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3.2 Zum Forschungsprozess über Einstellungen von Lehrpersonen

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Einen Überblick über die Geschichte der Erforschung subjektiver Theorien geben unter anderem Uwe Flick (1989), Christiane Kallenbach (1996) und Daniela Caspari (2003 und 2014). Zum Einen wurden die verschiedenen Forschungsmethoden zu subjektiven Theorien in modifizierter Form in Bezug auf das Fremdsprachenlernen von Schülerinnen und Schülern, also in einem schulischen Rahmen, eingesetzt und haben sich dabei bewährt. Zum Anderen hat dieser Forschungsansatz auch eine Bedeutung für die Befragungen anderer Personengruppen wie z.B. Lernende an bilingualen Schulen (vgl. Kallenbach 1996: 264) oder Schulen, mit bilingualem Angebot ermöglichen (Fäcke 2011). Im Rahmen ihrer Studie zum beruflichen Selbstverständnis von Fremdsprachenlehrkräften zeigt Caspari (1998) anhand der Einstellung von Lehrern zum interkulturellen Lernen, wie die subjektiven Theorien der Lehrkräfte

„[…] stark von der eigenen Sprachlernbiographie und den mit Fremdsprachen gemachten Erfahrungen bestimmt sind.“ (Caspari 1998: 73)

Seither sind zahlreiche empirische Einzelstudien erschienen, die sich Lehrertheorien mithilfe qualitativer Forschungsansätze angenommen haben (vgl. dazu z.B. De Florio-Hansen 1998; Krumm 2007: 356). In ihrem Überblicksartikel weist Caspari (2014) aber auch darauf hin, dass es sich bei den Sichtweisen der Lehrenden um multifaktorielle und hoch komplexe Gebilde handelt,

„[…] die insbesondere durch die eigene Lernerbiographie, die beruflichen Erfahrungen und die Wahrnehmung der Kontextfaktoren geprägt sind.“ (Caspari 2014: 25)

Das Forschungskonzept der subjektiven Theorien ist durch Deutungsprozesse geprägt, die im ersten Schritt die Deutungsmuster und Konstruktionen der subjektiven Theorien auf Seiten der Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmer betreffen und im zweiten Schritt das Erschließen dieser Konstruktionen durch die Interpretation des Interviewers, der schon im Laufe des Interviews stattfindet, und zwar vor allem bei der Auswertung der transkribierten Interviews (Meyer 2007: 117). Damit ist ein hermeneutisches Vorgehen im Forschungsprozess beschrieben, das als Sinn und Zweck das Verstehen konkreter Einzelfälle verfolgt, aber immer die narrative Selbstkonstruktion des Individuums im Blick behalten muss. Aus konstruktivistischer Sicht bedeutet das Verstehen konkret:

„Verstehen, was jemand gesagt oder geschrieben hat, bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass man auf Grund seines sprachlichen Austauschs eine begriffliche Struktur aufgebaut hat, die in dem gegebenen Zusammenhang als kompatibel mit dem betrachtet wird, was der Sprecher offenbar gemeint hat. diese Kompatibilität kann jedoch nie durch einen direkten Vergleich überprüft werden. […] Aus dieser Sicht liegt eine unvermeidliche intrinsische Unbestimmtheit in aller sprachlichen Kommunikation.“ (Glasersfeld 1997: 232)

Trotz dieser prinzipiellen Unbestimmtheit in der Kommunikation soll versucht werden, mithilfe der Interviews die Einstellungen zu verstehen, die Interviewpartnerinnen und -partner im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit äußern.

In der deutschen Psychologie wurde durch das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) von Norbert Groeben und Brigitte Scheele Ende der 1970er Jahre die Erforschung der Innensicht1 unterschiedlicher Aktanten in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt und danach stets weiterentwickelt. Das FST stellt die menschliche Reflexivität in den Mittelpunkt seines Menschenbildes (vgl. Groeben & Scheele 1998: 27, 2000). Die Reflexivität wird dabei als zentrales Merkmal des bewussten, geplanten, willkürlichen Handelns angesetzt. Die Handlungsfähigkeit des Individuums und mit ihr verbunden die Sprach- und Kommunikationsfähigkeit, steht beim FST im Mittelpunkt des Subjektmodells. Aufgrund dieser Tatsache ist es dann nicht nur unerlässlich, das Subjekt – hier die Lehrperson – von außen zu beobachten, sondern auch ihre inneren Sichtweisen einzubeziehen, indem man sie fragt, was sie mit ihren Handlungen verbindet (vgl. Groeben & Scheele 1998: 13).

Entsprechend hatten Groeben et alii bereits 1988 die subjektiven Theorien als bewusste oder unbewusste Überzeugungen von Lehrkräften zu grundlegenden Fragen des Lehrens und Lernens beschrieben:

"Subjektive Theorien von Lehrerinnen und Lehrern im Kontext von Unterricht sind komplexe Aggregate bewusster und/oder unbewusster automatisierter Überzeugungen zu grundlegenden Fragen des Lehrens und Lernens, die sich in der Unterrichtsdurchführung widerspiegeln. Sie erfüllen – analog zu objektiven Theorien – die Funktion der Erklärung, Prognose und Technologie und besitzen eine entsprechende implizite Argumentationsstruktur." (Groeben; Wahl; Schlee & Scheele 1988: 17f.)

Subjektive Theorien sind in der Regel implizit, das heißt, dass eine Person auf bestimmte Annahmen nicht bewusst zurückgreift, um ein Verhalten oder eine Situation zu erklären. Vielmehr handelt es sich um unbewusste Prozesse, die prinzipiell ins Bewusstsein transportiert werden können und sich mit Hilfe verschiedener Methoden wie beispielsweise Interviews erschließen und rekonstruieren lassen.

„Subjektive Theorien über Fremdsprachenlernen sind komplexe Wissenskonstrukte, die der/die einzelne aus der persönlichen Erfahrung im Umgang mit Fremdsprachen in und außerhalb der Schule aufbaut. Sie stellen subjektiv wahrgenommene und relevante Aspekte des Fremdsprachenlernens in einen individuellen Sinnzusammenhang. […] Durch die mit der Verbalisierung einhergehende Bewußtmachung haben subjektive Theorien das Potential, in nachfolgende fremdsprachliche Lern- und Anwendungssituationen hineinzuwirken.“ (Kallenbach 1996: 49f.)

Kallenbach betont die Möglichkeit der Versprachlichung und der damit einhergehenden Bewusstmachung, da subjektive Theorien – wie Repräsentationen und Einstellungen – nur verändert werden können, wenn man sich ihrer bewusst ist. Auf den Fremdsprachenunterricht übertragen bedeutet dies, dass die Reflexionen der Lehrenden zur Erklärung und Verbesserung des Fremdsprachenlernens in das Zentrum der Forschungsbemühungen gerückt werden (Groeben & Scheele 1998: 14; Caspari 2014: 20f). Drei Gegenstandsbereiche der subjektiv-theoretischen Reflexionen lassen sich nach Groeben und Scheele (1998) unterscheiden:

1 Reflexionen über die Sprache/n;

2 Reflexionen über das Lernen;

3 Reflexionen über das Lehren bzw. den Unterricht (vgl. Groeben & Scheele 1998: 14)

Die Reflexionen der Lehrenden zum Lernen und Unterrichten dürften schon die Theorien der Lernenden über ihr eigenes Lernen und das Lehren der Unterrichtspersonen berücksichtigen und mitreflektieren, während es andersherum nicht zu vermuten ist (Groeben & Scheele 1998: 15). Unterrichtsplanung bleibt den Schülerinnen und Schülern in aller Regel verborgen. Deswegen impliziert die Thematisierung der Einstellungen Fremdsprachenlehrender indirekt auch die Berücksichtigung der Einstellungen der Lernenden zur Sprache, zum Lernen und zum Unterricht (Ebd.). In diesem Zusammenhang spricht Theresa Venus (2015) von „Einstellungen als individuelle Lernvariable“.

Wie lässt sich das Konstrukt definieren? Subjektive Theorien oder Einstellungen werden als

„[…] Aggregate von prinzipiell aktualisierbaren Kognitionen, in denen sich die subjektive Sichtweise des Erlebens und Handelns niederschlägt.“ (Mandl 1998: 98)

bezeichnet, die sich auf die Selbst- und Weltsicht beziehen.

Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht

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