Читать книгу Die Gilde der Rose - Talira Tal - Страница 12
K A P I T E L 7
ОглавлениеSchlurfende Schritte kamen die enge Wendeltreppe herunter. Zuerst sah ich nur eine Fackel, dann folgte ein hutzeliges Männchen, das uns grimmig anstarrte. Der Mann, der kein Rückgrat zu besitzen schien, ging zu Apollonia schlug ihr ins Gesicht, als diese ihn mit gefletschten Zähnen anknurrte.
Ich spürte mein Herz in meiner Brust jagen. Was will dieser Unmensch von uns?
Der Mann sagte nichts, sondern knebelte Apollonia mit einem Tuch. Dann stülpte er ihr einen Leinensack über den Kopf. Ich konnte deshalb ihre Augen nicht sehen, aber ich war mir sicher, dass sie hasserfüllt funkelten. Ich wusste, warum man Gefangenen den Sack über den Kopf zog. Wenn sie gehängt wurden, war so gesichert, dass die Raben und Krähen ihnen nicht die Augen aushacken konnten. Ein grausamer Gedanke, den ich am liebsten vertrieben hätte.
Der Buckelige kettete sie ab, griff ihren Arm und trieb sie vor sich die Treppe hinauf. Ich sah, dass Apollonia die ersten Stufen hochfiel. Er riss sie hoch und stieß sie weiter die Treppe nach oben. Was machen sie mit ihr? Werden sie sie nun foltern?
Ängstlich blickte ich zu Hekate, die die gleichen Befürchtungen wie ich zu haben schien. Ich spürte wieder meine schmerzenden Arme wie zuvor nicht. Sie brannten wie Hölle, und ich glaubte, es keinen Moment länger ertragen zu können, da schlurfte der Buckelige erneut die Treppe zu uns hinab. Dieses Mal wandte er sich zu Hekate und stülpte ihr ebenfalls einen Leinensack über den Kopf.
»Lass deine Finger von ihr!«, schnauzte ich den Kerl an.
Er beachtete mich gar nicht, löste Hekates Eisenmanschetten und griff, genau wie zuvor bei Apollonia, ihren Arm, um sie die Treppe nach oben zu treiben.
Ich zerrte zu meiner großen Unvernunft an den Ketten und schrie das miese mickrige Männchen gegen meine Schmerzen an: »Du sollst sie loslassen, du doofes Sackgesicht!«
Jetzt reagierte der Kerl. Er drückte meine Vorfahrin an die Wand und trat auf mich zu. Seine Hand packte mit so festem Griff mein Kinn, dass ich glaubte, er würde meinen Unterkiefer zerquetschen. Seine gelblichen Augen starrten mich geradewegs an.
Er ist sehr krank, dachte ich. Seine Organe arbeiten nicht mehr, deshalb die gelbe Farbe.
»Halt deine Klappe«, knurrte er mich an, und ich kämpfte von dem fauligen Gestank aus seinem Mund gegen einen Brechreiz an.
Oh Himmel, ist mir übel. Ich wünschte mir in diesem Moment nur noch, dass er sich von mir entfernen würde. Dann fiel mir Hekate sofort wieder ein. Meine Urgroßmutter stand
nichts sehend an einer Wand und rieb sich ihre schmerzenden Arme. Der Unhold brachte sie nach oben, und dann geschah - nichts.
Kein Laut war zu vernehmen, und die Angst in mir stieg immer weiter an. Was machen sie mit den beiden Frauen? Ich zitterte, und mir war trotz der Kühle, die hier unten herrschte, heiß.
»Bitte beschütze Hekate«, betete ich zu der höheren Macht, die mir schon mehr als einmal aus der Patsche geholfen hatte.
Was geschieht mit mir, wenn sie Hekate wirklich töten? Werde ich mich dann an Ort und Stelle in Luft auflösen? Denn wenn es sie nicht gibt ... Gäbe es auch keine Katharina und somit ... Ich dachte meinen Gedankengang gar nicht erst zu Ende, weil mir mit erschreckender Gewissheit klar wurde, dass er falsch war. Großmutter Katharina lebt bereits. Sie war bei Blitz und Donner und, wie Hekate es sagte, bei den Dryaden in Sicherheit. Mir wird nichts geschehen, wenn es Katharina gut geht. Aber Hekate konnte sterben, und ich wäre unmittelbar dabei. Mein Magen fühlte sich wie zugeschnürt an.
Das Quietschen der massiven Holztür riss mich aus meinen schauerlichen Gedanken. Das hutzelige Männchen kam zum dritten Mal die Treppe hinab, stapfte auf mich zu und trat mit voller Wucht gegen mein Bein, was mich aufjaulen ließ. Was tut dieser Kerl nur mit mir? Der Schmerz in meinem Körper schien überall zu sein. Ich spürte, wie mir Tränen der Verzweiflung die Wange hinabliefen.
Er löste meine Ketten, kniff mir bei seinem Griff fest in den Arm, sodass ich aufkeuchte. Er quittierte meine Pein mit einem hämischen Lachen. Dann riss er so stark an der Eisenkette, dass ich den Halt verlor und vor ihm auf die Knie fiel. Instinktiv wollte ich sofort wieder aufspringen, aber er schlug mich hart ins Gesicht, sodass ich mir sicher war, dass meine Lippe aufgeplatzt war. Er knebelte meinen Mund und verknotete, höchstwahrscheinlich mit voller Absicht, meine langen Haare mit dem Tuch. Es war so schmerzhaft, dass ich das Tuch mit meiner freien Hand abreißen wollte, was meinen Schmerz weiter steigerte. Ich jaulte erneut auf und erntete abermals sein fieses Lachen. Anschließend zog er mir ebenfalls einen Sack über den Kopf und forderte mich auf: »Jetzt komm, du dumme Hure«, brutal stieß er mich die Treppe hinauf. Genau wie zuvor Apollonia konnte ich das Gleichgewicht nicht halten und fiel auf mein Knie. Ich rappelte mich auf. Die Wunde brannte wie Feuer, und ich versuchte die Balance zu bewahren und nicht weiter hinzufallen.
»Hier ist die dritte im Bunde«, hörte ich ihn sagen, als wir die Treppe hinaufgestiegen waren.
»Gut, bringe sie zu den anderen beiden auf den Wagen. Hier hast du die verprochenen Taler.«
Mein Peiniger stieß mich auf einen Leiterwagen, und ich hörte Hekates leise Stimme: «Komm an meine Seite, Alishia. Sonst fällst du noch vom Wagen.«
Ich krabbelte trotz der furchtbar schmerzenden Arme auf die Stimme zu. Holz und vereinzelte Strohhalme konnte ich unter meinen Fingern spüren. Ich setzte mich neben Hekate und erwiderte ihren Händedruck, als sie nach meiner Hand griff.
Eine Stimme rief: »Die Säcke bleiben auf den Köpfen! Wer es wagt, sie abzunehmen, wird sofort hingerichtet.« Die Stimme war beherrschend, sodass ich keinen Zweifel daran hegte, dass er die Drohung wahr machen würde.
Der Wagen, der von einem schnaufenden Pferd gezogen wurde, setzte sich in Bewegung.
Apollonia schien sich ihren Knebel aus dem Mund entfernt zu haben, denn sie schimpfte leise Flüche vor sich her, die ich aber nicht verstehen konnte, da sie in einer für mich fremden Sprache waren. Hekate und ich schwiegen den ganzen Weg. Ich versuchte krampfhaft zu erspüren, wo wir uns befanden. Ich kannte meine Heimatstadt doch, musste es mir dann nicht gegeben sein, so etwas erfühlen zu können? Ich seufzte innerlich und zweifelte wieder einmal an meinen magischen Fähigkeiten.
Wir hielten an. Ich lauschte den Geräuschen der Umgebung. Vogelgezwitscher, das Rascheln der Bäume. Wir waren in einem Wald, mehr konnte ich nicht feststellen. Ich hatte überhaupt keine Orientierung, war nur heilfroh, dass Hekate bei mir war.
Wie geht es Mama und meiner Schwester gerade? Die Frage flammte nur für den Bruchteil einer Sekunde in meinem Kopf auf, dann packte mich jemand am Arm und zog mich von dem Leiterwagen. Als ich glaubte zu fallen, hielt mich jemand an den Armen und half mir, sicheren Halt unter den Füßen zu bekommen.
»Hier Euer versprochener Lohn«, hörte ich eine tiefe Stimme, die mir aber nicht unsympathisch war. Sie hatte etwas Beruhigendes an sich.
Wir wurden in eine Hütte geführt. Ich klammerte mich an Hekates Hand und war ihr dankbar, als sie sie mir nicht entzog und sie stattdessen drückte, als wollte sie mir sagen: »Keine Angst, wir stehen das gemeinsam durch. Glaube immer an die Kraft der Rose.«
Die Tür wurde hinter uns geschlossen, und ich hörte schwere Schritte, die sich in der Wohnkammer bewegten und um mich und meine Urgroßmutter herumzulaufen schienen.
»Ihr könnt die Leinensäcke nun entfernen«, befahl uns die beruhigende Stimme.
Ich zögerte erst, aber als Hekate mich losließ, um sich den Sack vom Kopf zu ziehen, tat ich es ihr gleich und befreite mich ebenfalls von dem Tuch, das meinen Mund verschlossen hatte. Das Sonnenlicht, das meine Augen traf, blendete mich im ersten Moment. Ich schloss die Augen und spürte in meine Umgebung hinein. Außer Apollonias Aggressivität nahm ich keine feindseligen Emotionen wahr. Ich spürte Sorge, Neugierde, Hoffnung, Angst, Verzweiflung und bedingungslose Liebe. Für einen kurzen Moment sog ich die Gefühle der Anwesenden in mich auf, dann wagte ich es erneut, meine Augen zu öffnen.
Das Erste, was ich sah, war ein Mann, der mich um gute zweieinhalb Köpfe überragte. Seine warmen Augen blickten mich direkt an, und sie spiegelten Hoffnung und die bedingungslose Liebe, die ich zuvor gefühlt hatte. Ich schenkte ihm ein Lächeln, das er kurz erwiderte.
Während er weiter zu Hekate schritt, sah ich mich in der Kammer um. Da war ein großes Holzbett, das fast den ganzen Raum einnahm. Eine rote Brokatdecke mit vielen Stickereien verdeckte einen schmächtigen Frauenleib, von dem das eingefallene Gesicht, das eher einem Totenschädel glich, bleich hervorstach. Ich trat näher an das Bett, und die Person schlug die Augen auf, sodass ich erschrak und zurücktaumelte. Dabei stieß ich gegen Apollonia, die überhaupt nicht reagierte und genau wie ich die eingefallene Gestalt entsetzt betrachtete.
Ich erschrak, als der Mann sich neben mich stellte und mir seine Hand auf die Schulter legte. Seine Miene war nun ernst und besorgt.
»Ihr fragt Euch bestimmt, wer ich bin und warum ich Euch aus eurem Gefängnis freigekauft habe.«
Hekate trat an das Bett, griff eine zierliche Hand und fühlte nach dem Puls.
»Ihr wollt Rettung für die Kranke«, antwortete sie ihm und legte die Hand behutsam unter die Decke zurück.
»Ihr seid der Ritter von Schönburg«, entgegnete Apollonia, von der ich immer noch nicht das Gesicht sehen konnte, weil ihr struppiges Haar es überwucherte. »Bei Zeus, ich hörte von Euch.«
Der Mann gab einen Laut des Erstaunens von sich.
»Wie habt Ihr mich erkannt? Ihr dürftet bisher nicht in den Genuss gekommen sein, mich ohne meine Rüstung zu Gesicht bekommen zu haben.«
Die dunkelhaarige Hexe lachte schrill, sodass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Mir fiel auf, dass der Ritter verlegen wurde, seine Gesichtsfarbe verfärbte sich rötlich, und seine vorher ruhige Stimme klang nervös. Es lag eine immense Spannung in der Luft, die schwer zu ertragen war.