Читать книгу Im Schatten des Unwissens - T. C. Garver - Страница 5
ОглавлениеMona
Mona schlenderte durch den vereinsamten Hyde Park, der von mehreren Laternen beleuchtet wurde. Die Bäume ragten links und rechts, wie riesige Schatten, neben ihr auf. Der Wind pfiff durch die Blätter und ließ die Äste erzittern. Die wenigen Passanten die an ihr vorbei hasteten, hielten den Kopf gesenkt um der Kälte ein wenig zu entkommen. Eigentlich hätte es Mona ihnen gleich getan, doch heute fühlte sie sich frei, als wäre eine grosse Last von ihren Schultern gefallen. Vielleicht genoss sie deshalb diesen Moment, den Park entlang zu schlendern, den Wind pfeifen zu hören und die eisige Luft die ihr ins Gesicht peitschte zu spüren. Sie war kein Naturfreund und auch kein Hyde-Park-Liebhaber. Sie fand ihn einfach nur riesig und faszinierend, dennoch war sie keine von diesen Leuten, die morgens hier joggten oder sich ihr Mittagessen auf einer Bank genehmigten, um die vorbei laufende Menschenmenge zu beobachten. Nein, sie war einfach nur froh, dass sie einmal in ihrem Leben impulsiv gehandelt hatte und ihre Arbeitsstelle gekündigt hatte. Sie lächelte beim Gedanken daran, wie befreiend das Gefühl gewesen war. Ihr Lächeln wurde nur noch breiter, als sie nach dem Grund ihrer Kündigung suchte. Sie hatte keinen - und das war das Witzigste an der ganzen Geschichte. Es gab kein Grübeln, mache ich das Richtige und wieso mach ich das eigentlich überhaupt? Nein, da war einfach nichts, an dem sie sich den Kopf zerbrechen konnte oder wollte - wie sonst immer. Heute hatte sie sich aus dem Nichts heraus entschlossen ein neuer Mensch zu werden.
Sie kramte ihr Handy aus der Jackentasche und blickte auf die Uhr. Halb acht, sie musste sich beeilen, denn um acht Uhr sollte sie im Vertigo42 sein. Die Marble Arch-Tube war nicht mehr weit, und dennoch beschleunigte sie nun ihren Gang.
Komischerweise kam ihre Mutter ihr in den Sinn, sie hatte sie nun schon seit zwei Jahren nicht gesehen, und um die Wahrheit zu sagen war es ihr auch egal. Niemand brauchte eine Mutter, der Alkohol wichtiger war als ihr eigenes Kind. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt, deshalb konnte sie ihn auch nicht vermissen. Sicherlich dachte sie an ihre Eltern, weil heute der Todestag von Kris Eltern war, die sie immer wie eine eigene Tochter behandelt hatten. Unzählige Male hatte Mona Hunger gelitten. Einmal war sie sogar in der Schule zusammengebrochen. Kris benachrichtigte daraufhin ihre eignen Eltern. Ab diesem Tag, nahmen Kris´ Eltern Mona täglich zu sich nach Hause, damit Mona wenigsten eine warme Mahlzeit am Tag erhielt. Monas Mutter, die täglich blau war, hatte ihre Abwesenheit noch nicht einmal bemerkt, oder vielleicht war es ihr auch einfach egal.
Mona fühlte sich nie unwohl bei Kris zu Hause, im Gegenteil, durch Kris´ Eltern erfuhr sie zum ersten Mal was es hieß, eine Familie zu haben, geliebt und beachtet zu werden. Sie war ihnen zu so viel Dank verpflichtet. Wären Kris Eltern damals nicht gewesen, wäre Mona sicherlich eines Tages auf der Strasse gelandet oder noch schlimmer - im Knast. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Es war so ungerecht, dass die beiden gestorben waren. Wieso mussten die Guten diese Erde immer so früh verlassen und die Schlechteren durften bleiben? Arme Kris, ging es ihr durch den Kopf.
Als sie den Park hinter sich gelassen hatte, um in die U-Bahn zu gelangen, hörte sie die Geräusche der Autos und die Gerüche der Abgase stiegen ihr in die Nase. Sie schlenderte an zwei Frauen vorbei, die tief in ein Gespräch verwickelt waren. Mona wollte die Frau mit dem Kind darauf aufmerksam machen, dass es gefährlich sei, den Jungen unbeaufsichtigt so nahe am Strassenrand spielen zu lassen, entschied sich jedoch dagegen und schritt an ihnen vorbei. Bereute dies jedoch sofort in der nächsten Sekunde, denn das Kind lief auf die Strasse und ein Auto mit erhöhter Geschwindigkeit raste auf den kleinen Jungen zu.
„Achtung!“ schrie Mona. Die Frauen drehten erschrocken die Köpfe. Das Auto drohte das Kind zu überfahren. Also sprang Mona beherzt auf die Straße, packte das Kind an sich und wich in letzter Sekunde dem heranrasenden Wagen aus. Der Fahrer hupte und gab ein paar Flüche von sich. Mona blickte ihm böse nach. Hätte sie kein Kind im Arm gehabt, hätte sie ihm den Mittelfinger gezeigt.
Die Mutter riss den Jungen weinend aus Monas Armen und drückte es an sich. „Danke. Oh mein Gott, ich danke ihnen vielmals.“ Mona nickte. „Ist schon gut.“
„Sie haben mein Kind das Leben gerettet, wie kann ich mich dafür revanchieren?“ Sie überlegte kurz. „Indem sie es nicht mehr so nahe am Straßenrand spielen lassen, wäre ein Anfang.“
„Ja. Ja. Sie haben so Recht. Ich habe für eine Sekunde nicht hingesehen. Oh mein Gott, es tut mir so leid“, schluchzte die Frau.
Mona nickte kurz und verabschiedete sich. Erst beim Gehen bemerkte sie, wie wacklig ihre Beine gerade waren.