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e) Prinzip der gegenseitigen Anerkennung

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Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die gegenseitige Anerkennung zur rechtlichen Grundlage für die gesamte justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Art. 82 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 AEUV. Als Konsequenz daraus, dass das Straf- und Strafverfahrensrecht in den EU-Mitgliedstaaten weiterhin sehr unterschiedlich konzipiert ist, steht der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung justizieller Entscheidungen im Mittelpunkt der EU-Strategie. Danach muss eine in einem Mitgliedstaat rechtmäßig ergangene justizielle Entscheidung in jedem anderen Mitgliedstaat als solche anerkannt werden.46 Die unionsweite Anerkennung nationaler gerichtlicher Entscheidungen soll die im Bereich der Rechtshilfe traditionell bestehenden, zeitaufwändigen Hindernisse abbauen und so eine effektive grenzüberschreitende Strafverfolgung ermöglichen.47

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Dabei wird vorausgesetzt, dass „ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht“.48 Auf dieser Annahme basieren insbesondere der Europäische Haftbefehl49 und die Europäische Ermittlungsanordnung (dazu A.II.1.i.).50

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Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass die gegenseitige Anerkennung ohne weitreichende Angleichung der Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten und ohne Garantie unabdingbarer Verfahrensrechte für die Beschuldigten die Gefahr birgt, dass grundlegende Verteidigungsrechte verkürzt werden oder verloren gehen.51 Der Einzelne sei regelmäßig der „Leidtragende des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung“.52 Nur ausnahmsweise – etwa bei der Verwirklichung des „ne bis in idem“-Grundsatzes – wirke das Prinzip zugunsten des Beschuldigten.53

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Dass das „gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme“ eine Fiktion ist und seit einiger Zeit in diesem Zusammenhang (teilweise) von einem wachsenden Misstrauen gesprochen werden kann, belegen Entscheidungen zahlreicher mitgliedstaatlicher Gerichte,54 sowie diejenigen des EuGH55 zum Europäischen Haftbefehl. Das Recht des Europäischen Haftbefehls wird daher derzeit als „Brennglas harter Integrationskonflikte innerhalb der EU“56 bezeichnet. So tendiert sowohl die aktuelle Rechtsprechung des EuGH57 als auch die des BVerfG58 und anderer nationaler Gerichte hier inzwischen zu einer „Abschwächung“ der gegenseitigen Anerkennung bei extremen Ausnahmefällen. Faktisch wird damit das gegenseitige Vertrauen durch einen „europäischen Ordre-public“ (EuGH)59 bzw. einen „nationalen Ordre-public“ (BVerfG) begrenzt (s. A.II.1.g.).

Auch wenn Norwegen nur ein mit der EU assoziierter Staat ist, soll hier wegen der möglichen Vorbildwirkung das aufsehenerregende Urteil des norwegischen Verwaltungsgerichts vom 27. 02. 2020 Erwähnung finden, wonach sich Norwegen aus Protest gegen die umstrittenen rechtsstaatlichen Reformen in Polen aus einem mit Mitteln des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) finanzierten Justizprogramm zurückzieht. Die politische Kontrolle über die Gerichte in Polen sei so weit fortgeschritten, dass es sich nicht mehr rechtfertigen lasse, sich an solch einer Zusammenarbeit zu beteiligen.60

Handbuch Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht für Studium und Praxis

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