Читать книгу Eure Liebe - Sylke Richter - Страница 26

Оглавление

3Start bei hochstrittigen Paaren

Toni: Das klingt alles so harmonisch. Ich berate gerade ein Paar, das aus der Eskalation nicht herauskommt. Sie schreien sich an, verletzen sich, schneiden sich das Wort ab und ich komme kaum dazwischen. Ich müsste genauso schreien wie sie, um gehört zu werden. Ich frage mich, wie streng ich sein darf, wie resolut? Was ist meine Rolle? Und dann habe ich ein anderes Paar, da habe ich das Gefühl, sie brauchen gar nichts von mir, nur meinen Praxisraum. Mein Einsatz ist fast lautlos. Ab und zu nicke ich oder fasse etwas mit meinen Worten zusammen, das reicht.

Unsere Rollen sind tatsächlich bei jedem Paar andere. Mal begleitend, mal strukturierend, mal müssen wir uns mehr einbringen, mal weniger.

Zunächst eine Antwort auf die Frage der Rollenfindung. Ein Kollege hat aus einem Paartherapie-Workshop vor Jahren bei Danie Beaulieu eine sehr hilfreiche Skalierung zur Einschätzung der Beziehungsqualität bei Paaren mitgebracht. Für eine schnelle Orientierung ist sie sehr nützlich.

Stell dir eine Skala von Null bis Zehn vor, die die Beziehungsqualität des Paares, was vor dir sitzt, beschreibt.

0–3 Feuer löschen, keine Therapie!

In diesem Bereich haben wir es oft mit hochstrittigen Paaren zu tun. Es gibt heftige Konflikte, keine gemeinsamen Aufträge, möglicherweise Gewalt, Drohungen und halb vollzogene Trennungen. Für die Therapeuten bedeutet das: Hier ist keine Therapie möglich. Es geht eher darum, die Eskalationen zu stoppen und das Feuer zu löschen. Die Therapeutenrolle erfordert hier absolute Klarheit für den Rahmen des Prozesses:

•Viel Führung und Struktur!

•Juristische Schritte sollten während des Beratungsprozesses ruhen.

•Zu Beginn wird nur über den Therapeuten kommuniziert (keine direkte Ansprache).

•klare Regeln für die Lautstärke der Kommunikation

•Gesprächsregeln

•Unterbrechungsregeln

•Schutzregeln: keine Verletzungen, keine Demütigungen, keine Gewalt, weder verbal noch nonverbal

•Konsequenzen bei Regelverstößen müssen ebenfalls geklärt sein.

Toni: Kurze Zwischenfrage. Wer setzt die Konsequenzen fest?

Du als Therapeutin. Wenn du merkst, dass alles nichts fruchtet, kannst du die Beratung abgeben, aussetzen oder Auflagen dazwischenschieben. Auflagen wie einen Anti-Gewaltkurs belegen, einen Miniworkshop bei einem Kollegen zu gewaltfreier Kommunikation besuchen o. a. Meistens wird das vorab besprochen und die Beratung am Ende reflektiert. Hier kann das Problematische schon aufgegriffen werden: »Noch eine Stunde in dieser Lautstärke wird mit mir nicht stattfinden. Entweder Sie akzeptieren mein Stopp oder wir müssen das hier beenden.« Dann wird die nächste Stunde vorbereitet. Natürlich wird auch das, was gut gelaufen ist, betont. »Danke, dass Sie so gut auf die Regeln geachtet haben. Ich weiß, es fällt Ihnen schwer, Ihrer Frau bis zum Ende zuzuhören. Das war heute gut!« Das Paar muss mit den Regularien einverstanden sein.

Bestenfalls ist das Paar irgendwann wieder so weit, von der indirekten zur direkten Ansprache zu wechseln. Da du weiterhin die Erlaubnis hast, zu unterbrechen und zu regulieren, nutze es. »Stopp! Ich unterbreche an der Stelle Ihren Vorwurf und mache einen anderen Vorschlag. Meinen Sie mit dem, was Sie sagen, dass es Ihr Wunsch wäre, dass …« Wann immer es passt, führe unaufgeregt eine andere, konstruktive Sprache ein. Immer und immer wieder.

3–8 Paartherapie

In diesem Skalen-Bereich verfügen die Paare meistens über ein gutes Fundament. Obwohl sie in zu vielen Konflikten, unguten Kompromissen und Vorwürfen verstrickt sind, gibt es oft den gemeinsamen Auftrag: Es soll besser werden! In diesem Bereich können Therapeuten gut bei den Paaren andocken. Viele Vorschläge, Interventionen und Übungsaufgaben des Therapeuten werden als Unterstützung erlebt und angenommen. Hier geht es darum, den Blick für die eigene Verantwortung zu schärfen. Eigene Anteile an der Eskalation wahrzunehmen und zu verändern. Weg von: Du bist schuld, dass ich unglücklich bin (Vorwurf)! Hin zu: Ich bin für die Erfüllung meiner Bedürfnisse selbst verantwortlich (Selbstverantwortung).

8–10 Moderation

Diese Paare brauchen manchmal nur pragmatische Unterstützung, Zeit und Raum, um ins Reden zu kommen, oder gezielte Klärungshilfe. Hier agieren die Paartherapeuten in der Regel eher als Moderatoren. Die Trennschärfe der Bereiche ist nur im Bereich der hochstrittigen Paare zu den Paaren, die es noch schaffen, einander zuzuhören und aufeinander einzugehen, gegeben. Im oberen Skalenbereich verwischen die Grenzen zunehmend und auch die verschiedenen Rollen (Therapeut, Beraterin, Coach) verschwimmen.

Toni: Bleiben wir noch kurz bei den hochstrittigen Paaren. Wenn mir das zu viel wird, darf ich ablehnen?

Unbedingt! Alles, was nicht in deinen Kompetenzbereich fällt, darf abgelehnt werden. Es gibt Beratungsstellen, die sich auf das Thema Hochstrittigkeit spezialisiert haben, und es gibt viele gut ausgebildete Mediatoren, die die verschiedenen Ebenen, die bewusste, unbewusste und die moralische Ebene, in ihren Mediationen berücksichtigen.

Mediatoren, die nur auf der bewussten Ebene arbeiten, erreichen leider nicht viel. Das wäre so, als würde man einem übergewichtigen Sportmuffel eine Schulung über aktive Bewegung und gesundes Leben geben. Im Kopf ist ihm alles klar. Doch er kann nicht. Weder sich bewegen noch gesünder ernähren. Tief innen gibt es einen kräftigen Boykottierer. Einen Verweigerer, der zunächst, vor allen anderen Maßnahmen, gehört werden muss.

So ähnlich ist es auch bei hochstrittigen Eltern oder Paaren. Beide agieren aus einem tiefsitzenden Mangel heraus, der Angst, alles zu verlieren, der Angst, dass alle Menschen »da draußen« zum anderen halten werden. Die Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Ungerechtigkeit manifestieren sich in Wut und Aggression. Das zu fühlen ist tausend Mal besser, als (wieder) ein Opfer und hilflos zu sein.

Nur auf der moralischen Ebene zu bleiben, nützt leider auch nichts. Mit Sätzen wie: »Sie wollen doch auch, dass es Ihrem Kind gut geht«, können beide gerade nichts anfangen, weil es beiden schlecht geht. Bildlich haben wir zwei Schwerverletzte vor uns liegen, die die Aufgabe haben, sich erst mal um ihr Kind zu kümmern. Das funktioniert nicht.

Es geht um tiefliegende Emotionen, schlimmste Schmerzen, reaktivierte Kindheitserinnerungen und Zukunftsangst auf beiden Seiten. Es geht um einen großen Mangel, Enttäuschung und Hass. Das ehemals verletzte und vernachlässigte Kind ist zu einem inneren verletzten, vernachlässigten Kind geworden und klopft lautstark an. Will endlich Gerechtigkeit, gesehen und gehört werden.

Beide sollten mit therapeutischer Hilfe so weit wie möglich aus der Angst geführt werden, um erwachsene Entscheidungen treffen zu können. Sie brauchen Unterstützung, die verschiedenen Ebenen voneinander zu trennen. Die Elternebene von der Paarebene, die Kindheitsereignisse von den aktuellen Ereignissen, sodass beide wieder in die Verantwortung für sich selbst und die gemeinsamen Kinder kommen.

Das Vernünftige, das Moralische kommt erst, wenn das Unvernünftige, Irrationale seinen Platz gefunden hat. Beide sehnen sich zutiefst danach, verstanden zu werden.

Und das Kindeswohl, falls es Kinder gibt?

Die Versorgung und Unversehrtheit der Kinder müssen gesichert sein. Bei hochstrittigen Eltern ist das zuständige Jugendamt in der Regel bereits schon länger eingeschaltet und mehrere Erwachsene haben hoffentlich ein Auge auf die Kinder. Erzieher, Lehrerinnen, Pädagogen aus dem Freizeitbereich.

Alles klar so weit. Bleiben wir bei den therapiewilligen Paaren aus dem oberen Skalenbereich.

Eure Liebe

Подняться наверх