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V. Der Zorn der Götter

Beufleet, Juni 441

Ordulf

Ordulfs Gesichtsfeld verengte sich, ein dumpfer Schmerz hämmerte in seinen Schläfen und sein Körper verkrampfte sich. Da stieß er mit seiner Linken im Matsch an etwas Hartes und schürfte sich den Finger auf. Nur der brennende Schmerz ließ ihn überhaupt erkennen, dass er etwas scharfkantiges gefunden hatte, alle weniger intensiven Gefühle wurden von der Luftnot überdeckt, die drohte seinen Kopf zu zersprengen. Er bekam das scharfkantige Ding zu fassen und mit einem letzten Aufbieten aller Kräfte schlug er in die Richtung, wo er zuvor den Bart getastet hatte.

Der Aufschlag war hart und die Rückseite des Gegenstandes schnitt ihm in den Daumenballen, aber der Druck auf seinen Hals verschwand augenblicklich. Ordulf bäumte sich auf und atmete tief ein. Mit der Luft kehrte auch seine Wut zurück. Vor ihm beugte sich gerade einer seiner Angreifer über den blutigen Kopf desjenigen Peinigers, den er geradewegs ins Gesicht getroffen hatte. Er wandte Ordulf seinen ungeschützten Hinterkopf zu. Das war ein Fehler. Ein zweites Mal traf Ordulfs Waffe auf Knochen. Diesmal hörte er ein hässliches Knirschen und der Gegner fiel auf seinen verletzten Kameraden. Ihr Blut mischte sich im Schlick. Hoger, denn den erkannte Ordulf nun, riss erschrocken den Mund auf, doch seine Stimme versagte und kein neues „To jodute“ erscholl. Aber da kamen bereits mehrere Männer die Uferböschung herab gestürzt. Sie waren durch Hogers ersten Ruf alarmiert worden.

In Ordulfs Ohren rauschte es. Die Wut war ebenso rasch verflogen, wie sie ihn überfallen hatte. Teilnahmslos sah er zu, wie unter dem Geschrei Hogers und der anderen Ebbingemannen, die offenbar ihre Sprache wieder gefunden hatten, mehrere Männer auf ihn zuliefen, ihn packten und unsanft in die Höhe rissen.

Dann zerrte man ihn durch das Gedränge der Krieger in Richtung des Lagers. Er berappelte sich so weit, dass er wieder selber laufen konnte. Der Mann hinter ihm stieß ihm unsanft einen Speerschaft in den Rücken.

Schließlich stand Ordulf zum zweiten Mal an diesem Tage vor Horsa. Inzwischen verstand er wieder, was um ihn herum vorging.

Hoger trat vor und verneigte sich. „Dieser hinterhältige Mörder hat sich unter deine Krieger geschlichen!“, schnaubte er mit mühsam unterdrücktem Zorn. „Er hat einen meiner Männer ermordet und einen weiteren geblendet. Ich verlange Gerechtigkeit.“

Ordulf setzte zu seiner Verteidigung an, aber einer der Ebbingemannen schlug ihm so hart ins Gesicht, dass seine Oberlippe aufplatzte. Der salzige Geschmack von Blut vermischte sich mit dem ebenfalls salzigen des Schlicks.

Horsa blickte diesmal gar nicht sanft und freundlich. „Zeigt mir die Opfer“, knurrte er.

Weitere Krieger legten einen leblosen Körper vor ihn auf den Boden. Eine hässliche Wunde klaffte im Schädel. Geronnenes Blut, Schlick und Hirnmasse klebten zwischen den Haaren. Ein weiterer Mann trat taumelnd vor. Einer der Männer riss ihm unsanft die blutige Hand herunter, die er auf sein Gesicht presste. Einige der umstehenden Krieger zogen scharf die Luft ein, als sie in die leere Augenhöhle des Mannes starrten. Der Verletzte stöhnte und wäre gestürzt, wenn ihn nicht einer seiner umstehenden Kameraden aufgefangen hätte.

„Dieser Mann ist hinterrücks mit einem Dolch über den unbewaffneten Rodewin hergefallen und hat ihn erschlagen. Und wenn Halvor hier sich nicht im letzten Moment zur Seite gedreht hätte, hätte er auch ihn erstochen. So blendete ihn der Dolch lediglich“, verklagte Hoger Ordulf erneut.

„Das ist nicht wahr! Mein Bruder war unterwegs, um unser Pferd zu tränken. All seine Waffen hat er bei unserem Zelt gelassen“, mischte sich nun Swæn ein.

Horsas Blick wanderte zu Ordulfs linker Hand. Vielsagend zog er die Brauen hoch. Ordulf folgte seinem Blick und erschrak, als er erkannte, was seine Linke noch immer umklammert hielt: einen rostigen Dolch!

„Wohl ist alles wahr, was ich sage. Ich und Kjeld hier haben es von weitem gesehen und haben sogleich das ‚To jodute‘ gerufen“, unterbrach ihn Hoger unwirsch.

„Ein Toter und drei Lebende, die deine Schuld beschwören, einer davon geblendet. Und du selbst hältst noch das Mordwerkzeug in der Hand! Was sagst du dazu?“, wandte sich Horsa nun voller Ernst an Ordulf.

„Sie haben mich mit Dreck beworfen und als Schwein beschimpft …“, begann Ordulf.

„Wir haben ihn einen Swæn genannt, so heißt sein Geschlecht ja wohl. Und wer würde so einen verrückten Hitzkopf auch noch reizen?“, rief Hoger dazwischen. „Im ganzen Gau sind die Swænen als Unruhestifter bekannt. Frag nur die anderen Dithmarschen“, fügte er triumphierend hinzu.

„Das ist eine Lüge“, rief Swæn dazwischen. Doch ein finsterer Blick von Horsa brachte ihn zum Schweigen.

„Das betrifft uns hier auch nicht. Aber“, fuhr er mit drohend zusammengezogenen Brauen an Ordulf gewandt fort, „ich habe euch erst heute Mittag ermahnt, dass alle Geschlechterfehden hier bei uns zu ruhen haben und du hast es akzeptiert.“ Er holte tief Luft und schaute, als hätte er gerade auf eine verdorbene Frucht gebissen. „Du hast nun einen meiner Männer, denn ihr alle seid nun meine Männer, erschlagen und einen weiteren so verletzt, dass er ein Auge verloren hat. Du weißt, welche Strafe dich nach unserem Recht erwartet. Das dürfte auch euch streitlustigen Dithmarschen nicht unbekannt sein.“

Ordulf wusste es. Man würde ihn zuerst blenden, zumindest ein Auge, als Ausgleich für die Wunde, die er diesem ebbingemannischen Dreckskerl zugefügt hatte und dann im Moor versenken. Vielleicht war Horsa auch gnädig und würde ihn zuerst erdrosseln und erst dann blenden, das war alles, was er hoffen durfte.

Zum zweiten Mal an diesem Tag schaute Ordulf dem Tod ins Auge. Vermutlich würden sie zur Sühne an die Götter auch noch Hilda opfern, fuhr es ihm durch den Kopf. Und die konnte am allerwenigsten dafür. Düster lutschte er an seiner aufgesprungenen Lippe. Die Situation war aussichtslos. Diesmal war er mit seinem Hitzkopf an die Falschen geraten. Was würde nur sein Bruder Swæn denken? Er kannte Ordulfs Jähzorn und würde insgeheim alles glauben, was Hoger ihm vorwarf. Hatte er nicht damals auf Wolderichs Hof angekündigt, die Ebbingemannen zu erschlagen? Und nicht nur Horsa, auch sein eigener Vater hatte ihn ausdrücklich ermahnt, mit keinem der anderen Sachsen Streit anzufangen. Aber er war es ja auch gar nicht gewesen. Wollte das denn niemand erkennen?

„Wir haben uns dir anvertraut, nun schaffe uns Gerechtigkeit“, drängten sich Hogers Worte in Ordulfs Gedanken. „Halvor soll ihn blenden. Los, räche dich“, rief er.

Swæn sprang schützend vor seinen Bruder, aber da schnitt schon ein scharfes „Halt“ Hogers Pläne ab.

„Was hier passiert, bestimme immer noch ich“, rief Horsa zornig. „Ich will dir Gerechtigkeit schaffen, auch wenn ich nicht glaube, dass ihr so unschuldig seid, wie ihr tut. Aber ein Mord bleibt ein Mord und er muss gesühnt werden. Wie würde Uuoden auf unsere Fahrt schauen, wenn ein ungesühnter Mord am Anfang steht?“ Dann drehte er sich zu Ordulf um. „Du wirst aufgeknüpft und auf einem Auge geblendet“, verkündigte er sein grimmiges Urteil. „Lasst uns die Sache rasch hinter uns bringen.“ An einen seiner Knechte gewandt fuhr er fort: „Schafft ihn zum Opfermoor und knüpft ihn auf. Wenn er tot ist, stecht ihm das rechte Auge aus und übergebt ihn den Göttern.“

Ein Knecht lief in Richtung des Hofes davon und kam gleich darauf atemlos, aber mit einer groben geflochtenen Hanfschnur zurück. Daraus formte er eine Schlinge, die er Ordulf über den Kopf warf. Dieser rührte sich nicht. Erst als der Knecht die Schlinge probehalber zuzog, griff er unwillkürlich an seinen Hals. Doch seine Bewacher rissen ihm unsanft die Arme herunter.

„Ihr sollt ihn nicht quälen, sondern einfach eure verdammte Aufgabe erledigen“, schimpfte Horsa verärgert, als sich Ordulf hustend zusammenkrümmte. „Und jetzt folgt mir.“

Beufleet, Juni 441

Ceretic

Viel stand auf dem Spiel und er durfte nicht weich werden. Ceretic wusste es nur zu gut. Er musste nun endlich zu seinem Pferd und ins Lager zurückkehren. Die Treue gegen König und Vaterland, aber vor allem auch die Sorge um Rowenas eigenes Schicksal verlangten es so. Aber wie sie im silbernen Licht des Mondes in ihrem weißen Kleide vor ihm lag und ihn zu sich hinunter zog, schaffte er es einfach nicht, sich abzuwenden. Stattdessen sank er auf die Knie und erwiderte ihren Kuss. Glühwürmchen schwirrten um sie herum und einen Augenblick war er nicht sicher, ob er träumte oder wachte.

Wie lange sie beieinander lagen, wusste Ceretic später nicht mehr zu sagen, doch plötzlich gellte ein Schrei vom Fleet herüber: „To jodute.“

Ceretic schreckte hoch. Man hatte sie erwischt. Ruckartig richtete er sich auf und riss den Dolch aus seinem Gürtel. Rowena klammerte sich erschrocken an sein Bein. Doch niemand erschien. Es dauerte einen Moment bis Ceretic erfasste, dass der Ruf gar nicht ihnen gegolten hatte. Einen Augenblick überlegte er, ob er nicht einfach wieder in den Traum eintauchen könnte, aber der Zauber war gebrochen. Er half Rowena auf, die sich zitternd an ihn klammerte.

„Geh nicht, sie werden dich umbringen“, jammerte sie noch ganz benommen von dem jähen Ende ihres gemeinsamen Glücks.

Doch Ceretic gelang es schließlich sie zu beruhigen. „Lass uns zu Gutha schleichen und sehen was los ist“, entschied er.

„Da seid ihr ja endlich“, begrüßte sie die Magd aufgeregt. Vor ihr konnte Ceretic das Fleet erkennen. Am anderen Ufer hatte sich ein Menschenauflauf gebildet und ein junger Sachse wurde unsanft fortgezerrt. Dann entdeckte er noch einen, der offenbar verletzt war und schließlich wurde ein weiterer aufgehoben. An seinen seltsam steif herabhängenden Gliedern erkannte Ceretic, dass es sich um einen Toten handelte.

„Was ist denn dort geschehen?“, fragte er Gutha. Die schaute ihn mit schreckensbleichem Gesicht an und Ceretic wunderte sich, dass ein Mädchen, welches zwischen lauter Kriegern aufwuchs, so zart besaitet war.

„Sie haben den Falschen erwischt“, stammelte sie.

Ceretic verstand nicht. „Wieso den Falschen? Wäre dir etwa lieber, man hätte uns erwischt?“

„Nein, natürlich nicht“, schnaufte sie verärgert über so viel Unverstand. „Aber der Junge dort ist unschuldig. Die anderen haben ihm eine Falle gestellt und versucht, ihn zu ermorden und nun wird er als Verbrecher abgeführt!“

„Aber der Tote ist ja wohl nicht abgeführt worden“, entgegnete Ceretic, der langsam verstand worum es ging.

„Nein, du verstehst nicht. Es war so: Der junge Bursche, den sie jetzt abgeführt haben, hat sein Pferd zum Tränken an den Fleet geführt.“ Das schien zu stimmen, das Tier stand noch immer am Ufer. Ein ausnehmend edles Tier, viel besser als sein Wallach hinten bei der Baumgruppe, schoss es Ceretic flüchtig durch den Kopf. „Ich habe gesehen, wie zwei Kerle anfingen den Jungen mit dem Pferd von hinten mit Dreck zu bewerfen“, setzte Gutha ihre Geschichte fort. „Dann schrien sie sich etwas zu und der junge Kerl ging auf die beiden los. Er war unbewaffnet, aber einer der beiden Störenfriede zog sogleich seinen Sax. Bevor er ihn gebrauchen konnte, schlug der Junge ihn mit der Faust nieder. Aber plötzlich schrie ein dritter, der sich hinter der Böschung versteckt hatte, ‚to jodute‘ und dann tauchte noch ein Kerl aus dem Hinterhalt auf. Sie versuchten den armen Jungen zu ersäufen! Ich habe es genau gesehen. Und dann hat sich der Junge irgendwie seiner Angreifer erwehrt. Ich weiß nicht, woher er auf einmal doch eine Waffe hatte, aber er hatte sie auf gar keinen Fall in der Hand, als er den ersten Gegner niederschlug. Er ist auf jeden Fall das Opfer eines Hinterhaltes“, sprudelte es aus Gutha heraus.

Ein feiger Mordversuch!, fuhr es Ceretic durch den Kopf. Kein Wunder, dass Gutha so außer sich war.

„Du musst bezeugen, dass er unschuldig ist“, flehte Gutha. „Mein Wort gilt nicht viel, ich bin ja nur eine Frau.“

„Aber wie soll ich denn erklären, dass ich mich hier am Ufer befand? Dann würde man doch entdecken, dass sich Rowena mit mir getroffen hat“, entgegnete Ceretic hilflos.

Die kleine Magd sah ihn erschrocken an, daran hatte sie gar nicht gedacht.

„Ihr nutzt jetzt die Verwirrung und schleicht zum Hof zurück, gerade ist niemand mehr am Fleet, alle sind ins Lager geeilt“, entschied Ceretic bestimmt. „Ich hole mein Pferd und vielleicht fällt mir noch etwas ein, um den armen Kerl zu retten, aber wir sind schließlich nicht Schuld an seinen Problemen. Die Wahrheit wird auch ohne unser Zutun herauskommen.“

Gutha senkte den Kopf, dann schluckte sie und nickte zweimal.

„Mische dich bloß nicht ein, du kennst unser Recht nicht, Liebster. Verstehst du? Außerdem hast du selbst gar nichts gesehen“, flehte ihn Rowena leise an. Dann ergriff sie Guthas Hand und zog sie aus dem Gebüsch auf den Fleet zu.

Ceretic blickte ihnen kurz nach, aber niemand schien die beiden Mädchen zu bemerken. Er drehte sich um und rannte in Richtung seines wartenden Pferdes. Als aufrechter britannischer Krieger und Anhänger der christlichen Lehre konnte er doch nicht mit ansehen, wie ein unschuldiger Junge ermordet wurde! Aber er konnte auch nichts dagegen unternehmen.

Sein Auftrag, Hengist, Rowena, Rowena!

„Oh Herr im Himmel“, flehte er im Laufen, „was soll ich tun? Willst du den Jungen für meine Lügen und Heimlichkeiten bestrafen?!“

Beufleet, Juni 441

Ordulf

So also endete sein erstes großes Abenteuer. Vor Enttäuschung, Wut und Angst konnte Ordulf kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Unsanft rissen die Männer an seinen Armen. Das konnte doch nicht alles gewesen sein? Horsa musste doch erkennen, welche Bosheit die Ebbingemannen da ausgeheckt hatten. Aber die Männer zogen ihn unbarmherzig fort. Halvor spuckte in seine Richtung, traf aber nicht. Der verzweifelte Swæn lief hinter ihnen her und rang die Arme. Man zerrte ihn aus dem Lager.

Zuerst ging es am Fleet entlang nach Süden. Bald nahmen sie eine Abzweigung nach rechts und der Grund senkte sich, wurde weicher und sumpfiger. Feuchte Stellen tauchten auf. Dann erkannte Ordulf vor sich ein Erlenwäldchen. Beim Näherkommen sah er, dass der Weg in den Hain hineinführte. Die Dunkelheit war nun vollends hereingebrochen und langsam begannen Ordulfs Gedanken sich wieder zu ordnen. Vielleicht könnte er im Dunkel zwischen den Bäumen entfliehen? Das war seine letzte Chance. Als sie ein kleines Stück in den Wald eingedrungen waren, ließ er sich plötzlich nach rechts fallen. Seine Bewacher, gerade ganz auf den Weg konzentriert, wurden völlig überrascht. Wie erhofft ließ sich der linke der Wächter von dem plötzlichen Gewicht herüberziehen. Das brachte ihn so dicht an Ordulf, dass dieser aufspringend mit dem Kopf nach seinem Kinn stoßen konnte. Er spürte den Aufschlag und hörte das Knirschen der Zähne seines Gegners. Einen Augenblick später flutete der Schmerz wie eine Welle von seinem eigenen Scheitelbein herab. Der Stoß hatte gesessen. Der Mann rechts stöhnte und lockerte seinen Griff. Ordulf riss seinen Arm frei und schlug blind nach links, wo er das Gesicht des zweiten Gegners vermutete. Auch hier krachte es. Ein brennender Schmerz durchzuckte diesmal seine Faust. Der Mann hatte nach Ordulfs gezieltem Fall sein Gleichgewicht noch nicht wieder gefunden und stürzte nun vollends. Das ganze Manöver hatte nur einen Augenblick gedauert und Ordulf war frei.

Da bohrte sich eine scharfe Spitze zwischen seine Schulterblätter. „Bleib verdammt nochmal stehen!“, schrie eine unbekannte Stimme.

„Lauf!“, hörte er im gleichen Augenblick seinen Bruder rufen und die Lanzenspitze verschwand aus seinem Rücken.

Ordulf sprang vor. Nach drei, vier Schritten drehte er sich um und sah Swæn, der den Mann mit der Lanze von hinten umklammert hielt. Doch hinter ihm war Hoger aufgetaucht und erhob seinen Sax zum tödlichen Hieb. Ordulf reagierte instinktiv, wendete, stürzte sich auf Hoger und seine noch unverletzte Linke traf auf die Nase des Ebbingemannen. Aber da warfen sich schon mehrere Männer auf ihn. Der Fluchtversuch war misslungen. Schwer atmend ließ sich Ordulf wieder auf die Beine zerren.

„Verdammt zäher Bursche“, schimpfte Horsa, der den Zug anführte. Aber es schwang mehr als eine Spur Anerkennung in seiner Stimme mit. „Lasst uns die kleine Rauferei gerade vergessen“, sagte er mit einem Stirnrunzeln in Richtung des inzwischen ebenfalls überwältigten Swæn und seines Knechtes, der sich das Kinn rieb, welches vor wenigen Augenblicken mit Ordulfs Schädelknochen Bekanntschaft geschlossen hatte. „Komm mit, Junge. Du siehst, es hat keinen Zweck. Uuoden fordert Gerechtigkeit. Vielleicht schenkt er dir in der Unterwelt ein besseres Leben, immerhin hast du bis zum Ende gekämpft!“

Aber Ordulf wollte nicht in die Unterwelt, er wollte nach Britannien oder auch heim auf die Wurt. Er war noch niemals aus Dithmarschen fortgekommen, hatte noch nie bei einem Mädchen gelegen und schon sollte sein junges Leben enden? Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, als er nun auf der anderen Seite des Waldes wieder ins blasse Mondlicht gezerrt wurde. Zwei grob behauene Holzfiguren flankierten einen Bohlenweg, der in ein besonders sumpfiges Stück Morast hinausführte. In der Runde am Waldrand hingen die Häute geopferter Tiere auf Holzgestellen. Ordulf blickte in die leeren Augenhöhlen eines fahlen Rosses. Da ergriff von hinten ein Mann die geflochtene Hanfschnur, die ihm um den Hals hing. Ordulf würgte, obwohl die Schlinge noch nicht zugezogen war. Der Gedanke, dass sein lebloser Körper für immer in dem kalten, zähen Morast verschwinden sollte, ließ ihn erschauern.

Plötzlich erklang Hufgetrappel auf dem Weg hinter ihnen.

„Horsa, halte ein“, gellte eine Stimme. Dann trabte ein Krieger aus dem Waldweg auf die Lichtung. „Haltet ein“, wiederholte er außer Atem.

„Was gibt es nun schon wieder?“, fragte Horsa streng. Die andauernden Unterbrechungen schienen seine Geduld zu strapazieren.

„Der Britannier ist gerade wieder ins Lager gestolpert. Du solltest dir anhören, was er zu berichten hat!“

„Das hat doch sicher Zeit, bis dieser verdammte Mörder hängt“, drängte Hoger sich mit etwas näselnder Stimme dazwischen.

Horsa sah ihn finster an und wandte sich dann wieder an den Boten. „Eins nach dem anderen. Lasst uns diese unerfreuliche Geschichte hier zuerst zu Ende bringen“, knurrte er.

„Nein, Herr, bei Uuodens Zorn, es muss sein!“, drängte der Bote.

Horsa sah ihn erstaunt an. Der Mann gehörte zu seinen eigenen Knechten und das gab wohl den Ausschlag. „Na gut, wenn du es sagst, Witiko. Warum reitest du überhaupt den Braunen des Britanniers? Und wo ist Ceretic selbst?“

Nun grinste Witiko breit. „Der Britannier wollte gerade zurück zum Hof reiten, da hat er am Fleet etwas beobachtet und ist vor Aufregung vom Gaul gefallen. Du wirst seine verbeulte Visage gleich selbst zu Gesicht bekommen, er folgt mir zu Fuß, damit er nicht noch einmal vom Pferd fällt. Da Eile geboten war, habe ich den Gaul genommen und bin ihm vorausgeritten.“

Und tatsächlich erschien bald darauf ein schmutziger Ceretic mit verschwollenem Gesicht.

„Du siehst ja bedauernswert aus, man könnte meinen, du hättest den ganzen Tag über mit einem Mückenschwarm gekämpft“, empfing ihn Horsa und grinste dünn.

Ceretic schnaufte verärgert. „Ich bin von dem wackligen Biest dort gefallen. Aber nur weil er nicht so schnell wollte wie ich.“

Dann trug Ceretic vor, was ihm Gutha berichtet hatte, so als habe er alles mit eigenen Augen gesehen. „Ich wollte sofort dazwischengehen und drückte dem Gaul dort“, er schaute den unschuldigen Wallach finster an, „die Schenkel in die Flanken. Und da hat er mich einfach abgeworfen, dieses Mistvieh. Ich muss wohl kurz bewusstlos gewesen sein, denn als ich wieder zu mir kam, war der Fleet verlassen und ich habe auf der anderen Seite nur einige Männer getroffen, die mir berichteten, ihr wäret hierher unterwegs. Der Mann dort“, dabei zeigte er grimmig auf Witiko, „wollte mich auf keinen Fall selbst hierher reiten lassen, sondern hat mein Pferd genommen und ist vorausgaloppiert.“

Hoger hatte mehrfach angesetzt, um den Vortrag zu unterbrechen, aber ein Blick Horsas brachte ihn jeweils wieder zum Schweigen. Nun schaute der Häuptling mit finsterer Miene zwischen Ordulf und Hoger hin und her.

„Du wirst diesem dahergelaufenen Fremden doch wohl nicht glauben?“, prustete Hoger los. „Ich bin ein freier Sachse und zwei weitere können mein Wort bezeugen. Du weißt doch wohl, was das Wort eines Fremden in Sachsen gilt! Jedenfalls nicht so viel wie das dreier freier Männer.“

„Du musst mich nicht über unser Recht belehren!“, fauchte Horsa gereizt. „Der freie Sachse da“, dabei zeigte er auf Ordulf, „ist sicher anderer Meinung. Und der dahergelaufene Fremde ist der geachtete Botschafter König Vortigerns und ebenfalls ein freier Mann. Sag, ist alles so geschehen, wie der Britannier berichtet?“, wandte er sich nun an Ordulf.

Dieser wurde nur noch locker von seinen Wachen gehalten. Noch benommen hatte er die Geschichte des Britanniers mit angehört und nach und nach erstaunt festgestellt, dass der offenbar jedes Detail kannte. „Ja, Herr, genau so war es“, antwortete er verblüfft. Dann kam ihm ein Einfall. „Wenn ich nicht zu Unrecht angegriffen worden wäre, hätte mir Thunær dann den ihm geweihten Dolch zur Wehr gegeben?“

Horsa sah ihn nachdenklich an, während Hoger erbleichte. „Aber der Britannier ist und bleibt ein Fremder“, beharrte er. „Und außerdem habe ich einen Eideshelfer mehr. Recht muss Recht bleiben.“

„Ich schwöre für Ordulf“, rief Swæn düster dazwischen.

„Drei gegen drei“, stellte Horsa säuerlich fest. „Der Dolch spricht tatsächlich für den Jungen. Aber darin stimme ich mit Hoger überein, unserem alten Recht muss genüge getan werden und Ceretic ist kein Sachse.“ Sein Blick richtete sich finster auf Ceretic. „Wenn du bei deiner Aussage bleibst, steht dein Wort gegen Hogers. Dann musst du beweisen, dass du die Wahrheit sprichst. Ihr müsst einen Holmgang wagen! Übermorgen, wenn die Dämmerung anbricht, wirst du mit Halvor auf eine Insel gebracht, jeder nur mit Schwert und Schild bewaffnet. Wer den Sonnenaufgang erlebt, dem bestätigen die Götter sein Recht.“

Beufleet, Juni 441

Ceretic

Ceretic schalt sich einen Narren. Zu seinen übrigen Sorgen kam nun also auch noch ein Zweikampf auf Leben und Tod. Auch Malo und Tavish fielen eine große Zahl an Vorhaltungen ein, die sie ihrem Anführer sogleich zu Gehör brachten. Wo hatten die überhaupt die letzten Tage gesteckt? Egal. Ceretic überlegte hin und her, wie er wohl wieder aus der Sache herauskäme. Sein Tod würde den Erfolg seines Auftrages in Frage stellen und Vortigern hatte ihm doch das Schicksal Britanniens anvertraut. Nun mischte er sich in sächsische Händel, die ihn nicht betrafen! Aber es war ihm alles so klar erschienen, eine Eingebung Gottes, wie er Rowena schützen und gleichzeitig den unschuldigen Jungen retten könnte.

Das sächsische Recht sollte einer verstehen. Es kam offenbar gar nicht darauf an, was in Wahrheit vorgefallen war, wenn man nur genügend Eideshelfer stellen konnte. Männliche, einheimische und freie Eideshelfer ergänzte er in Gedanken. Kein Wunder, dass Rowena ihn gewarnt hatte.

Und da begann das nächste Problem: Rowena. Zunächst hatte sie getobt, wie wohl nur eine Hengisttochter toben konnte. Nun würdigte sie ihn bereits den ganzen Abend keines Blickes. Lediglich Gutha funkelte ihn, sozusagen stellvertretend, von Zeit zu Zeit an. Aber Ceretic konnte sich nicht recht entscheiden, ob es Zorn oder andere Gefühle waren, die sie so erregten. Schließlich war sie es doch gewesen, die um die Rettung des jungen Kerls gefleht hatte.

Am nächsten Morgen wurde es noch schlimmer. Als Ceretic Rowena unter den anderen Frauen beim Brot backen sah, verrieten ihre rot verschwollenen Augen, dass sie die Nacht über geweint hatte und ihr Blick war nun die pure Verzweiflung. Wie gern hätte Ceretic sie tröstend in den Arm genommen. Aber hier in der stickigen Backstube? Ihr Onkel wunderte sich auch so schon über ihren Zustand.

Ärgerlich stampfend verließ er die dunkle Stube, die er doch gerade erst betreten hatte, um einen Blick auf seine Liebe zu erhaschen. Er knallte die Tür lauter zu als er geplant hatte. Verdammt, traute sie ihm denn gar nichts zu? Hielt sie ihn, Ceretic ap Ruohim, etwa für einen Weichling, der nur die Harfe, aber kein Schwert schwingen konnte? Langsam keimte Wut in Ceretic auf. Warum wohl hatte Vortigern aus seinem ganzen Gefolge gerade ihn ausgewählt? Er würde kämpfen und diesem mörderischen, verlogenen Hoger seine Untaten aufs Haupt vergelten.

Früh am Morgen kam der zweite Eideshelfer von der vorhergehenden Nacht aus dem Lager herauf.

„Ich bin Swæn, Ordulfs Bruder“, stellte er sich Ceretic respektvoll vor.

Wer ist denn Ordulf?, fragte sich Ceretic, aber die nächsten Worte des Sachsen erklärten es.

„Ich weiß nicht wie ich dir danken soll, dass du meinen Bruder gestern gerettet hast!“

Also war Ordulf der junge Bursche und sein Bruder hier, hieß der wirklich Schwein? Ceretic musste sich wohl verhört haben. Er nahm sich vor, den Sachsen lieber nicht mit Namen anzusprechen.

„Ordulf sendet auch seine Grüße, aber er wird noch bewacht. Weil er, falls, ja also falls morgen die Sache …“ Nun war Swæn sichtlich verlegen.

„Falls ich verliere, wird er dennoch aufgehängt?“, half ihm Ceretic aus der Verlegenheit.

„Ja, genau“, stimmte Swæn zu. „Ich wollte dich fragen, ob ich nicht an deiner Stelle kämpfen kann. Du weißt nicht, wie wir Sachsen kämpfen. Horsa lässt sich sicherlich überzeugen.“

Ceretic furchte verärgert die Stirn. Wollte ihm dieser Sachse etwa Feigheit unterstellen? Rasch sah er sich um. Und richtig – das musste wohl so sein –, Rowena befand sich auch gerade dort. Sie stand im hinteren Teil der Halle und sah mit weit aufgerissenen Augen zu ihnen hinüber. Sie hielt eine Schale voll Milch in den Händen und hatte ganz offensichtlich gelauscht. Dachten etwa alle Sachsen, einschließlich Rowena, die Britannier könnten nicht kämpfen?

„Du bist für den geplanten Zug viel wichtiger als ich“, beeilte sich Swæn zu beteuern, als ihm klar wurde, wie seine Aussage gewirkt haben musste.

„Das kommt überhaupt nicht in Frage“, fauchte Ceretic verärgert. „Ich bin Manns genug zu beweisen, dass ein Britannier nicht lügt!“

Hinter ihm klirrte es. Ceretic fuhr herum und da stand Rowena, die Milch vor ihr auf dem Boden in einem Scherbenhaufen. Sie starrte ihn kurz aus schreckgeweiteten Augen an, dann presste sie die Hände auf den Mund und stürzte schluchzend aus der Halle.

Swæn schaute verdutzt. „Was ist denn mit der Frau los?“, fragte er, aber Ceretic wollte weitere Fragen vermeiden.

„Es bringt nichts, über verschüttete Milch zu weinen“, bemerkte er lakonisch. „Aber das ist jetzt ja auch egal. Wir schauen bei deinem Bruder vorbei und dann solltest du mir bis morgen noch so viel über eure Kampfesweise beibringen wie möglich.“

Dabei packte er Swæn am Arm und zog ihn mit hinaus. Sie marschierten zu Ordulfs Verschlag, der von zwei Knechten bewacht wurde, aber sie machten keine Anstalten, Ceretic und Swæn den Zugang zu verwehren.

„Du bist also der Mann, für den ich morgen kämpfen werde“, stellte Ceretic trocken fest.

Ordulf war aufgesprungen und griff nach seiner Hand. „Wie kann ich dir nur danken?“, stammelte er. „Warum hast du das für mich getan?“

„Da gibt es tatsächlich etwas, was ihr für mich tun könnt“, entgegnete Ceretic. „Aber ihr dürft es keiner Seele verraten. Und wenn ich morgen überlebe, ist es niemals geschehen.“

Ordulf und Swæn sahen ihn überrascht an.

„Was immer du bittest, werde ich tun“, antwortete Swæn und Ordulf versprach: „Bis zu meinem Tode werde ich schweigen.“ Mit einem schiefen Grinsen fügte er hinzu: „Jetzt könnte das ja doch noch eine Weile dauern.“

Na, wenigstens einer, der nicht gleich den Kopf hängen lässt und mir etwas zutraut, dachte Ceretic. Der Gedanke versöhnte ihn mit seiner Situation. Der Junge war tatsächlich einen Kampf wert.

Ceretic nahm das kleine Bronzekreuz von seinem Hals und reichte es Ordulf. „Wenn ich morgen falle und du hingerichtet wirst, dann gib dieses Stück zuvor an Rowena weiter“, sagte er. Ordulf sah ihn erstaunt an. „Die Tochter von Hengist meine ich“, fügte Ceretic hinzu, um sicher zu stellen, dass er richtig verstanden wurde.

„Aber wieso …“, begann Ordulf.

„Kein weiteres Wort, das habt ihr versprochen“, unterbrach ihn Ceretic. „Los jetzt, wir haben noch Arbeit vor uns“, wandte er sich an Swæn. Sie ließen Ordulf zurück, der grübelnd auf das kleine Metallkreuz starrte.

Den ganzen letzten Tag hatte er mit seinem neuen Waffenbruder Swæn, sowie Tavish und Malo auf der anderen Seite des Fleetes hinter den Büschen verbracht. Jenseits der neugierigen Blicke der Mannschaft im Lager, insbesondere der der Ebbingemannen, versuchte er wieder in Form zu kommen. Malo hatte sein Schwert sorgfältig geschärft. Es war eine wertvolle Waffe, das Werk eines römischen Schmiedes. Ein Gladius hispanicus, wie es die römischen Legionäre seit uralten Zeiten trugen. Viel kürzer jedenfalls als die sächsischen Langschwerter, in erster Linie eine Stichwaffe. Ceretic hatte sie von Wulf geerbt. Einen eigenen Schild hatte Ceretic in der kleinen Curach nicht mitgebracht und da Horsa ihn als unparteiischer Richter nicht unterstützen durfte, brachte Swæn seine beiden Schilde zur Auswahl mit. Beide waren rund und kleiner als die rechteckigen oder ovalen Römerschilde, die Ceretic bevorzugte. Er entschied sich schließlich für den unbeschlagenen Schild aus Lindenholz. Der war immerhin leicht. So ausgerüstet fühlte er sich für den Kampf ausreichend gewappnet.

Ceretics Hoffnung, vor dem Kampf noch einmal mit Rowena zu sprechen, erfüllte sich nicht. Er bekam sie nicht mehr zu Gesicht. Auch Gutha mied ihn seit dem Abend im Moor. Ceretic seufzte. Er wollte Rowena kein Herzeleid zufügen, aber vor den Augen der Geliebten konnte er sich doch auch nicht wie ein Feigling von dem Sachsen mit dem seltsamen Namen auslöschen lassen!

Aus Sorge um Rowena schlief er in der folgenden Nacht lange nicht ein. Er wälzte sich auf seinem Lager hin und her, bevor er schließlich, erst nach Mitternacht, in einen unruhigen Schlummer verfiel. Tavish weckte ihn viel zu früh. Horsa wartete bereits in der Halle auf ihn.

„Ich hoffe, du weißt, was du tust“, sagte er düster, drückte dann aber Ceretics Unterarm einen Augenblick länger als notwendig und sah ihm ernst in die Augen. „Mögen die Götter mit dir sein.“

„Ich brauch nur einen“, brummte Ceretic peinlich berührt. Musste ihn ausgerechnet der Heide Horsa daran erinnern, vor dem Kampf sein Leben in Gottes Hand zu legen?

Dann brachten ihn Tavish und Malo zu der kleinen Curach. Malo blieb am Ufer und Tavish ruderte ihn schweigend in der gerade anbrechenden Dämmerung hinaus. Sie hielten sich in Richtung der von Horsa für den Kampf ausgewählten Sandbank, einer der zahlreichen Sanden in der Ælfmündung. Dicht über der Wasseroberfläche lag Nebel, sodass man die flache Insel nur verschwommen erkennen konnte. Während die Wellen leise an das Boot schwappten und Tavishs Riemen knarrten, konzentrierte sich Ceretic auf ein stummes Gebet.

Endlich langten sie an dem flachen Eiland an und Ceretic sprang aus dem Boot. Durch den Nebel konnte er auf der anderen Seite bereits eine Gestalt erkennen. Zweifellos Hoger. Dahinter lag ein weiteres Boot. Swæn hatte ihm erklärt, dass die Boote mit jeweils einem Ruderer an der Insel blieben. Die Ruderer durften das Eiland aber vor Sonnenaufgang nicht betreten.

Ceretic nahm Schild und Schwert, schluckte und schritt dann langsam auf die wartende Gestalt zu. Zunächst sank er tief in den feuchten Strand, doch bald schon knirschten seine Sohlen auf trockenem Kies. Hier wuchs allerhand Kraut, die Flut stieg offenbar nur selten und in unregelmäßigen Abständen darüber. Der Nebel legte sich feucht auf Ceretics Gesicht und die Kälte des Morgens begann in ihn zu dringen. Nun kam auch die fremde Gestalt näher.

War dieser Hoger gestern auch schon so groß?, wunderte sich Ceretic.

Dann standen sie sich gegenüber. Dünner Nebel wehte zwischen ihnen hin. Doch der zweite Mann war nicht Hoger! Er war tatsächlich größer und bedeutend jünger!

„Was soll denn das?“, fragte Ceretic verärgert. Vor Erstaunen vergaß er, dass vor Sonnenaufgang auf der Insel nicht gesprochen werden durfte.

Der andere holte stumm zum Schlag aus und Ceretic parierte mit seinem Schild. Sein Gegner sprang einen Schritt zurück. Langsam umkreisten sich Ceretic und der Fremde. Unvermittelt sprang Ceretic vor und stieß mit dem Schwert nach dem unteren Schildrand seines Widersachers. Scheppernd prallte die Klinge an dem rasch gesenkten Holz ab. Im Gegenzug hieb der Fremde mit voller Wucht von oben auf Ceretic. Ein großes Stück Lindenholz splitterte von seinem Schild ab und traf Ceretic an der Schulter. Vielleicht hätte er doch den eisenbeschlagenen Schild wählen sollen. Aber es blieb ihm keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sein Gegner schlug wieder zu und dann noch einmal. Ceretic merkte, dass er nicht den richtigen Rhythmus fand. Er wurde in die Defensive gedrängt und wehrte nur die Schläge seines Feindes ab. Und dieser schien sehr viel stärker als Hoger. Wieder flog eine Latte von Ceretics Schild auf den Kies.

Was würde nur Rowena sagen, wenn ich hier fiele?, schweiften seine Gedanken ab.

Der Gegner bemerkte es und schwang sein Schwert blitzschnell in einem Bogen nach unten. Ceretic reagierte einen Augenblick zu langsam. Die Schwertspitze beschrieb einen tiefen Kreis und traf Ceretic oberhalb des linken Knöchels. Der Schmerz riss ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken schaute er auf seine karierte Hose, deren Saum sich dunkel färbte. Ein stechender Schmerz fuhr bis in seine Fußsohle. Der Knochen schien jedoch unverletzt, zumindest konnte er noch fest stehen.

Ceretic musste langsam etwas unternehmen. Im Geiste erinnerte er sich an seinen Lehrer Wulf. Er hatte ihn immer wieder aufs Kreuz gelegt, obwohl Ceretic damals schon viel größer und stärker war als der alternde Söldner. Nun war er es, der nicht mehr in Übung war und sein Gegner besaß sicherlich eine größere Ausdauer. Doch wie alle Barbaren hieb er mit seinem Langschwert wild um sich, statt einen einzigen gezielten Stoß zu führen.

„Eine Spanne Spitze ist mehr wert als zwei Ellen Schneide“, hatte Wulf behauptet, als er unter Ceretics wuchtigem Schlag abtauchte und ihm das Holzschwert schmerzhaft in die Rippen rammte. Dankbar erinnerte sich Ceretic nun an diese Lektion. Ja, Wulf hatte ihn Besseres gelehrt. Er trat einen Schritt rückwärts und täuschte vor, auf dem verletzten Bein einzuknicken.

„Jetzt nehme ich dich aus wie einen Fisch und werfe deine Eingeweide den Möwen zum Fraß vor“, höhnte der Fremde und hob sein Schwert zu einem letzten mächtigen Hieb.

Damit besiegelte er sein Schicksal. Ceretic drehte seinen Schild so, dass der ungefasste Holzrand mit der Maserung nach oben wies und das Schwert seines Gegners fraß sich tief hinein. Im gleichen Augenblick drehte er seinen Oberkörper mitsamt Schildarm und Schild nach links und riss die verkeilte Klinge des Ebbingemannen mit sich. Sein Gegner hielt den Griff der Waffe verzweifelt umklammert und stolperte einen Schritt nach vorn. Darauf hatte Ceretic gewartet. Er tauchte unter dem gegnerischen Schildrand durch und stieß sein Schwert in die Achselhöhle seines Widersachers. Heißes Blut wallte aus der Wunde und ein Schleier aus feinen Wassertröpfchen trübte schlagartig das kalte, blanke Eisen.

Schwer atmend richtete sich Ceretic auf, während der gefällte Hüne in einer rasch wachsenden Blutlache sein Leben aushauchte. Außer dem eigenen pfeifenden Atem hörte er nichts. Ceretic schwindelte. Er zwang sich, ruhiger zu atmen und bemerkte den metallischen Geruch des Bluts und was war da noch? Ach ja, der Geruch, wenn Staub nach langer Trockenzeit vom ersten Regen benetzt wird. Er schüttelte den Kopf. Dem Staub war es wohl gleich, ob er Menschenblut oder Regen trank.

Ceretic setzte sich in einigem Abstand zu dem Toten auf den Boden. Dann krempelte er vorsichtig seine blutgetränkte Hose hoch und untersuchte seine Beinwunde. Der Schnitt war ungemütlich tief, aber er konnte keine Knochensplitter in der Wunde erkennen. Er riss einen Streifen von seiner Hose und band ihn um die Wunde. Wenn er nicht den Brand bekam, sollte es in einigen Tagen wieder verheilt sein. Dann blickte er in Richtung Osten, wo die Sonne jeden Moment aufgehen würde.

Tavish kam – unter Missachtung des Verbotes, die Insel vor Sonnenaufgang zu betreten – auf ihn zugerannt. Ceretic winkte: er solle bleiben, wo er war; wegen des Schweigegebotes wollte er nicht laut rufen. Da blendeten ihn die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.

„Alles gut, du brauchst nicht zu eilen“, rief er auf Britannisch.

Doch da war Tavish schon heran und umarmte seinen Gefährten und Meister wild. Dann sah er das Blut an der Hose. „Du bist verletzt?“, fragte er besorgt.

Ceretic winkte ab. „Nicht so schlimm, ich brauche nur an Land einen sauberen Verband, damit ich mir nicht den Brand hole. Aber sieh dir mal den da an.“ Dabei zeigte er auf den Toten. „Das ist nicht der alte Hoger.“

Tavish sah erstaunt zu dem Toten, der inzwischen reglos in seinem Blute lag. „Der war aber immer mit ihm zusammen. Hoger, dieser Feigling, hat einen seiner Männer geschickt. Was machen wir denn nun mit ihm?“

Ceretic zuckte die Achseln und ließ seinen Blick zur anderen Seite der Insel schweifen, wo das gegnerische Boot angelegt hatte. Doch da war kein Boot mehr.

Brand und Mord. Die Britannien-Saga

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