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LEERER GIBT’SNUR ALSKOMPARATIV
VOM MINENFELD OSTFRIESISCHERSTÄDTE UND BÜRGERNAMEN
Das Plätschern von Wasser weckt Sonja am frühen Morgen. Noch halb im Traum denkt sie an Bäche, die von Bergen plätschern, bis ihr einfällt, wo sie ist. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages fallen als Lichtpunkte durch die weißen Spitzengardinen, als sie zögerlich ihre Zehenspitzen aus dem Bett schiebt. Sie gähnt herzhaft. Lange hat sie nicht geschlafen. Bis in die Nacht hat sie Kartons ausgepackt, um es sich ein wenig heimischer zu machen.
Wenn aufstehen doch nur einfacher wäre! Müde schlurft sie ans Fenster, um zu sehen, was sie geweckt hat: Ein kleiner Brunnen speit aus schwarz-goldenen Hähnen schon munter Wasser. Die Äste der Zierkirschen im Rathausinnenhof ragen noch kahl und knotig in die Luft. Wie muss das erst im Frühling sein, denkt sie. Der allerdings traut sich noch nicht so ganz heraus. Da haben wir was gemeinsam, denkt sie. Ein Morgenmensch ist sie noch nie gewesen. Die Restkälte des Winters macht es nicht gerade einfacher, das Bett zu verlassen. Zumal es dafür noch viel zu früh ist. Wo ihre geliebte Kaffeemaschine geblieben ist, weiß der Geier. Jetzt auf die Schnelle noch eine Umzugskiste zu öffnen käme vermutlich dem Öffnen der Büchse der Pandora gleich.
Zum Glück hat sie gestern auf dem Weg vom Deich zurück in ihr Marzipanhäuschen ein kleines Café direkt um die Ecke gesehen. Als sie daran vorbeiging, konnte sie die Kaffeebohnen schon riechen. Das hatte ihr die Befürchtung genommen, in Ostfriesland nur Tee trinken zu können. Wacker zieht sie sich den Mantel an und verlässt das Haus.
Die Kaffeerösterei Baum gleicht mit ihrem Innenleben einem Gemisch aus Industrie und dem Chic von Hamburger Speicherstadt-Cafés. Damit ist sie nicht nur ein wirklich hübsches kleines Café im Herzen der Altstadt, sondern auch ein Ort, an dem Besucher selbst gerösteten Kaffee bekommen. Als sie das erste Mal in Leer war, hat sie in der Innenstadt eine Zweigstelle mit einer gläsernen Rösterei gesehen. Mit dem Rücken zum Hafen liegend und der Front zur gepflasterten Gasse, fällt das Café in der Altstadt auf.
Der Geruch von Kaffee liegt in der Luft, als Sonja das Café mit der beigefarbenen Fassade betritt. Schlagartig regen sich ihre Lebensgeister. Mmh, lecker. Was würde sie nur ohne Kaffee machen? »Moin. Ganz schön hip, ihr Leerer. Einen Delfter Blue, bitte.« Sonja unterdrückt ein Gähnen, ist aber stolz, die Lektion von Samstag gelernt zu haben. So schnell sagt sie hier keinem mehr Grüß Gott. Doch wieder scheint sie irgendwas falsch gemacht zu haben, jedenfalls amüsiert sich ihr Gegenüber den funkelnden Augen zufolge prächtig. »Leerer gibt’s nur als Komparativ. Wo kommst du denn wech? Zwei siebzig, bitte. To go?« Verschlafen blinzelt Sonja den Kerl hinterm Tresen an. »Wie bitte?«
»Na, to go – Jasses, zum Mitnehmen halt.«
»Nee, also ja, schon to go, aber was war das andere?«
Doch als der Barista nachhaken will, hat sich Sonja schon den Delfter Blue vom Tresen geschnappt und mit dem Becher in der Hand und einem Runzeln auf der Stirn den Rückzug angetreten. Verwirrt blickt der junge Mann der schwingenden Eingangstür hinterher. Dann zuckt er mit den Achseln und murmelt eher zu sich selbst: »Nu proot ik al maal up Engelsk.«
Wat’n Mallöör
Zwar steppt in Leer nicht gerade der Bär – semantisch gesehen hört da die Gemeinsamkeit Leers mit dem gleichlautenden Adjektiv aber auch schon wieder auf. Leerer als Begriff für die Einwohner von Leer gibt’s nicht – zumindest, was Leer in Ostfriesland betrifft. Nicht-Ostfriesen fallen schnell auf, indem sie bei den Bewohnern Leers von Leerern und nicht, wie es richtig ist, von Leeranern sprechen. Ein Fettnäpfchen, das bei den Bürgern aus Weener ebenfalls droht: Auch hier heißt es Weeneraner. Trotzdem handelt es sich bei diesem Fettnäpfchen um ein zumindest sehr nachvollziehbares, denn die Ostfriesen stiften in ihrer Inkonsequenz ordentlich Verwirrung: Bei den Bewohnern Emdens spricht man nämlich von Emdern und nicht von Emdenern oder Emderanern, ebenso heißt es Norder bei den Bürgern Nordens und auf gar keinen Fall Nordener – wat’n Mallöör.