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3. Kapitel

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Es dämmerte bereits, als wir aus dem Zug ausstiegen.

Der Bahnhof ähnelte all den anderen, auf denen wir gewartet und umgestiegen waren.

Ich dachte an die Worte meiner Mutter: „Wenn du einmal nach Freiburg kommst, musst du zuallererst einen ganz tiefen Atemzug nehmen. Nirgendwo ist bessere Luft als dort. Die kommt vom Schwarzwald her.“ Und sie hatte recht. Es fiel mir sofort auf, sobald wir das Gepäck auf dem Bahnsteig abgestellt hatten.

Ich atmete ein paar Mal ganz tief ein und aus. So gute Luft hatte ich noch nie gerochen. Samtweich.

Mein Vater sah mich erstaunt an. „Was ist mit dir?“

„Na, die Luft. Merkst du das denn nicht? Mutter hat doch immer davon gesprochen!“

Einen Augenblick zögerte er, dann nahm er auch ein paar tiefe Atemzüge. Er lachte laut los. „Du hast recht.“

Ich war so glücklich. Ich sah ihn das erste Mal auf dieser langen Reise befreit lachen. Jetzt würde alles gut werden, und wir würden einen wundervollen Aufenthalt im Geburtsort meiner Mutter haben.

Wie sehr sollte ich mich täuschen!

An die erste Nacht in Freiburg kann ich mich kaum noch richtig erinnern. Es war eine laue Frühlingsnacht, und Vater bestand darauf, sie in einer Pension am Bahnhof zu verbringen, da er Tante Sabinelotte und ihre Familie so spät nicht mehr stören wollte.

Er hatte ihr geschrieben, dass wir kommen würden, hatte aber den Ankunftstag nicht genau bestimmen können, da er nicht gewusst hatte, wie wir bis Freiburg durchkommen würden. Also wartete an diesem Abend auch niemand auf uns.

Nachdem wir gegessen hatten, gingen wir noch ein wenig spazieren, und ich atmete immer wieder tief ein, worüber Vater schmunzeln musste.

Es war seltsam für mich, so am Rande der Stadt zu laufen, aus der meine Mutter kam und in der auch all unsere Vorfahren gelebt hatten. Ob ich wohl auch eher eine Deutsche als eine Engländerin war?

„Wie ist Tante Sabinelotte?“, fragte ich meinen Vater. „Du kennst sie doch.“

Erstaunt sah er mich an. „Nun, es ist viele Jahre her, dass ich sie kennenlernte. Sie ist die ältere Schwester deiner Mutter und hält die Familie zusammen.“

„Und Onkel Hans?“, fragte ich weiter.

„Margarethe, das hast du mich schon so oft gefragt. Er ist still und zurückhaltend, hat aber das Herz am rechten Fleck und tut alles für seine Familie. Auch deine Mutter kam gut mit ihm zurecht. Sabinelotte und er waren ja schon verheiratet, als ich sie kennenlernte.“

Das konnte mein Unbehagen, welches das ich selbst nicht recht verstand, auch nicht vertreiben. „Also ist Tante Sabinelotte der Mittelpunkt der Familie“, sprach ich aus, was ich dachte.

Meinen Vater schienen meine Fragen zu amüsieren. „Du hast ja Angst vor ihr!“

Zweifelnd fragte ich: „Klingt das so?“ Eigentlich hatte ich noch nie vor jemandem Angst gehabt.

Wieder lachte er los, und nach einem kurzen Moment stimmte ich mit ein. Das war doch wirklich zu komisch. Da liefen wir am Rande der Stadt, für die wir diese lange, anstrengende Reise unternommen hatten, und ich bekam Angst vor dem Zusammentreffen mit dem Menschen, der meiner geliebten Mutter am nächsten gestanden hatte, vielleicht sogar noch vor mir.

Wenn Mutter ihr geschrieben hatte, hatte ich ab und zu ein paar Zeilen hinzugefügt, und nach ihrem Tod schrieb ich ihr weiter, und wir trösteten uns gegenseitig. Tja, und jetzt würde ich sie endlich persönlich kennenlernen, und davor hatte ich regelrecht Angst.

„Deine Tante war damals schon rundlich, hatte lustige Löckchen und immer gerötete Backen. Und wenn sie entrüstet ihre Arme in die Hüften stemmte, dann schleuderten ihre Augen Blitze. Jeder respektierte sie, auch deine Mutter.“

Unsicher musste ich fragen: „Ob sie mich wohl mögen wird?“

„Ach, Maggie“, er unterdrückte wieder ein Lachen, „sie liebt dich doch jetzt schon abgöttisch. Du bist die Tochter ihrer einzigen Schwester. Wahrscheinlich könntest du fast alles tun – sie wird dich immer lieben.“

„Und wenn ich sie vielleicht nicht mag?“, fragte ich ihn ganz verzagt.

Er strich mir mit der Hand über meine Haare, so wie er es immer getan hatte, als ich noch ein Kind gewesen war.

„Sie wird für dich der wichtigste Mensch in deinem Leben werden. Hoffentlich aber erst nach mir!“, setzte er noch lachend hinterher. „Man muss sie einfach lieben.“

„Mochte sie dich?“

Erstaunt sah er mich an. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. „Na ja, ich habe ihr ihre geliebte Schwester entführt. Sie waren ja vorher ihr ganzes Leben lang zusammen. Außerdem konnte ich kein Deutsch. Deine Mutter musste immer wieder übersetzen. Da war Sabinelotte, glaube ich, schon skeptisch. Ein Ausländer für ihre kleine Prinzessin. Aber ich habe dann doch noch ihr Wohlwollen gewonnen. Sie spürte wohl die tiefe Liebe zwischen deiner Mutter und mir.“

Er schluckte, als er das sagte, und da wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie schwer es für ihn sein musste, an den Ort zurückzukehren, an dem er seine geliebte Frau kennengelernt hatte.

Also hakte ich mich bei ihm unter, gab ihm einen verständnisvollen Kuss auf die Wange und bat ihn, mir noch einmal zu erzählen, wie er meine Mutter kennengelernt hatte. Das tat er, denn an die Geschichte dachte er immer wieder gerne zurück.

Mein Vater war damals während einer sogenannten Bildungsreise in Freiburg gelandet.

An einem wunderschönen Sommertag hatte er vor dem Münster der Stadt das schönste Mädchen entdeckt, das er jemals in seinem Leben gesehen hatte.

„Die ganze Zeit über musste ich sie anstarren, bis sie es bemerkte. Sie stand mit ein paar Freundinnen dort am Brunnen. Sie lachten und scherzten.“

Er hatte hin und her überlegt, was er tun sollte. Denn mein Vater war von Natur aus schüchtern und ging nicht einfach so auf Menschen zu. Außerdem sprach er nur englisch.

Aber als sich das schöne Mädchen langsam in Richtung der verwinkelten Gassen bewegt hatte, in denen er sie niemals wiedergefunden hätte, nahm mein introvertierter Vater all seinen Mut zusammen, lief ihr nach und sprach sie einfach an. Natürlich hatte sie nicht viel von dem verstanden, was er ihr auf Englisch sagte, aber irgendwie war der Funke wohl sofort übergesprungen, und von diesem romantischen Moment an haben sie sich niemals wieder getrennt.

Ihm standen Tränen in den Augen, als er es mir erzählte.

Ich machte mir Vorwürfe, weil ich ihn danach gefragt hatte. Ich hätte wissen müssen, wie sehr ihn die Erinnerung daran erschüttern musste. Die beiden hatten sich so geliebt, wie ich es in meinem Leben noch bei keinem anderen Paar gesehen hatte.

Und jetzt bemerkte ich wieder, wie er sich verändert hatte. Auf der Reise hatte ich es auf die Strapazen geschoben, die ja sogar mir zusetzten. Aber an diesem Abend nahm ich etwas an ihm wahr, das mir ein wenig Angst machte. Ob er krank war?

Aber diesen Gedanken schob ich sofort beiseite. Vater war nie krank gewesen und hatte immer eine beneidenswerte Konstitution gehabt. Es musste einfach die Reise gewesen sein, und er würde sich hier schon wieder erholen.

In dieser ersten Nacht träumte ich von meiner Mutter, die ich weinend auf einem Friedhof an einem offenen Grab sah. Ich wachte ängstlich auf und fragte mich, ob das etwas zu bedeuten hatte. Aber ich beschloss, dass es nur ein Traum war und schlief wieder ein.

Am nächsten Tag war ich sehr aufgeregt. Zum Frühstück konnte ich kaum etwas essen, was unsere Pensionswirtin ein wenig verärgerte. Auch Vater hatte keinen Appetit.

Eine Droschke brachte uns zum Haus meiner Tante. Auf der Fahrt sah ich zwar mehr von der Stadt, aber ich war zu abgelenkt, um es zu registrieren.

Wir hielten vor einem kleinen, strohgedeckten Haus, das ich sofort mochte. Es strahlte etwas Anheimelndes aus und lag nicht weit hinter dem mittelalterlichen Martinstor. Ein großer Garten umgab es, der offensichtlich fleißig genutzt wurde. Überall war Gemüse und Obst angebaut. Viele Bäume spendeten Schatten.

Der Droschkenfahrer fuhr wieder weg, wir waren am Ziel unserer langen Reise angekommen und standen mit unseren Koffern vor dem Haus.

Plötzlich hörte ich eine tiefe Frauenstimme: „Friedrich, wo bleibst du denn?“ Da ging auch schon die Tür auf, und eine beleibte Frau in den besten Jahren stand vor uns und sah uns verdutzt an. Sie trug eine adrette Schürze, und ihre lustigen Locken wippten noch von der Bewegung.

Wir sahen uns an, und sie stemmte ihre Arme in die Hüften, um noch lauter: „Nein, da sind sie ja endlich!“, zu schreien.

Schon kam sie auf mich zu mit einer Behändigkeit, die ich ihr nie zugetraut hätte.

„Margarethe, endlich. Ich dachte schon, ihr kommt überhaupt nicht mehr. Kind, lass dich ansehen. Du bist deiner Mutter ja wie aus dem Gesicht geschnitten.“ Wieder und wieder drückte sie mich an sich, während ein paar Freudentränen über ihre rosigen Wangen liefen.

Dann erst sah sie meinen Vater an und begrüßte ihn ebenfalls auf Deutsch. „Robert, wie schön, dich endlich einmal wiederzusehen. Du hast dich ja kaum verändert.“ Auch er wurde mehrfach gedrückt, was er sich lächelnd gefallen ließ.

„Kannst du denn inzwischen ein bisschen besser Deutsch?“, wollte sie wissen.

Mein Vater schien sie zu verstehen und antwortete: „Ein bisschen“, woraufhin Tante Sabinelotte nur mit dem Arm nach unten schlug und schnaubte. „Das kriegen wir schon hin.“

Ich sah an der Fassade des Hauses empor, an der Wein heraufragte. „Was für ein schönes Haus!“

Tante Sabinelotte war geschmeichelt, das sah ich an der leichten Röte, die ihr Gesicht überflog.

Sie packte mich am Arm: „Also, jetzt gehen wir erst einmal rein, ehe wir hier noch Wurzeln schlagen. Gerechnet habe ich mit euch ja schon lange, aber ausgerechnet heute habe ich nicht an euch gedacht.“

Sie sah sich um und murmelte vor sich hin: „Wo ist denn nur der Bengel? Na, der kann was erleben, wenn ich ihn erwische.“

Am Ende eines kleinen Flurs betraten wir die gemütlichste Küche, in der ich jemals gewesen bin. Der Mittelpunkt war ein großer Ofen mit einem Wassertank.

Tante Sabinelotte drückte mich auf einen Stuhl an dem großen Tisch. Meinen Vater schob sie liebevoll auf den Stuhl an meiner Seite. Sie machte sich daran, Kaffee zu kochen, redete dabei aber ununterbrochen weiter. Immer wieder drehte sie sich zu mir herum, musterte mich und lachte.

Wie Vater es prophezeit hatte, mochte ich die Schwester meiner Mutter auf Anhieb. Sie war eine von den starken Frauen, die im Mittelpunkt einer Familie stehen und deren guter Geist sind. Alles drehte sich um sie, sie werden abgöttisch geliebt und geben allen Halt mit ihrer Kraft. Ich fühlte mich vom ersten Augenblick an von ihr in die Familie aufgenommen.

Als der Kaffee fertig war, setzte sie sich mir gegenüber an den Tisch und stellte mir eine Frage nach der anderen.

Plötzlich fuhr ich zusammen. Ein durchdringendes Flöten in rhythmischen Tönen hatte unser Gespräch unterbrochen. Entgeistert sah ich in die Richtung, aus der es kam – und zum ersten Mal in meinem Leben sah ich eine Schwarzwälder Kuckucksuhr. Der Vogel kam so oft heraus, wie viele Stunden die Uhr schlug. Jedes Mal schrie er.

Erst fing mein Vater an zu lachen und dann auch Tante Sabinelotte.

„Kind, daran wirst du dich gewöhnen müssen. Wir sind hier im Schwarzwald.“

Da kam ein blonder junger Mann herein, vielleicht ein, zwei Jahre jünger als ich, und sah uns entgeistert an.

„Friedrich, endlich sind sie angekommen. Darf ich vorstellen, dein Onkel Robert und deine Cousine Margarethe.“

Jetzt erst bemerkte ich, dass sie meinen Namen von Anfang an deutsch aussprach. Margarethe, nicht Margret. Das fand ich rührend.

Friedrich sah uns noch immer mit offenem Mund an, gab uns dann beiden die Hand und begrüßte uns.

Ich mochte ihn gleich. Er schien zwar ein wenig schüchtern zu sein, aber er wirkte sehr sympathisch. Sicherlich sahen die Mädchen schon hinter ihm her, so hübsch war er.

Er blieb einfach am alten Küchenschrank stehen, während meine Tante mich weiter ausfragte.

„Du meine Güte“, entfuhr es ihr auf einmal. „Was bin ich doch unhöflich! Da rede ich hier wie ein Wasserfall, und ihr habt gerade erst die lange Reise hinter euch. Friedrich, bring sie rüber in die Einliegerwohnung, und denk an das Gepäck. Ich werde mich um das Mittagessen kümmern. Endlich zwei Esser mehr am Tisch.“ Sie stand auf, rückte resolut ihre Schürze zurecht und ging Richtung Speisekammer.

Wir erhoben uns und folgten Friedrich, der nun lachte. „Na, dann kommt mal mit.“

Als wir aus dem Hinterausgang gingen, sah ich gleich, was mit „Einliegerwohnung“ gemeint war. Es handelte sich um einen Anbau am Haus mit kleinen Fenstern, die zum Garten hinausgingen. Auch hier war das Dach strohgedeckt.

„Da hat Großmutter bis zu ihrem Tod im letzten Jahr gewohnt“, erklärte uns Friedrich.

Ich fühlte mich sofort heimisch. Es war nur klein, mit einem größeren und einem kleineren Zimmer sowie einer Küche, die natürlich nichts war im Vergleich zu der großen Wohnküche meiner Tante. Aber für unsere Bedürfnisse war es genau richtig. Das schien auch mein Vater so zu sehen, der mit seinen Koffern gleich in das größere Zimmer lief und dort das Bett ausprobierte.

Friedrich brachte meine Sachen in das kleinere Zimmer, als sei das von vornherein selbstverständlich so.

Vor den beiden Fenstern wuchs der Efeu, und ich sah auf den riesengroßen Garten mit all den vielen Obstbäumen, unter denen Bänke zum Verweilen standen. Hühner scharrten in aller Gemütsruhe im Gras. Hier würde ich mich wohlfühlen, das wusste ich.

„Vater kommt zum Mittagessen. Da könnt ihr ihn dann auch kennenlernen. Wann Luise kommt, weiß ich nicht. Die ist bei Tante Anna. Ich hol euch dann zum Essen wieder ab.“

Vater hatte sich auf das Bett gelegt und lachte mich an. „Na, hattest du sie dir so vorgestellt?“

Einen Moment musste ich nachdenken. „Eigentlich nicht. Sie ist so anders als Mutter. Aber Geschwister sind ja oft sehr unterschiedlich.“

„Da hast du recht. Sie ist nun einmal die Ältere und will alles bestimmen. Das war schon damals so. Deine Mutter hat sie abgöttisch geliebt, und es ist ihr sehr schwergefallen, sie zu verlassen. Da sind viele Tränen geflossen.“

Sein Blick ging in die Vergangenheit, und er schien mich plötzlich vergessen zu haben.

Also besah ich mir die kleine Küche, in der es sogar fließendes Wasser gab. Mit dem alten Küchenherd würde ich schon klarkommen. Was wir so brauchen würden, war vorhanden, und die meiste Zeit über wären wir ja sowieso im Haupthaus. Das würde meine Tante ganz bestimmt nicht anders dulden.

Ich ging hinaus in den Garten. Es war ein wunderschöner Frühlingstag. Die Sonne wärmte schon, und so setzte ich mich auf eine Bank und ließ sie mir ins Gesicht scheinen.

Wie sehr hatte ich mir dieses Zusammentreffen immer gewünscht! Wie oft hatte meine Mutter davon gesprochen! Und jetzt saß ich hier, und alles war schön.

Was würde mir die Zeit hier bringen?

Bei diesem Gedanken lief mir ein leichter Schauder über den Rücken, der mich ein wenig erschreckte und den ich auch nicht verstand.

Heute weiß ich, dass es eine Vorahnung war.

Beim Mittagessen lernte ich Onkel Hans kennen. Er betrieb eine Schmiede in der Stadt, in der er sich meistenteils aufhielt. Aber zum Essen kam er immer nach Hause. Das war ihm wichtig.

Ein großer, breitschultriger Mann sah mich offen lachend an und begrüßte mich: „Entschuldige, Margarethe, ich komme aus der Schmiede und bin nicht ganz sauber. Aber die Hände sind frisch gewaschen, darauf besteht deine Tante!“

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Tante Sabinelotte die Augen verdrehte.

Auch die Begrüßung mit meinem Vater fiel herzlich aus. Offenbar mochten sich die beiden Männer, auch wenn sie sich nicht richtig verständigen konnten. Vater setzte sich gleich neben ihn, so als wäre das schon immer sein Platz am Tisch gewesen.

Ich saß neben meiner Tante, die dann auch wieder den größten Teil des Gesprächs ganz selbstverständlich übernahm.

Immer wieder legte sie mir nach, bis ich vor lauter Lachen nicht mehr weiteressen konnte.

„Wie deine Mutter“, befand sie und stand auf. „Aber den Pudding musst du wenigstens probieren, und demnächst mache ich Schwarzwälder Kirschtorte für alle. Die gab es schon lange nicht mehr.“

„Au ja“, jubilierte Friedrich. „Mit ganz viel Sahne. Wann denn, Mama?“

Mit einem Seitenblick zu mir antwortete sie: „Wenn die junge Dame genug von unserer guten Luft in den Lungen hat und richtig hungrig wird!“

Der ganze Tisch lachte los, sogar mein Vater.

Und so kam es, dass ich mich schon am ersten Tag wie ein Mitglied der Familie fühlte, als wäre ich schon immer hier gewesen.

Luise lernte ich gegen Abend kennen. Sie war ungefähr in meinem Alter und sah ihrer Mutter ähnlich, wenn sie auch noch schlank war. Es war aber abzusehen, dass sie bald schon die Figur ihrer Mutter haben würde. Sie war hübsch, aber auf eine eher reizlose Art und Weise.

Natürlich begrüßte sie mich freundlich und offen, aber ich bemerkte eine gewisse Reserviertheit. Oder bildete ich mir das nur ein?

Tante Sabinelotte ließ mir nicht viel Zeit, darüber groß nachzudenken. Sie belegte mich gleich wieder mit Beschlag, stellte mir eine große Schüssel Erbsenschoten auf den Schoß, die sie vorher im Garten geerntet hatte, und die gepellt werden mussten. Dabei begann sie mich nach meiner Mutter auszufragen. Alles, aber auch alles wollte sie wissen.

Ab und zu wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Aber ich musste weiter berichten.

Plötzlich bemerkte sie: „Dein armer Vater, Kind. Ehrlich gesagt, sieht er nicht sehr gut aus. Wenn ich denke, was für ein stattlicher Mann er damals war. Aber vielleicht ist es ja nur die lange Reise.“

Daraufhin vertraute ich ihr an, dass ich mir auch schon Gedanken gemacht hatte und mich das ein wenig ängstigte.

Sie nahm mich in den Arm und drückte mich ganz fest.

„Ach was. Das kriegen wir schon hin. Mein gutes Essen wird ihn schon wieder aufpäppeln. Frag ihn, womit wir ihm eine Freude machen können. Ich kann ja eure Sprache nicht. Eigentlich schade, wo ihr doch eure Könige aus Hannover und eure Prinzgemahle aus Coburg geholt habt.“ Schon wieder musste sie laut lachen, und ich natürlich mit ihr.

Dass diese Könige bei uns durchwegs sehr unbeliebt gewesen waren, verschwieg ich ihr.

Das Schloss am Moor

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