Читать книгу Die Gilde der Rose - Talira Tal - Страница 8

K A P I T E L 3

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Michael Graf erwachte, sein Magen rebellierte, ihm war speiübel. Als er seine muskulösen Beine, die kunstvoll mit Runen seines Clans tätowiert waren, über die Bettkante schwang, bemerkte er, dass er nicht zu Hause war. Wo ist Freyja? Wo bin ich?, fragte er sich. Suchend glitt sein Blick über die schmale Pritsche, auf der er geschlafen hatte. Verwirrt musste er feststellen, dass sein Nachtlager verwaist, war.

Irritiert sah er sich in der Kammer um. Außer der Schlafmöglichkeit gab es noch ein paar Möbelstücke. Einen Kleiderschrank, einen Tisch mit einem Stuhl und einem Regal, das aber nichts enthielt. Von der Decke baumelte eine einsame Glühbirne, die brannte und ihm so Licht spendete, denn zu allem Elend war das Zimmer fensterlos. Von Freyja fehlte jede Spur.

Michael erschauerte bei der Vorstellung, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte. Seine Übelkeit, die ihn geweckt hatte, war wie weggeblasen. Die Sorge um Freyja, dem Mädchen, das er so sehr liebte, dominierte alles.

Wie immer, wenn er nervös oder ratlos war, zerstrubbelte er sein ohnehin schon wirres Haar. Los Junge, erinnere dich! Es dauerte einen Moment, dann tauchten Bilder vor seinem inneren Auge auf. Freyja und er hatten abends im Bett gesessen und Pizza gegessen. Sie liebte Pizza, und er hatte ihnen extra einen ganz besonderen Wein dazu geholt. Außerdem hatten sie viel geredet, unter anderem erzählte Freyja viel von der Zeit vor 400 Jahren. Sie hatte sogar komödiantisches Talent bewiesen, indem sie den Dorfpfarrer nachmachte, wodurch sie Tränen lachen mussten. Während sie sich langsam beruhigten, trafen sich ihre verliebten Blicke. Sachte zog er Freyja näher zu sich, viel Kraft benötigte er nicht. Zu sehr war auch ihr Verlangen, ihm nahe zu sein. Zärtlich übersäte er ihr süßes Gesicht mit vielen kleinen Küssen. Mutiger werdend forderte Freyja ihn zu einem innigen Kuss heraus. Michael hatte sich wie im siebten Himmel gefühlt. Er konnte erst die Küsse enden lassen, als sie eng aneinander gekuschelt einschliefen.

Mitten in der Nacht musste er zur Toilette. Und was war dann passiert? Denk nach, Junge! Er zermarterte sich den Kopf, aber ihm wollte nicht einfallen, was in der Nacht geschah und wie er in diese Kammer gekommen war.

Unschlüssig stand er im Zimmer und überlegte, ob er den Kleiderschrank untersuchen oder die Klinke der Tür herunterdrücken sollte. Wahrscheinlich ist die Tür abgeschlossen, und was, wenn nicht? Was erwartet mich hinter dieser Tür? Seine Neugierde war stärker als seine Angst. Ich werde nicht abwarten, bis ich von irgendetwas oder -jemand böse überrascht werde.

Zu seinem Erstaunen ließ sich die Tür problemlos öffnen. Michael blickte in einen weißgetünchten Gang. Er versuchte mit seinem feinen Spürsinn, den nur Werwölfe in dieser Intensität besaßen, Gerüche wahrzunehmen. Und er konnte tatsächlich Duftnoten wittern. Es waren ebenfalls Werwölfe. Fast wäre er instinktiv der Fährte gefolgt, besann sich jedoch, da er lediglich in Unterwäsche war.

So verschloss er die Tür und öffnete stattdessen den Kleiderschrank. Bingo! Er hatte Glück, denn im Schrank befanden sich Kleidungsstücke in seiner Größe. Michael grübelte nicht, woher sie kamen und wem sie gehörten. Er zog ein paar schwarze Jeans, ein kurzärmeliges Polo-Shirt in der gleichen Farbe und Turnschuhe an.

Als er den Raum verließ, spürte er, wie sich jeder Muskel in ihm kampfbereit anspannte. Er betrat den Gang, der zu einem scharfen Linksknick führte. Vor einer Tür, ähnlich wie die von der Kammer, in der er aufgewacht war, blieb er stehen und lauschte auf Geräusche. Er konnte mehrere Stimmen wahrnehmen, die durcheinander redeten.

Um die Duftnoten intensiver wittern zu können, drückte er seine Nase gegen den Türspalt. Michael erschrak, als sich die Tür urplötzlich öffnete. Nein! Das kann doch nicht sein. Mit allem hatte Michael gerechnet, aber nicht mit der Person, die ihm nun gegenüberstand.

*

Ich erwachte mit dröhnenden Kopfschmerzen. Mir war saukalt in meinem kurzen Nachthemd, und ich spürte harten Betonboden unter mir. Wo bin ich? Ich schlug die Augen auf und blickte auf eine vergitterte Tür.

Sofort waren die Erinnerungen an den Überfall in Michels ‚Bude‘ zurück. Diese brutalen Soldaten hatten mich mitgenommen! Ich bin eingesperrt. Es erinnerte mich an meine Haft im Blücherturm. Irgendwie hatten sich die Gefängnisse in den Jahrhunderten nicht großartig verändert. Damals war meine Zelle mit gammeligem Stroh ausgelegt. Jetzt lag ich auf dem nackten Boden. Auch nicht besser.

An der Wand, auf die ich direkt sehen konnte, klebte eine rote Farbe, die aussah wie getrocknetes Blut. Ich erschauderte. Mein Blick fiel auf die Näpfe für Essen und Trinken. Damals waren sie aus Holz, heute waren es Blechnäpfe.

»Michel, wo bist du nur?«, fragte ich laut in die Stille hinein.

»So einsam, kleine Hexe?« Ich erschrak, als ich eine Stimme hörte, und fuhr herum. Ein Mann stand hinter mir, und ich kannte ihn nur zu gut. Instinktiv versuchte ich vor ihm zurückzuweichen, doch die vergitterte Tür in meinem Rücken stoppte meinen Fluchtversuch.

*

Fassungslos blickte Michael Graf seiner Mutter geradewegs in die Augen.

»Du bist aufgewacht, wie schön. Wie geht es dir?« Nach ihrer Frage schloss sie ihren Sohn beherzt in die Arme.

Erleichtert erwiderte Michael ihre Herzlichkeit. »Wo ist Freyja?«, fragte er seine Mutter, als diese sich wieder von ihm gelöst hatte.

Unverständnis spiegelte sich in ihren cremefarbenen Augen. »Wer ist Freyja?«

Okay, er hatte seine Freundin vor den Eltern verheimlicht. Sie war keine Werwölfin, und er wusste, was seine Familie, ganz besonders sein Vater, davon hielt. Für ihn war es immer wichtig, durch arrangierte Hochzeiten den Clan zu stärken. Deshalb habe ich ihnen bisher ja auch nichts von meiner süßen Hexe aus der Vergangenheit erzählt.

Er musste der Sache trotzdem auf den Grund gehen. »Das erzähle ich dir gleich, Mama. Sag du mir erstmal, wie ich hierhergekommen bin und wo wir überhaupt sind.«

Ein dunkler Schatten stahl sich über das aparte Antlitz seiner Mutter, das ihn immer ein bisschen an seine Drillingsschwester Yasemin erinnerte. Min, wie sie von den engsten Freunden und ihren Brüdern genannt wurde, hatte im Gegensatz zu ihrer Mutter ihr Gesicht mit diversen Piercings geschmückt.

»Komm erst einmal mit, Michael.« Sie ergriff seine Hand und zog ihn durch einen Plastikvorhang, der sich hinter der Tür befand, in eine große Halle.

*

»Zeratostus?«, stammelte ich überrascht und hätte mich am liebsten durch die engen Gitterstäbe gequetscht oder mich komplett in Luft aufgelöst. Ich war mir so sicher gewesen, dass Mama und ich ihn gebannt und in eine andere Dimension befördert hatten.

Mit einem Schaudern standen die Bilder, die ich gerne verdrängt hätte, glasklar vor meinem inneren Auge. Ich konnte ihn beinahe körperlich spüren, als die Erinnerung in mir aufkeimte. Wie er mich damals an sich gerissen hatte. Sogar sein Duft, der nach einem frischen Frühlingswind roch, war mit einem Mal wieder da. Vicks Todesschrei hallte in mir wider, und die Panik wallte wie ein Tsunami in mir hoch. Wie kam der Mistkerl hierher? Mein Herz raste, und kalter Angstschweiß bildete sich auf meiner Stirn.

Er lachte belustigt über meine Unfähigkeit zur Flucht und trat mit sicherem Schritt auf mich zu. »Ich frage mich wirklich, warum mich alle Welt mit diesem Loser Elat verwechselt.«

Was meint er damit? Woher kennt er den richtigen Namen von Zeratostus? Und wieder machten meine Gedanken einen wilden Sprung in die Vergangenheit.

Michel hatte die böse Zigeunerin getötet. Während sie starb, schrie sie den richtigen Namen des Dämons, Elat. Ich werde diese Szene wohl nie vergessen können. Zeratostus schien selbst erstaunt über das Wissen seiner ehemaligen Geliebten.

Und jetzt tauchte ein Mann auf, der Zeratostus oder eben Elat wie aus dem Gesicht geschnitten glich und auch noch von dem geheimen Namen wusste. Es wurde immer verrückter, und noch ehe ich in meinem verwirrten Hirn eine Antwort fand, breitete er zwei riesige schwarze Schwingen hinter seinem Rücken aus. Hatte er mich schon mit seinem Erscheinen überrascht, toppte er das jetzt mit seinen Flügeln.

Ehe ich etwas sagen konnte, sprach er weiter: »Ich dachte, ihr Hexen der Familie Rose wärt so schlau. Aber wo immer auch dieser Irrglaube herrührt, ihr seid noch dümmer als die Menschen, und das heißt schon etwas.«

»Bist du gar nicht Zeratostus?«, rutschte es mir über die Lippen, ehe ich es verhindern konnte. Dieser freche, unverschämte Kerl hat das gleiche arrogante Mienenspiel wie der Dämon, der meine Mutter entführt hatte.

Er kam näher, und ich spürte deutlich, wie Panik in mir aufstieg. Ich bezweifelte arg, mit meinen magischen Kräften eine Chance gegen ihn zu haben. Mama und ich hatten erst vor Kurzem mit meinem Zauberunterricht begonnen. Dieser ... ja, was ist er eigentlich für ein Wesen? Auf jeden Fall wirkt er auf mich sehr machtvoll.

»Deine Hexenbrut ist genauso lächerlich wie dieser Kasperkopf, Elat oder Zeratostus, wie er sich gerne nannte. Wirklich zum Totlachen. Haha.« Er lachte meckernd, und es fuhr mir durch Mark und Bein. Ich schluckte, fühlte mich mit einem Mal unfähig, etwas zu sagen. Meine Kehle war wie zugeschnürt.

»Hat es dir die Sprache verschlagen?«, frotzelte er. »Eines solltest du dir gut merken: Vergleiche mich nie mit Gestalten, die sich so alberne Namen ausgesucht haben, als wären sie einem Harry-Potter-Roman entsprungen. Aber ich könnte wetten, dass du selbst noch an solche Märchen glaubst.«

Ich wusste, wovon er redete. Michel hatte mit mir einen Harry-Potter-Film geguckt. Ich war total fasziniert davon gewesen. Eine Schule für Hexen und der Kampf zwischen bösen und guten Mächten. Anschließend hatte mir Michel erklärt, dass es so etwas in real nicht geben würde, und alles nur ausgedacht und geschauspielert war.

»Michel hat mir erklärt, dass es nur eine erfundene Geschichte ist ...« Ich verschloss meinen Mund sofort wieder. Warum rede ich überhaupt mit diesem Ekel? Er hat es doch gar nicht verdient.

Er schnalzte spöttisch mit der Zunge. »Ach ja, dein süßer Michel. Übrigens ist er der Grund, warum du hier bist. Dein erbärmlicher Freund hat Hochverrat begangen.«

Ich blickte ihn fragend an. »Was soll Michel denn gemacht haben?« Zum Glück funktionierte meine Stimme, entgegen meiner Befürchtung, sie wäre nur ein Krächzen. Ich konnte mir nicht im Entferntesten vorstellen, was mein Liebster angestellt hatte und somit, wie sagte er, Hochverrat begangen haben sollte.

Der Typ grinste süffisant und ging gar nicht auf meine Frage ein. Wie soll denn so eine vernünftige Unterhaltung zustande kommen?, fragte ich mich.

»Michel, ach wie niedlich. Ihr seid schon ein lustiges Pärchen. Eine weiße Hexe ...« Er grunzte bei dem Wort ‚weiße‘, »... und ein Werwolf. Das ist ja fast so schön dramatisch wie Romeo und Julia. Ach, Liebe kann so grausam sein.« Er grinste mich unverschämt an, bevor er mich fragte: »Sag, Freyja Rose, darfst du das überhaupt?«

In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken: Wie viel weiß er von meiner Familie, den Frauen der Gilde der Rose?

»Nun ...« Er machte eine theatralische Pause, bevor er weitersprach. »Dann will ich dich mal aufklären. Du bist auserwählt, dein Blut mit Engeln zu kreuzen.« Bei dem Wort ‚Engel‘ flatterte er mit seinen breiten Schwingen, sodass sich ein paar schwarze Federn lösten und zu Boden segelten. Aus der Luft griff er sich eine und reichte mir diese, als wäre sie eine Blume.

Ohne weiter nachzudenken, nahm ich die Feder an und starrte ihm dabei in seine abgrundtiefen Seelenschlünde. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und ließ mich frösteln.

»Danke sagt man!« Mit seinen Worten stürzte mich der Typ noch tiefer in den Horror hinein.

Ich schluckte, spannte die Schultern. Ich werde nicht auf sein Psychospielchen eingehen.

Er lächelte süffisant, als hätte er meine Gedanken erraten. »Jedenfalls bindet ihr euch nicht fest. Ihr lebt eure, entschuldige den Ausdruck, nymphomane Ader hemmungslos mit diesen Versagern aus.«

Ich errötete bei so viel Unverschämtheit.

Er grinste wieder nur, hob eine weitere Feder auf und strich mir mit dieser über meine Wange. Ich zuckte zurück, hatte aber keine Chance. »Eine gute Veranlagung«, säuselte er und fuhr mit der Feder über meinen Hals und mein Schlüsselbein. Ehe er noch weiter streicheln konnte, ergriff ich die Feder und stoppte ihn.

Sein Blick wurde mitleidig. »Arme Freyja. So verklemmt wirst du nie glücklich werden. Wie lange willst du den Werwolf noch abwehren und nicht ranlassen?«

Ich erschrak, dass er so viel von mir wusste.

»Er sucht sich bestimmt eine andere, die nicht so prüde ist. Er ist schließlich ein ganzer Kerl, anders als diese ...« Er schüttelte nur den Kopf.

Aber mir war klar, dass er die Engel meinte.

»Arme, arme Freyja, und dafür hast du dein Erbe verraten.«

»Das macht er nicht!«, giftete ich den Mann an.

»Nein?«

Ich schüttelte trotzig den Kopf. Der Typ schnippte mit den Fingern, und eine Leinwand materialisierte sich vor unser beider Augen. Ein Film lief darauf ab, und als ich die beiden Hauptpersonen erkannte, hätte ich mich am liebsten weggedreht.

Es waren Michel und Natalja in inniger Umarmung und in einem Kuss verschmolzen. Es tat weh, auch wenn ich wusste, dass es in der Vergangenheit passiert war.

»Willst du noch mehr sehen? Zum Beispiel, was er heute macht?«

»Nein!«, erwiderte ich knapp und hoffte inständig, dass der Typ mich mit weiteren Bildern dieser Art verschonen würde.

»Wie schade. Er liegt gerade mit einer Werwölfin im Bett und sie ...«

»Das glaube ich dir nicht«, unterbrach ich ihn aufgebrachter, als ich beabsichtigt hatte.

Der Mann mit den schwarzen Flügeln lachte erneut. »Dann muss ich es dir wohl zeigen. Achtung, kleine Hexe, das ist jetzt nicht jugendfrei.«

»Nein!« Ich trat vor, stieß ihn zurück, sodass er taumelte. Ich will es nicht sehen. Es darf einfach nicht sein! Aber dieser furchtbare Typ hatte es tatsächlich geschafft, Misstrauen in mir zu säen.

Er lachte erneut: »Hoppla, meine Liebe. Nicht so stürmisch. Ich will dich doch mit diesen Bildern nicht quälen. Ich will dir lediglich die Wahrheit vor Augen führen, damit du weißt, an wen du dein Herz verschenkt hast und für wen du hingerichtet werden sollst.«

In mir drehte sich alles. Ich hasste diesen Mann, und ich war wütend auf Michel. Der fremde Typ hatte es geschafft. Ich war total verwirrt. Dieses Mal trat ich einen Schritt zurück.

»Du glaubst, ich wäre dein Feind? Nun, wenn wir von der anfänglichen Begegnung vorhin ausgehen, war ich das auch. Aber jetzt, wo ich dich kennengelernt habe, praktisch in deine tiefsten Wünsche und Gedanken geschaut habe, biete ich dir meine Freundschaft an.«

Ich konnte es nicht glauben, aber er reichte mir seine Hand. Was hat das alles zu bedeuten? Bin ich wirklich so schlecht, wie er gesagt hat? Bin ich alleine durch meine Liebe zu Michel auch böse?

Er kam näher, ergriff meine schlaff herunter hängende Hand und drückte sie herzlich. »Das ist jetzt alles neu für dich, Freyja. Ich kann dich gut verstehen. Aber bitte glaube mir, ich verfüge über Möglichkeiten, die du dir nicht im Entferntesten vorstellen kannst. Ich könnte dir ganz besondere Dinge beibringen. Die Kraft schlummert tief in dir. Ich kann ...« Er unterbrach sich, sah mich abwartend an.

»Wer bist du?«, hörte ich mich selbst wie ferngesteuert fragen.

»Ich bin Karmath. Baron Karmath.«

»Warum siehst du Zeratostus so ähnlich?«

Er antwortete mit einem charmanten Lächeln.

Die Gilde der Rose

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