein Zwischenergebnis aus: Ich liege mit 1,3 knapp unter dem Bundesdurchschnitt von 1,4. Ich atme auf, weiß aber, dass die für mich problematischen Bereiche erst noch kommen. Ich bewohne sehr viel Fläche – vor allem seit die Kinder ausgewildert sind. Natürlich könnte ich auch auf sehr viel weniger Quadratmetern noch sehr gut leben … Aber ich wohne schon seit mehr als 20 Jahren in unserem Haus, das eben ehemals eine Familie mit Kindern, Mann und Hund beherbergt hat. Und Arbeitszimmern. Ja, auch eine Zwei- oder Dreizimmerwohnung würde natürlich genügen … Aber ich hänge an dem Haus. Emotional. Und an dem Platz, was natürlich dazu führt, dass ich viel zu viel horte … Aber das ist ein weiteres Thema.

Dazu habe ich es gern warm. Sehr warm. 23 bis 24 Grad Celsius sind die Temperaturen, bei denen ich mich wohlfühle. Es gibt für mich nichts Ungemütlicheres als ein kaltes Zuhause. Bei mir könnte man auch im Bikini und barfuß überleben. Klar, dass ich dafür abgestraft werde. Zwischenbilanz fürs Wohnen: Mein Fußabdruck ist mit 1,4 sehr viel höher als der des Bundesdurchschnitts mit 1,0. Sofortmaßnahme: Ich unterbreche den Test, drehe die Heizung runter und ziehe mir einen Pullover an. Man kann sich an vieles gewöhnen, und an sich bin ich kein zimperlicher Typ. Der schöne Nebeneffekt: Angeblich verbrennt der Körper mehr Fett, wenn es kühler ist. Der Körper verbraucht also mehr Energie, die Heizung dafür weniger. Win-win. Ich tue dem Klima Gutes und erschlanke dabei. Herrliche Vorstellung. Wenn es nur nicht so kalt wäre …

Richtig schlimm wird es dann für mich beim Thema Mobilität. Ich wohne, um es mit den Worten meiner Freunde zu sagen: „am Arsch der Welt.“ Auf dem Land. Im Mittelgebirge. Idyllisch, ruhig und beschaulich, aber eben auch verdammt weit draußen. Der öffentliche Nahverkehr besteht aus einem Bus, mit dem man in die nächste Kleinstadt tuckern kann. Von dort aus geht es weiter mit einem Regionalzug in die Stadt. Die Fahrtzeit von mir nach Frankfurt (30 Kilometer entfernt) beträgt mindestens eineinviertel Stunden. Wenn alles fahrplangemäß klappt. Und jeder, der den öffentlichen Nahverkehr kennt, weiß, dass das ein frommer Wunsch ist.

Mit dem Auto bin ich bereits in einer halben Stunde in der Stadt. Und das Auto hat keinen so übersichtlichen Fahrplan wie der hiesige Bus. Es fährt immer. Abendliche Ausflüge in die Mainmetropole sind mit Bus und Bahn hingegen geradezu unmöglich. Ich bin keine 16-Jährige mehr, die um 22 Uhr daheim sein muss. Und so alt, dass ich um die Zeit daheim sein will, bin ich auch noch nicht. Insofern haben der Bus und ich nie wirklich zueinander gefunden. Das ist leider auch noch untertrieben, ich gestehe: Den Bus habe ich bisher nur gesehen, aber noch kein einziges Mal benutzt. Mit dem Auto bin ich immerhin schon ein paarmal Richtung Kleinstadt gefahren, habe dort dann geparkt und bin auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen. Allerdings nicht mehr als 20-mal. In 20 Jahren. Das reicht für keinen noch so miesen Ablasshandel – noch nicht einmal für ein winziges Klimasternchen. Und Fahrrad fahren ist hier, mit all den Höhenmetern, nur etwas für sportlich hochambitionierte Menschen, fällt also flach. Mit anderen Worten: Ich bin auf mein Auto angewiesen.

Auch mein Flugverhalten wird abgefragt. Leider nicht im Detail. Wo ich doch so stolz auf mich bin, nicht mehr innerdeutsch zu fliegen. Ja, ich fahre mit der Bahn. Aber der Verzicht auf die innerdeutschen Flugkilometer bringt mir hier nicht wirklich viel, denn ich reise gern. Auch mal weiter als bis in den Harz oder an die Nordsee. Sehr viel weiter. Es wird gefragt, wie viele Kilometer ich jährlich in etwa mit dem Flugzeug zurücklege. Mhm, ich war dieses Jahr in Asien und mehrfach auf Mallorca. Damit komme ich locker auf mehr als 30.000 Kilometer. Das klingt gar nicht gut und kann auch durch meine Bahnfahrten innerhalb Deutschlands nur schwer ausgeglichen werden. Ich ahne, dass die Mobilität meine Achillesferse sein wird. So ist es dann auch: 2,7 im Vergleich zum Bundesschnitt von 0,8. Mir schwant Böses für meine Gesamtbilanz. Mein kleines Minus im Bereich Ernährung wird mich im Zweifelsfall hier nicht retten können.

Jetzt geht es um den Konsum: Wie viele Fahrräder, wie viele Autos besitzt man? Und wie aufwendig ist die Einrichtung? Wie viele elektrische Geräte gibt es, und welche Summen werden monatlich für weitere Konsumgüter wie Kleidung, Restaurantbesuche etc. ausgegeben? „Wie viel Müll und Altpapier produzierst Du pro Woche?“ Ich denke an die Armada von gelben Säcken, die ich monatlich aus meinem Haus trage, und schäme mich ein weiteres Mal.

Das Ergebnis ist ernüchternd, wieder einmal liege ich über dem Durchschnitt. Weit über dem Durchschnitt. Um mehr als das Doppelte – um genau zu sein: 1,6 zu 0,7.

Inzwischen habe ich jegliche Illusion aufgegeben und warte entsetzt auf die Gesamtauswertung … Um es mal vorsichtig auszudrücken: Mein ökologischer Fußabdruck ist wahrscheinlich noch vom Mars aus zu sehen. Ohne Brille. Jeder Yeti wäre zutiefst beeindruckt. „7,9“, sagt fussabdruck.de. Addiert zu meinen Werten wurde ein Pauschalwert von 1,0 für Infrastruktur und Co., den man nur indirekt beeinflussen kann. Das bedeutet: Hätten alle auf der Welt meinen Fußabdruck, bräuchten wir dafür 4,6 Planeten. Die Seite fragt mich, ob ich mein Ergebnis auf den Social-Media-Kanälen teilen möchte. Nein danke. Ich verzichte. Wie peinlich ist allein der Gedanke! Dafür werde ich mit Sicherheit nicht einen einzigen Like bekommen. Möchte mich nicht verbal anspucken lassen, vor allem nicht, wenn die Gegenseite auch noch recht hat.

Ich probiere noch andere Seiten und Tests, in der vagen Hoffnung, besser wegzukommen. Aber die Unterschiede sind nur marginal. Mal ein bisschen besser, mal ein bisschen schlechter. Es ist wie mit meiner Waage: Egal, wie sehr ich sie im Bad hin- und herschiebe, wirklich schönere Zahlen bekomme ich nicht zu sehen.

Ja, man kann, man muss sogar sagen: Ich bin eine Klimasünderin. Wäre ich noch Mitglied der katholischen Kirche, könnte ich wenigstens zur Beichte gehen, aber selbst das fällt flach. „Was ist mit deiner CO2-Bilanz?“, fragt mich eine Freundin. WWF biete einen Test im Netz an, erklärt sie mir, den solle ich doch mal machen … Aber danach sieht es für mich noch schlechter aus. WWF teilt mir mit: „Hoppla! Gemäß Ihren Angaben leben Sie ohne Rücksicht auf Verluste. Es wäre erfreulich, wenn wir Sie für ein nachhaltigeres Handeln begeistern könnten.“2 Manchmal gibt es Momente, da ist man doch ziemlich froh, dass das Internet anonym ist.

Ich lasse es. Jedenfalls mit den Tests. Ich habe nicht damit gerechnet, die Mutter Teresa des Klimas zu sein, aber ich dachte auch nicht, dass ich der weibliche Saddam Hussein bin. Insgeheim war ich sogar davon überzeugt, dass ich überdurchschnittlich gut sei. Da sieht man mal wieder, was die eigene Wahrnehmung mit einem macht. Das Ergebnis ist niederschmetternd – andererseits aber auch eine Herausforderung. Ich will mich bessern. Ich werde mich bessern. Ich muss mich bessern.

Auf den Schreck hin brauche ich erst mal Nahrung. Der Kühlschrank ist leer, ich muss einkaufen. Hier die erste Gewissensentscheidung: Fahre ich 20 Kilometer mit dem Auto, um in einem Biosupermarkt einzukaufen? Oder zwei Kilometer zum nahe gelegenen Discounter? Was ist am Ende schlimmer fürs Klima? Mehr Autokilometer oder weniger bio? Wenn man versucht, ein besserer Mensch zu sein, muss man ständig abwägen. Nachdenken, nachfragen, recherchieren. Man bräuchte seinen persönlichen Umweltbeauftragten, der immer mit dem Daumen nach oben oder unten zeigt. Der streng, aber doch liebevoll sagt, wo es klimamäßig langgeht. Ein Hirnwegweiser. Einer, der „Frau Eigentlich“ zeigt, wie es geht. Der mich zwingt. Nötigt. Ich bin jemand, der auf Druck sehr gut reagiert.

Und ja: Natürlich habe ich eine große Einkaufstasche und nehme keine Plastiktüten. Ja, ich besitze auch kleine Stoffnetze für Obst und Gemüse. Aber muss ich jetzt auf meine geliebten Heidelbeeren verzichten, weil es sie nun mal nicht lose gibt? Sie sind doch so gesund, genau wie die Avocados. Aber gesund heißt eben nicht: klimagesund. Was dem Körper guttut, gefällt der Atmosphäre noch lange nicht. Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, umso mehr Fragen tun sich auf. Fragen, die auf den ersten Blick oft lächerlich wirken.

Man sollte doch denken, dass ein Mehr an Klimabemühen in irgendeiner Form von anderen gewürdigt wird. Ich erwarte ja keine Applauskurven im Supermarkt, doch zumindest so etwas wie ein gewisses Wohlwollen. Weit gefehlt. Wer anfängt, sich klimatechnisch anzustrengen, muss sich im doppelten Wortsinn warm anziehen. Klimasünder auf dem Weg der Besserung gelten als schmallippige, besserwisserische und nörgelnde Zeitgenossen, um die man besser einen ganz weiten Bogen macht. Leider beinhaltet der Vorsatz, klimaverträglicher zu leben, auch ein gewisses Maß an Überzeugungsarbeit. Allein kann man, egal, wie doll man sich anstrengt, ja nun wirklich nicht wahnsinnig viel bewirken. Ich versuche, meinen Missionarstrieb unter Kontrolle zu halten, lege aber demonstrativ mein Obst in meine Stoffsäckchen und lasse den Plastikbeutel auf der Rolle. Und habe für den Fall der Fälle natürlich immer meinen Einkaufskorb dabei – dies alles in der Hoffnung, dass jedwede winzige Maßnahme für andere ein Anstoß sein könnte.

Wer tatsächlich anfängt, anderen zu sagen, was sie tun könnten (ja selbst der Konjunktiv macht vielen schon schlechte Laune), wird schnell abgestempelt. Als Spaßbremse, Gutmensch, naive Tante, moralinsaure Idiotin – es gibt sicher noch mehr herrliche Beschuldigungen. Alles leichter, als das eigene Verhalten einer kritischen Musterung zu unterziehen. Wer versucht, ein besserer Mensch zu sein, gilt als freudlos. Dazu muss man nicht mal missionarisch tätig werden, es langt, bei einem Abendessen aufs Fleisch zu verzichten. Ohne weitere Ansprachen. Allein das Bestellverhalten provoziert, denn jeder meint, sich erklären zu müssen. Warum man Fleisch isst. Warum man ein Recht darauf hat. Immer wieder wird mir erklärt, wie lecker Fleisch doch schmeckt (ja, ich weiß das! Ich erinnere mich!) und dass darin doch all das gute Eisen steckt. Und überhaupt: Jahrhundertelang haben Menschen Fleisch gegessen. Das allein langt vielen als Argument. Fleisch essen sei Tradition. Aber wurden nicht auch sehr lange Frauen als Hexen verbrannt? Ist etwas schon dadurch gut, weil es Menschen schon lange tun? „Wo bleibt da das Lustprinzip?“, empört sich eine Freundin. Tja, das Lustprinzip. „Vögelst du etwa den Ehemann deiner Nachbarin, den du so verdammt sexy findest?“, frage ich zurück. Und nein, sie tut es nicht. Weil er verheiratet ist und sie auch. Lustprinzip hin oder her. Es wäre zutiefst unvernünftig und fürs soziale Klima mehr als schädlich. Ich hätte auch Lust, morgens einfach im Bett zu bleiben, aber dummerweise geht das nicht. Lust hin oder her. Lust ist eine feine Sache, taugt aber nicht zum alleinigen Lebenswegweiser.

In der Außenwirkung bin ich also ein lebendes, nerviges Mahnmal, selbst mit meinen eher ausgesprochen niedrigschwelligen Bemühungen. Es reicht, ein Stofftaschentuch aus der Tasche zu holen. Oder auf den Plastikstrohhalm zu verzichten. Freunde finden das lächerlich, übertrieben, nachgerade albern. Irgendwie auch drollig. Aber vor allem nervig. Ich bin eine Frau, deren Gesellschaft neuerdings oft latent schlechte Laune macht. Keine Rolle, nach der ich mich gesehnt habe. Dabei halte ich mich mit Belehrungen zurück. Schließlich habe ich noch immer ausreichend defizitäre Bereiche. Ich spucke keine Plastiktütenbenutzer an. Ich ermahne nicht. Lasse den Zeigefinger unten.

Lediglich in Diskussionen halte ich nicht hinterm Berg. Diskussionen rund ums Thema Klima sind ein sehr zähes Geschäft. Allein der Name „Greta“ führt bei manchen Menschen schon zur bedrohlichen Schnappatmung. Dass eine so junge Frau Menschen derart auf die Palme bringen kann, ist erstaunlich. Ja, sie ist jung. Verdammt jung. Aber haben wir nicht immer beklagt, dass unsere Jugend so antriebslos sei? So egoistisch? So lethargisch? So oberflächlich? So sehr auf Äußerlichkeiten fixiert? Jetzt schafft es eine junge Schwedin, die Politik zu beeinflussen, andere junge Leute anzustecken – und statt anhaltend zu klatschen und zu jubeln, wird gemeckert, was das Zeug hält. Sie sei instrumentalisiert, naiv, eine Marionette, gucke so streng und unfreundlich. Nein, sie hat eine Mission. Sie ist bereit, dafür etwas zu tun. Sie hat allein angefangen. Saß mit einem Schild in der Hand vor dem Parlament. Und jetzt gehen Hunderttausende auf die Straßen. Weltweit. Sie interessiert sich für die Welt, in der wir leben. Sie traut sich was. Sie reißt andere mit. Sie schafft etwas, wovon viele Politiker seit Jahrzehnten träumen: Sie mobilisiert Menschen.

Aber wir lassen uns nun mal nicht gern was sagen. Vor allem nicht, wenn wir kritisiert werden. Wenn uns jemand verbal auf den Fuß tritt. Uns unsanft schubst. Und dazu noch jemand so Junges. Und auch noch eine Frau. „Das ist wirklich anmaßend“, sagen die Menschen. „Woher will die das wissen? Dieses kleine Mädchen, das noch dazu ja Asperger hat!“ und: „Was fällt der eigentlich ein?“ Wäre alles ganz anders, wenn die Gallionsfigur männlich und um die 50 wäre?!

„Die nervt mich inzwischen!“, hat eine Freundin ausgerufen und mit den Augen gerollt. Tja, das ist ihre Jobbeschreibung. Sie muss nerven. Wer etwas verändern will, wird mit netten Appellen, mit freundlichem Grinsen nicht weiterkommen. Wer Veränderung herbeisehnt, muss hartnäckig bleiben. Akzeptanz durch Penetranz. Dauernerven. Niemand lässt sich gern etwas vorschreiben. Niemand hat gern ein schlechtes Gewissen. Und das gibt es, wenn man sich mit dem Thema Klima beschäftigt, gratis dazu. Ohne schlechtes Gewissen ist hier nichts zu haben. Sobald man auch nur einen kleinen Wink in Richtung besserer Ökobilanz macht, geht die große Fragerei schon los. Und danach wird man zugeballert mit Ausreden – alles um schön in der eigenen CO2-Komfortzone zu bleiben.

Eines der Topargumente gegen jegliches Engagement: „Warum sollte ich was machen? Bringt doch eh nichts!“ Individueller Verzicht ist nicht mehr als Pillepalle. Das ist einfach nur Quatsch. Es ist wie bei allem: Einer muss anfangen, damit aus individuellem Verzicht irgendwann ein kollektiver wird – siehe Greta. Verzicht kann etwas Virales haben. Anstecken.

„Das ist doch eine Aufgabe für die Politik, das sollen die machen!“ Ja, natürlich ist das eine politische Angelegenheit. Aber wir können Druck auf die Politik machen. Und wir sollten Druck machen. Seitdem Menschen fürs Klima verstärkt auf die Straße gehen – Greta quasi allgegenwärtig erscheint –, hat auch die Politik begriffen, dass sie das Thema tunlichst in ihre Agenda aufnehmen muss. Wir haben mehr Einfluss, als wir denken. Vor allem im Kollektiv.

„Was soll so ein fuzzikleines Land wie Deutschland denn bewirken? Ich meine, guck doch mal nach China oder Indien!“ Diese Argumentation hinkt. China ist ein großer Klimasünder, das Land stößt mehr Treibhausgase aus als die USA und Europa zusammen. Aber China bleibt dran an der Sache. Und umgelegt auf die Zahl der Einwohner, sind die Chinesen oder auch die Inder lange nicht die Umweltsünder, als die wir sie gern darstellen, um uns besser zu fühlen. Außerdem: Schlimmer geht immer. Besser aber auch. Die alte Taktik, mit dem Finger auf die zu zeigen, die noch böser sind, bringt uns nicht voran. Das ist ein bisschen wie früher in der Schule, wenn man eine Vier geschrieben hatte: „Die Louisa hat eine Fünf und der Dennis sogar eine Sechs.“ Ja, stimmt, aber drei Viertel der Klasse haben Einser, Zweier oder Dreier. Nach obenhin ist allemal Luft. Mehr als nach unten.

Eines kristallisiert sich bei diesem Thema eindeutig heraus: Wer die Welt verändern will, kann nicht erwarten, dass alles so bleibt, wie es ist. Wer eine bessere Welt will, muss in Kauf nehmen, dass es für einen selbst leider eher schlechter wird. Oder zumindest anders. Zum Teil auch anstrengender. Das erscheint nicht besonders verlockend. Wer sich anstrengt, will belohnt werden. So funktioniert der Mensch. Man macht Diät, quält sich und hat nachher dafür eine Kleidergröße weniger. So soll es sein: Mühe soll sich auszahlen. Direkt. Wir wollen die Punkte auf unserem Karmakonto sehen. Unmittelbar – als Direktüberweisung – und nicht wie hier indirekt. Uns fehlt es an der berühmten Frustrationstoleranz. Wir haben es gern einfach: Onlineshopping, Fast Food und Plastikkram. Es ginge anders, aber das wäre ja ziemlich anstrengend. Dazu haben wir keine Lust. Wir haben es uns so schön gemütlich gemacht in unserer Komfortzone. Generell darf man sich im Leben aber nicht immer nur fragen: Was bringt mir das? Das fällt uns schwer. So sind wir nicht gepolt. John F. Kennedy hat bei seiner Amtsantrittsrede als amerikanischer Präsident 1961 gesagt: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“ Und jetzt geht es nicht nur um ein Land, sondern um unseren Planeten, um unsere Existenzgrundlage. Da darf man nicht nur „eigentlich“ erwarten, dass sich alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten ins Zeug legen, sondern: „unbedingt“.

Und so, wie es den einen nicht weit genug geht, finden die anderen es vollkommen übertrieben. Nie stimmt das Maß, dabei muss jeder seines finden. Ich werde leider nie eine Frau werden, deren Müll im Jahr nicht mehr als ein Einmachglas füllt. So realistisch muss ich sein. Ich bin und bleibe „Frau Eigentlich“. Aber ich bin voller Bewunderung für Menschen, die das so konsequent durchziehen. Sie sind meine Vorbilder. Ich will wenigstens versuchen, mir etwas von diesen Leuten abzugucken.

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