Читать книгу Im Schatten des Unwissens - T. C. Garver - Страница 6
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„Könnte ich noch ein Glas Wasser haben, bitte?“, fragte Lisa den Kellner als er das dritte Mal an ihrem Tisch vorbei lief.
Er nickte ihr lächelnd zu. Nervös tippte sie mit den Fingern auf den runden Glastisch. Dass Kris sich verspätete, war normal, heute war sie sogar entschuldigt - wegen dem Todestag ihrer Eltern. Doch Mona war die Pünktlichkeit in Person und das bereitete ihr nun doch Sorge. Sie kramte ihr Handy aus der Tasche und wählte Monas Nummer. Nachdem sie aufgelegt hatte, war sie beruhigter, Mona hatte ihr per Telefon soeben die Ereignisse mit dem Kind geschildert. Kris würde sicherlich auch eine aufregende Geschichte zu erzählen haben, da sie durch ihren impulsiven Charakter meistens irgendetwas Aussergewöhnliches erlebte. Sie lächelte in sich hinein, Kris war aufbrausend, spontan und direkt, doch nur Mona und Lisa wussten, dass sich hinter der harten Schale, ein Mensch mit einem Herzen aus Gold verbarg. Lisa hingegen war das pure Gegenteil. Sie war verträumt und grüblerisch. Ihre Meinung äußerte sie, zwar weniger als Kris, aber wenn sie etwas zu sagen hatte dann sprach sie es auch offen und direkt aus. Mona war eher sachlich und bodenständig. Ihr Sinn für die Klarheit der Dinge, war ihnen schon so manche Male von Nutzen gewesen. Ein ungleiches Trio gaben sie ab, Mona die Realistin, Kris die Aufbrausende und Lisa die Romantikerin. Sie ließ nun ihren Tag Revue passieren. Um sieben Uhr morgens war sie aufgestanden, hatte sich das Gesicht gewaschen, die Zähne geputzt und sich auf den Weg zur Arbeit gemacht. Sie war Angestellte in einer Versicherungsfirma Um sechs Uhr war sie wieder Zuhause gewesen, hatte geduscht, etwas gegessen und sich auf dem Weg ins Vertigo42 gemacht. Sie begegnete auf dem Weg dorthin einem Obdachlosen, der ihr Leid tat und schenkte ihm 100 Pfund. Er hatte sie angestrahlt als würde die Sonne scheinen. So hatte ihr Tag heute ausgesehen. Nicht gerade abenteuerlich, aber es hätte schlimmer sein können.
Ein Blick ins Vertigo42, reichte um festzustellen das Kris Recht hatte. Die vielen Gäste legten zu viel Wert darauf, sich der Mode entsprechend zu kleiden und die anderen Gästen von Kopf bis Fuss zu mustern, gerade die, die nicht ihren Idealen entsprachen.
Ein langer durchzogener Gang umgab die Bar. Alle Tische standen an den Fensterfronten und zeigten einen Blick über ganz London. An den Wänden hingen antike Spiegel. Der Kellner brachte ihr das Glas Wasser und kassierte zugleich, so wie es im Vertigo42 üblich war. Nachdem sie einen Schluck genommen hatte stand sie auf und schritt die Treppe hinab, die zur Toilette führte, um die Zeit zu nutzen sich noch ein wenig frisch zu machen. Sie betrachtete ihren Körper im Spiegel und war stolz auf ihr Spiegelbild. Sie hatte zehn Kilo abgenommen. Ihr Bauch war fast verschwunden und so bot er einen schönen Kontrast zu ihren üppigen Brüsten. Sie war nicht so dürr wie Mona oder so schlank wie Kris, doch gehörte sie jetzt auch zu den schlankeren Frauen. Das kastanienbraune, schulterlange Haar trug sie offen. Stolz war sie auf ihre natürlichen Locken, welche so manche Frau beneidete. Ihre Lippen hätten ein wenig dicker sein können, doch niemand war perfekt und sie war zufrieden mit dem was ihr Spiegelbild darbot. Was sie auch durfte, denn seit sie 10 Kilo leichter war, begegneten ihr ein oder zwei interessierte Blicke mehr. Sie trug noch ein wenig Lipgloss auf weitete dabei ihre grauen Augen. Kurz darauf verschwand sie aus der Toilette. Nachdem sie wieder Platz genommen hatte, sah sie wie sich mehrere Köpfe zum Eingang drehten. Lisa konnte nichts sehen, weil sie bereits wieder saß, deshalb stand sie erneut auf und blickte in dieselbe Richtung, wie die anderen Gäste. Kris stand mitten im Raum und suchte nach ihr. Sie sah miserabel aus. Ihre dunkelbraunen glatten Haare, standen kreuz und quer von ihrem Kopf ab. Lisa musterte sie nun genauer und erschrak, als sie Kris linkes Auge sah, das blau und angeschwollen war. Aus ihrer Nase tropfte Blut. „Kris!“, rief sie und wedelte mit der Hand. Kris sah sie und lief ihr nun entgegen.
Lisa reichte ihr eine Serviette die auf dem Tisch lag und fragte besorgt. „Was ist denn bloß passiert?“
Kris nahm die Serviette dankend entgegen und hielt sie an die Nase. Sie setzte sich und hob ihren Kopf in die Höhe, um die Blutung zu stoppen. Lisa setzte sich ebenfalls wieder.
„Es ist zum Kotzen Li. Ich war auf dem Weg hierher, hörte wie eine Frau schrie und eilte ihr zur Hilfe. Einen der Räuber habe ich zu Boden geworfen und somit die Nase gebrochen“, sagte sie und lächelte stolz, was ihr anscheinend Schmerzen bereitete, denn sie verzog ihr Gesicht kurz darauf zur Grimasse. „Doch der andere hat mich dafür mit Schlägen bombardiert, wie man sehen kann“, sagte sie ironisch. „Aber weißt du was mich so wütend macht, sind nicht die Schläge. Nein, mit denen komme ich schon zu Recht, obwohl mir mein Gesicht höllisch weh tut. Ich werde nur stinksauer, wenn ich daran denke, dass vor mir noch andere Leute gegangen sind, sogar zwei stark gebaute Männer, die einfach am Geschehenen vorbei liefen. Und am Schlimmsten fand ich, dass die Frau, der ich geholfen habe, auch abgehauen ist und mich mit den beiden alleine gelassen hat, anstatt Hilfe zu holen.“
„Oh mein Gott“, antwortete Lisa. „Das kannst du laut sagen. Mir reicht es jetzt schon für heute.“
„Ja, sie hätte wirklich Hilfe holen können, anstatt feige davonzurennen, diese dumme Kuh. Das nächste Mal bist du hoffentlich Vorsichtiger.“
„Wieso ich bin ja noch hier“, sagte sie und versuchte zu lächeln, jammerte jedoch gleich, da ihr der Kiefer von den Schlägen schmerzte. „Siehst du, das meine ich.“ Lisa Gesichtsausdruck glich dem einer Mutter, die ihr Kind zurechtweisen wollte.
Kris lächelte verschmitzt und legte die Serviette auf den Tisch. „Ich brauche jetzt aber einen Drink.“ Kris bestellte sich einen Scotch und leerte diesen in einem Zug.
„Ich verstehe nicht, wie du das Trinken kannst und dann noch in einem Zug.“ Lisa verzog das Gesicht als würde schon nur der Gedanken daran sie schütteln.
„Wo ist eigentlich Mona?“ Sie schilderte ihr was Mona heute erlebt hatte.
Nach zehn Minuten, trat Mona zu ihnen. „Hey, Leute.“ Beide blickten hoch, nickten und steckten die Köpfe wieder zusammen, um das Gespräch weiter zu führen. Mona wollte soeben ihre Jacke über den Stuhl legen, brach aber mitten in der Bewegung ab. „Was ist denn mit deinem Gesicht passiert Kris?“ Ihre Alabaster Haut schimmerte nun noch weisser. Kris schaute in ihre grünen Augen. „ Erzähle ich dir gleich. Lisa erzählt mir gerade deine Geschichte noch zu Ende.“
Mona lachte auf. „Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Ihr begrüsst mich nur knapp, weil ihr mit meiner Geschichte beschäftigt seid? Anstatt mich selbst danach zu fragen? Hallo! Ich könnte sie am besten erzählen, denn ich habe sie live erlebt“, schnaubte sie.
Ihr wurde jedoch keine Beachtung geschenkt, deshalb bestellte sie drei Tequila und wartete geduldig bis ihre Geschichte zu Ende erzählt wurde.
„Ein Typ hat mich verprügelt, einem anderen habe ich die Nase gebrochen und die Frau, der ich eigentlich zu Hilfe kam, ist abgehauen.“ Teilte Kris daraufhin Mona mit. „Ich verstehe nur noch Bahnhof.“
„Li erzähl du. Ich mag es nicht noch einmal erzählen.“ Dankbar richtete sich Lisa auf und erzählte Mona die Story noch einmal detailreicher und von vorn.
„Was für ein Idiotenpack. Und die Frau, ist ja wohl das Hinterletzte“, schimpfte Mona im Anschluss kopfschüttelnd.
„Ich hatte Nasenbluten, ein blaues Auge und mein Kiefer schmerzen. Nächstes Mal bin ich schlauer und misch mich nicht so schnell ein.“
„Na klar. Als könntest gerade du das“, Mona und Lisa wechselten einen vielsagenden Blick, fielen gleich darauf in ein Gelächter, in dem auch Kris sich beteiligte. „Du hast gut reden, du wirfst dich auch auf die Strasse - für ein fremdes Kind“, erwiderte Kris.
„Das ist etwas anderes.“ „Nein das läuft aufs selbe hinaus.“ Mona überlegte kurz. „Kris hat Recht, Mona.“, meinte Lisa daraufhin. „Dennoch ich würde auch mal gern etwas Aussergewöhnliches erleben“, gab sie traurig zu. Der Kellner kam, stellte die drei gefüllten Gläser ab, nahm dankend das Geld entgegen und als er sah wie viel Trinkgeld Kris ihm hinterlassen hatte, lächelte er noch breiter.
Sie hoben die Gläser in die Höhe. „Und du Li? Hast du heute auch eine Heldentat vollbracht?“, fragte Mona.
Traurig zuckte Lisa mit den Schultern. „Nicht wirklich. Hab einem Obdachlosen 100 Pfund geschenkt.“
„Na dann. Auf unsere heroische Taten.“ Sie lächelten sich an und tranken ihr Glas in einem Schluck leer. Lisa schmunzelte in sich hinein, ihr Inneres füllte sich nun mit einer wohligen Wärme. Sie liebte diese zwei Frauen mindestens genauso, wie ihre Grossmutter die sie aufgezogen hatte, da ihre Mutter bei ihrer Geburt verstorben war.
Kris blickte argwöhnisch zu Lisa. „Was ist denn mit dir los?“, fragte sie. Lisa lächelte beide warm an. „Ach nichts…“, meinte sie verträumt. „Ich bin einfach nur froh, dass ich euch zwei habe.“
Mona und Kris verdrehten theatralisch die Augen, schmunzelten und nahmen sie gleichzeitig in den Arm, wobei sie im Chor riefen. „Wir lieben dich auch, Lisa.“
„Kommt, darauf stoßen wir gleich an.“, meinte Kris grinsend. Sie bestellte nochmal drei Tequila. „Als bräuchten wir einen Grund zum Anstossen“, erwiderte Mona lachend und hob ihr Glas, was Lisa und Kris daraufhin ebenfalls taten. „Auf unsere Freundschaft!“
Alle drei lachten, als sie den Tequila in einem Schluck leerten. Plötzlich erschien Nebel auf dem Boden. Perplex blickten sich die drei an. Der Nebel entwickelte sich zu einer weißen Wolke, die ihnen die Beine hinauf kroch. Ihre erschrocken weit aufgerissenen Augen, wanderten zu den anderen Gästen hinüber, die jedoch den Rauch nicht zu bemerken schienen.
„Was zum Teufel geht hier vor?“, fluchte Kris laut, als der Rauch sie wie ein Umhang umfing und ihnen die Sicht nahm.
Der Rauch verblasste urplötzlich wieder. Tiefe Schwärze umgab sie. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, standen sie wie versteinert da. Sie befanden sich nun in einem komplett leeren Raum. Nein. Es war kein Raum, es war eher so eine Art Tunnel.
„Was soll denn diese Scheiße“, murmelte Kris.
„Du sollst nicht fluchen, Kristine“, hallte eine Männerstimme aus dem Nichts. Erschreckt zuckten die drei zusammen und klammerten sich aneinander fest.
„Ihr müsst euch nicht vor mir fürchten. Ich will euch nichts Böses, im Gegenteil.“
Ein eisiger Schauer sass ihnen dennoch im Nacken und sie klammerten sich noch fester aneinander.
Ein warmes Lachen ertönte. „Bitte sagt doch etwas? Ich will euch wirklich nichts Böses.“ Einige Sekunden verstrichen bis Kris das Wort ergriff.
„Einfache Worte für jemanden der im Dunklen bleibt. Wieso zeigst du dich uns nicht?“
„Das geht leider nicht Kristine…“
Kris war baff. „Wieso kennst du meinen Namen?“
„Das darf ich dir leider ebenfalls nicht sagen.“
„Das soll wohl ein Witz sein!“
„Nein. Ich scherze nicht. Ich darf dir darüber keine Informationen liefern.“
Ein mulmiges Gefühl ergriff sie, Sprachlos starrte sie in die Dunkelheit.
„Ich weiss das ist für euch eine seltsame Situation und sicherlich habt ihr viele Fragen. Die ich euch bei Gelegenheit auch so gut es geht beantworten werde. Leider kann ich euch jedoch weder meine Identität noch woher ich eure kenne preisgeben. Oder euch mitteilen, wie ich es angestellt habe euch hierher zu bringen. Doch den Grund dafür, werde ich euch ausführlich erklären.“ Er räusperte sich bevor er mit gewissem Stolz verkündete. „Ihr drei seid auserkoren worden, den Frieden auf Erden zu bewahren.“
Eiserne Stille breitete sich aus. Was Kris mit einem herzzerreissenden Lachen zunichtemachte. „Ach wirklich? Nun hör schon auf und sag uns lieber, wo die versteckte Kamera ist.“
„Kristine das ist kein Scherz!“, meinte die Stimme ernst und mit unheilschwangerem Ton.
„Ich muss doch sehr bitten! Ok. Kurz bin ich darauf eingefallen. Aber diesen Mist den du laberst… Nein geht gar nicht… Schalte doch lieber das Licht wieder an. Ich will endlich zurück in die Bar, “ meinte sie nun ungeduldig.
„Kristine, wir haben euch ausgewählt, um den Frieden auf Erden zu bewahren!“, erwiderte die Stimme empört.
„Ich glaube du hast dich hier nicht richtig umgesehen. Hier herrscht kein Frieden.“
„Doch das tut er in gewisser Weise. Was sich bald ändern könnte, wenn ihr nicht in die Vergangenheit reist, um eure Aufträge endlich auszuführen.“
Kris lachte wieder lauthals los und ignorierte dabei Lisa´s Fingernägel, die sich in ihren Oberarm gruben und meinte spöttisch. „Klar. Reisen wir in die Vergangenheit – wie wär´s, könnten wir für den Anfang zurück in die Bar? BITTE!“
„Nein, das könnt ihr nicht! Ihr habt eine Mission zu erfüllen! Daher solltet ihr von Stolz nur so sprühen, die Auserwählten zu sein! Denn es handelt sich hier um eine wirklich ernste Angelegenheit, die nicht ins lächerliche gezogen werden darf!“
„Der hat sie doch nicht alle“, flüsterte Kris den beiden anderen zu, wobei Lisa und Mona ihr in den Arm kniffen. „Aua!“, schrie Kris auf.
„Deine Freunde sind bereits zur richtigen Einsicht gekommen. Finde ich gut. Lisa? Mona? Habt ihr Fragen?“
„Was habt ihr konkret mit uns vor?“, fragte Mona nun zaghaft.
„Ihr müsst die Welt im Gleichgewicht halten und das geht nur, wenn ich euch in die Vergangenheit schicke. Dort müsst ihr die Betroffenen vor den Angreifern retten. Wenn der Auftrag erfüllt ist, werdet ihr wieder automatisch in die Gegenwart katapultiert.“
„Genau!“, fiel ihm Kris erneut ins Wort.
„Kristine, ich habe euch mit einer staubähnlichen Wolke, von einer menschenüberfüllten Bar hierhergeholt, ohne dass es jemand andrem auch nur ansatzweise aufgefallen ist. Und du glaubst mir immer noch nicht?“
Kris zuckte mit den Schultern. „Du bist sicher so eine Art Copperfield, einer der unsere Wahrnehmung verändern kann.“
„Nein, du irrst, so einer bin ich nicht, und ich bin es leid, mich bei dir ständig erklären zu müssen!“
„Es sei mir vergeben, meine Majestät.“
„Kris…“, warnte nun sogar Mona.
Was Kris ein wenig zweifeln ließ. Mona glaubte diesem Irren doch nicht wirklich, oder?
„Du sagst, wir werden in die Vergangenheit geschickt, um dort die Opfer zu retten. Aber, wie stellst du dir das genau vor?“
Gut, dachte Kris. Mona hatte noch ihre Sinne beisammen.
„Wenn ihr in der Vergangenheit seid, werdet ihr die nötigen Kräfte besitzen. Wie ihr dorthin gelangt, müsst ihr mir überlassen. Denn darüber darf ich ebenfalls kein Wort verlieren.“
Mona tippte sich mit dem Zeigefinger auf ihre Lippen. „Was sind das für nötige Kräfte?“
„Man kann sie durchaus mit Superkräften vergleichen.“ Die Stimme lachte. „Ihr werdet sehr stark sein. Stärker und schneller, als jeder Krieger und springen werdet ihr auch sehr hoch können.“
Lisas Lebensgeister schienen zu erwachen. Kris spürte wie sie sich kerzengerade aufrichtete. „Und sie nehmen uns wirklich nicht auf den Arm?“
„Nein Lisa, über so etwas Wichtiges würde ich mir nie erlauben zu scherzen.“ Ihre grauen Augen weiteten sich. Ihr Glücksgefühl bereitete sich fast greifbar im ganzen Raum aus. „Wir werden Superkräfte besitzen!“
Kris blickte irritiert zu ihr rüber. Lisa schien sich nicht mehr einkriegen zu wollen. „OH MEIN GOTT! SUPERKRÄFTE!“ Sie klatschte in die Hände. „Ich werde eine Superwoman sein, so wie in den Comics!“ „Krieg dich wieder ein, Mensch! Siehst du nicht, dass dieser Blödmann uns nach Strich und Faden verarscht?“
„Kristine, jetzt hüte langsam deine Zunge!“
„Sonst was?“, provozierte sie ihn weiter. „Wirst du mich töten?“
„Kris! Genug!“, zischte Mona.
Kris blieb der Mund offen stehen. „Du glaubst diesem Irren doch nicht wirklich?“
„So absurd sich das Ganze auch anhört, muss ich ihm glauben und du solltest das auch tun. Kris, er hat uns aus der Bar hierhergeholt. Wir sehen ihn nicht, können ihn nur hören und er scheint mir nicht wirklich anwesend zu sein. Das ist eine Tatsache die du ernst nehmen solltest.“
„Mona das ist ein verdammter Fake.“
„Wenn es ein Fake ist, umso besser, haben wir uns halt zum Affen gemacht. Wenn aber nicht…“
„Wird uns eine riesen Last angebunden.“, beendete Kris den Satz.
„Keine Last, Kristine. Es ist eine Ehre.“
Kris lagen an die hundert Flüche auf der Zunge, die sie sich nur mit großer Mühe verkniff.
Einen Moment herrschte Ruhe, bis Mona wiederum das Wort ergriff. „Ich fasse kurz zusammen. Wir sind auserwählt worden in die Vergangenheit zu reisen, um den Frieden auf Erden zu bewahren, die Opfer, mit unseren Superkräften zu beschützen und dann werden wir zurück in unser Jahrhundert geholt. Habe ich das richtig verstanden?“
„Ja.“
„Wie weit in die Vergangenheit müssen wir denn reisen? Was geschieht wenn eine von uns verunglückt? Wie sieht es mit der Kleidung aus? Ich glaub wir werden so, wie wir jetzt aussehen, auffallen.“
Ein Lachen erklang. „Das hängt von eurer Mission ab. Es kann sechzig Jahre dauern, vielleicht auch ein Jahrhundert, vielleicht zwei Jahrhunderte oder drei. Es kommt darauf an, wohin ihr geschickt werdet. Wegen der Sprachen und der Kleidung müsst ihr euch keine Sorgen machen. Sobald ihr durch die Zeit reist, werdet ihr automatisch an diese Zeitspanne angepasst, ihr werdet die Sprache beherrschen und auch die passende Kleidung tragen. Vor dem Tod müsst ihr euch in der Vergangenheit ebenfalls nicht fürchten, denn ihr könnt nicht sterben, wenn ihr diese Kräfte besitzt.“
Mona nickte. „Das heisst wir werden die Kräfte nur in der Vergangenheit besitzen?“
„Ja.“
„Schade!“, meldete sich nun Lisa zu Wort, wobei ihr Kris einen wütenden Blick zuwarf.
„Müssen wir Menschen ermorden?“
„Ja, das werdet ihr müssen, Mona. Aber ihr werdet sehen anfangs wird es komisch sein, doch schon bald werdet ihr es als normal betrachten.“
„Wie kann man einen Menschen zu töten normal finden.“, wiedersprach Mona empört.
„Sobald du um dein Leben kämpfen musst, oder um das der Opfer, wird es euch mehr als leicht fallen.“
Nervös schritt Mona auf und ab. Tippte sich fortwährend mit dem Zeigefinger an die Lippen. „Wieso muss die Welt im Gleichgewicht gehalten werden? Stimmt etwas nicht?“
„Im Moment ist alles in Ordnung und wird auch so bleiben. Solange ihr die Zeitreisen durchführt.“
„Sind wir die ersten die solche Zeitreisen durchführen müssen?“ Hakte Mona nach.
„Ja.“ Die Stimme hörte sich ein wenig genervt an, was an Monas ewiger Nachfragerei, liegen musste. Kris kicherte in sich hinein. „In welchem Zeitraum hier, müssen wir denn diese Zeitreisen machen?“ „Diese Frage kann ich nicht wirklich beantworten. Es kann mehrere Wochen dauern oder auch einige Jahre.“
„Woher wissen wir, ob wir die Richtigen beschützen?“, fragte Mona immer noch sichtlich nervös.
„Ihr werdet es spüren. Das kommt dann automatisch.“
„Was ist wenn wir uns dagegen entscheiden?“
„Das könnt ihr nicht.“
„Was?“ Kris trat nun aufgeregt einen Schritt vor. Mona zog sie jedoch gleich wieder zurück.
„Ihr habt nicht die Macht über so etwas zu entscheiden.“, antwortete die Stimme.
„Aber du hast die Macht über unser Leben zu entscheiden! Du nimmst uns damit unser Privatleben und die Chance normal weiter zu leben, ohne mit der Wimper zu zucken!“, Kris bebte innerlich vor Wut.
„Es muss so sein, für das Wohl der Menschheit. Ihr könnt euch geehrt fühlen, dass wir euch ausgesucht haben.“
„Geehrt! Das ich nicht lache.“
Die Stimme ignorierte Kris und sprach weiter. „Und jetzt zum wichtigsten Teil eurer Aufgabe. Ihr dürft eure Fähigkeit nur dann einsetzten, wenn ihr unbeobachtet seid. Ihr dürft mit niemanden darüber reden, ob in der hiesigen Zeit oder in der Vergangenheit. Das Gleichgewicht und das Wohl der Menschen, könnten sonst bedroht sein. Ihr müsst nicht so große Augen machen, denn ihr werdet nie lange genug in der Vergangenheit stecken bleiben, um ein wichtiges Gespräch führen zu können. Sobald eure Mission erfüllt ist, werdet ihr zurückgeholt. Habt ihr das verstanden?“
Lisa nickte eifrig.
„Mona? Kristine?“
„Ja! Wir sind ja schliesslich nicht taub!“, fuhr Kris die Stimme an.
„An Geld wird es euch auch nie mangeln, dafür haben wir gesorgt.“
„Das ist ja unglaublich!“, meinte Lisa erhitzt.
Kris warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. „Li, komm wieder runter. Ich verstehe nicht, wie du so etwas unglaublich finden kannst.“
Lisa drehte sich zu Kris. „Mein Leben ist momentan, wenn nicht schon länger, so öde, dass es mir wie ein Geschenk vorkommt so etwas zu wagen.“ Sie klatschte vergnügt in die Hände.
„Das soll es ja auch sein“, antwortete die Stimme.
„Ein Geschenk! Mir kommt es eher wie ein unrealistischer Befehl vor, der sich recht gefährlich anhört.“
„Als hättest du Angst vor Gefahren Kris. Wir haben ja unsere Kräfte und mit denen werden wir schon nicht so schnell verletzt.“
„Wie schon gesagt, ihr könnt nicht sterben wenn ihr in der Vergangenheit seid. Und Schmerzen, wenn ihr Schläge kassiert, spürt ihr auch praktisch keine.“
„Na toll.“, äusserte Kris sarkastisch.
„Kris sieh es doch auch mal positiv…“, versuchte Lisa sie zu beschwichtigen.
„Positiv?“, zischte Kris.
Mona schritt ein, bevor der Streit eskalieren konnte. „Genug ihr zwei.“ Sie wandte sich an die Stimme. „Werden die Aussenstehenden es nicht komisch finden, wenn wir plötzlich verschwinden?“
„Die werden es nicht bemerken. Vorhin hat es auch niemand realisiert. Dafür haben wir ebenfalls vorgesorgt.“
Es wurde still, fast zu still.
„Habt ihr noch Fragen?“
„Wie können wir in Verbindung bleiben?“, fragte Mona.
„Wir werden euch zu uns rufen.“
„Das heißt wir sind auf uns gestellt, bis ihr den Entschluss fasst nach uns zu sehen?“, Mona schluckte schwer.
„Tut mir leid, aber es muss so sein. Wir befinden uns alle in einer prekären Lage und wollen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Deshalb ist es so wichtig, dass ihr mit niemandem, und wirklich mit niemandem, darüber redet. Wenn irgendjemand davon erfährt, steht ihr nicht mehr unter unserem Schutz und wer weiß, was dann geschehen könnte.“
Sicherlich hatte sie zu viel Alkohol getrunken. Kris hatte zwar nur drei Drinks in Erinnerung, aber man wusste ja nie. Wenn man anfing zu trinken, verlor man schnell den Überblick. Sie musste durch den Alkoholkonsum eingeschlafen sein, deshalb befand sie sich auch jetzt in diesem Albtraum. Bald würde sie erwachen und darüber lachen. Oder vielleicht hatte der Barkeeper ihnen etwas in den Drink gemixt, dass hörte man doch heutzutage auch immer öfter. Vielleicht irgendeine halluzinogene Droge. Sie rieb sich die Augen. Verdammt, dass konnte doch nun nicht wirklich wahr sein!
„Habt ihr noch Fragen?“, fragte die Stimme ungeduldig.
Kris hatte keine Fragen mehr, nur noch ein mulmiges Gefühl und hoffte, dass sich das ganze am Schluss doch noch als makabrer Scherz erwies.
Lisa lächelte erregt. „Wann werden wir diese Zeitreise machen?“
„Jetzt, meine Lieben und vergesst nicht, niemand darf von euch oder von uns erfahren. Verhaltet euch in dem Jahrhundert entsprechend und fallt möglichst nicht auf. Ihr müsst euch nicht sorgen. Ihr seid genau die Richtigen für diese Aufgabe.“ Bevor eine von ihnen etwas erwidern konnte, wurden sie erneut umhüllt von diesem Rauch, der sie auch hergebracht hatte. Sobald der Rauch verblasste standen sie, bei helllichtem Tag auf einer sonnigen Lichtung, inmitten kampfhungriger Männer des Jahres 1745. Der Aufstand der Jakobiner. Dies war kein Albtraum! Sie standen wirklich mitten im Geschehen! Das ganze um sie herum war real! Kris bekam vor Schreck einen trockenen Mund. Ihre Ohren sausten. Abwechselnd wurde es ihr kalt und warm. Ihr Herz raste in einem viel zu schnellem Tempo, sodass sie glaubte es würde bald zerspringen. Die Geräusche um sie herum und den Schauplatz, nahm sie nur wie aus weiter Ferne wahr. Plötzlich spürte Kris ein Kribbeln in ihrem Nacken und hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Als sie sich umsah, lenkte Lisa und Monas Bekleidung Kris ab. Sie trugen Schottenröcke, weisse Leinenhemden und einen Hut, der ihr Geschlecht perfekt versteckte. In ihren Gesichtern, zeichnete sich die gleiche Panik ab, die auch Kris verspürte. Weit aufgerissene Augen, weit geöffneter Mund und eine Hautfarbe die so weiß wie ihre Hemden war.
„Wir werden sterben“, wisperte Lisa. Perplex blickten sie sich an. Lisa hatte den Satz auf Gälisch ausgesprochen und sie hatten ihn verstanden! Es blieb ihnen keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie wurden soeben von einer Horde schreiender Hünen angerempelt, die das Wappen der Engländer trugen. Alle drei fielen auf ihren Allerwertesten. Verzweifelt schauten sie sich an. Die Veränderung fand so plötzlich statt, dass sie es anfangs gar nicht wahrnahmen. Ein Beben fuhr durch sie hindurch. Es fühlte sich wie ein Kurzschluss an. Ihr Körper straffte sich. Sie spürten regelrecht, wie jeder einzelne Muskel sich verhärtete, hart wie Metall wurde und sie sich plötzlich viel mächtiger, grösser und kräftiger den jeher fühlten und das obwohl sie noch genauso zierlich aussahen wie zuvor. Ein Gefühl, das stärker als ihr Wille war, ließ sie blitzartig aufstehen. Als hätten sie nie etwas anderes getan, sprang jede von ihnen einen der Angreifer an. Sie wussten komischerweise genau was zu tun war.
Lisa hielt einen Engländer zurück, der soeben einen Schotten töten wollte. Sie packte ihn von hinten und schubste ihn einfach aus dem Weg. Er flog daraufhin weit fort und schlug mit seinem Kopf hart auf die Erde auf. Er starb augenblicklich. Sie beeilte sich, um dem anderen Schotten zu helfen.
Mona schlug mit ihren Fäusten, in einem überdimensionalen Tempo, ebenfalls auf einen bulligen Typen ein, bis dieser bewusstlos zu Boden fiel. Einem anderen brach sie den Arm und dem dritten schlug sie so fest in die Brust, dass er leblos zusammensackte.
Kris packte einen rothaarigen Schotten der bereits bewusstlos am Boden lag unter die Arme und schleifte ihn mühelos vom Geschehen weg. Sie hatte keine Ahnung wer das war, sie folgte einfach einem Gefühl, das ihr vermittelte, sie sollte diesen Mann beschützen. Was sie demzufolge auch tat, als ein halbes Dutzend heißhungriger Engländer auf sie zu rannte. Sie stellte sich vor den bewusstlosen Schotten. Unbeholfen stand sie da und als sie angegriffen wurde, rammte sie instinktiv ihren Dolch in die Brust der Angreifer. Leblos sackte der Feind zu Boden.
Fünf Engländer umzingelten sie nun. Einer trat hervor und schlug ihr mitten ins Gesicht. Dieser Schlag hätte sie zu Fall bringen müssen, doch Kris spürte fast nichts. Sie ließ sich nochmal ins Gesicht schlagen. Wieder nichts. Widerwillig musste sie schmunzeln. Mutig warf sie nun das Schwert zu Boden und kämpfte nur noch mit ihren Fäusten und Beinen. Binnen weniger Minuten lagen sechs tote Engländer zu ihren Füßen. WOW!
Weitere stürmten nun auf sie zu. Selbstbewusster als zuvor, grinste sie diese nun an und löschte jedes einzelne Leben aus, mit einer präzisen Kampftechnik, als wäre sie als Shaolin Mönch geboren worden.
Der Commander rief nun über die ganze Lichtung seine Männer zurück. Die Schotten jubelten laut und das war das letzte was sie zu hören kriegten. Der Rauch umhüllte sie erneut und brachte sie zurück in ihr eigenes Jahrhundert. Plötzlich saßen sie wieder an ihrem Tisch im Vertigo. Der Schottenlook war verschwunden, das weite, weiße Leinenhemd und der Hut ebenfalls. Die wütenden Stimmen der Männer, die Todesschreie, die Triumphschreie - alles war weg. Als hätte das soeben erlebte nie stattgefunden. Dabei befanden sie sich noch vor einigen Sekunden in einer gänzlich anderen Zeit, an einem fremden Ort - mit Kräften die unvorstellbar waren. Fassungslos schauten sie sich an. Ihre Körper zitterten. Ihre Augen waren glasig und zeigten einen Hauch von Rausch. Es war ihnen anzusehen, dass ihre Gefühle gerade Achterbahn fuhren. Der Kellner trat an ihren Tisch. Skeptisch blickte er die drei an. „Alles In Ordnung?“ fragte er.
Mechanisch nickten sie. Dabei war gar nichts in Ordnung. Ganz im Gegenteil!
„Wollt ihr noch etwas bestellen?“
Wieder verneinten alle drei, standen auf und verließen schnurstracks die Bar. Sie schwiegen, die ganze Fahrt über.
Auch zu Hause sagte keine auch nur ein Wort. Mechanisch setzten sie sich auf das Sofa. Kris bereitete Tee zu und drückte jeder von ihnen eine Tasse in die Hand. „Ist das wirklich gerade alles passiert?“, Mona stütze ihren Kopf auf die angezogenen Knie. Lisa machte eine theatralische Kopfbewegung. „Mmh.“
„Ich glaube das einfach nicht.“, sagte Mona wie zu sich selbst. „Es kommt mir einfach nicht real vor. Die schreienden Stimmen hallen immer noch in meinem Kopf wieder.“
„Mir klopft das Herz wie wild“, erwiderte Lisa und nahm einen großen Schluck Tee.
„Mein Körper zittert immer noch. Ich kann es einfach nicht fassen. War das alles echt? Die schreienden Rufe, das Gemetzel, das Jahrhundert? Ich meine, wir Leben im 21. Jahrhundert und kennen diese unrealistischen Geschichten nur aus dem Fernsehen, wie kann das gerade uns passieren und wie soll ich mit dieser Situation fertig werden? Ich habe Angst!“ Lisa kuschelte sich näher an Mona und legte ihr einen Arm auf die Schulter. „Du musst keine Angst haben, uns kann nichts geschehen wenn wir in der Vergangenheit sind. Es ist heute einfach nur zu viel auf einmal passiert und es ist alles so schnell gegangen, um es jetzt in so kurzer Zeit verarbeiten zu können. Morgen wirst du schon ganz anders darüber denken.“
Mona schaute zu ihr rüber, den Kopf noch immer auf ihre Knie gelehnt. „Hast du denn überhaupt keine Angst?“
Lisa schien kurz zu überlegen. „Angst ist vielleicht das falsche Wort. Ich bin ein bisschen durch den Wind und sehe das Ganze auch wie - durch einen Schleier. Ich glaube, dass wir erst morgen wissen werden wie wir uns wirklich fühlen.“
„Ich wünschte ich hätte im Moment auch deine Zuversicht. Aber ich schaff es einfach nicht.“
„Die wird noch kommen du wirst schon sehen.“ Kraftspendend tätschelte sie Monas Schulter. Ihr Blick glitt zu Kris die komischerweise kein Wort gesagt hatte.
„Was ist mit dir Kris?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Angst habe ich keine. Ich versuche im Moment eher herauszufinden, wer diese Stimme sein könnte, die so viel Macht hat uns diese Kräfte zu verleihen und wie die Stimme es geschafft hat uns in die Vergangenheit zu schicken. Waren es Ausserirdische? Oder war es Gott? Vielleicht waren es normale Menschen wie wir es sind? Das war echt filmreif. Hätte mir das irgendwer vor einer Woche erzählt, hätte ich ihn für irre gehalten. Gleichzeitig packt mich eine Wut und ich denke mir, was erlaubt diese Stimme sich eigentlich und zu befehlen wie wir künftig leben müssen.“
„Aber du weißt ja noch gar nicht, wie wir weiter leben werden. Vielleicht wird es uns auch besser ergehen, als zuvor“, beeilte sich Lisa zu antworten.
„Li komm wieder raus aus deiner Phantasiewelt. Wie soll sich das auf unser Leben positiv auswirken?“
„Das ist einfach so ein Gefühl, was ich habe.“
„Oder reines Wunschdenken“, warf nun auch Mona ein.
Kerzengerade setzte sich Lisa nun auf. Sie blickte beide abwechselnd an. „Jetzt mal ehrlich. Als ihr heute in der Schlacht gekämpft habt, hattet ihr schon mal zuvor so ein vollkommenes Hochgefühl? Hattet ihr nicht auch das Gefühl unbesiegbar zu sein und so etwas wie Freude empfunden, als ihr bemerkt habt wie ihr diese Hünen zu Brei geschlagen habt?“
Lange sagte keine von beiden etwas. Kris räusperte sich. „Ich muss sagen, als mir einer eins ins Gesicht schlug und ich praktisch nichts gespürt habe, überkam mich ein überschwängliches Gefühl. Ich habe sogar gelacht und hab dann die restlichen Kerle erledigt.“
„Siehst du“, sagte Lisa stolz.
„Ich habe drei riesige und breite Männer in weniger als einer Minute erledigt und es war mir egal. Die Stimme hat Recht behalten, wenn du um dein Leben kämpfen musst, oder das der anderen, dann machst du es, ohne darüber weiter nachzudenken und ohne an dir zu zweifeln.“ Lisa und Kris nickten Mona zu.
„Das überragende Gefühl, wie Kris sagt, überkam mich auch.“ Monas Mine hellte sich ein wenig auf.
„Ich hab es euch ja gesagt. Und…“, versuchte Lisa die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. Vergebens, denn Mona und Kris waren vollauf damit beschäftigt, über ihre Eindrücke und Empfindungen zu sprechen. Und sie hörten sich auch nicht mehr verzweifelt an, eher enthusiastisch. Lisa schmunzelte und wartete geduldig ab, bis sie an der Reihe war, um ihre Gefühle und Geschehnisse darzulegen. Sie redeten anschließend bis in die tiefe Nacht hinein. Irgendwann fielen ihnen jedoch die Lider zu und sie schliefen einfach alle drei auf dem Sofa ein.
Lisa erwachte als erste und suchte nach einer Aspirin in ihrer Tasche, da ihr Kopf zu explodieren drohte. Sie schlenderte hinüber ins Bad, dass etwa die Größe ihres Wohnzimmers besaß und staunte wieder einmal über den vielen Platz. Das Bad war luxuriös ausgestattet und enthielt ein Jacuzzi, eine Dusche, eine Umkleidekabine sowie ein Doppellavabo. Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, überprüfte kurz ihr Spiegelbild und verschwand wieder aus dem Bad. Mit pochenden Kopfschmerzen schnappte sie sich Kris Autoschlüssel und verließ die Wohnung, da sie wusste, dass Kris nichts einzuwenden hatte. Das war eins ihrer morgendlichen Rituale, wenn sie bei Kris übernachteten, die Erste die am Morgen erwachte, musste für das Frühstück sorgen.
Sie fuhr also zum Bankautomaten, um Geld abzuheben. Kurz darauf blieb ihr vor Schreck der Mund offen stehen, als sie die Zahl auf dem Bildschirm vor sich bemerkte. Die Kopfschmerzen waren augenblicklich verflogen. Völlig aus dem Häuschen, nahm sie ihre Karte wieder an sich, lief zum Bäcker und kaufte dort frische Brötchen, Muffins und Kaffee in rauen Mengen. Den ganzen Rückweg fuhr sich pfeifend vor sich hin. Seit gestern würde ihr Leben jetzt endlich mehr Flair haben. Kris und Mona würden das vielleicht nie verstehen, doch endlich geschah auch mal etwas Interessantes in ihrem Leben und dazu kam noch, dass es etwas war, wovon sie niemals geglaubt hätte das es je existierte, außer in den Büchern, die sie las oder in den Filmen, die sie sah. Wie viele Male hatte sie wach im Bett gelegen und sich vorgestellt, sie wäre auch eine von diesen Superheldinnen. Und jetzt war sie tatsächlich eine. Vor Freude fing ihr Körper an zu kribbeln. Sie war ein Mensch mit Superkräften, bei diesem immer wiederkehrenden Gedanken, trat ein Lächeln auf ihr Gesicht. Auch wenn sie gestern noch ein wenig Bedenken hatte, was ihre Mission betraf, heute konnte sie niemand mehr umstimmen, es war das Beste was ihr bisher im Leben passiert war. Natürlich wäre ihr Leben noch perfekter, wenn sie nun noch einen Traummann an ihrer Seite bekäme, aber sie war auch so schon mehr als zufrieden. Sie parkte den Wagen, schloss ab und fuhr mit dem Lift hinauf in Kris´ Wohnung. Pfeifend trat sie hinein und schritt zügig in die Küche. Mona und Kris saßen bereits schläfrig am grauen Bistrotisch. Beide blickten hoch als Lisa mit einem strahlenden Gesicht in die Küche spazierte.
„Da ist ja jemand heute gut drauf“, murmelte Kris schlaftrunken. „Mmh, ja ich werde Montag ebenfalls kündigen und habe auch einen guten Grund dazu.“
„Und der wäre? Mir ist immer noch ein wenig mulmig.“ Mona schüttelte sich.
„Das muss es nicht Mona. Es ist ein Geschenk und das größte von allen ist das hier.“ Sie kramte in ihrer Tasche, fand den weißen Zettel und legte ihn nun mitten auf den Tisch.
Mona und Kris schauten auf den Bankbeleg. Ihre Müdigkeit schien schlagartig verflogen.
Mona riss das Blatt an sich. „Das ist ja eine sechsstellige Zahl. So etwas hab ich in meinem Leben noch nicht auf einem meiner Auszüge gesehen!“, rief sie aus.
„Versteht ihr jetzt was ich meine? Es ist mehr als nur ein Geschenk, so viel Geld bring ich nicht einmal zusammen, wenn ich Jahre über Jahre sparen würde. Das ist doch auch für dich eine Menge Geld, nicht wahr Kris?“
„Ja das ist eine beträchtliche Summe. Dennoch finde ich den Preis zu hoch, den wir bezahlen müssen.“ Lisa stemmte beide Hände in ihre Hüften. „Ist euer Enthusiasmus über Nacht schon wieder verschwunden?“
Mona und Kris blickten sich hilfesuchend an. „Eigentlich schon.“ Antworteten dann beide zusammen.
„Ich glaube das einfach nicht. Ihr seht alles viel zu pessimistisch.“ Lisas quirlige stimme stieg augenblicklich eine Oktave höher.
„Und in deinen Augen wäre das Positive eine Menge Geld und die Superkräfte in der Vergangenheit? Ich muss schon sagen, ich bin nicht einmal sehr überrascht, dass du dir keine Gedanken über unser Leben hier machst. Endlich hast du ja was du wolltest, da du dein Leben sowieso langweilig findest.“
„Kris“, tadelte Mona.
„Ist schon gut Mona. Ich kann mich selbst verteidigen. Ja ich gebe es zu, das ist das Beste was mir hätte passieren können. Und ich verstehe einfach nicht, wieso du so abgeneigt bist, denn dein bisheriges Leben fandst du doch auch nicht wirklich berauschend.“
„Weil das etwas ist, bei dem ich…“, angestrengt suchte Kris nach dem richtigen Wort.
Lisa kam ihr zur Hilfe. „Keine Übersicht hast, nicht wahr?“
Kris bejahte dies traurig.
„Hört auf! Wir können Stunden, Tage, Wochen darüber weiter streiten. Leider bringt es uns nichts mehr. Ich bin ein nüchterner Mensch, und dass was uns gestern widerfahren ist, bereitet mir eine Heidenangst. Die ganze Nacht habe ich gegrübelt, gegrübelt und gegrübelt. Letztendlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es nichts bringt über etwas nachzudenken, auf dass ich keine Antwort finden kann. Es ist nun mal so wie es ist, auch wenn mich die Situation nicht erfreut. Ändern können wir es leider ebenfalls nicht mehr. Deshalb rate ich euch, vertragt euch wieder und akzeptiert die Meinung der Anderen.“ Lisa und Kris schauten sich an. „Tut mir leid“, sagten beide wie aus einem Mund, was sie beide wiederum
zum Schmunzeln brachte.