Читать книгу Weltretten für Anfänger - Susanne Frohlich - Страница 9

DR. JEKYLL UND MR. HYDE

Оглавление

Zugegeben, jetzt könnte es ein wenig langweilig werden. Sie können diesen Teil auch gern auslassen. Aber um als Weltretterin ernst genommen zu werden, sollte man vielleicht doch wissen, was eigentliche dieses CO2 ist, von dem immer alle reden – und das einerseits so gut und andererseits so böse sein soll. Auch dafür finde ich im Netz eine verständliche und informative Seite, nämlich die von co2online: „CO2 ist die chemische Summenformel für das aus Kohlenstoff und Sauerstoff bestehende Molekül Kohlenstoffdioxid, auch als Kohlendioxid bekannt. Das Gas Kohlenstoffdioxid ist farblos, gut in Wasser löslich, nicht brennbar, geruchlos und ungiftig. Es ist neben Stickstoff, Sauerstoff und sogenannten Edelgasen ein natürlicher Bestandteil der Luft …“3 Es macht dort zwar nur etwa 0,038 Prozent aus, spielt aber als Treibhausgas eine entscheidende Rolle für unser Klima: CO2 nimmt nämlich einen Teil der von der Erde in das Weltall abgegebenen Wärme auf und strahlt sie wieder zurück. Durch diesen natürlichen Treibhauseffekt entsteht eigentlich das gemäßigte Klima, in dem an sich alles prächtig gedeiht. CO2 entsteht bei der Zellatmung vieler Lebewesen oder auch bei der Verbrennung von Holz, Kohle, Öl oder Gas. „Einmal in die Atmosphäre abgesondert, baut sich CO2 im Gegensatz zu anderen Stoffen nicht selbst ab. Es wird durch Gewässer gespeichert und durch Grünpflanzen im Zuge der Photosynthese abgebaut. Dabei wird mit Hilfe von Sonnenlicht Kohlenstoffdioxid in Glucose (die als kohlenhydrathaltige Biomasse ein Grundstoff für alle Organismen ist) und Sauerstoff umgewandelt. Der Sauerstoff wird an die Umgebung abgegeben.“4 Man nennt das Kohlenstoffkreislauf.

Kleines Beispiel: Eine Fichte nimmt in 100 Jahren etwa 2,5 Tonnen CO2 aus der Luft auf. Beim Abholzen geht also zum einen ein CO2-Speicher verloren, zum anderen setzen wir das im Holz gespeicherte CO2 frei, wenn wir es verbrennen. So weit zu Dr. Jekyll.

Mr. Hyde tritt auf den Plan, sobald mehr CO2 freigesetzt wird, als gebunden und umgewandelt werden kann. Und das ist es, woran wir emsig arbeiten. Seit Beginn der Industrialisierung haben wir 1.400 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen. Durch die Verbrennung von Kohle, Erdgas, Erdöl in der Industrie und beim Heizen hat sich der globale CO2-Ausstoß dabei allein seit Mitte des 20. Jahrhundert fast vervierfacht. Und als ob das nicht schon dämlich genug wäre, zerstören wir gleichzeitig die natürlichen CO2-Speicher wie etwa den Regenwald durch Rodung und Brandstiftung. Milliarden Tonnen von CO2 sind so in der Atmosphäre gefangen und heizen die Erde immer weiter auf.

Befeuert wird der Effekt im wahrsten Sinne des Wortes noch von Methan, das rund 25-mal so klimawirksam ist wie CO2. Es entsteht, wenn organisches Material unter Luftausschluss abgebaut wird. Also in der Land- und Forstwirtschaft und in den Mägen von Tieren. Ja, es sind die furzenden und rülpsenden Rinder, die sich für ihr erbärmliches Leben als Schlachtvieh der Massentierhaltung rächen. Eine weitere Methanquelle sind Klärwerke und Mülldeponien. Noch dazu wird bei der Gletscherschmelze in großem Umfang Methan freigesetzt.

Und um die höllische Truppe leidlich komplett zu machen, gehört hier noch das Lachgas genannt. Das kommt in der Atmosphäre zwar nur in sehr geringem Umfang vor, nimmt aber 298-mal stärkeren Einfluss auf das Klima als CO2. Lachgas gelangt durch stickstoffhaltigen Dünger und Massentierhaltung sowie chemische Prozesse in der Industrie in die Atmosphäre, so das Bundesministerium für Umwelt.5

Damit ist die Menschheit – also wenigstens die in den Industrienationen – der derzeit heißeste Anwärter auf den Darwin Award. Seit über 20 Jahren bekommen diejenigen den Preis zu Ehren des Vaters der Evolutionstheorie, die den menschlichen Genpool verbessern, indem sie sich selbst daraus entfernen. Und daran arbeiten wir ungefähr so hart wie an der Vergrößerung unseres ökologischen Fußabdrucks. Man könnte auch sagen: Wir sind alle Selbstmordattentäter. Weil wir nicht nur uns, sondern gleich auch allen anderen die Lebensgrundlage entziehen.

Folgen der selbst gemachten Klimaerwärmung sind ja unter anderem extreme Wetterphänomene wie Stürme, aber auch Dürren, Überschwemmungen und die Erhöhung der Meeresspiegel. Bis heute ist das Wasser bereits um etwas 23 Zentimeter gestiegen. Klimaforscher glauben, dass der Meeresspiegel bis 2100 noch um bis zu 1,80 Meter zulegen kann, wenn die Eismassen in Grönland, Alaska, Kanada, Asien und den südlichen Anden weiterhin so rasant schmelzen wie bisher. Sturmfluten wirken sich dann durch den höheren Wasserpegel noch verheerender aus, Böden versalzen. Weltweit sind rund 200 Millionen Menschen in tief gelegenen Küstengebieten von dieser Entwicklung betroffen, 30 der 50 größten Städte liegen am Meer. Laut einem Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags leben allein in Deutschland rund 3,2 Millionen Menschen in überflutungsgefährdeten Gebieten.6 Vor allem Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern wären teilweise unbewohnbar.

Die Erderwärmung verwandelt zudem ganze Regionen in Saunalandschaften. Allerdings ohne Eisbecken. Aufgrund der Hitze fallen auch hierzulande die Ernten immer bescheidener aus, und weil sich nun selbst Schadinsekten aus dem Süden in Deutschland wohlfühlen, kommen noch mehr giftige Pestizide zum Einsatz. Auch das Ökosystem Wald ist angesichts der Trockenheit kollabiert. Was die Hitze nicht schaffte, erledigte der Borkenkäfer, der bei den durch das Extremklima geschwächten Fichten quasi freien Eintritt hatte und die Gunst der kuscheligen Temperaturen nutzte, um sich haltlos zu vermehren. Auch Schwammspinner und Eichenprozessionsspinner – spezialisiert auf Eichen und andere Laubbäume – liefen zu Hochform auf. Um den bisherigen, durch Trockenheit und Schädlingsbefall entstandenen Schaden auszugleichen, müssten deutschlandweit etwa 300 Millionen Bäume gepflanzt werden. Allerdings benötigt so ein Baum bis zur Erreichung seiner maximalen Leistungsfähigkeit als CO2-Speicher Jahrzehnte. Und manche Gruppenmitglieder des klassischen deutschen Waldes scheiden in Zukunft schon deshalb aus, weil sie dem Klimawandel im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr gewachsen sind. „Wir müssen umdenken und uns auch gegenüber Baumarten aus anderen Klimabereichen, zum Beispiel Baumhasel, Zeder, als weitere Mischbaumarten öffnen“,7 meint Hans-Werner Schröck von der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz im ZDF.

Die Vermüllung und Überfischung der Meere, das Abholzen der Wälder und die industrielle Landwirtschaft haben außerdem ein Artensterben ungeahnten Ausmaßes in Gang gesetzt. „Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, wird sich die Geschwindigkeit, mit der Arten derzeit aussterben, die bereits zwischen zehn und hundert Mal höher liegt als im Schnitt in den gesamten vergangenen zehn Millionen Jahren, weiter erhöhen“, heißt es auf der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. Und die Naturschutzorganisation BUND schreibt: „In Deutschland sind 70 Prozent der natürlichen Lebensräume bestandsgefährdet, zwei Drittel der Amphibien- und Reptilienarten als gefährdet eingestuft oder vom Aussterben bedroht …“8 Weil viele Tiere und Pflanzen bestimmte Temperaturen brauchen, um zu überleben, müssten sie in kühlere Regionen ausweichen. Ist das nicht möglich, sterben sie. Wenn hierzulande vor allem die Population der Insekten dramatisch abnimmt – in den letzten 27 Jahren um 76 Prozent –, liegt der Grund laut dem BUND hauptsächlich in den von der Landwirtschaft verwendeten Pestiziden wie Glyphosat oder Insektiziden. Darunter leiden auch bestäubende Insekten wie Bienen und Schmetterlinge, deren zahlenmäßiger Rückgang wiederum die Fortpflanzung unterschiedlicher Pflanzenarten gefährdet. Aber es besteht eben auch ein direkter Zusammenhang zwischen Arten- und Klimakrise. Oder anders formuliert: Was den Arten hilft, hilft auch dem Klima und umgekehrt.

Aber es sterben nicht nur die Eisbären und die Bienen. Der Klimawandel tötet auch Menschen. Schon der Hitzesommer 2003 hat in der EU über 70.000 Menschenleben gefordert. Bei einer globalen Erwärmung um weitere drei Grad Celsius und häufigeren Hitzeperioden rechnet die Europäische Umweltagentur (EUA) bis 2100 mit zusätzlichen 86.000 Toten pro Jahr, allein in Europa. Weltweit sieht die Bilanz natürlich noch trostloser aus. Die Verknappung von Wasser, Nahrung – und damit Lebensraum – sowie extreme Wetterphänomene sorgen dafür, dass immer mehr Menschen auf der Flucht sind und heimatlos werden. Aber auch, dass die Konfliktherde zunehmen. Schon „2015 warnten die G7-Außenminister, der Klimawandel sei ‚eine der zentralen Sicherheitsbedrohungen des 21. Jahrhunderts‘“.9

Einige der größten und blutigsten Auseinandersetzungen der letzten Jahre werden von Experten bereits jetzt mit auf den Klimawandel zurückgeführt: Die Gewalt in Darfur 2007 auf die extreme Dürre, die damals schon im Sudan herrschte. Und auch der syrische Bürgerkrieg soll laut US-Forschern durch die lange Trockenheit in dem Land mit verursacht worden sein – er zwang Millionen Syrer, vom Land in die Städte zu ziehen. „Je stärker der Klimawandel ausfällt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich in den kommenden Jahrzehnten klimainduzierte Konfliktkonstellationen nicht nur auf einzelne Länder oder Subregionen auswirken, sondern auch auf das Global-Governance-System insgesamt“, schreibt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Und weiter: „Eine kluge Global-Governance-Strategie zur Vermeidung dieser neuen Sicherheitskrisen bestünde vielmehr zunächst in einer wirksamen Klimapolitik – diese wird in den kommenden Jahrzehnten zu einer zentralen präventiven Sicherheitspolitik.“10

Das ist nur ein kleiner Einblick. Sozusagen der Trailer des Horrorfilms Klimawandel. Wer jetzt glaubt, dass an irgendeiner Stelle dieses Dramas sicher ein Prinz vorbeireiten wird und uns wach küsst (weil das alles doch nur ein verdammt mieser Traum sein kann) oder wenigstens Bruce Willis alias John McClane auf den Plan tritt, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, den muss ich leider enttäuschen. Nicht mal alle Marvel-Helden zusammen könnten das noch stemmen. Für die Details sollten Sie nun besser die Kinder rausschicken … Und wer beim Tod von Bambis Mutter bereits geheult hat, braucht auf jeden Fall eine Hand zum Festhalten UND ein Glas Wein. Ach was, am besten gleich eine ganze Flasche.

Weltretten für Anfänger

Подняться наверх