Читать книгу Eure Liebe - Sylke Richter - Страница 27

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4Was hilft, um mich nicht auf eine Seite ziehen zu lassen?

Wenn deine einführenden Worte, die deine Rolle erklären sollen, und deine innere Haltung (»Es geht um euch, eure Liebe«) nicht ausreichen, deine Rolle zu verdeutlichen, visualisiere es.

Fallvignette

Herr A. ruft an und kaum, dass ich abgenommen habe, sprudelt er los: »Schön, dass ich Sie erreiche. XY hat Sie empfohlen. Meine Partnerin und ich möchten gerne einen Termin vereinbaren. Bei uns geht es um das Thema Sex.«

Selten fängt jemand so ein Gespräch an, aber gut. Sein Thema ist direkt auf dem Tisch. Beherzt folge ich meiner Mission, am Telefon nicht in die Themen einzusteigen. Immer, wenn er versucht, mir mehr zu erzählen, unterbreche ich freundlich und bestimmt. »Das besprechen wir gemeinsam mit Ihrer Partnerin. Glauben Sie mir, es ist besser, zusammen zu starten.« Irgendwann hat er ein Einsehen und wir verabreden einen ersten Termin. Wie immer erkläre ich auch, dass wir nach dem ersten Termin entscheiden, ob die Chemie passt, ob wir weiterhin zusammenarbeiten wollen oder auch, ob es nicht passt. Die Option, dass es auch nicht passen darf und dass das nur zu menschlich ist, soll von Anfang an den Druck und die Erwartungen auf allen Seiten herunterfahren.

Dann ist es so weit, der erste Termin von Herrn und Frau A. steht bevor. Der Stuhlkreis ist vorbereitet und bereits beim Öffnen der Tür spüre ich die skeptische, abwartende Haltung der Frau und die Überschwänglichkeit ihres Partners. Sie steht leicht hinter ihm und als sie mir die Hand reicht, fühle ich mich gescannt und notiere im Geiste, dass ich sie irgendwie ins Boot holen muss. Herr A. ist charmant, zuvorkommend und stolziert ein bisschen vor uns, den beiden Frauen, im Raum herum. Schiebt uns die Stühle zurecht, fragt, ob wir etwas trinken möchten. Hilft ihr aus dem Mantel. Hält mir die Tür auf. Wir sind alle drei im gleichen Alter, um die fünfzig. Pass auf, warnt mich eine innere Stimme. Der Mann flirtet und macht in Nullkommanichts aus uns Dreien ein »Ihr, ihr zwei Frauen, und ich, der Mann im Raum«.

Frau A. setzt sich, verschränkt die Arme vor der Brust und wartet ab, was passiert. Als beide sitzen, eröffnet Herr A. nonchalant das Gespräch, als wären wir in einer Bar oder in seinem Wohnzimmer. Seine Gestik ist weit ausholend, Raum einnehmend. »Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, geht es bei uns um Sex. Alles andere ist super.« Ihr Mund zuckt, doch sie sagt kein Wort.

Meine Gedanken sprudeln durcheinander: Herr A. hat das Zepter in der Hand, er führt und ich sollte ihn schleunigst davon befreien. Es gibt kein Wir – wir Frauen. Es gibt nur mich und das Wir gehört zu ihm und seiner Partnerin. Doch dieses Mal komme ich nicht zum Zuge. Normalerweise frage ich, ob sie Paarberatung kennen, und beglückwünsche sie zu ihrer Entscheidung und zu ihrem Mut, sich Hilfe zu holen. Doch heute läuft alles anders.

»Moment«, unterbreche ich blitzschnell, schiebe meinen Stuhl zurück, stehe sogar auf, um zu verdeutlichen, dass ich jetzt dran bin und das Zepter übernehme. Als Allererstes werde ich meine Rolle im Raum klarmachen, krame nach einem langen Seil und erkläre mich dabei. Lasse ihm keine Lücke, dazwischenzufunken.

»Bevor wir loslegen, möchte ich Ihnen etwas zu meiner Arbeitsweise sagen. Darf ich?« Beide nicken synchron, lehnen sich zurück. Sein Fuß wippt ungeduldig. Sie schaut inzwischen zu mir.

»Nicht wundern, ich lege jetzt dieses lange Seil um Sie beide.«

»Haha, werden wir jetzt gefesselt?«, fragt er und zwinkert seiner Partnerin zu.

»Nur, wenn Sie beide nicht machen, was ich sage«, antworte ich. Sie lacht und ich nutze meine erste Chance, eine Abtrennung von mir, als Außenstehende, und den beiden als Paar hervorzuheben.

»Das Seil soll verbildlichen, dass es hier um Sie beide geht. Es ist Ihr Leben und Ihre Beziehung. Alles, was wir hier besprechen, kommt auf diese Bühne, den Raum zwischen Ihnen. Alles, was an Themen auftauchen wird, geht Sie beide etwas an. Ich bin hier außen.« Demonstrativ stelle ich meinen Stuhl noch ein bisschen weiter weg vom Seil. »Ich gehöre nicht dazu und was ich als Außenstehende in dem ganzen Prozess der Paarberatung machen kann, ist Folgendes:

Ich moderiere Ihre Gespräche, begleite Sie beide mit viel Respekt und Wertschätzung, achte darauf, dass Sie gleiche Redezeiten haben, dass die Themen, die auf den Tisch oder diese Bühne hier kommen, Gehör finden. Ich kann Ihnen auch von Lösungsideen anderer Paare erzählen, kann Sie zu kleinen Übungen einladen. Kann versuchen, dass Sie neue Blickwinkel einnehmen. Meine wichtigste Aufgabe sehe ich darin, Ihre Beziehung im Blick zu behalten und darauf zu achten, dass Sie beide im Kontakt sind.«

Noch sind sie still, und bevor es weitergeht, schreibe ich SEX auf einen Zettel und lege den Zettel zwischen beide, innerhalb ihres Kreises, auf den Boden. »Bisher habe ich das als Thema von Ihnen, Herr A., gehört.« Zufrieden, dass sein Anliegen aufgeschrieben und für alle sichtbar im Raum liegt, nickt er und schaut zu seiner Frau. Auch ich drehe mich nun zu ihr. »Frau A., wollen Sie etwas ergänzen oder nicken Sie und sagen ›Ja, genau darum geht es. Das ist unser schwierigstes Thema‹?«

Sie seufzt und beugt sich vor. »Ja, das, was da auf dem Zettel steht, ist eins unserer schwierigen Themen. Aber ehrlich gesagt, ich rede nicht mit einer völlig fremden Frau in der ersten Stunde über unsere Sexualität.« Endlich schaut sie mich an und ich bin froh über ihre eindeutigen Worte. Ganz in Ruhe fängt sie an, weitere Themen zu benennen.

Herr A. fragt seine Frau am Ende, wann sie denn über Sex reden wolle. Sie überlegt einen Augenblick, schaut auf den Boden zu den vielen Themen, die da verstreut liegen. »Frühestens beim fünften Termin. Ich brauche erst mehr Vertrauen.« Ihr Blick wandert zu mir. »In das Ganze hier.« Ich nicke. »In das Ganze hier und natürlich auch in mich. Wir kennen uns jetzt erst eine Stunde. Alles gut.«

Tja, nun weiß man nicht, ob das schon die Hauptthemen des Paares sind: seine Ungeduld und ihr Hinhalten. Doch Vorsicht mit den Vorannahmen. Manchmal bestätigen sie sich, manchmal nicht. Wie schon erwähnt, wird alles, was in uns auftaucht, als Hypothese behandelt, die es zu prüfen gilt.

Das sichtbar auf dem Boden liegende Seil hat mir schon oft geholfen, Druck herauszunehmen, meine Rolle und Aufgabe zu relativieren und Allparteilichkeit zu demonstrieren. Immer wieder kann ich so auf den Kreis verweisen, wenn zu viel Verantwortung zu mir geschoben wird. Die beiden müssen sich einigen, was ihre Themen sind. Nicht ich. Es ist ihre Beziehung. Nicht meine.

Eure Liebe

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