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K A P I T E L 6

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Nunzia schluckte die aufsteigenden Tränen herunter und brauchte einen Augenblick, bis sie ihre Fassung zurückgewann. Shanti nickte ihr aufmunternd zu. Dann erzählte die Brünette, was ihr widerfahren war. »Ich möchte bei Jenny beginnen. Du warst es doch, der ihr nachts aufgelauert und sie angefallen hat.«

Michaels flaues Gefühl im Bauch verdichtete sich. Woher wissen die beiden, dass ich es war?

Aber sie ließ ihm keine Zeit, über diese Frage nachzugrübeln. Sie fuhr mit ihrem Bericht fort. »Du hast ein Stück Fleisch aus ihrem Bein gebissen, und so hast du den Werwolfsfluch an sie weitergegeben.«

Michael lauschte angespannt. Es war ihm peinlich, dass Gabi und Shanti ebenfalls interessiert mithörten. Er war Gabi mehr als dankbar, dass dieser seinen Mund hielt und Nunzias Erläuterungen nicht kommentierte.

»Ich muss wohl nicht infrage stellen, dass du dich mit dem Fluch auskennst.«

»Moment mal«, unterbrach Michael sie jetzt doch. »Woher weiß Jenny, dass ich es war?«

Erneut schluckte die Angesprochene und druckste herum. »Dazu komme ich gleich«, sagte sie mit ihrer lispelnden Stimme.

Michael lehnte sich zurück und blickte Nunzia ernst an. »Okay, ich bin gespannt auf deine, oder besser gesagt, Jennys Erklärung.«

Sie nickte ihm zu und berichtete weiter: »Jedenfalls ging es ihr nach ...«, sie stutzte, als würde sie nach den richtigen Worten suchen, »... nach dem Angriff gut. Jedenfalls den Umständen entsprechend. Dann bekam sie im Krankenhaus Fieber, und wir dachten alle, sie würde sterben. Sie erzählte mir sonderbare Sachen, und ich schob es auf ihren Fieberwahn«, fuhr sie fort. »Aber jetzt ... nach und nach, ergeben ihre Worte immer mehr Sinn für mich.«

Michael glaubte, vor Spannung platzen zu müssen. Ich muss mich zusammenreißen. Bleib schön cool, Alter, sagte er zu sich selbst. Am liebsten hätte er Nunzia geschüttelt, damit sie schneller weitersprach.

»Was hat sie dir denn erzählt?«, fragte Shanti anscheinend genauso neugierig, wie Michael es war, mit ihrer Kleinmädchenstimme, und riss Nunzia so aus ihren Erinnerungen.

Die Brünette kam nicht weiter, denn zwei Wachleute kamen in die große Halle. In ihrer Mitte stützten sie einen anderen Mann, der mehr tot als lebendig aussah. Sie legten ihn zwischen den beiden Clanoberhäuptern ab und richteten sich auf. »Er tauchte auf einmal aus dem Wald auf und schrie wie ein Wahnsinniger nach Dante, und er wolle nach Hause, zu seiner Mama.«

Eine Frau mittleren Alters, war aufgesprungen und zu dem am Boden liegenden Mann geeilt. Sie schluchzte laut, als sie ihren Sohn erkannte. »Geri. Nein! Was ist mit ihm? Wo ist Dante?«

Ein anderer Mann war ebenfalls aufgesprungen. »Geht mal zur Seite. Ich bin Arzt. Ach du meine Güte«, brachte er entsetzt hervor. »Die Schweine haben ihn gefoltert. Seine Arme sind total zerstochen. Er sieht aus wie ein Drogentoter auf dem Essener Bahnhofsklo.«

Geris Mutter schluchzte erneut bei seinen Worten.

Der Arzt schüttelte entschuldigend den Kopf. »Er lebt, aber ich weiß nicht, was ich für ihn tun kann. So, wie es aussieht, haben sie ihn einer Gehirnwäsche unterzogen. Sehen Sie, an seinen Augen sind deutliche Verletzungen, wie sie auftreten, wenn Metallklemmen angebracht wurden. Die vielen Einstiche weisen auf Drogen hin, die man ihm mit Gewalt verabreicht hat. Seine Peiniger müssen ihn zu uns zurückgebracht haben. Alleine war er nicht mehr in der Lage dazu.«

»Aber wo ist mein anderer Sohn? Dante und Geri waren zusammen auf Patrouille im Wald.«

Mehrere Leute waren nun ebenfalls aufgestanden, hatten sich um den Verletzten und den Arzt versammelt, um sich ein genaueres Bild zu machen. Michaels Mutter kümmerte sich um die völlig aufgelöste Mutter des Gepeinigten und führte sie hinaus.

Der junge Mann starrte an die Decke und schien durch alles hindurchzugucken. Sein Mund zuckte, als würde er etwas kauen. Sein Hemd war zerrissen, und man konnte deutlich die frischen Verletzungen auf seiner Brust erkennen. Der Arzt fühlte nach seinem Puls, schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht, ob er durchkommt. Ich muss ihn gründlicher untersuchen. Könnt ihr zwei ihn in mein Behandlungszimmer bringen?« Seine Worte waren an die zwei Wachmänner gerichtet, die sofort den Verletzten nahmen und aufrichteten.

Geri wimmerte. »Nein, Mama, Mama. Lasst mich! Ich will das nicht! Dante!« Den Namen seines Bruders hatte er laut hinausgeschrien, sodass er in dem Saal widerhallte.

»Kommt, wir sollten uns beeilen«, forderte der Arzt die beiden Männer auf. Sie gehorchten und folgten ihm aus der großen Halle.

»Puh, wie schrecklich. Wo steckt Dante nur?«, fragte Shanti leise und richtete ihren Blick wieder auf ihre Gesprächspartner.

Nunzia nickte ihr ernst zu. »Ja, das war wirklich grausam.«

Gabriel sah Michael direkt an. Die beiden Brüder schienen eine stumme Unterhaltung zu führen. Ihre Mienen waren ernst und spiegelten immer noch den Schock wider, den Geris Auftauchen mit sich gebracht hatte.

»Bitte, sagt doch Nunu zu mir. Alle meine Freunde ...« Nunzia brach ab und sah unsicher die drei ihr zuhörenden Personen an.

Michael seufzte laut. Ihm war jetzt gar nicht danach, weiter eine höfliche Konversation zu betreiben. Er wollte wissen, ob der Arzt, den er von kleinauf kannte und zu dem er großes Vertrauen hatte, Geri helfen konnte. Außerdem fragte er sich, wo Dante, den er nur vom Sehen her kannte, geblieben war.

Ehe Michael etwas zu Nunzia sagen konnte, tat es Shanti an seiner Stelle. »Wir haben an Geri gesehen, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten. Du bist nun ein Teil von Gabriels und Michaels Clan und somit auch bald von meinem, wenn wir geheiratet haben. Natürlich sind wir Freunde, Nunu.«

Ein Strahlen ging über das runde Gesicht der Brünetten. »Danke«, hauchte sie Shanti zu und blickte dann Michael triumphierend an, der ihren Blick aber nicht erwiderte.

In Gedanken war er immer noch bei Geri. Was hatten die Schweine ihm angetan? Hoffentlich kommt er durch.

*

Fassungslos starrte ich die junge Frau an, die in meine Zelle getreten war. Reiß dich zusammen, beschwor ich mich regelrecht. Sie durfte meine Verwunderung nicht bemerken. Am liebsten hätte ich die große, schlanke Blondine in der hautengen Lederhose und der offenherzigen Corsage komplett ignoriert. Wie kann man nur so unzüchtig herumlaufen? Ihre Brüste würden gleich hervorspringen, und auf den Anblick hatte ich noch weniger Lust, als in ihr vor Dummheit strotzendes Antlitz zu blicken. Ihr Gesicht würde ich wahrscheinlich nie mehr vergessen. Aber im Gegensatz zu unserem letzten, für mich unschönen Treffen, schien sie nicht mehr unter Akne zu leiden. Ihre Haut war ebenmäßig, und sie sah makellos aus. Ihre ganze Erscheinung wirkte auf mich eiskalt.

Sie schob ihre schulterlangen Haare nach hinten und schritt auf mich zu. »Ich wusste es, man sieht sich immer zweimal im Leben.«

»Die Freude ist ganz meinerseits, Jenny«, erwiderte ich mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme.

Jennys Hand, die sie hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte, schnellte vor und hielt mir eine massive Eisenstange entgegen.

Ich schnaubte verächtlich: »Willst du mich damit wieder schlagen?«, fragte ich furchtlos und ging in Gedanken die wenigen Zaubersprüche durch, die Mama mir erst vor Kurzem beigebracht hatte.

Jenny schnalzte spöttisch mit der Zunge. »Du hast ein verdammt loses Mundwerk, du dumme Bitch.«

Ich schüttelte herablassend den Kopf. »Und du bist immer noch so asozial wie vorher«, konterte ich und konzentrierte mich auf einen Entwaffnungszauber. Ich war wirklich nicht so geübt und mir überhaupt nicht sicher, dass ich die Magie in die richtige Bahn lenken konnte. »Was machst du hier, Jenny?«, fragte ich sie, um sie abzulenken und so Zeit zu gewinnen.

Ein kaltes Lächeln floss über ihre Lippen. Sie ließ die Stange in ihre Handfläche klatschen und blickte mich mitleidlos an. »Dich foltern, Bitch.«

»Mein Name ist Freyja. Ich nenne dich ja auch nicht Flittchen.« Ich wusste, warum sie mich so unsäglich hasste. Jenny hatte vor meiner Zeit eine Liaison mit Michel, und dann wollte er sie nicht mehr, und sie gab mir die Schuld daran. Ich konnte in diesem Augenblick wieder einmal nicht verstehen, was mein Freund an diesem zänkischen Weibsstück gefunden hatte.

Jenny schien meine Gedanken erraten zu haben. Sie schüttelte den Kopf über mich, und dann ging alles sehr schnell. Ehe ich mich versah, hatte sie mich mit dem Stab berührt. Mein kompletter Körper zuckte unter einem wahnsinnigen Stromschlag zusammen. Ich glaubte zu verglühen und sank, ohne es zu wollen, vor ihr auf die Knie.

»Damit du weißt, wo du hingehörst, Bitch. Dreck zu Dreck.«

Ich schnappte schmerzvoll nach Luft und wollte das nicht noch einmal ertragen müssen.

Jenny wedelte mit dem Stock vor meiner Nase herum. »Sind die Fronten nun geklärt?«

Ich wusste, dass ich in meiner Position keinen Widerstand leisten durfte, und nickte schwach.

Doch es genügte dieser brutalen Kreatur nicht. »Sprech es aus!«

»Sprich«, verbesserte ich sie automatisch und hoffentlich so leise, dass sie meine freche Antwort nicht gehört hatte.

»Was?«, fauchte sie mich an und hob dabei drohend den Stock.

Ich schüttelte rasch den Kopf. »Ich meinte, ich habe dich verstanden.«

Die Stimme meiner Mutter erklang mit einem Mal in meinem Kopf. Sie erinnerte mich an die wichtigste Lektion, die sie mir beigebracht hatte. »Dein größter Feind ist dein Zweifel.« Ich kapierte in diesem Moment, was sie mir damit sagen wollte, und verstand, welcher Fehler mir kurz vorher unterlaufen war. Als ich mich auf den Zauber vorbereitet hatte, war ich mir unsicher, ob er überhaupt gelingen würde. Ich kannte zwar den Zauberspruch, wusste, wie ich meine Kraft einsetzen musste, zweifelte trotzdem an meinen Fähigkeiten, und so ging die Aktion schief.

Jenny schien mir meine demütige Show abzunehmen, sie bohrte ihre Stiefelspitze in meinen Oberschenkel.

Ich widerstand dem Drang, ihren Fuß von mir zu stoßen, und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Stattdessen fragte ich sie, so ruhig es mir gelang: »Welche Aufgabe hast du in diesem Gefängnis?« Ich musste Energien für weitere Zauber sammeln.

Jenny schüttelte den Kopf. »Sagte ich doch schon, dich zu foltern, Bitch und es macht mir riesigen Spaß!«

Ich sah eine Spur Wahnsinn in ihren Augen, und das beunruhigte mich kolossal. »Ich meinte eigentlich, wie du zur NWO gekommen bist?«

Sie lachte wieder grell, nahm ihren Fuß von mir und ging ein paar Schritte durch meine Zelle.

Kaum war der Schmerz an meinem Bein fort, spürte ich das vertraute Prickeln in meinen Fingerkuppen. Ich werde es schaffen. Kein Zweifel!

»Ich bin ein Werwolf und habe mich für die richtige Seite entschieden.«

Ihre Aussage verwirrte mich und ließ mich stutzen. Ich wusste nicht, dass Jenny auch ein Werwolf war. Das hatte Michel mir nie über seine Ex erzählt.

»Schau nicht so dämlich. Er hat mich gebissen.«

Ihre Worte erschreckten mich, sodass das Prickeln erlosch wie eine Kerze, die man ausgepustet hatte.

»Michel hat dich gebissen? Wann denn?« Ich konnte, nein, ich wollte es einfach nicht glauben.

Jenny stolzierte triumphierend durch meine Zelle, spielte mit dem Schlagstock in ihren Händen. »Da guckste doof, was? Oh ja, er hat mich überfallen und gebissen. Hinterrücks und feige. Er wollte sich nicht einmal zu erkennen geben.«

Das war heute schon die zweite Neuigkeit über Michel, die eine Seite an ihm zeigte, die ich bisher nicht kannte und auch nicht kennen wollte.

»Jedenfalls war die NWO so nett und nahm mich bei sich auf. Du wirst verstehen, dass er hingerichtet werden soll, weil er mich, und das auch noch vor anderen Menschen, angefallen und so den Werwolffluch auf mich übertragen hat.«

»Hingerichtet?« Ich war noch so in meinen Zweifeln über Michel versunken, dass ich ihr nicht weiter zugehört hatte.

»Ja, er wird wegen Hochverrat angeklagt. Es ist Werwölfen nicht erlaubt, in der Öffentlichkeit Menschen anzugreifen und auch noch den Fluch an diese weiterzugeben.«

»Aber auf Menschen Jagd machen, das ist erlaubt?«, fragte ich und bereitete mich mental auf ihren Angriff mit dem Schlagstock vor.

Jenny stutzte bei meiner in ihren Augen frechen Frage, dann grinste sie teuflisch. »Ja, das sind extra Jagdgesellschaften und versteckte Orte, an denen es kein anderer Mensch mitbekommt. Ich durfte auch schon an einer teilnehmen. Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie gut es sich anfühlt, diese Angst zu wittern und der Spur zu folgen, bis ...«

»Es passt zu dir, Jenny. Du hast dich nicht großartig verändert.«

Jennys Augenbrauen schossen in die Höhe. Sie trat auf mich zu, um mir einen weiteren Stromschlag zu verpassen. Ich konzentrierte mich auf jede kleine Bewegung von ihr, und vor allen Dingen auf den Stock in ihrer Hand. Sehnlichst wünschte ich mir, dass er fort wäre. Etwas schien durch meinen Körper zu rasen, zentrierte sich zu einem wilden Kribbeln, in meinen Fingerspitzen. Es war ein Gefühl, als würde ein ganzer Ameisenstaat über meine Haut laufen.

Ehe Jenny mich mit ihrem Stab treffen konnte, verschwand die Waffe in ihrer Hand, und sie wich nach Luft schnappend erschrocken zurück. »Was hast du gemacht, Hexe?«, motzte sie mich an.

Wenigstens sagt sie jetzt nicht mehr Bitch. Ich lächelte amüsiert. »Gehext«, erklärte ich ihr wahrheitsgemäß, und zu meiner Freude konnte ich beobachten, wie sie vor mir zurückwich. Ich erhob mich, trat nun auf sie zu.

Panik flackerte jetzt in ihren Augen auf. »Du gehörst auch hingerichtet«, stotterte sie und verließ eilig meine Zelle. Sie schloss von außen ab und blickte noch einmal durch die Gitterstäbe. »Ich warne dich, Bitch. Ich werde mit dir fertig.« Mit diesen unschönen Worten verließ sie mich.

Ich habe es geschafft. In mir jubilierte alles. Ich hatte tatsächlich echte Illusionsmagie angewandt. Ich konnte es selbst kaum glauben. Ich bin wirklich eine echte Hexe. Ich hatte die in mir wohnende Magie benutzt - und das im richtigen Augenblick. Sie würden mich nicht so einfach fertig machen, das schwor ich mir. Ich hatte nun eine Waffe, die mir immer zur Verfügung stand, und die sie mir nicht so einfach wegnehmen konnten, weil man sie gar nicht sah. Ich könnte tanzen vor Glück!

Und wieder erklang eine Stimme: »Du hast das sehr gut gemacht. Wenn du an dich glaubst, schaffst du alles.« Es war eine Männerstimme, und sie erinnerte mich an etwas. So sehr ich mich auch bemühte, es wollte mir nicht einfallen, wann ich diese Stimme schon einmal gehört hatte.

Die Gilde der Rose

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