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Einleitung

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Wenn zwei Menschen sich ineinander verlieben, leuchtet es. Zwischen ihnen, um sie herum, hinein in den Alltag, und alles, wirklich alles scheint möglich zu sein. Der Anfang kann leise sein, ein zartes Kribbeln oder laut wie ein Paukenschlag, der zum Innehalten verdonnert. Oder auch ganz vernünftig, abwägend, mit leisen Stimmen, die flüstern: Das passt. Behalt den oder die im Auge.

Für die, denen es gerade passiert, dreht sich die Welt entweder eine Spur schneller oder sie bleibt stehen – vor lauter Wonne, lauter Glückstaumel. Liebestrunken werden die beiden immer wieder in Aufruhr versetzt, geraten in einen Überschwang aus Sehnsucht und Verlangen. Fühlen sich nur in der Nähe des geliebten Menschen vollständig und begegnen durch dessen Augen der schönsten Version ihrer selbst. Genießen das Zerfließen der Grenzen von Du und Ich, das Verschmelzen zu einer symbiotischen Einheit. Einem Ganzen. Du bist ich. Ich bin du. Alles ist gut.

Doch eine ewige Symbiose würde jegliche Entwicklung verhindern und die aufkeimende Liebe sofort wieder ersticken. Es ist nur natürlich und folgerichtig, nach intensiver Nähe und Zweisamkeit wieder einen Schritt zurückzutreten. Durchzuatmen und sich in seinen individuellen Lebensraum zu begeben, um dann erneut Nähe zulassen zu können.

Das Paradoxon dieser widersprüchlichen Bedürfnisse, nach Autonomie und Freiheit bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Verbundenheit und Geborgenheit, bringt viele Paare an die Grenzen des Machbaren. Der Freiheitswunsch des einen löst möglicherweise die Verlustangst des anderen aus und der Nähewunsch des anderen könnte als Einengung erlebt werden.

Jedes Paar, das beabsichtigt, länger zusammenzubleiben, wird einige Klippen umschiffen und fünf Entwicklungsstufen durchleben müssen. Diese verlaufen nicht unbedingt so nacheinander, wie es hier steht, sondern wechseln sich ab. Mal ist die eine Phase im Vordergrund, mal die andere. Bunt durcheinander:

1)Du bist ich.

2)Du bist anders.

3)Du bist nicht richtig.

4)Ich bin ich.

5)Du und ich sind wir.

Nach der Zeit der Verschmelzung sehen die Verliebten wieder klarer, erkennen das Anderssein des geliebten Menschen, denken das erste »Ach, guck an, was macht sie morgens für einen Stress? Ich mag es doch viel langsamer«. Oder »Wieso muss er plötzlich so viel arbeiten? War das vor einem halben Jahr auch schon so?«. Und dann beginnt die Zeit der Kompromisse, des Angleichens, des Umerziehens, des Feststeckens. Manche ruckeln sich fast leise zurecht, andere bleiben jahrelang in einer Art Umerziehungsphase oder im Vorwurf hängen: Wenn du anders wärst, wäre ich glücklicher! Wärst du mehr wie ich, wäre alles leichter. Und wieder andere trennen sich zügig, weil sie keine Lust auf den vorhersehbaren Stress haben.

Liebesgeschichten sind die ältesten Geschichten der Welt und werden gern erzählt. Im Film, in Büchern, auf der Bühne, in Songtexten, den Freundinnen, den Kindern und Enkeln. Wie hat es angefangen? Und dann? Und dann? Werden die Hürden genommen, die Prüfungen bestanden? Bleiben sie zusammen oder trennen sie sich?

In langjährigen Beziehungen erleben Paare immer wieder den Kreislauf von Verliebtheit, Enttäuschung, Entwicklung und Neuverliebtsein.

Erst vor Kurzem traf ich in einem Seminar ein Paar wieder, von dem ich wusste, dass es sich getrennt hatte. Umso erstaunter war ich, beide zu sehen. Mehr als zwanzig Jahre waren sie ein Paar gewesen, die Kinder fast erwachsen. In einer der Phasen des Enttäuschtseins trennten sie sich schließlich, ließen sich konsequenterweise auch scheiden und zogen räumlich auseinander. Die Missverständnisse und Verletzungen der letzten Jahre schienen unüberwindbar.

Beide haben in ihren jeweiligen neuen Leben Luft geholt, durchgeatmet, sich ihre Liebe mit dem Weitwinkel angeschaut, um zu verstehen, was eigentlich passiert war. Durch die Kinder waren sie weiterhin verbunden und blieben mit einem Auge neugierig aufeinander. Es dauerte fast drei Jahre, ehe sie sich wieder aufeinander zubewegten, einander neu kennenlernten und ein neues Kapitel ihrer Geschichte aufschlugen.

Als ich sie wiedertraf, sah ich, wie verliebt sie sich anschauten. Wie es wieder zwischen ihnen leuchtete. Um sie herum, hinein in den Alltag, und wieder schien alles möglich zu sein.

Eure Liebe

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