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VIII. Den blauen Dämonen entgegen

Londinium, Juni 441

Ordulf

Drei Tage später befand sich die kleine Flotte der Sachsen auf einem breiten Strom, der sich träge wie die Ælf dem Meer zuwälzte. Die Männer schwitzten, während sie die Schiffe mit der gerade erst einsetzenden Flut den Fluss hinaufruderten. Plötzlich tauchte vor ihnen ein Segel auf. Bisher hatten alle Boote vor den Langschiffen Reißaus genommen, aber bald erkannten sie, dass das Segel zu einem größeren Fahrzeug gehörte, das direkt auf sie zuhielt. Kurz bevor die Fremden auf Rufweite heran waren, holten sie plötzlich das Segel ein und legten den Mast um.

„Sie wollen uns doch nicht etwa angreifen?“, staunte Gerolf.

Doch die Fremden ließen ihr Schiff im gerade zwischen Flut und Ebbe stehenden Flusswasser dümpeln, anstelle es mit den Rudern auf Angriffsgeschwindigkeit zu bringen. Ordulf, der gerade zur Freiwache gehörte, betrachtete das Schiff mit zusammengekniffenen Augen.

Es war lang und extrem schlank. Er zählte 15 Riemen auf der ihnen zugewandten Seite, die aber alle reglos im Wasser schwammen. Die Ruderer selbst wurden von ihren runden Schildern verdeckt, welche sie an der Bordwand aufgehängt hatten.

Eine schlaue Idee, dachte Ordulf. Wie oft wurden nicht die Ruderer beim Angriff Ziel von Pfeil und Speer?

Auch der Steven hatte eine seltsame Form. Er schwang sich nicht in einer eleganten Kurve aus dem Wasser, wie bei der Heritog oder der Heldir, sondern bildete dicht über der Wasserlinie eine Spitze aus. Ein Rammsporn. Ein einzelner Balken ragte darüber nach oben und lief in einem stilisierten Drachenkopf aus. So ein Schiff hatte Ordulf noch nie gesehen. Es wirkte wie eine Schlange auf dem Wasser und ihr Biss konnte für andere Schiffe vermutlich ebenso todbringend sein, wie der einer Kreuzotter für Kinder und Fohlen.

Die fremden Riemen senkten sich ins Wasser. Das Schiff stoppte auf und ein Mann rief in der seltsam melodischen Sprache der Britannier zu ihnen hinüber. Ceretic übersetzte so laut, dass auch Ordulf alles verstehen konnte.

„Das ist Vortimer, der Sohn des Hochkönigs. Er wird uns nach Londinium und dann weiter in den Norden gegen die Pikten führen.“

Nun kniff auch Hengist die Augen zusammen, allerdings wegen der Sonne, die bereits ihren Zenit überschritten hatte, und nicht weil er so stumpfe Augen wie Ordulf gehabt hätte. Er hob die Hand zum Gruß. „Sag ihm, dass Hengist Witgissunu, seinen Gruß erwidert“, forderte er Ceretic auf und rief seiner Besatzung dann zu: „Wir wollen den Prinzen gebührend grüßen. Hoch Vortimer!“

Dreimal schickten die Sachsen von ihren Ruderbänken ein donnerndes „Hoch Vortimer“ zu dem fremden Schiff hinüber.

Am Abend, sie hatten die Schiffe beim Einsetzen der Ebbe ans schlammige Ufer gezogen, denn gegen den Strom gab es kaum ein Vorankommen, bemerkte Ordulf ein unheimliches Glimmen am nördlichen Horizont.

„Die Lichter der großen Stadt“, erklärte Tavish auf mehrfache Nachfrage. Er tat sich immer noch schwer mit dem Sächsischen, Ordulf verstand ihn nur mit Mühe.

Ein kräftiges Lachen lenkte Ordulfs Aufmerksamkeit von dem jungen Britannier und den Lichtern der Stadt ab. Vortimers britannische Besatzung lagerte abseits der Sachsen am Ufer des dunkel daliegenden Stromes. Fast wurden sie von den hängenden Weiden und Erlen verdeckt.

Ordulf schlug gedankenverloren nach einer Mücke. Sein Blick glitt weiter am stillen Ufer entlang. Nur der Prinz selbst saß zusammen mit Hengist, Horsa, Willerich und Ceretic in der Runde der angeworbenen Sachsen. Vortimer schien nicht im Mindesten besorgt. Er erzählte eine Geschichte, die Ceretic für die Zuhörer von jenseits des Meeres übersetzte. Hengist schien sich zu amüsieren wie schon lange nicht mehr. Sein helles Lachen durchschnitt die Stille der Nacht. Hatte er ihn überhaupt einmal so ausgelassen erlebt?, wunderte Ordulf sich.

Am darauffolgenden Tage kamen sie nach Londinium. Die Stadt schien noch bedeutend größer als Durovernum zu sein. Die Mauer, mehr als drei Mann hoch, umschloss eine unzählbare Menge steinerner Gebäude. Doch selbst Ordulf fiel auf, dass Londinium einmal für mehr Menschen gebaut worden war, als nun darin wohnten. Große Flächen im Inneren der grauen Mauern lagen brach oder waren mit den Trümmern verfallener Häuser bedeckt.

Am meisten beeindruckt hatte ihn gleich bei ihrer Ankunft der Hafen. Dort lagen insgesamt drei der schlanken Naves lusoriae. So hatte Ceretic Vortimers Schiff bezeichnet. Nach ihrer Größe und dem niedrigen Freibord zu urteilen, waren sie nur für den Einsatz auf dem Fluss – der Thamesa, wie er inzwischen erfahren hatte – und allenfalls in Küstennähe gebaut. Doch trotz ihrer schlanken Linien waren nicht sie es, die Ordulfs Blick gefesselt hatten. Nicht weit von ihnen lagen die verrottenden Gerippe weiterer Schiffe im Schlick. Unter ihnen eines, welches Ceretic als Liburne bezeichnet hatte. Es musste einmal mehr als doppelt so groß wie die stattliche Heritog gewesen sein.

Und noch etwas am Hafen hatte Ordulf den Atem stocken lassen: die Brücke. Nicht ein einfacher Holzsteg, wie er ihn aus Sachsen kannte. Nein, die Brücke ruhte auf mehreren Pfeilern inmitten des Flusses. Die Wassermassen schossen und tosten an den Pfeilern vorbei und hoch darüber spannten sich schier endlos lange steinerne Bögen, die eine dieser geraden Römerstraßen quer über den Strom trugen. Seitdem hatten sie mehrere Flüsse auf ähnlichen, wenn auch kleineren Brücken überquert. Es klang hohl, wenn die Hufe der Pferde auf die steinernen Straßen schlugen, doch sie scheuten nicht ein einziges Mal und auch Ordulf selbst nahm nicht das geringste Schwanken wahr.

Fünf Tage nachdem sie Londinium durchquert hatten, befanden sie sich wieder auf einer der schier endlosen, geraden Römerstraßen. Die Sonne der letzten Tage hatte sich verzogen. Der Wind stand ihnen entgegen und Regen peitschte Ordulf ins Gesicht. Er fluchte leise unter dem Gewicht seiner Ausrüstung. Hengist und einige ausgesuchte Sachsen waren in Londinium mit Pferden versorgt worden. Für den Rest von ihnen hatte Vortigern lediglich drei Ochsenkarren bereitstellen lassen, viel zu wenig, um das gesamte Gepäck der hundertzweiundfünfzig Männer aufzunehmen. Auch Ceretic und Vortimer mitsamt seiner Eskorte waren selbstverständlich beritten. Daher sah Ordulf von ihnen nun auch nichts mehr. Sie hatten sich, sobald die ersten Tropfen vom Himmel fielen, nach Norden abgesetzt und würden vermutlich in einer trockenen Scheune auf sie warten. So hatte sich Ordulf den Kampf gegen die Pikten nicht vorgestellt.

Wenigstens in Bezug auf die Nahrung hatte der Hochkönig Vortigern nicht zu viel versprochen. Jeden Abend, wenn die Sachsen hungrig und müde in den Scheunen eines Dorfes lagerten, sorgte Vortimer für ausreichend Fleisch, Brot, Bier und Feuerholz.

„Ob wir bald auf diese verdammten Pikten treffen?“, fragte Ypwine Gerolf, der neben Thiadmar und Ordulf am Feuer saß, am Abend dieses Tages.

Gerolf zerrte gerade mit beiden Händen an einem Stück Fleisch, in dem er sich festgebissen hatte. Schließlich ließ er von dem zähen Stück Schaf ab und wischte sich das Fett aus dem Bart. „Entweder Vortigerns Truppen haben sie schon ohne unsere Hilfe vertrieben oder sie kommen uns bald entgegen“, vermutete er und nahm einen neuen Anlauf, der widerspenstigen Keule beizukommen.

Ordulf hörte schweigend zu, doch am Abend reinigte er sorgfältig seinen Sax und prüfte die Schärfe der Klinge. Wie würde er sich wohl in seiner ersten Schlacht schlagen?

Früh am Morgen ging es weiter, die Kolonne der Sachsen zog sich über eine lange Strecke Weges hin, doch immerhin schien heute endlich die Sonne. Gegen Mittag geriet der Zug vorne plötzlich ins Stocken. Ordulf kniff die Augen zusammen, konnte den Grund aber nicht erkennen.

„Dort kommen zwei Reiter auf uns zu“, rief schließlich jemand weiter vorn in der Kolonne. Dann entdeckte Ordulf sie auch.

Zwei völlig verdreckte Reiter auf kleinen britannischen Pferdchen, denen der Schaum vor dem Maul stand.

„Die müssen wichtige Nachrichten überbringen, wenn sie sich so beeilen“, mutmaßte Gerolf.

Die sächsische Kolonne war inzwischen wieder dicht aufgeschlossen und Ordulf sah gespannt zwischen Hengist und den sich nähernden Britanniern hin und her. Die Reiter hielten direkt auf Vortimer zu und als sie ihn erreichten, entspann sich zwischen ihm, den beiden Fremden und Ceretic sofort ein aufgeregtes Gespräch. Ordulf verstand kein Wort und vermutlich ging es Hengist nicht besser.

Endlich wandte sich Ceretic an den Sachsenfürsten. Horsa und Willerich rückten heran, um ebenfalls zu hören, was die Boten berichteten. Unter den Sachsen begannen derweil wilde Spekulationen zu kreisen.

„Sie brauchen uns nicht mehr und wir sollen wieder umdrehen“, argwöhnte Thiadmar.

„Vielleicht hat uns der Feind umgangen?“, vermutete Gerolf, doch da löste sich Hengist selbst aus der Gruppe der Reiter und trabte in die Mitte des Zuges, sodass ihn alle gut sehen und hören konnten.

„Ich habe gute Nachrichten für euch“, rief er. „Die Pikten haben die Truppen des Hochkönigs in die Flucht geschlagen.“

„Das sollen gute Nachrichten sein?“, brummte Ypwine. „Gute Nachrichten wären es, wenn wir zu der Insel vor der Thamesa-Mündung umkehren könnten. Ich hätte keine üble Lust, an dem Fleet, den ich dort entdeckt habe, einen Hof zu bauen.“

Doch Hengist fuhr schon mit erhobener Stimme fort: „Vortigern wurde auf dem Marsch zu einer Stadt namens Eboracum von den Pikten überrascht. Seine Armee ist geschlagen und hat sich hinter den Mauern eines anderen Ortes verschanzt. Er befiehlt uns, schnellstens dorthin zu kommen. Es gibt also noch genug für uns zu tun.“

„Das Ganze schmeckt mir nicht“, maulte Gerolf. „Sollen auch wir uns hinter Mauern verstecken? Unsere Schilde sind unsere Mauern. Wir werden dem Hochkönig zeigen, wozu Sachsens Krieger fähig sind.“

Beifälliges Gemurmel antwortete dem alten Recken, doch da gab Hengist bereits das Zeichen zum Weitermarsch. Bald stieg Ordulf der Geruch von Feuer in die Nase. Als die Straße auf einem Höhenzug aus dem Wald trat, sahen sie am Horizont Rauchsäulen aufsteigen. Dort im Norden brannten Dörfer.

„Ich dachte, der Hochkönig steht noch zwischen uns und dem Feind. Wieso brennen denn hier schon die Dörfer?“, wunderte sich Ypwine. „Hat Vortigern etwa auch diese Stadt nicht gehalten und sein Heer ist vollends aufgerieben worden?“

„Seht nur dort rechts“, rief plötzlich eine Stimme, die Ordulf bekannt vorkam. Dann fiel ihm ein, wer das war. Kein anderer als der einäugige Halvor. Ordulf verfluchte seinen Hochmut. Er hätte nie und nimmer zustimmen sollen, als Horsa den Kerl verschonte. Sicher wartete der Ebbingemanne nur auf eine Gelegenheit zur Rache. Aber für solche Gedanken war es nun zu spät. Ordulf seufzte und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die angegebene Richtung, aber erkennen konnte er nur den dunklen Wald. Thiadmar neben ihm schien etwas wahrzunehmen.

„Da bewegt sich etwas“, rief auch er. „Sind das Reiter?“

Halvors eines Auge schien besonders scharf zu sein. „Da sind gerade drei Reiter im Wald verschwunden“, behauptete er.

„Wir verfolgen sie nicht“, befahl Hengist streng. „Sie sollen denken, wir wollten uns zusammen mit den Britanniern klammheimlich hinter den Mauern dieser Stadt verstecken.“

Gerolf quittierte die Anweisung mit einem triumphierenden Schnaufen. „Ich wusste, dass Hengist sich nicht wie ein Feigling verkriecht“, frohlockte er.

Da sah Ordulf, wie sich zwei Berittene vorn von ihrer Kolonne lösten. Gerade noch in Sichtweite des Heeres blieb der erste stehen, während sein Kamerad weiter eilte. Hengist sandte also eigene Späher aus. Der zweite Reiter würde sich seinerseits bis an die Grenze des Sichtfeldes des ersten vorwagen, dann wäre seinerseits wieder der erste dran und so weiter, bis sie irgendwann auf den Feind stießen.

Hengist selbst und die übrigen Reiter hielten sich nun dicht bei den Fußkämpfern. Die Spannung war greifbar, doch es dauerte noch etwa zwei Stunden, bis vor ihnen plötzlich wieder ein Reiter erschien.

„Unser Kundschafter“, behauptete Thiadmar, lange bevor auch Ordulf ihn erkannte. Das kleine Britannier-Pony des Spähers kam im vollen Galopp die Straße entlanggeprescht. Hengist ritt ihm entgegen und hob den Arm als Zeichen, dass die Kolonne warten sollte. Kurz darauf wendete Hengist sein Pferd und trabte zu den gespannt wartenden Kriegern zurück.

„Pikten!“, rief er. „Die Kerle warten hinter diesem Wäldchen auf uns.“ Er blickte verächtlich zu den beiden Britanniern auf ihren müden Ponys hinüber. „Unsere britannischen Freunde meinen, wir sollten umkehren. Was haltet ihr davon?“

Empörte Rufe wurden laut.

„Dafür sind wir nicht so weit gelaufen“, rief Gerolf und allgemeines Gelächter antwortete ihm.

„Bravo Gerolf.“ Hengist schenkte seinem alten Knecht ein grimmiges Lächeln. „Wir formieren uns vor dem Wald und greifen im Eberkopf an. Willerich führt die Seinen rechts, Horsa bildet mit den Männern der Heldir den linken Keil. Die Mannen der Heritog folgen mir in der Mitte. Wir rücken dann leise bis zum Waldrand vor. Niemand verlässt die Deckung und seid verdammt nochmal leise. Wir wollen diese Pikten nicht vorzeitig aufschrecken.“

Aufgeregtes Gemurmel folgte, als sich die Männer wie befohlen aufteilten. Sobald wieder Ruhe einkehrte, drangen sie in den Wald ein, die Reiter voran, das Fußvolk hinterher. Alle bemühten sich, möglichst leise zu sein, doch Ordulf hörte von der ganzen Front das Knacken dürrer Äste und das Schnauben der Rösser. Hin und wieder wieherte ein Pferd oder ein Mann schrie auf, wenn ihn ein Zweig ins Gesicht peitschte. Fast meinte er, der Feind müsste auch das Schlagen seines Herzens hören, so sehr hämmerte es in seinem Brustkorb. Vor Aufregung klebte seine Zunge trocken am Gaumen und seine Blase begann sich bemerkbar zu machen. Schließlich wurde der Wald vor ihnen lichter. Gleich würde er diese geheimnisvollen Pikten zu Gesicht bekommen. Hengist hob seine Hand und bedeutete den Sachsen anzuhalten. Er selbst stieg aus dem Sattel und pirschte sich vorsichtig bis zum Waldrand vor.

„Wie viele es wohl sind?“, flüsterte Thiadmar aufgeregt.

Ordulf kribbelte es seltsam in der Magengrube. Er musste sich räuspern, bevor er eine verständliche Antwort zustande brachte. „Keine Ahnung“, stieß er gedrückt hervor.

„Ob sie einen Schildwall bilden? Oder vielleicht sogar Wall und Graben ausgehoben haben?“, fragte Thiadmar weiter, doch auch Ordulf wusste keine Antwort.

Der Feind blieb hinter den letzten Bäumen verborgen. Es erschien Ordulf, als verstriche eine Ewigkeit, bis Hengist zurückkehrte.

„Die Pikten stehen quer über das gesamte Tal verteilt in loser Schlachtordnung“, berichtete er. „Sie scheinen sich ihrer Sache sehr sicher zu sein. Vermutlich glauben sie nicht, dass wir es wagen, sie anzugreifen.“ Ein breites Grinsen spaltete seinen Bart und seine Augen funkelten hinter den dunklen Eisenringen des Helmes. „Legt euer Gepäck ab. Sobald mein Horn erschallt, greifen wir an. Lauft so schnell ihr könnt und schaut nicht zurück! Du dort und du, ihr überbringt meine Befehle Willerich und Horsa.“

Ordulf warf sein Gepäck von der Schulter. Wie leicht er sich auf einmal fühlte. Hastig griff er mit der Linken in die Schlaufen seines eisenbeschlagenen Schildes. Den Sax trug er bereits im Gürtel. Dann fasste er mit der Linken noch einen Speer. Als Ordulf aufsah, saß Hengist schon wieder hoch zu Ross. Die zehn berittenen Krieger seines Keiles formierten sich hinter ihm zum Angriff. Die Fußkämpfer drängten sich dazwischen und dahinter. Ordulfs Blase drückte immer noch, doch dafür war es nun zu spät. Er griff mit der Rechten nach der Mähne von Hengists Pferd. Der schaute kurz zu ihm herunter und nickte grimmig. Die übrigen Fußkämpfer taten es ihm gleich und griffen nach den Mähnen oder den ledernen Steighilfen, die einige der Sachsen an den britannischen Sätteln befestigt hatten.

Dann hob Hengist sein Büffelhorn an die Lippen und blies mit voller Kraft hinein. Ein wimmernder Ton drang durch den Wald. Die Reiter stießen ihren Pferden die Hacken in die Flanken und die sächsische Streitmacht brach im vollen Galopp aus dem Wald. Ordulf klammerte sich an der Mähne von Hengists Pony fest, die genauso wild flatterte wie Hengists langes blondes Haar unter dem Helm. Halb sprang Ordulf nebenher, halb riss ihn das Ross mit sich auf die dunkle Reihe halbnackter Feinde zu. Die Zeit war zu kurz, um den Gegner genau in Augenschein zu nehmen, Ordulf musste sich voll darauf konzentrieren, nicht zu stürzen oder den Griff in der Mähne von Hengists Pferd zu verlieren. Mit voller Wucht brachen sie in die Reihen der Pikten ein.

Ordulf ließ die Mähne des Rosses fahren. Sein Schild prallte mit voller Wucht in den ersten Pikten, der ihm aus schreckensweiten Augen entgegensah. Schon hatte Ordulfs Rechte den Griff des Saxes gefunden. Den Speer hatte er bei dem wilden Angriff verloren. Ein Schwerthieb prallte an seinem eisenbeschlagenen Schildrand ab, fast gleichzeitig fuhr sein Sax darunter hervor. Blut spritzte auf und die kalte Klinge beschlug, als sich die Spitze in heißes Fleisch bohrte. Die Wut der Schlacht, von der die Scops im Winter am Herdfeuer sangen, erfasste Ordulf. Er stürmte weiter, nun aus eigener Kraft, Hengist und seinem Ross hinterher durch eine blutige Schneise. Links von ihm drängte ein weiterer Reiter voran. Und Ordulf hieb mit neuer Kraft zu – er würde die piktischen Reihen vor dem hochnäsigen Reiter durchbrechen.

Dann war das Getümmel auf einmal vorbei und Ordulf sah keinen der seltsam blau bemalten Krieger mehr vor sich. Dort war nur Hengist, der gerade sein Pferd wendete und ihn mit blutverschmiertem Bart anlachte. Sie hatten die feindlichen Reihen durchbrochen.

Er steckte seinen blutigen Sax in den Boden, hob mit der Rechten etwas lose Erde auf und rieb sie zwischen beiden Händen, bis das klebrige Blut mit Erde vermengt als schwarze Röllchen zu Boden fiel. Dann fasste er wieder den Griff seines Saxes. Doch es gab um ihn herum keine Feinde mehr. Etliche der blauen Gestalten lagen stöhnend in ihrem Blut, die anderen liefen um ihr Leben. Sie hatten gesiegt! Hengist hatte gesiegt.

„Hengist!“, brüllte Ordulf begeistert und seine Stammesbrüder stimmten aus vollem Hals mit ein.

Es war ein überwältigender Sieg für die Sachsen. Sie zählten nur einen einzigen Toten und zwanzig meist leicht Verwundete. Ausgerechnet Ypwine, der sich auf Thanet über einem Fleet seinen Hof bauen wollte, war der unglückliche Feymanne, dem sein Wurd bestimmte, an diesem Waldrand das Leben auszuhauchen. Es war schon merkwürdig, befand Ordulf. Ypwine war wohl der einzige Sachse in Britannien, der lieber in Ruhe seinen Acker bestellt hätte, als in den Krieg zu ziehen.

„Wie ich sehe, kämpfst du nicht nur im Schlamm“, hörte er plötzlich Hengist im Vorbeigehen zu ihm sagen. Vor Stolz wäre er fast geplatzt. Für den wortkargen Häuptling war das ein großes Lob.

„Los, ihr dort, kümmert euch um die verletzten Pikten“, befahl Horsa hinter ihm.

Murrend schlurfte Thiadmar, der neben ihm stand, los, um einigen Männern von Horsas Schiff zu helfen, die bereits bei der Arbeit waren. Auch Ordulf machte sich daran, nach den nächsten Verwundeten zu sehen. Er brauchte nicht weit zu gehen. Einer der Pikten lag direkt hinter ihm und krümmte sich vor Schmerzen. Mit beiden Händen versuchte er die Gedärme, die ihm aus einer großen Bauchwunde quollen, zu halten. Er hatte die Augen geschlossen und atmete tief. Ordulf wusste nicht recht, was er für den verwundeten Feind tun könnte und so verharrte er einen Augenblick in der Betrachtung.

Ein rotblonder Schnurrbart rahmte den schmerzverzerrten Mund des Fremden ein. Die Haare waren dem Pikten mit Kalkwasser aus der Stirn gekämmt und standen nun als dicke weißliche Borsten nach hinten. Offenbar schätzten auch die Pikten, wie die Sachsen, eine hohe Stirn. Viele Sachsen rasierten sich daher die Haare aus der Stirn. Aber das augenfälligste an der Erscheinung des Pikten war nicht seine Haartracht, sondern die blaue Bemalung, die den gesamten Oberkörper bedeckte. Verschlungene Muster und Fabeltiere mit riesenhaften Zähnen und Pranken wanden sich in verschlungenen Knoten. Lediglich am Bauch des Mannes hatten Blut und hervorquellende Gedärme die Bilder verschmiert. Ordulf schloss daraus, dass sie nur aufgemalt, nicht tätowiert waren, wie er zunächst vermutet hatte.

Da trat Prinz Vortimer an Ordulf vorbei und rammte dem mit dem Tode Ringenden sein Schwert so heftig in den Rücken, dass die blutige Spitze in der Brust wieder zum Vorschein kam. Ordulf zuckte zusammen. Der Getroffene riss Augen und Mund erschrocken auf. Statt eines Schreis kam aber nur ein Schwall dunklen Blutes hervor. Dann fiel sein Körper mit gebrochenen Augen in sich zusammen. Vortimer schenkte Ordulf ein kurzes, kaltes Lächeln, während er sein Schwert an der Hose des toten Pikten abwischte, dann schritt er wortlos weiter. Ordulf sah ihm schaudernd nach. Vermutlich hatte er das Beste für den Pikten getan, aber einen Wehrlosen zu töten, ohne mit der Wimper zu zucken? Das stieß Ordulf doch irgendwie ab.

Als die leichter verletzten Gegner schließlich unter Horsas strengen Blicken versorgt waren, plünderten die Sachsen die Leichen und das Gepäck der gefallenen Pikten. Sie verscharrten die Toten in einem rasch ausgehobenen Massengrab direkt auf dem Schlachtfeld. An eine Siegesfeier war aber nicht zu denken, denn an diesem Abend mussten sie von dem wenigen mitgebrachten Proviant und dem, was sie bei den Pikten gefunden hatten, zehren, denn Vortigern leckte seine Wunden in Lindum und auch Vortimer gelang es hier nicht, irgendwelche Vorräte aufzutreiben.

„Lasst uns lieber Holz sammeln, um Ypwine ein ordentliches Begräbnis zu bereiten“, schlug Gerolf stattdessen vor.

Er selbst, Thiadmar und Ordulf machten sich daran, trockenes Holz im nahen Wäldchen zu sammeln. Auf dem Schlachtfeld schichteten sie einen Scheiterhaufen auf. Fast mannshoch. Darauf legten sie Ypwine mit seinen Waffen. Gerolf legte zwei der britannischen Silbermünzen auf seine geschlossenen Augen.

„Das bin ich ihm schuldig“, kommentierte er.

Als die Sonne gesunken war, versammelten sich die Sachsen in dunklen Reihen um den Scheiterhaufen. Hengist selbst trug den Brand durch die düstere Schar zum Scheiterhaufen. Seine Fackel spiegelte sich gespenstisch in den Waffen der Männer. Funken stoben auf, als Hengist das Feuer schließlich an den Scheiterhaufen warf. Gierig griffen die Flammen auf das Holz über. Rasch loderten sie empor und es stank kurz nach verbranntem Haar und Fleisch, als die Glut den toten Krieger verzehrte.

Am nächsten Morgen sammelte Gerolf Asche und Knochenstücke in einem Tontopf. „Ich will ihn dort begraben, wo er seinen Hof bauen wollte, unten in Thanet an seinem Fleet“, erklärte er Ordulf mit feuchten Augen.

Gerolf hatte diesen Freundesdienst keinen Augenblick zu früh verrichtet, denn Vortimer drängte zum Aufbruch. Sie folgten wieder der geraden Römerstraße. Gegen Mittag näherten sie sich einer größeren Ortschaft. Schon von weitem erkannte man die steinernen Mauern hoch oben über einem aufgestauten Fluss. Lindum.

Reiter aus Vortimers Eskorte hatten die frohe Nachricht von der Niederlage des piktischen Stoßtrupps bereits dorthin getragen und Vortigern selbst ritt ihnen hundert Schritte vom Tor aus entgegen. Ordulf erkannte ihn sofort an seinem purpurnen Mantel und dem goldenen Reif auf dem Haupt. Zuerst reichte er seinem Sohn, dann Hengist, Horsa und Willerich und schließlich auch Ceretic die Hand, bevor er sein Pferd wendete und die Sieger im Triumph den steilen felsigen Hang hinauf zum Tor von Lindum führte.

Die Torflügel in der alten, von roten Ziegelbändern geschmückten Mauer aus weißem Kalkstein standen weit offen, aber der Jubel der Bevölkerung und der Reste von Vortigerns geschlagener Armee klang eher verhalten. Der Schrecken der Sachsen war offenbar bis hier in den entlegenen Norden Britanniens gedrungen. Erst als die gefangenen Pikten durch das Tor getrieben wurden, heulten die Massen wütend auf. Einige besonders Mutige drängten sich vor, um sich an den Pikten zu vergreifen.

Doch Horsa ging verärgert dazwischen. „Wenn ihr mit euren Feinden Mutwillen treiben wollt, dann fangt euch eure Pikten doch selbst. Es laufen noch genug da draußen herum. Wenn ihr genauso tapfer gefochten hättet wie diese hier, bräuchtet ihr unsere Hilfe nicht“, brüllte er. Und obwohl ihn niemand verstand, fuhren die vordersten Britannier wie von einer giftigen Schlange gebissen zurück. „Ich achte tapfere Krieger, auch wenn ihr Wurd sie in Gefangenschaft zwingt“, fügte er immer noch zornig hinzu.

Lindum, Juni 441

Ceretic

Auf dem Forum schließlich erwartete sie der Vasallenkönig von Lindum. Sorgenvoll blickte er den sächsischen Kriegern entgegen, die Vortigern gerade ohne jede Gegenwehr durch das Tor in die befestigte Stadt gelassen hatte. Ceretic selbst wunderte sich ebenfalls über Vortigerns Selbstsicherheit. Er kannte die Sachsen ja gar nicht, doch er reckte sich stolz. Vermutlich vertraute der König blind auf das Urteil seines Ritters und Beraters. Überhaupt war das Ganze sein eigener Verdienst. Missgünstig beobachtete er Vortimer, der hocherhobenen Hauptes hinter seinem Vater ritt, als habe er etwas Großes vollbracht.

Am Abend lud der Hochkönig selbst zum Festmahl. Vortigern saß, umringt von den Mitgliedern seines Comhairle – zu denen nun auch Ceretic gehörte – direkt neben Lindums Vasallenkönig Tasciovanus am Kopf der Tafel. Ceretic wusste, dass auch die Sachsen geladen waren, doch noch bevor sie erschienen, stand der Hochkönig unvermittelt auf.

„Ehe unsere barbarischen Hilfstruppen zu uns stoßen, will ich noch etwas erledigen“, sagte er mit gewichtiger Miene. „Ceretic, steh auf!“

Alle Augen richteten sich erstaunt auf das neueste Mitglied des Rates. Ceretic spürte einen Kloß im Hals. Sein Hocker fiel rumpelnd um, als er ungeschickt aufsprang. Er hörte wie Albanus Muirdoch etwas zuraunte. Verstehen konnte er nichts, aber der alte Banwr verzog seinen Mund zu einem säuerlichen Lächeln.

Ob sie ihm seinen Aufstieg neideten? Hatten sie ihn beim Hochkönig verleumdet?, schoss es ihm durch den Kopf.

Vortigern räusperte sich. „Ich bin kein undankbarer Mann“, begann er. Ceretics Knie wurden weich. Ein Satz, auf den ein „aber“ folgen würde. „Die von dir geworbenen Barbaren haben die bisher unbesiegten Pikten geschlagen. Sie haben uns die Rücken zugekehrt und werden es von nun an immer wieder tun. Nimm diesen Armreif als Zeichen der Dankbarkeit deines Königs!“

Damit zog er aus seinem Gewand einen breiten Goldreif hervor und reichte ihn dem verdutzten Ceretic. Fast fiel er ihm aus der Hand. Das Geschmeide war viel schwerer als er gedacht hatte.

„Mein Herr und König. Was immer ihr befehlt, will ich tun“, stammelte er überwältigt. Mit vor Freude brennenden Wangen drehte er sich zu seinem Sitz, doch die Freude währte nur einen Moment. Der Blick, mit dem ihn Vortimer anstarrte, ließ die Wärme der Dankbarkeit gefrieren.

Da betraten Hengist, Horsa und Willerich, gefolgt von ihrer lärmenden Horde, die Halle und der Kronprinz wendete sich ihnen zu. Die Sachsen wurden an langen Tischen und Bänken platziert. Lindums Vasallenkönig schaute säuerlich drein. Auf den Kosten für den Ochsen und die Schweine würde er sitzen bleiben.

Mägde brachten Met und Bier und kräftige Kerle drehten den Ochsen und die Schweine über einem mächtigen Feuer und bestrichen sie immer wieder mit würziger Soße. Ein herrlicher Duft erfüllte die Halle.

Ceretic fühlte, wie ihm das gute britannische Bier den Magen und langsam auch den Kopf mit wohligem Nebel füllte. Vortigern hatte Recht getan, ihm den Armreif zu schenken. Dieser Sieg war vor allem sein Verdienst. Schon leicht unsicher machte er sich auf den Weg nach draußen, um Wasser abzuschlagen. Auf dem Weg zurück drückte ihn im dunklen Gang vor der Halle plötzlich ein starker Arm an die Wand. Ceretic griff erschrocken zum Dolch, doch bevor er ihn ziehen konnte, bemerkte er, wer ihn da abgefangen hatte. Verstohlen ließ er die Hand über dem Dolchgriff an seine Seite gleiten. Der bierschwangere Atem des Kronprinzen fuhr ihm ins Gesicht.

„Wenn wir diese Barbaren gewähren lassen, werden sie sich in unserem Britannien einnisten“, zischte er Ceretic ins Ohr. „Ich werde dafür sorgen, dass sie wieder dahin verschwinden, wo sie hergekommen sind, und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Verlass dich drauf, Ritter Ceretic!“

Den Titel betonte er voller Hohn und Ceretics Nackenhaare sträubten sich, als er die Leidenschaft in Vortimers Stimme vernahm. Dann, ebenso rasch, wie er ihn überfallen hatte, ließ Vortimer Ceretic los und stapfte seinerseits zum Abtritt. Die wohlige Wärme in Ceretics Magen hatte einem mulmigen Gefühl Platz gemacht. Er hatte sich einen mächtigen Feind gemacht.

Das Bier half Ceretic rasch über seine Sorgen hinweg. Der Kronprinz war leer ausgegangen und hatte seine Enttäuschung, etwas Neid und ein Übermaß an Bier an dem Neuling abreagiert. Das war alles und als Prinz konnte er sich so etwas erlauben. Am nächsten Morgen würde er, wenn überhaupt, nur voll Peinlichkeit an die Begebenheit denken. Und er selbst könnte als geachteter Ratgeber, Anführer der Sachsen und Vortigerns Übersetzer bald um Rowenas Hand anhalten. Hengist würde erfreut zustimmen. Ja, Rowena war all den Aufwand und die Gefahren wert.

Plötzlich veränderte sich der Geräuschpegel aus Schmatzen, Schlürfen und heiterem sächsischen Gegröle und Geplapper. Am Eingang der Halle erklangen laute Rufe. Ceretic suchte nach der Ursache für die Aufregung. Eine schwere Holzkiste wurde von zwei stämmigen Britanniern hereingetragen. Sie schleppten ihre Last hinter dem Rücken der Sachsen bis auf Höhe von Hengists Platz, der sich ebenfalls interessiert umwandte.

„Für eure ersten Mühen“, verkündete Vortigern und Ceretic übersetzte die Worte. Die zwei Männer hoben den Deckel der Truhe, die sie effektvoll unter einer Fackel abgestellt hatten. Ein erstauntes Raunen lief durch die Reihen und ging dann in aufgeregtem Rufen unter. Lautstark verlangten die Sachsen im hinteren Teil der Halle zu erfahren, was es vorne zu sehen gäbe und die weiter vorne sitzenden antworteten alle gleichzeitig und durcheinander. Selbst Hengist war bei dem Anblick erstaunt aufgesprungen. Nun ging er zur Truhe und streckte die Hand hinein. Voll mit Silberstücken hob er sie in die Höhe und ließ die Münzen einzeln zurück in die Truhe fallen.

„Wenn ihr mir treu und tapfer dient, ist das erst der Anfang“, tönte Vortigern. „Auf die Dienste, die ihr mir noch leisten werdet!“ Dabei hob er seinen goldenen Becher und prostete Hengist zu.

Dieser griff ebenfalls seinen Bierhumpen. „Es lebe der Hochkönig. Es lebe Vortigern!“, rief er laut und die Sachsen wiederholten den Ruf.

Vortigern verstand seinen Namen und die Geste des Recken. Ein dünnes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen.

Eine Stunde danach erklang außerhalb der Halle auf dem Forum Aufruhr und Geschrei. Alarmiert schaute Ceretic zum Hochkönig hinüber, aber Vortigern winkte ab.

Am nächsten Tag fand Ceretic den Grund für den Lärm: Man hatte die piktischen Gefangenen auf dem Forum enthauptet. Die Köpfe steckten nun in einer langen Reihe auf Lanzenspitzen, die langen Schnurrbärte und Haare sorgfältig gekämmt. Der Anblick ließ Ceretic schlagartig wieder nüchtern werden. Den Pikten war kein Unrecht geschehen, sie selbst sammelten die Köpfe der gefallenen Gegner nach jeder Schlacht und enthaupteten auch viele ihrer Gefangenen ohne Erbarmen. Doch dieser Anblick hinterließ einen unangenehmen Geschmack auf Ceretics Zunge und es war nicht der Geschmack von zu viel Bier vom Vorabend.

Am Nachmittag musterte Vortigern die Reste seiner Haustruppen auf dem Forum. „Verstehst du nun, warum ich die verdammten Pikten enthauptet habe?“, zischte er Ceretic zu, der mit den anderen Beratern hinter ihm stand.

Ceretic erkannte es. Die grausam dekorierten Lanzenspitzen vor der Front der Britannier sollten Vortigerns geschlagenem Heer neuen Mut einflößen.

Nach der Musterung versammelte Vortigern seinen Rat. Der alte Barnwr Muirdoch fasste die Situation noch einmal zusammen: „Ahearn ist vermutlich weiterhin mit den Männern von Elmet in Cair Ebrauc eingeschlossen.“ Ein verärgertes Knurren von Vortigern ließ ihn sich korrigieren: „In Eboracum meine ich.“

Auch Ceretic war bereits aufgefallen, dass Vortigern lateinischen Namen den Vorzug gab, wie er sich auch stets wie ein römischer Senator kleidete. Er sah sich als rechtmäßiger Nachfolger der römischen Präfekten von Britannien.

„Wir wurden bei der Überquerung des Abus fluvius von den Pikten überrascht. Wo sie jetzt stehen, wissen wir nicht, auch nicht, wie viele es sind. Wir haben von den Gefangenen lediglich erfahren, dass es bedeutend mehr sind als die kleine Streitmacht, die wir nun geschlagen haben. Sie werden von einem Häuptling namens Koloman aus dem Osten Caledoniens angeführt.“ Hier holte er rasselnd Luft und ließ so Tallanus, der im Auftrage des Bischofs inzwischen wieder seiner Aufgabe als Schreiber nachkam, Zeit, das Gesagte zu notieren. Dann setze er neu an: „Trotz des, äh, taktischen Rückzugs, haben wir heute morgen noch dreihundertsiebenundzwanzig kampffähige Catuvellaunen und fünfundsiebzig Männer aus anderen Stämmen gezählt.“

Die meisten der versammelten Krieger, nämlich Vortigerns eigentliche Haustruppe, gehörten – wie er selbst – dem Stamm der Catuvellaunen an. Kleinere Kontingente der Atrebaten, Cantii, Trinovanten und Dobunni vervollständigten das Aufgebot. Andere Stämme Britanniens, insbesondere jene aus den Gebirgen im Westen, hielten noch immer zu Ambrosius, dem Prinzen aus dem Stamm der Dumnonier, zu denen sie oft in verwandtschaftlichen Beziehungen standen.

„Die sächsischen Auxiliares“, fuhr Muirdoch schließlich fort, „haben erst einen einzigen Mann verloren und zählen noch einhunderteinundfünfzig Mann.“

„Wir müssen aufpassen, dass sie uns nicht über den Kopf wachsen, diese Auxiliares“, bemerkte Vortimer mit einem finsteren Seitenblick auf den Goldreif an Ceretics rechtem Arm. „Sie sind selbstsicher und haben den Feind, dem unsere Britannier den Rücken gekehrt haben, ohne eigene Verluste geschlagen.“ Die letzte Bemerkung provozierte verärgerte Rufe der anderen Ratsmitglieder. „Ja, geflohen sind sie, habe ich gesagt“, bekräftigte Vortimer und blickte herausfordernd in die Runde.

„Das Gezanke hilft uns nicht weiter“, ergriff nun der Hochkönig das Wort. „Es ist klar, dass trotz des Erfolges meiner Auxiliares die Hauptmacht des Feindes noch nicht geschlagen wurde. Und die entscheidende Frage ist doch, wo befindet sich das Heer dieses Koloman?“

„Die Pikten werden sich schon finden lassen, wenn wir ein zweites Mal nach Norden ziehen, um Eboracum endlich zu entsetzen“, behauptete Vortimer hitzig.

„Und dann soll die Hand der sächsischen Heiden gegen die der piktischen kämpfen“, meldete sich der Bischof zu Wort.

Vortimer nickte. „Albanus’ Rat ist gut. Wir sollten rasch aufbrechen, damit Eboracum nicht fällt, ehe wir eintreffen oder die Pikten verschwinden.“

„Aber das letzte Mal sind wir den Pikten in die Falle gelaufen“, warnte der alte Muirdoch.

„Diesmal lassen wir eben die Sachsen vorneweg marschieren“, bemerkte Vortimer und grinste triumphierend zu Ceretic hinüber.

„Aber es sind doch viel zu wenige, um es allein mit den Pikten aufzunehmen“, warf Ceretic bestürzt ein. Vortigern konnte doch unmöglich seine besten Krieger in den Tod schicken, nur weil sein Sohn ihm den Ruhm neidete, sie geworben zu haben.

„Sie sind ja nicht allein, sondern bilden lediglich die Vorhut. Irgendjemand muss schließlich an der Spitze marschieren und sie hatten bisher die wenigsten Verluste zu beklagen“, beruhigte ihn Vortigern.

Doch der triumphierende Blick, den Vortimer Ceretic zuwarf, verhieß etwas anderes.

„Ceretic, du sorgst dafür, dass die Sachsen übermorgen marschbereit sind“, forderte Vortigern ihn auf und damit war die Versammlung beendet.

Ceretic verließ wutentbrannt das Forum und traf in der alten Präfektur auf einen ebenfalls wutschnaubenden Horsa. Ceretic brauchte nicht zu fragen, was den sanftmütigen Kriegsherren so aufgebracht hatte. Hengist redete schulterzuckend auf seinen jüngeren Bruder ein.

„Was willst du? Gutes Silber für gute Arbeit. Was gehen dich die verdammten Pikten an? Wenn Vortigern sich an ihnen rächen will, dann ist das seine Sache. Wir müssen uns um unsere eigenen Leute kümmern.“

Dass ein Heide wie Horsa mehr Gnade mit seinen Feinden hatte als der christliche Hochkönig von Britannien, gab Ceretic noch mehr zu denken.

Zwei Tage später marschierte Vortigerns Streitmacht ausgeruht und neu geordnet durch Lindums Nordtor. Am Rande der Ausfallstraße standen die Bürger und nicht nur Tasciovanus sah man die Erleichterung an, den Rücken dieser gefräßigen und gefährlichen Gäste zu sehen. Dicht vor der Stadt zogen sie an den verbrannten Überresten eines Dorfes vorbei. Die Silhouetten mehrerer verkohlter Häuser zeichneten sich scharf und schwarz gegen den blassen Morgenhimmel ab. Eine stumme Mahnung, wie wenig sich die Pikten vor Vortigerns Heer in der nahen Stadt fürchteten. Doch vermutlich hatten diese Mordbrenner nun in der Stadt ihre gerechte Strafe gefunden. Oder war die Hauptmacht der Feinde für diese Brandschatzung verantwortlich? Stand sie etwa ganz in der Nähe und wartete darauf, dass sie nichtsahnend in die Falle tappten? Ceretic vermochte es nicht zu sagen. Bei dem Gedanken an die blau bemalten Teufel schauderte ihm und er war froh, die sächsischen Krieger um sich zu haben.

Etwa zwei Stunden später, wenige Meilen nachdem sie den Witham auf einer Holzbrücke überschritten hatten, stockte der Vormarsch. Murrend riefen die Männer am Ende der Kolonne nach dem Grund für die Verzögerung und sofort flogen wilde Gerüchte hin und her. Doch gleich darauf kam ein berittener Bote von der Spitze des Zuges nach hinten galoppiert.

„König Vortigern will seine Ratgeber sprechen!“, rief er Ceretic zu.

Gehorsam trieb er seinen grauen Wallach an den wartenden Männern vorbei. Als er den König im Kreise der bereits versammelten Ratgeber erreichte, erriet er sogleich die Ursache für diese Marschunterbrechung. Vor ihnen teilte sich die Römerstraße auf.

Während sie auf die letzten Ratsmitglieder warteten, musterte Ceretic die Anwesenden. Vortigern war da und blickte finster vor sich hin und da entdeckte Ceretic auch Albanus’ secretarius, der seinen Herren begleitete. Er grüßte seinen Freund mit einem kurzen Kopfnicken.

Vortigern räusperte sich vernehmlich und forderte dann mit einer Handbewegung einen Ceretic bisher unbekannten Krieger zum Sprechen auf.

„Geradeaus führt die Via erminia auf direktem Wege nach Eboracum. Allerdings gibt es keine Brücke über den Abus und wir müssen den Strom auf Booten überqueren.“

„Ja, daran erinnern wir uns nur zu gut“, unterbrach Bischof Albanus den Vortrag verärgert. „Dort im Sumpfgebiet hinter dem Fluss haben uns vor einer guten Woche die Pikten überfallen.“

„Ja.“ Vortigern nickte knapp. Dann wandte er sich wieder dem Ortskundigen zu. „Und der Weg hier links?“

„Das ist eine Nebenstraße, die über Agelocum, Danum und Lagecium ebenfalls nach Eboracum führt. Es ist ein Umweg von etwa einem Tag und die Straßen sind in einem schlechteren Zustand, aber der Weg führt über Brücken und flache Furten durch die Sümpfe und Marschen im Hinterland des Abus. So bräuchten wir keine Boote, um über den Strom zu setzen.“

Vortigern nickte nochmal. „Welchen Weg sollen wir einschlagen?“, richtete er seine Frage an die versammelten Ratgeber.

„Auf dem direkten Weg können wir unsere Gefallenen von vor einer Woche christlich bestatten“, wagte Tallanus einzuwerfen.

„Aber der Anblick der geschundenen Körper ihrer Kameraden wird unsere Krieger entmutigen“, hielt Ceretic ihm entgegen.

„Oder zu neuer Kampfeswut anstacheln“, ergriff Vortimer sofort Tallanus’ Partei.

Ceretic biss sich auf die Lippe. Würde Vortimer von nun an immer das Gegenteil von seiner eigenen Meinung vertreten? „Dich vielleicht, aber sicher nicht die Krieger, die gesehen haben, wie sie fielen“, entgegnete er rechthaberisch. Er zählte nun zu Vortigerns Ratgebern und würde nicht einfach klein beigeben. Vortimer funkelte ihn böse an.

„Niemand weiß, wie lange Ahearn Eboracum noch halten kann. Wir marschieren auf direktem Weg nach Norden“, entschied Vortigern nach kurzem Schweigen.

Ceretic nickte ergeben. Das letzte Wort stand dem König zu.

Der weitere Marsch nach Norden verlief ereignislos. Ceretic hielt sich auf dem Ritt meist bei dem freundlichen und offenen Horsa.

„Sieht aus, als würde es bald regnen“, bemerkte der mit einem besorgten Blick zum Himmel.

„Stimmt“, bestätigte Ceretic. Den am Morgen noch so heiteren Himmel bedeckten inzwischen dichte graue Wolken, doch noch dufteten die Wälder und Wiesen nach Harz und frischem Heu.

„Fast könnte man vergessen, dass dies Land mit Krieg überzogen wird“, fuhr Horsa fort und blickte sich um. „Die letzten drei Dörfer, die wir durchquerten, waren allesamt unversehrt. Keine Brandspuren, keine enthauptete Leichen.“

„Allerdings haben wir auch keine Einwohner gesehen“, entgegnete Ceretic. Sicherlich hatten die sich in den umliegenden Wäldern versteckt, überlegte er.

Horsa zuckte nur mit den Schultern.

Abends lagerte das Heer in einem der verlassenen Orte. Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter weiter verschlechtert. Immer mehr graue Wolken zogen vom Germanischen Ozean herauf. Als die Römerstraße auf einem ungeschützten Höhenzug einschwenkte, dem sie scheinbar bis zum Horizont folgen wollte, blickte Ceretic kritisch zum Firmament hinauf. Der Himmel war so dunkel, dass er jeden Augenblick mit einem Platzregen rechnete.

Und tatsächlich ließen die ersten Regenschauer nicht lange auf sich warten. Die ungeschützten Männer waren sofort durchnässt und Ceretics Pferd stolperte auf den glatten, nassen Steinen der Straße ein ums andere Mal. Roggen, Hafer und Gerste auf den kleinen Feldern, die zu beiden Seiten aus dem Grau tauchten und von nahen Dörfern kündeten, waren vom Regen niedergedrückt. Es würde eine schlechte Ernte werden dieses Jahr.

Erst gegen Mittag erreichten sie endlich das Ende des Höhenzuges. Unter ihnen entdeckte er ein kleines Dorf am Ufer eines sehr breiten Flusses oder Meeresarms. In dem gesamten Tal hingen die Regenwolken nun als dichter Nebel fest. Das musste der Abus sein, überlegte Ceretic. Am anderen Ufer, von den Wolken verborgen, wartete also der Schauplatz des gräulichen Gemetzels, dem Vortigern vor wenigen Tagen nur mit knapper Not entronnen war.

Doch Ceretic blieb nicht lange mit seinen Gedanken allein. Ein Bote des Königs kam auf seinem Pony die nassen Reihen entlang geprescht. Die Hufe warfen den Kriegern Dreck ins Gesicht, doch er achtete nicht darauf. Als er Ceretic erreichte, dampfte das kleine Pferd in der Kälte. „Ritter Ceretic! Der König lässt euch rufen.“

Ceretic drückte seinem Pferd die Hacken in die Flanken und scherte aus der Kolonne aus.

„Vortimer, du nimmst zwanzig Krieger meiner Eskorte und siehst nach, ob irgendwo am Flussufer Boote zu finden sind“, befahl der Hochkönig in dem Moment, als Ceretic in Hörweite kam. „Wir wissen nicht, ob sich Feinde auf unserer Seite des Flusses befinden, also sei vorsichtig.“ Sein Blick fiel auf den gerade herangeeilten Übersetzer. „Du, Ceretic, schließt dich ihm an. Die Sachsen werden nämlich als erste über den Fluss setzen.“

Ceretic stöhnte innerlich, doch er reihte sich gehorsam hinter Vortimer ein. Die Römerstraße führte steil in das kleine Dorf hinab, welches der ortskundige Krieger mit dem ziemlich einfallslosen Namen Ad abum bezeichnet hatte. Die Hütten der Flussschiffer und Fischer standen verlassen und windschief wie eh und je. Die Blaken waren vom Regen geschwärzt und das alternde Reed mit dicken Brocken Moos bedeckt. Nirgends Spuren von Kampf, Brand und Plünderung. Aber auch hier zeigte sich keine Menschenseele und so hielt es Vortimer offenbar nicht für notwendig, die ärmlichen Hütten einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.

„Kein Wunder, dass hier niemand ist. Bei dem Wetter schickt man ja keinen Hund vor die Tür, wobei ich bei Pikten eine Ausnahme machen würde“, schimpfte er.

Sie trabten auf der alten Straße weiter bis zum Flussufer. Vor ihnen strömte das graue Wasser rasch in Richtung See. Der Regen und die hereinkommende Flut hatten den Strom über die Ufer treten lassen. Von der gegenüberliegenden Seite war hier im Tal noch weniger zu erkennen als oben von der Höhe aus.

„Seht nur, die Boote liegen noch da, wo wir sie verlassen haben!“ Einer der Reiter, der die Flucht des britannischen Heeres miterlebt hatte, zeigte nach vorn.

Tatsächlich entdeckte nun auch Ceretic durch die wallenden Nebelschwaden die Umrisse mehrerer Boote, die kieloben verlassen auf den Kieseln des Flussstrandes lagen.

„Bei unserem Rückzug haben wir die Boote aber nicht umgedreht. Irgendjemand muss hier gewesen sein!“, rief ein anderer Krieger alarmiert.

Einen Augenblick herrschte erschrockenes Schweigen. Dann sprach Vortimer aus, was alle dachten: „Die Pikten müssen mit den übrigen Booten über den Fluss gekommen sein.“

Ceretics Rechte tastete unwillkürlich nach seinem Schwert.

„Halt, wer da?“, erklang plötzlich hinter ihm die Stimme eines von Vortimers Männern.

Ceretic fuhr im Sattel herum, während sich seine Finger um den römischen Schwertknauf schlossen. Doch es waren keine bemalten Pikten, die sich aus einem Hinterhalt auf sie stürzten. Drei einfache alte Männer näherten sich schüchtern zu Fuß.

„Willkommen, willkommen, werte Krieger!“, rief einer von ihnen noch von weiten und hob die leeren Hände. „Ich bin der Comarchus von Ad abum!“, stellte er sich beim Näherkommen vor. „Werdet ihr die Pikten nun für ihre Frevel züchtigen, werter König?“, sprach er Vortimer an und verneigte sich tief.

„Ich bin Prinz Vortimer und habe allerdings vor, die Pikten mit blutigen Köpfen hinter den hohen Steinwall zu werfen“, entgegnete der Angesprochene. Ein schmallippiges Lächeln zeigte, wie sehr ihm die Anrede „König“ gefiel. Er hielt sich auch wie ein Herrscher im Sattel, während sein Pferd unruhig auf den Kieseln des Strandes tänzelte. Die eisernen Hufsandalen schlugen trotz der Nässe Funken aus dem Stein. Widerwillig erkannte Ceretic an, dass dieser Mann von allen Beratern des Königs wohl am ehesten fähig wäre, seinen Worten Taten folgen zu lassen.

„Dem Herrn sei Dank!“, stieß der Dorfvorsteher hervor. „Wir fürchteten, die Pikten könnten den Fluss im Westen umgehen und uns so überfallen. Nach dem …“ Hier machte er eine kurze Pause und sprach dann schnell weiter: „Nach dem Abzug des britannischen Heeres haben wir alle Boote ans Südufer des Abus geholt.“ Er zeigte auf die Boote am Ufer. „Leider hat das Hochwasser inzwischen etliche weggeschwemmt, die weiter unten lagen.“

„Und was ist dann passiert? Habt ihr Pikten gesehen?“, wollte Vortimer wissen.

„Wir hatten kaum die Boote auf unserer Seite, da erschienen ihre Reiter dort drüben am Ufer.“ Der Comarchus machte eine ausladende Geste in Richtung Norden. „Am Abend haben sie Peturaria niedergebrannt. Zum Glück sind die Frauen, Kinder und Alten von dort vorher mit an unser Ufer gekommen.“ Er schaute traurig zu Boden. „Den wenigen, die ihr Dorf nicht verlassen wollten, ist es nicht gut bekommen. Bevor gestern Abend dieser Nebel aufzog, haben wir auf der anderen Seite immer noch Pikten gesehen. Zu uns herüber konnten sie nicht ohne Boote und wegen des Hochwassers.“

„Seht her. Hier ist ein einfacher Fischer, der seinen Kopf behält und das einzig Richtige tut. Anstelle ‚Pikten, Pikten‘ zu schreien und sich zu verstecken, hat er die Boote in Sicherheit gebracht und dem Feind so den Übergang über den Fluss unmöglich gemacht“, lobte Vortimer den alten Dorfvorsteher. Einige der Männer, die dieser indirekte Tadel traf, sahen beschämt zu Boden oder blickten ihren Prinzen finster an. Vortimer zog eine Silbermünze aus der Tasche und warf sie dem alten Mann zu. „Für deine Dienste. Die Boote werden wir jetzt brauchen. Nur schade, dass so viele abgetrieben sind. Sind diese hier denn noch einsatzfähig?“

„Unsere eigenen Fischerboote haben wir hoch auf den Strand gezogen. Die sind gut und dicht. Und einige der anderen Boote konnten wir auch noch retten“, beteuerte der Comarchus. „Das Bootsgerät und die Ruder haben wir in unseren Hütten in Sicherheit gebracht.“

Ceretic konnte sich gut vorstellen, wie sich die Menschen in diesem von Vortigern und seiner Armee im Stich gelassenen Kaff gefühlt hatten, als sich von Süden ein Heer näherte. Schließlich hatten sie die wilde Flucht der Britannier gerade erst vor wenigen Tagen erlebt. Und ohne ihn und die Sachsen wäre nun kein Retter gekommen, sondern tatsächlich das Verderben über sie hereingebrochen.

Vortimer blickte derweil nachdenklich zu den Booten hinüber. Dann sah er auf und zeigte auf zwei seiner Leute.

„He da, ihr zwei: Reitet zu meinem Vater und lasst die Männer hier ins Tal kommen“, befahl er ihnen. Dann fiel sein Blick auf Ceretic und ein Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. „Ritter Ceretic, du reitest mit ihnen und holst als erstes die Sachsen hierher. Wir haben ja beschlossen, dass sie die Vorhut bilden sollen. Und schließlich sagt man doch, dass sie sich mit Booten bestens auskennen.“

Ceretic wendete gehorsam seinen Wallach, während sich seine Nackenhaare sträubten. Vortimers Grinsen gefiel ihm gar nicht. Und tatsächlich war das noch nicht alles gewesen.

„Und verrate ihnen nichts von dem Bootsgerät in den Häusern dieser armen Fischer. Wir wollen ja nicht, dass diese Barbaren unsere beherzten Untertanen doch noch ausplündern“, rief Vortimer ihm nach.

Ceretic sah ihn verwundert an, drückte seinem Reittier dann aber die Fersen in die Flanken und galoppierte hinter den beiden Boten den Hang hinauf. Einen Reim konnte er sich auf Vortimers Befehle nicht machen. Was sollte nur der Unsinn mit dem Bootsgerät?

Dann kam ihm ein böser Verdacht. Sehenden Auges schickte Vortimer die Sachsen in ihr Verderben. Aufgrund des Mangels an Riemen konnten sie nur mit einem oder zwei Booten gleichzeitig über den Abus setzen und mussten so auf einen überlegenen Gegner treffen. Mit welcher Hinterlist und Geschwindigkeit er diesen Plan ersonnen hatte, versetzte Ceretic in Staunen. Aber Vortimer hatte ja bereits angekündigt, dass er die Sachsen züchtigen wollte. Und er selbst sollte es sein, der seine stolze Truppe und damit auch Rowenas Vater ins offene Messer führte. Auf einmal hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Oh Herr im Himmel, ich weiß, ich sollte dich nicht immer nur in Not anrufen, schickte er ein Stoßgebet in den grauen Himmel hinauf, aber du bist der einzige, der mir jetzt helfen kann!

Brand und Mord. Die Britannien-Saga

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