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6Unterschiedliche Aufträge – Was nun?

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Toni: Fast immer kommen die Paare ja mit unterschiedlichen Aufträgen. Mein aktuelles Paar hatte zum Glück den gemeinsamen Wunsch, sich wieder mehr Zeit füreinander zu nehmen. Die Paarberatung sollte der Einstieg sein und sie machen das gut. Handeln aus, was jeder beisteuern kann, und selbst der gemeinsame Beratungstermin ist ein Event. Danach gehen sie immer gemeinsam essen. Was mache ich, wenn sie mit unterschiedlichen Aufträgen kommen?

Zunächst: Hab keine Angst vor der Unterschiedlichkeit. Zur Paartherapie melden sich die Paare ja oft in einer kritischen Phase an, wenn sie sich zu sehr an den Unterschiedlichkeiten reiben. Deshalb ist es nur stimmig, wenn sie auch unterschiedliche Aufträge und Wünsche in die Beratung mitbringen. Meistens gibt es den übergeordneten Auftrag: Es soll beiden miteinander wieder besser gehen. Wenn ich davon ausgehe, dass das die gemeinsame Überschrift ist, lass ich mir das kurz bestätigen und dann geht es zurück in die Unterschiede.

Konkrete Frage:

•»Kann ich davon ausgehen, dass euer gemeinsamer Wunsch ist, dass ihr euch miteinander wieder wohler fühlt, oder ist es etwas anderes?«

Ist das nicht zu suggestiv?

Da gebe ich meine Annahme in die Frage, sodass sie sich geschlossen und suggestiv anfühlt, richtig. Aber mit dem Zusatz »… oder geht es um etwas anderes?« öffne ich die Frage wieder.

Also bestenfalls bestätigen sie, dass es das ist, was sie wollen. Zusammenbleiben und es soll ihnen wieder besser gehen, miteinander. Und wenn eigentlich einer gehen will?

Wenn ich mir ganz unsicher bin, wo die Reise hingehen soll, frage ich, ob es sich um eine Trennungsberatung oder eine Wir-wollen-als-Paar-zusammenbleiben-Beratung handelt. Die Paare dürfen alles: klar sein, ambivalent sein. Wir müssen nur wissen, unter welcher Überschrift wir gerade sprechen. Und manche bleiben ewig in der Ambivalenz von Bleiben oder Gehen gefangen. Doch erinnere dich, wir müssen nichts lösen. Wir spiegeln, was wir hören:

•»Da gibt es also schon länger eine Ambivalenz.«

•»Ganz klar, ihr wollt zusammenbleiben.«

•»Alex ist unsicher, Steffi will bleiben.«

Das Benennen ist das Dach, der Rahmen, und die beiden entscheiden, was unter dem Dach passieren soll. Ob wir in dieser Stunde in die Annahme gehen, dass die Beziehung weitergehen wird, oder ob wir in dieser Stunde die Trennung besprechen. Alles ist möglich, solange es transparent ist.

Bleiben wir bei dem oben genannten Fallbeispiel. Für den Mann stand das Thema Sexualität an oberster Stelle, für die Frau waren es andere Themen. Sie möchte mehr gemeinsame Zeit mit ihm verbringen. Beide haben einen vollen Alltag und leben in getrennten Wohnungen. Sie sehnt sich nach mehr Zeit ohne Sex. Reden, kochen, ins Kino gehen. Sie wünscht sich, dass sie besser streiten können, ihr Mann soll empathischer sein. Er hat später noch dazugeschrieben, dass sie ihn nicht immer mit Rückzug und Schweigen bestrafen soll. Sie soll mit ihm reden, statt zu schmollen.

Auch wenn da zwanzig Zettel liegen sollten, muss das Paar ins Gespräch darüber kommen, womit sie beginnen möchten. Das ist dann wieder das Gemeinsame: Womit fangen wir an?

An dieser Stelle hilft es zu betonen, dass es keine Rolle spielt, mit welchem Thema begonnen wird, da sowieso alles miteinander zusammenhängt. Das entspannt die meisten. Ermutige sie, nicht mit dem brisantesten Thema anzufangen. Sie könnten sich auch an den Händen fassen und blind auf einen Zettel tippen. Es liegt an uns, den Prozess zu rahmen und die Bedeutung des ersten Themas zu relativieren.

Wenn es, wie im Fallbeispiel, so klar benannt wird, dass das (für den Mann) wichtigste Thema erst in der fünften Stunde besprochen werden soll, frag nach. »Herr A., wie ist das für Sie, wenn Ihr Thema erst in der fünften Stunde besprochen wird?«

»Ich kenne das schon«, sagte er. »Eigentlich will meine Partnerin nie darüber reden, deshalb bin ich schon froh, dass sie überhaupt eingewilligt hat. Von mir aus auch in der fünften Stunde.« Ich kann nun entscheiden, ob ich das als Einigung belasse oder weiterfrage.

Als ich zu ihr schaue, sehe ich, wie weich sie ihren Partner nach seiner Antwort anschaut, und entscheide mich, das Weiche zu verstärken. Zu Herrn A. gewandt. »Können Sie das, was Sie mir gerade gesagt haben, noch einmal direkt Ihrer Partnerin sagen?« Es fällt ihm sichtlich schwer, doch dann traut er sich. Räuspert sich und sucht ihren Blick. »Bienchen, eigentlich willst du nie über unsere Sexualität reden, deshalb bin ich froh, dass du überhaupt mitgekommen bist, und fünf Stunden habe ich nun auch noch Zeit.« Die Luft knistert und so wie er ihren Kosenamen, Bienchen, ausspricht, schwingt da sehr viel Zärtlichkeit mit.

»Danke, Martin«, bringt sie leise hervor und knetet ihre Hände, bis die Knöchel weiß sind.

Sobald es die Möglichkeit gibt, die Menschen in einen ehrlichen Kontakt zu bringen, nutze die Gelegenheit. »Bring sie in Kontakt!«, war der meist gesagte Satz meiner alten Mentorin. »Lass dir was einfallen, aber bring sie wieder in Kontakt«, wiederholte sie wie ein Mantra.

Heißt das, man darf auch Zunder legen und »negativen« Kontakt, Konflikte anfachen?

Wenn es für den Prozess und den übergeordneten Auftrag nützlich ist, leg Zunder.

Eure Liebe

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