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Ulf­berht, Odanwald, Heiliger Monat 793

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»Wieso sollten wir nicht hinausgehen, wenn morgen die Sonne wieder scheint?«, fragte Adalbert.

Der tobende Sturm ließ das ohnehin unwahrscheinlich erscheinen, befand Ulf­berht. Der Wind heulte, und alle Augenblicke rüttelte eine Sturmbö an den Bohlen der Hütte, dass man meinte, sie müsse in sich zusammenstürzen und die Köhler unter sich begraben.

Der Sachse schüttelte unwillig den Kopf, als müsste er einem begriffsstutzigen Kind etwas erklären. »In den Tagen nach dem Wotansfest reitet der Herr der Götterschar auf seinem achtbeinigen Ross über Fluren und Wälder«, beteuerte er eindringlich. »Daher darf man in diesen Tagen nichts draußen aufhängen und auch keine Arbeit im Freien verrichten. Wenn sich einer von Wotans Jagdgefährten verfängt oder gestört wird, dann stirbt auf dem Hof des Störenfrieds im kommenden Jahr jemand!«

Ulf­berht standen bei dieser Schilderung die Haare zu Berge. Ungeachtet seiner Taufe, die ihn eigentlich vor solchem Zauber schützen sollte. Doch die Macht der alten Dämonen war sicherlich nicht gebrochen.

Plötzlich ertönte ein dumpfes Klopfen. Der wilde Jäger!, durchfuhr es Ulf­berht, aber auch die anderen Köhler erstarrten. Nochmals erklang das Klopfen, in der atemlosen Stille hallte es wie Donnerschläge.

Adalbert fasste sich als erster. »Willich, sieh nach, wer da ist«, befahl er mit gepresster Stimme.

Willich grunzte, stand dann aber auf, nahm einen eisenbeschlagenen Köhlerstab und näherte sich in gebückter Haltung der Tür. Vor der Tür hielt er inne, während Ulf­berht mit den Augen jeder seiner Bewegungen folgte. Mit einem Ruck griff der Hüne nach dem Riegel und riss die Tür auf. Kalter Wind und Schnee wehten herein. Vor dem Dunkel des Waldes erkannte man die noch dunklere Silhouette eines Mannes. Der Sachse und der Fremde standen sich einen Augenblick stumm gegenüber.

Dann verneigte sich der Schatten. »Frater Martinius sum«, stellte er sich mit vor Kälte zitternder Stimme vor. »Ich bitte darum, zu euch ins Warme kommen zu dürfen.«

Willich stand noch immer unbeweglich, den Köhlerstab zum Stoß bereit, doch Adalbert traf eine Entscheidung: »Lass ihn herein, und mach die Tür zu, bevor noch mehr Schnee rein weht.« Willich gab den Eingang frei, ohne ein Wort zu sagen. »Tritt näher«, rief Adalbert dem Fremden zu. »Ulf­berht sei so gut, und wärm ihm etwas Suppe auf.« Ulf­berht lief in den hinteren Teil der Holzhütte, wo sie Schüsseln und Vorräte aufbewahrten. Als er zurückkam, saß der Fremde mit dem vereisten Bart bereits am Feuer.

»Ich komme auch aus dem Kloster Lauresham«, berichtete er gerade. »Wie ihr wisst, hat der König das Kloster mit der Urbarmachung und Besiedlung dieses wilden Waldes betraut. Im Sommer habe ich tief im Odanswald eine Einsiedelei gegründet. Mit meinen eigenen Händen habe ich den Ort für die erste Kapelle gerodet und bereite den Platz für eine kleine Gemeinschaft frommer Männer. Wir Franken sind schließlich von Gott ausersehen, nicht nur die Gebiete der Heiden, sondern auch die Wildnis seinem Willen zu unterwerfen!« Bei diesen Worten schielte Ulf­berht verstohlen zu Willich, dem Sachsen, hinüber, aber der starrte stumpf ins Feuer. »Aber dieser Winter ist zu hart«, setzte der Rohdemönch seinen Bericht fort. »Das ganze Jahr hat es geregnet. Es gibt kaum Früchte und Nahrung für die Tiere, geschweige denn für einen einsamen Mönch! Wenn ihr mich nicht aufnehmt, werde ich verhungern oder von den wilden und ebenso hungrigen Tieren zerrissen!«

»Du bist uns willkommen«, beschwichtigte Adalbert. »Einen Mönch können wir umso besser gebrauchen, als uns Willich gerade eine schaurige Geschichte von den Unholden erzählte, die auch hier in Franken hausten, bevor das Licht des wahren Glaubens zu uns durchbrach.«

Martinius nickte verstehend. »In so einem Jahr voller Regen, Schnee und Eis kann man leicht in Aberglauben verfallen, aber macht euch keine Sorgen. Ich werde euch vor dem Schabernack der Unholde schützen!« Dabei blickte er zu dem Sachsen hinüber, der das Gesagte mit undeutbarem Gesichtsausdruck aufnahm. Ulf­berht nahm die dicke Bohnensuppe vom Feuer und reichte sie dem Fremden. Bruder Martinius griff eifrig zu, aber nicht ohne Ulf­berht vorher mit einem Kreuzzeichen zu segnen. »Ich danke dir, mein Junge.«

Ulf­berht sah ihm beim Essen zu. »Was hast du vorhin an der Tür eigentlich gesagt?«, wollte er wissen. »Martin summt?«

Martinius verschluckte sich vor Lachen und musste husten. »Nein, ich summe nicht«, lachte er. »Martinius sum, habe ich gesagt. Ich bin Martin. Das ist Latein.«

Ulf­berht zog die Brauen hoch. »Ich bin Martin«, wiederholte er. »Drei Worte und Martin kommt zuletzt. Im Lateinischen sind es aber nur zwei Worte, und es fängt mit Martin an.« Er blickte den Mönch kritisch an.

»Du hast gut zugehört«, lobte der. »Und einen wachen Geist! Aber pass auf, ich erkläre es dir: Martinius ist ‚der Martin‘, und sum heißt ‚ich bin‘. ‚Du bist‘ heißt es und ‚du warst‘ fuisti. Das alles kann man auf Latein mit einem einzigen Wort ausdrücken. Darum ist es ja auch die Sprache der Gelehrten.«

»Sum, ‚ich bin‘, es, ‚du bist‘ und fuiste, ‚du warst‘«, wiederholte Ulf­berht. »Was heißt dann ‚ich war‘?«, fragte er neugierig.

Wieder musste Bruder Martinius schmunzeln. »Mir scheint an diesem Kohlknecht ist ein Gelehrter verloren gegangen!«, behauptete er. Doch dann wurde er wieder ernst. »Wie alt bist du, Junge?«, wollte er wissen.

»Dies ist mein vierzehnter Winter«, antwortete Ulfberht.

Der Blick des Rodemönchs ruhte wohlwollend auf ihm. »Vierzehn Jahre? Vielleicht ist noch nicht alles verloren. Sag, warst du schon immer ein Kohlknecht?«

»Nein!«, rief Ulf­berht. Er hatte schon so lange nicht mehr über sein Schicksal nachgedacht, dass er es fast vergessen hätte. »Nein, mein Vater war ein freier Franke. Ein Königsfreier! Ich wurde von Hruođolf ans Kloster gegeben, um die Schulden unseres Hofes abzuarbeiten, und der Verwalter in Lauresham schickte mich hierher, aber ich war … ich bin ein freier Franke!« Die Worte sprudelten nur so aus ihm hinaus, von starken Gefühlen übermannt. Dicke Tränen kullerten seine Wangen hinab.

»Ist ja gut, ist ja gut!«, beschwichtigte Martinius, von der Heftigkeit des Ausbruchs völlig überrumpelt. »Vielleicht erzählst du mir das später alles der Reihe nach?«

Der Schmied der Franken. Ulfberhts Reise

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