Читать книгу Weltretten für Anfänger - Susanne Frohlich - Страница 5
ALLER ANFANG IST SCHWER
ОглавлениеSo viel vorneweg: Ich bin wirklich ein Profi im Verdrängen. Ich kann Abgabetermine ebenso gut aus meinem Gedächtnis streichen wie den Hausputz. Ganze Jahrzehnte habe ich komplett übersehen, dass meine Waage längst am Limit ist, Rauchen total ungesund – und Sport vielleicht eine gute Idee sein könnte. Selbst einen rosa Elefanten in der Fußgängerzone würde ich erst dann bemerken, wenn er mir schon auf den Füßen steht. Aber eines ließ sich irgendwann beim besten Willen nicht mehr ignorieren: die Horrormeldungen über den Zustand unseres Planeten. Sie verfolgten mich bis ins Bett, wenn ich abends noch mal aufs Smartphone schaute, und waren morgens schon da, sobald ich ins Bad ging und Radio hörte. Alle Welt berichtete darüber, dass die Pole schmelzen, in den Ozeanen gerade neue Plastik-Kontinente entstehen, neun Prozent aller Nutztierrassen ausgestorben sind, knapp ein Viertel der Landfläche als ökologisch heruntergewirtschaftet gilt und durch die Zerstörung von Küstengebieten wie Mangrovenwälder die Lebensgrundlage von bis zu 300 Millionen Menschen gefährdet ist. Irgendwann fühlte ich mich, wie sich die meisten von uns vermutlich fühlen: als Trauzeuge bei der Vermählung von Depression und Panik. Und wie die meisten wusste ich: Bevor die sich jetzt auch noch vermehren, sollte ich dringend über Verhütung nachdenken, darüber, wie man dem so düsteren Horizont wenigstens wieder einen kleinen Silberstreif verpassen kann. Kurz: Es war an der Zeit, dass endlich nicht mehr „sich“, sondern „ich“ etwas ändern muss. Aber was? Und wie viel? Und für wie lange?
Zum Glück haben sich in den letzten Jahren sehr viele sehr viel bessere Menschen als ich darüber viele Gedanken gemacht. Und zwar nicht in aller Stille, sondern dank Fridays for Future, Facebook, Instagram und Co. in aller Öffentlichkeit. Menschen, die in einer Woche bloß ein winziges Einweckglas Müll produzieren, während ich im selben Zeitraum ganze Tonnen fülle. Die bei den Tests, die man im Internet machen kann, um seinen ökologischen Fußabdruck zu ermitteln, höchstens Kinderschuhe angepasst bekommen, während mir das Portal eine Schuhgröße attestiert, die man vermutlich noch vom Weltall aus sieht. Von ihnen wollte ich nun lernen, etwas zur Rettung der Welt beizutragen. So schwer kann das doch gar nicht sein, dachte ich mir, und ehrlich gesagt auch ein wenig daran, wie gut mir ein Superheldinnenkostüm stehen würde. Ich hatte ja keine Ahnung. Nicht davon, dass so ein 100-prozentiges Lycra-Superheldinnen-Leibchen leider auch aus Plastik ist – und damit auf die Liste der Dinge gehört, die ich in Zukunft tunlichst meiden müsste. Und auch nicht davon, wie unfassbar viel noch zu tun sein würde. Ich fühlte mich, als sollte ich in nur einer Woche sämtliche chinesische Dialekte lernen und mich außerdem noch auf einen Marathon vorbereiten. Es war uferlos und ziemlich verwirrend.
Eine Erfahrung, die ich nun in diesem Buch mit Ihnen teilen möchte, auch, um all den anderen blutigen Anfängern draußen zu sagen: Ihr seid nicht allein. Ich möchte eine – hoffentlich ziemlich schadstofffreie – Orientierungshilfe für jene geben, die wie ich etwas ändern möchten, aber bislang nicht gerade zum inneren Kreis der Umweltenthusiasten gezählt haben. Auch und vor allem aus Altersgründen. Wer über 40 ist, wer Familie hat, wird beim Weltretten bald feststellen: Natürlich macht es einen Unterschied, ob man mit Unverpackt-Läden, veganen Restaurants und Greta aufwächst. Ob man sich seine WG-Mitbewohner von Anfang an danach aussuchen kann, ob sie ihre Klamotten bei Primark oder auf dem Flohmarkt kaufen. Oder ob man etwa seinem Gatten, der sonst zuverlässig auf eine tägliche Fleischration in Form von Aufschnitt, Grillgut, Braten und Würstchen bauen konnte, nun bloß noch das Elend mit der Massentierhaltung auftischt. Ich gehöre zur Babyboomer-Generation – bin also eine von sehr, sehr vielen, die mit der Idee aufgewachsen sind, dass grundsätzlich alles begrüßenswert ist, was einem das Leben erleichtert. Egal, ob es aus Plastik oder Aluminium ist. Ich habe zu meinem und zum großen Glück des Vaters bereits die Kinder, auf die man heute – so ein ernsthafter Vorschlag – besser verzichten sollte, wollte man den Klimawandel ernsthaft bremsen. Schließlich bedeutet jedes nicht geborene Kind eine CO2-Einsparung von 58,6 Tonnen im Jahr. Genauso viel können 684 Heranwachsende einsparen, wenn sie den Rest ihres Lebens ihre Abfälle systematisch recyceln. Wie die meisten meiner Generation habe ich meine mehr als 50 Jahre weidlich dazu genutzt, ein Hochgebirge aus Alltagsroutine und Zeug anzuhäufen, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an die Folgen zu verschwenden. Das war die Ausgangslage. Also eine ganz andere als bei jenen, die statt mit Barbies zu spielen, schon im Kinderzimmer Bienenwachstücher selbst herstellen und auf der Fensterbank Tomaten züchten.
Deshalb wird es in diesem Buch auch weniger darum gehen, wie man mit Kaffeesatz, Zucker und Kokosöl ein Peeling anrührt oder aus Wasser, Weizenmehl, Salz, Sonnenblumenöl und Rote-Bete-Saft Knete fürs Kind selbst herstellt (um nachher neue Bezüge für das Sofa zu nähen). Es wird sich vielmehr um die Zwickmühlen und Fettnäpfchen, die Hürden und Fallstricke drehen, die überall herumliegen, wenn man sich erst einmal vorgenommen hat, ein besserer – also ein achtsamer, umweltbewusster, tierschützender, verantwortungsvoller, ressourcenschonender, sorgsamer – Mensch zu werden. Ist es etwa zumutbar, sich die Haare mit Roggenmehl-Pampe zu waschen, weil das die Umwelt freut – obwohl man nachher so aussieht, als hätte man nicht nur einen „Bad Hair Day“, sondern gleich ein ganzes „Bad Hair Day“-Leben? Wie hält man durch, falls man erlebt, dass wahrlich nicht alle es gut finden, wenn man doch nur Gutes will? Dass im Gegenteil irgendeiner immer beleidigt ist? Die einen, weil man ihnen nicht weit genug geht; die anderen, weil sie einen sofort als Spaßbremse bezeichnen, merkt man nebenbei an, dass die Klamotten, die sie gerade so wunderbar günstig geshoppt haben, das Karmapunktekonto so dermaßen in die Miesen bringen, dass sie höchstens als Flechte wiedergeboren werden? Sie werden dabei sein, wenn ich als Neue auf dem zweiten Bildungsweg im Weltretter-Klassenzimmer durchaus mal aus den Kurven fliege, die einem diese große Aufgabe serviert. Nicht nur bei der Reorganisation des Alltags, der Hausarbeit, der Schönheitspflege, dem Reisen, überhaupt der ganzen Mobilität. Sondern auch bei all den sozialen, emotionalen und moralischen Aspekten, die dem Thema innewohnen. Wer die Welt retten will, muss ja nicht nur ungefähr 539 gute Vorsätze fassen, sondern wird sich beinahe ebenso oft bei konsequenter Inkonsequenz ertappen (und von anderen dabei ertappt werden). Machen Sie sich also auf einiges gefasst.
Auch darauf, dass Ihre ganze schöne Alltagsroutine, an der Sie jahrzehntelang hart gearbeitet haben, auf der Sondermülldeponie landet und Sie wieder ganz von vorne anfangen müssen. Und auf den Moment, in dem Sie in der Zeitung lesen, dass im Golf von Mexiko aus einem seit 15 Jahren bestehenden Leck an einer Ölplattform vor der Küste des US-Bundesstaats Louisiana täglich zwischen 1.440 und 17.000 Liter des Stoffes ins Wasser gelangen. Sie selbst aber gerade sieben Stunden bei brütender Hitze im absoluten Bahnchaos verbracht haben, vorwiegend im Stehen übrigens, weil Sie Ihre CO2-Bilanz mit einem Inlandsflug nicht noch mehr versauen wollten. In solchen Situationen braucht man jemanden, der einem die Hand hält und mit der anderen über den Kopf streicht und sagt: „Du tust das Richtige!“ Und ich hoffe, dass dieses Buch genau diese Aufgabe erfüllt. Selbstverständlich will es Sie auch durch all jene Bereiche begleiten, die beim Weltretten eine Hauptrolle spielen. Falls Sie nach den Nebenrollen fragen: Es gibt keine. Alles ist wichtig: Wie wir uns ernähren, uns kleiden, wie wir reisen, shoppen und was wir morgens und abends im Bad tun. Und seien Sie ebenfalls darauf gefasst, dass Sie sich nicht damit beliebt machen, alles auf den Prüfstand zu stellen. Aber, hey, wir sind Frauen: Wir wissen, dass immer einer heult – und manchmal wir das sind. Wir bringen also die allerbesten Voraussetzungen für all das mit, was passiert, wenn man seinen Kindern keinen Planeten hinterlassen will, der eigentlich auf eine Palliativstation gehört. Es wird anstrengend, es wird schmutzig, es wird hässlich, sogar blutig – und Sie werden am Ende leider auch nicht mehr zu jenen gehören, die von sich behaupten können: „Ich hatte ja keine Ahnung!“ Aber wissen Sie was: Das wäre ja dann wirklich mal ein richtig guter Anfang.