Читать книгу Die 20 erfolgreichsten Fernsehserien in Deutschland - Sybille von Goysern - Страница 60
Gesellschaftspolitische Bedeutung
ОглавлениеDen Folgen kann auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung zugeschrieben werden: Erstmals trat im deutschen Krimi der Konflikt zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten auf. In diesem Kontext kann auch die Figur des 1981 eingeführten Kommissars Schimanski gesehen werden. Mit ihm trat erstmals ein Ermittler auf, der eindeutig und wahrnehmbar der Arbeiterklasse entstammt.
Beim Tatort wurden so immer wieder gesellschaftlich brisante Themen in einer populären Form aufbereitet. Die Thematik der deutschen Teilung wurde wiederholt aufgegriffen, so beispielsweise in der ersten Folge, Taxi nach Leipzig, sowie in Transit ins Jenseits (1976) und in der Schimanski-Folge Unter Brüdern (1990). In letzter Zeit wird beim Tatort öfter das Konzept des Eindringens in ein relativ selbstständiges Milieu verfolgt. Als Milieus kommen beispielsweise in Frage: Wirtschafts-, Politik- und Finanzmilieus, Unterschichten-, Migrations- und Außenseiter-Milieus, Jugend- und Vereinsmilieus (beispielsweise Feuerwehr, Gartenkolonie, Sportvereine) oder Gruppierungen des eng umgrenzten organisierten Verbrechens. Durch die Konzentration auf das engere Umfeld gelingen oft nahe Einblicke auch für Zuschauer, die in der Realität kaum Kontakt zu diesen vielgestaltigen Milieus haben. Es gehört sogar zum Konzept der Sendereihe, dass sich die Ermittler oft erst selbst einen Überblick über die am Tatort vorgefundenen neuen Verhältnisse verschaffen müssen. Das „gewöhnliche“ Verbrechen, das quasi jedermann widerfahren kann und dessen kriminalistische Aufklärung kaum Probleme aufwirft, ist dramaturgisch völlig ins Abseits geraten. Es hat eine eigene Krimigattung hervorgebracht: den Faction-Psychokrimi, der die psychische Konstitution des Täters in den Mittelpunkt stellt. Daneben werden aber auch aktuelle Themen aus nationaler wie internationaler Politik dargestellt. So handeln auch verschiedene Tatort-Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen, in jüngerer Zeit liefen hierzu die Folgen Heimatfront und Fette Hunde mit aus Afghanistan zurückgekehrten Bundeswehrsoldaten.
Eine besondere Stellung in diesem Zusammenhang hat das Thema "Migration", das besonders häufig in der Reihe aufgegriffen wurde. Schon die erste deutliche Thematisierung der Migrationsproblematik in Tod im U-Bahnschacht (1975) mit Erdal Merdan in der Hauptrolle führte zu Zuschauerprotesten und unter anderem einer Beschwerde von Franz-Josef Strauß beim SFB. Die Folge Wem Ehre gebührt zog später sogar eine öffentliche Demonstration der dargestellten Bevölkerungsgruppe nach sich.
Insbesondere auch die gesellschaftspolitischen Aspekte haben den Tatort zum Gegenstand wissenschaftlicher Betätigung gemacht, vorwiegend in den Bereichen Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaften.