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K A P I T E L 4

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»Woher?«, war das Erste, was ich über die Lippen brachte.

Zu meinem großen Erstaunen kicherte die rotblonde Frau. Sie streckte ihr angewinkeltes Bein aus, sodass ich ihre Fußsohle sehen konnte. Ich schnappte nach Luft, als ich deutlich, trotz des vielen Drecks, die eingestochenen Rosen mit ihren Dornen erkennen konnte. Ich musste erst meinen offenstehenden Mund wieder schließen, so sehr hatte mich diese Neuigkeit aus der Bahn geworfen. Sie war tatsächlich eine meiner Vorfahrinnen, und jetzt fiel mir auch die frappierende Ähnlichkeit auf. Die gleichen Augen und Sommersprossen, die alle Frauen der Familie Rose besaßen. Ja, sogar das Haar hatte die identische Farbe. Nur war ihr Haar im Gegensatz zu meinem lockig.

»Wurde ich angekündigt?«, wollte ich von ihr erfahren. Vielleicht hatte Oma, nachdem sie mich in das Zeitportal stieß, ja bereits Bescheid gesagt. Aber an ihrem irritierten Blick stellte ich fest, dass sie mit meinen Worten nichts anfangen konnte.

»Wer bist du?«, fragte ich stattdessen und war unendlich froh, tatsächlich eine Verwandte gefunden zu haben.

»Hekate«, stellte sie sich vor.

»Rose?«, erkundigte ich mich leise.

Sie nickte mir bejahend zu. Dann glitt ihr Blick wieder zu Apollonia.

»Es gibt Hexen, die tarnen sich als Huren, fallen aber trotzdem irgendwann auf. Sag, du unschuldiges Wesen ...«, wobei sie das Wort unschuldig sarkastisch betonte, »… warum hext du dich nicht einfach frei?«

Von Apollonia schwappte uns eine Welle aus Unsicherheit und Selbsthass entgegen. Eine recht merkwürdige Reaktion, wie ich fand. Sie schwieg eine Weile, als überlege sie, was sie meiner Urahnin antworten sollte. Ohne Vorwarnung blaffte sie Hekate an: »Was soll das heißen?«

»Du weißt sehr gut, von was ich spreche. Tu nicht so scheinheilig.« Hekate blieb zu meiner Verwunderung gelassen.

Jedoch nahm Apollonias Unruhe immens zu, und ich erzeugte rasch eine mentale Blase um mich herum, damit ich diese Emotionen nicht abbekam.

Hekate blieb weiterhin ruhig. Sie ließ von Apollonia ab und blickte mich wieder an. »Lass den Schutzschild mal weg. Ich will dir etwas sagen.«

Woher weiß sie das? Sieht sie etwas, das um mich herum ist? Vielleicht so eine Art Strahlenkranz? Ich hatte mir darüber noch nie Gedanken gemacht, und jetzt wurde ich von einer Hexe der Familie Rose darauf angesprochen. Ich war neugierig und wollte unbedingt mehr von ihr erfahren. So tat ich, was sie sagte, und ließ mein Schutzschild fallen.

Hekate lächelte wieder, doch dann folgte etwas, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Meine Urahnin bediente sich der Telepathie. Gut, ich wusste von Großmutter Katharina, dass wir Frauen der Familie es konnten. Aber nie zuvor hatte ich mit anderen Wesen auf diese Art und Weise kommuniziert. Hekate betrat mit einer so vollkommenen Selbstverständlichkeit meine Gedanken, dass es mich für einen kurzen Moment erschreckte.

»Hallo.«

Mein erster Impuls war, sie meines Kopfes zu verweisen, dann aber siegte die Neugierde, was sie mir auf diese Art und Weise mitteilen wollte. Mir war klar, dass es wegen Apollonia war, die von unserem Gedankenaustausch nichts mitbekommen sollte.

»Hallo, Hekate«, versuchte ich, genauso fest zu antworten.

Sie kam direkt zur Sache: »Die Kreatur an deiner Seite ist abgrundtief böse. Deshalb habe ich diesen Weg gewählt. Kannst du ihre Magie spüren?«

Ich dachte einen Moment über mein Ankommen im Kerker nach. Ich hatte das gammelige Stroh gerochen und mich an meine Inhaftierung im Blücherturm erinnert.

»Nein, ich habe nichts gespürt«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Aber deine Magie habe ich auch nicht wahrgenommen. Du musst wissen, ich weiß noch nicht lange, dass ich eine Hexe bin, denn meine Mutter ...«

»Das ist kein Wunder, denn ich hatte meine Magie vor der Außenwelt und ganz besonders vor der da verborgen«, unterbrach Hekate mich.

Ich konzentrierte mich weiter auf ihre Gedanken, die in feinen Strömen in meinem Gehirn landeten.

»Aber als du hereingebracht wurdest, reagierte sie natürlich. Deine Magie ist so präsent, dass sie eigentlich jeder wahrnehmen kann. Und als mir dann auch noch unser Nachname herausrutschte, wusste sie, mit wem sie es zu tun hat. Ihre Spötteleien vorher waren nur Gaukelei, um von sich selbst abzulenken. Ihre grausamen Gedanken machten mich fassungslos.«

Ich vermied es, zu Apollonia hinüberzublicken, von der uns Hass entgegenschlug.

»Können wir uns nicht zu dritt mit Hilfe der Magie befreien?«, fragte ich meine Urahnin.

»Ich mache mit der dunklen Seite keine Geschäfte. Der Preis ist immer zu hoch.«, klärte mich Hekate auf. »Wie nennt man dich?«

Eine leise Stimme in meinem Kopf, die sich anhörte wie die meines Engels, den ich erst vor kurzem kennengelernt hatte, flüsterte mir eine deutliche Warnung zu: »Sage ihr nicht, aus welcher Zeit du kommst, und nenne ihr auch nicht deinen richtigen Namen. Sag ihr, dass du Alishia heißt.«

Die Worte irritierten mich, und ich war mir unsicher, ob Hekate sie nicht auch gehört hatte. Aber ich musste es riskieren, und so log ich meine Verwandte an. »Man nennt mich Alishia. Lebst du alleine? Wo sind die anderen Frauen unserer Familie? Deine Mutter, deine Großmutter, hast du Schwestern?«

Ich hasste es, sie anzulügen, aber der Engel hatte sicherlich einen triftigen Grund. Ich versuchte, mich erneut auf Hekate zu konzentrieren. Sie musste etwa in meinem Alter sein, deshalb vermutete ich, dass sie noch bei ihrer Mutter und Großmutter lebte, so wie ich es getan hatte. Die Antwort, die ich erhielt, überraschte mich zunehmend.

»Ich lebe mit meinem Baby Katharina alleine in einer Kate im Wald. Großmutter und Mutter befinden sich auf einer Reise. Ein Dämon hatte uns arg zugesetzt. Mit einem Mal schien er verschwunden. Wir konnten es uns nicht erklären, und so haben sich die beiden auf den Weg gemacht, den Grund in Erfahrung zu bringen. Es war sehr gefährlich, als er noch da war. Zeratostus ist einfach unberechenbar.«

Die Nennung der beiden Namen durchzuckte mich wie ein Blitzschlag. Meine Gedanken fuhren Achterbahn. Sie hatte ein Baby, das Katharina hieß. Ihre Mutter und Großmutter befanden sich auf der Suche nach einem Dämon, der Zeratostus hieß. Das konnte doch alles kein Zufall sein. Wie lange war er schon hinter meiner Familie her?

»Wo ist dein Baby denn jetzt?«, fragte ich Hekate besorgt. »Welches Jahr haben wir überhaupt?«, schoss ich gezielt eine Frage nach.

Hekate blickte mich ungläubig an. Wahrscheinlich, weil sie meinen Gedankenwirrwarr mitbekommen hatte. »Oh, was ist nur mit dir? Deine Gedanken rasen schnell und schlagen Saltos. Sie sind nicht mehr zu greifen«, bekam ich ihre Gedanken mit.

»Ja, hilf mir bitte, alles zu ordnen«, bat ich meine Vorfahrin.

Hekate blickte zu Apollonia, die ihr Gesicht von uns fortgedreht hatte und so tat, als würde sie sich für uns überhaupt nicht mehr interessieren.

»Sie ist sehr gefährlich. Nimm dich vor ihr in acht. Sie praktiziert schwarze Magie.«

Ich nickte ihr zu, als Zeichen, dass ich ihre Warnung verstanden hatte.

»Gerne bin ich dir bei der Ordnung deiner Gedanken behilflich. Du fragest nach der Jahreszahl. Lass uns da beginnen. Wir schreiben das Jahr des Herrn 1561. Willst du mir verraten, warum du es nicht selber weißt?«

»1561? Dann ist das ja Groß…« Mir waren die Worte laut über die Lippen gerutscht, und sofort spürte ich Appolonias Blick auf mich gerichtet.

Aber dann bemerkte ich, dass Hekates Blick genauso ungläubig an mir hing.

»Was machst du?«, ermahnte mich meine Verwandte, und ich wusste, dass sie die Telephatie meinte.

Ich schluckte, spürte jetzt wieder meine schmerzenden Arme, die immer länger zu werden schienen. »Entschuldige.«

»Die Hexe darf davon nichts mitbekommen.«

Ich nickte, als Zeichen, dass ich mich zusammenreißen würde.

Hekate lächelte mir aufmunternd zu, bevor sie den Gedankenaustausch fortsetzte. »Denke einfach nicht weiter an die Schmerzen. Was meintest du mit Groß …? Meine Großmutter heißt Ilse.«

Wie soll ich ihr erklären, dass ihre Tochter meine Großmutter war?

»Hekate, was ich dir nun beichte, ist nicht so einfach zu erklären und wahrscheinlich noch schwieriger zu begreifen. Es ist auch ein bisschen verworren. Aber ich ...«

»Alles von dir ist verworren«, unterbrach sie mich, und ihre Gedanken trafen mich sogar ein bisschen.

»Ich mache das zum ersten Mal«, verteidigte ich mich.

»Das weiß ich doch. Das war nicht bös gemeint, aber deine Gedanken sind das reinstes Chaosmeer.«

Es ärgerte mich, wie sie meine Gedanken betitelte. Es waren meine, und eigentlich hatte sie auch nichts in meinem Kopf zu suchen. Hieß es nicht immer, die Gedanken wären frei? Und jetzt las meine Urgroßmutter in ihnen und stellte sie auch noch als chaotisch dar.

Als sie auch das bemerkte, verzog sich ihr Mund noch mehr zu einem Grinsen. »Schritt für Schritt. Wenn du jetzt beleidigt bist, kommen wir nicht weiter.«

»Ich finde, du könntest ...«

Ja, was soll ich ihr sagen? Benimm dich in meinen Gedanken? Ich musste über mich selbst den Kopf schütteln und schmunzeln. Das Ganze war schon ganz schön abgefahren.

Plötzlich kam mir eine Idee, die vielleicht zur Entwirrung meiner Geschichte beitragen könnte. »Kennst du Blitz und Donner?«, fragte ich sie zaghaft.

Sie nickte, überging Apollonias Knurren und antwortete mir mental. »Aber sicher kenne ich unsere Zaubervögel. Seit ich mich erinnern kann, hängt ihr Käfig in Mamas Kammer.«

Ich atmete erleichtert auf. »Gut, kennst du auch ihre goldenen Eier?«

Hekates grau-grüne Augen weiteten sich für einen Moment.

»Sie haben noch nie Eier gelegt. Meine Mutter, Xenia, erzählte mir immer nur, sie wären so wertvoll und mit Gold nicht aufzuwiegen. Sie und Großmutter Ilse warten sehnlichst auf Nachwuchs.«

»Es wird noch einige Jährchen dauern«, gab ich zur Antwort.

Die richtigen Jahreszahl vermied ich tunlichst. Ich würde es ihr nicht verraten, genau wie meinen richtigen Namen.

Dieses Mal verließ ein erstaunter Laut Hekates Mund und lenkte Appolonias Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Woher weißt du das?«

Ich zog scharf die Luft ein, blickte sie unbeirrt an.

»Ich komme aus der Zukunft.«

Hekate riss nun vor Verwunderung an ihren Ketten, was ihr augenscheinlich Schmerzen bereitete, denn ihre Miene verzog sich für einen Bruchteil dementsprechend.

Ehe sie etwas dazu sagen konnte, klärte ich sie weiter auf: »Ich kenne auch Zeratostus. Der Mistkerl hat meine Mutter entführt und 400 Jahre in die Zukunft verschleppt. Ich konnte sie mit der Kraft der Rose befreien. Gemeinsam konnten wir Zeratostus bannen. Ich denke, das ist der Grund, warum er hier, in deiner Zeit, nicht mehr auftaucht. Denn der Dämon konnte durch die Zeiten wandern, und jetzt, wo wir ihn gebannt haben, kann er es nicht mehr.«

Hekate schüttelte über das eben Erfahrene ungläubig den Kopf. Ich sah ihr an, dass sie mit sich rang, meine Geschichte, die sich ja sehr unglaubwürdig anhörte, zu glauben.

»Habe ich das richtig verstanden? In der Zukunft legen Blitz und Donner Eier? Und du sagst, dass sie von goldener Farbe sind?«

»Nein«, verbesserte ich sie sofort. »Die Eier legten sie, um mich vor dem Tod auf dem Scheiterhaufen zu bewahren. Mit ihrer Hilfe bin ich dann ebenfalls durch die Zeit gereist und so in die entfernte Zukunft gelangt.«

»Das klingt unglaublich, Alishia. In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen wir beide?«

Sie stutzte, und mir war klar, dass sie sich das Hirn über diese Frage zermarterte. Aber ich durfte ihr nichts sagen.

»Das kann ich dir noch nicht sagen, weil ich die Vergangenheit somit vielleicht verändere, und das wäre sicherlich nicht gut. Lass es uns dabei belassen, dass wir Blutsverwandte sind.«

Sie nickte. »Du hast sicherlich recht. Aber das Ganze ist wirklich sehr verrückt. Ich bin froh und dankbar, dass du zu uns gekommen bist. Gemeinsam werden wir einen Weg aus dem Turm finden.«

»Ja, das werden wir. Aber es ist schon lustig, dass wir beide gleich alt sind.«

Zeitgleich lachten wir schallend los. Wir störten uns nicht an Apollonias Geknurre und ihrem lauten: »Ruhe! Das ist ja nicht zum Aushalten. Habt ihr denn den Verstand verloren, ihr dummen Hexen?«

Wir beachteten ihre gemeinen Worte gar nicht und amüsierten uns köstlich über die Tatsache, dass wir im gleichen Alter waren.

»Wo sind denn Blitz und Donner?«, fragte ich meine Urgroßmutter, als wir uns einigermaßen beruhigt hatten.

»Bei meiner kleinen Katharina und den Dryaden. Ich wusste mir keinen anderen Rat, und ich war froh, dass sich die Dryaden schon öfter um mein Baby gekümmert haben.«

Kurz dachte ich daran, ihr zu erzählen, dass Blitz und Donner ein Ei sogar ausgebrütet hatten und aus diesem die Wiedergeburt ihrer Tochter in Form eines Drachens geschlüpft war. Aber ich beschloss, diese Tatsache erst einmal für mich zu behalten. Ich hatte Hekate bereits mit sehr vielen Neuigkeiten verwirrt. Das reichte erstmal. Nun wollte ich mehr über diese Dryaden, ihre Mutter und auch über ihre Großmutter erfahren, da öffnete sich laut quietschend die Tür zu unserem Gefängnis.

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