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NICHT ALLE,DIE IM NORDENLEBEN, LEBENAUCH INNORDEN

… UND WER VON NORDEN AUS NACHSÜDEN FÄHRT, FÄHRT NACH NORDEN

Zur Begrüßung der neuen Mitarbeiter haben die Kollegen sich in größerer Runde versammelt. Leider scheint Sonja der einzige Neuzugang zu sein. Da stehen sie nun, die neuen Kollegen, und begutachten sie, die Süddeutsche. Sie stehen in der Teeküche, die genau so und nicht etwa Kaffeeküche genannt wird, im Halbkreis um sie herum und mustern sie von Kopf bis Fuß, als wäre sie das auserkorene Objekt einer Studie über eine neue Spezies. Dabei sind sie diejenigen, die pro Kopf schon eine halbe Kanne Tee intus haben, das hat Sonja genau gesehen. Und dankbare Small-Talk-Partner sind sie auch nicht, eher die Sorte harter Brocken. Mehr als ein Moin und ein paar Jo hat sie noch nicht herausbekommen – und das als angehende Journalistin. Immerhin, die eine Kollegin, die sich ihr als Grietje vorgestellt und sie rumgeführt hat, ist ein wenig redefreudiger. Zumindest schien das Eis gebrochen, als Sonja von ihrem geliebten Golf erzählte.

KLOOKSCHIETER: DER OSTFRIESE UND SEIN VW

Seit den Sechzigern produziert Volkswagen in der ostfriesischen Hafenstadt Emden. Als westlichster Seehafen Deutschlands hat der Standort durchaus seine Vorzüge, vermutlich aber baute VW das Werk auch wegen der massiv hohen Arbeitslosenquote in Ostfriesland. Um die 9.000 Mitarbeiter beschäftigt das Werk heute – für eines der Industrielöcher Deutschlands ein Segen. Heute kennt jeder in Ostfriesland jemanden, der bei VW arbeitet oder gearbeitet hat und sich zumindest in den Ferien am Band etwas dazuverdient hat. Das zeigt zugleich die starke Abhängigkeit von den großen Arbeitgebern. Der VW-Skandal sitzt den Ostfriesen noch schwer in den Knochen, nicht umsonst gilt der Spruch: »Wenn VW hustet, bekommt Ostfriesland eine Lungenentzündung.«

Und da stehen sie nun und machen nichts, außer sie anzugucken. Wie die Schafe von ihrem Deich, denkt sie. Das kann so nicht weitergehen, ihr wird schon ganz warm vor Verlegenheit. Sie räuspert sich. »Wo wir gerade schon so nett beisammenstehen – woher kommt ihr denn eigentlich so?« Offene Frage, das kann nicht schiefgehen, denkt sie. Doch kurz und knapp, als hinge das Leben davon ab, gibt einer nach dem anderen zwischen Teeschlucken seine Antwort ab.

»Leer«, sagt ein schon etwas älterer Herr, zeigt auf Grietje und sich und stellt sich als Dieter vor. Leer, das kennt sie immerhin ein wenig. Freundlich nickt Sonja ihm zu und schaut die Nächste in der Runde an: eine Frau, die sie um die vierzig schätzt, mit einer eckigen schwarzen Brille und knallpinkem Lippenstift. »Aurich«, sagt die jetzt. »Leevke.« Merkwürdiger Name, findet Sonja, als der Mann neben der Dame schon mit einem anderen denkwürdigen Namen fortfährt. »Okko aus Emden. Nich mit Otto aus Emden zu verwechseln.« Sonja lacht. »Das kann ich mir jetzt gut merken.« Dann wendet sie sich dem Letzten im Kreis zu, einem anderen Volontär, wie sie vorher heraushören konnte. »Und wer bist du und in welcher Redaktion arbeitest du?«, fragt sie den schlaksigen Kerl mit der zerzausten Frisur. »Enno. Ich wohne im Rheiderland, fahre aber jeden Tag bis nach Norden.« Irritiert schaut Sonja ihn an. Immerhin hat sie nach der Stadt gefragt, nicht nach der Himmelsrichtung. Vielleicht wollte er testen, ob sie dranbleibt. »Okay«, sagt sie entschlossen, nicht lockerzulassen. »Die grobe Himmelsrichtung habe ich im Kopf. Aber in welcher Stadt arbeitest du genau?«

Die anderen schnauben in ihre Teetassen, während Grietje betont beiläufig sagt: »Du, also das weißt du wahrscheinlich schon, aber bei uns gibt’s auch eine Stadt namens Norden.«

Wat’n Mallöör

Jo. Norden (plattdeutsch ausgesprochen: Nörden) ist nicht nur eine Himmelsrichtung, sondern auch eine der ältesten Städte Ostfrieslands. Ihren Namen schuldet sie vermutlich der Tatsache, dass sie die nordwestlichste Stadt auf dem deutschen Festland ist.

KLOOKSCHIETER: FÜNF FAKTEN ZUM SPEEDDATING MIT NORDEN

1 Eine sechs Meter hohe Schnapsflasche ist eines der Denkmäler Nordens. Vor einer historischen Mühle stehend, erinnert die Statue an die 1806 gegründete Spirituosenfirma Doornkaat, die einst zu den wichtigsten Arbeitgebern Nordens zählte. Den Standort hat die Firma längst geschlossen, nur das skurrile Überbleibsel mit dem angelaufenen Etikett zeugt noch von den guten alten Zeiten.

2 Im Herzen Nordens befindet sich der größte Marktplatz Deutschlands. Umgeben von stattlichen Bürgerhäusern und der größten Kirche Ostfrieslands, der Ludgerikirche, bietet er mit seinen zur Stadtgröße völlig unverhältnismäßigen 6.678 Hektar Platz für (reichlich) Veranstaltungen.

3 Wer von Norden nach Süden fährt, fährt nach Norden. Ja, ganz richtig gelesen. Denn so wie es die Stadt Norden gibt, gibt es auch die Stadt Süden – in Schleswig-Holstein. Sie liegt somit nördlicher als Norden selbst.

4 Fast alle Glasfaserkabel Deutschlands beginnen in Norden. Das längste Kabel führt über 38.000 Kilometer nach Australien und Japan.

5 Im Jahr 1800 gab es in Norden stolze 24 Kornbrennereien. Eigentlich verständlich in Anbetracht der steifen Brise, die den Ostfriesen an der Küste entgegenschlägt. Irgendwie müssen sie sich ja warmhalten.

Fettnäpfchenführer Ostfriesland

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