Читать книгу Dem Leben so nah wie nie zuvor - Tanja Gutmann - Страница 10

3. KAPITEL Weihnachten

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Ich breche langsam auf Richtung Luzern zu meinem Freund. Ich spüre, dass es meinen Eltern am liebsten wäre, ich würde bei ihnen bleiben. Aber ich möchte aus irgendwelchen Gründen, die ich auch heute noch nicht verstehe, an meinem Plan festhalten. Vielleicht auch, weil ich die Einladung nicht so spontan absagen will, mich irgendwie auch nicht traue, aber sicher auch, weil ich jetzt einfach ein Stück Normalität in meinem Leben brauche. Und diese Normalität ist eben am 24. Dezember mit der Familie meines Freundes zu feiern. Auch wenn das heißt, dass Weihnachten mit meiner eigenen Familie dieses Jahr ins Wasser fällt.

Die Stimmung um den Weihnachtsbaum ist gedrückt. Es ist aber eine andere Bedrücktheit als zuhause, es ist irgendwie ein gehemmtes Bedrücktsein. Die Familie meines Freundes ist betroffen, interessiert und stellt mir Fragen, aber ich merke auch, dass sie nicht recht wissen, wie reagieren und was sagen. Das ist ja auch verständlich. Wie geht man mit so einer Situation um? Auch ich komme ihnen wohl verändert vor. Ich weiß ja selber nicht, wie ich die Situation handhaben soll. Auf eine Art bin ich verlegen, auf die andere Art komme ich mir einfach blöd vor.

Ein bisschen erinnert mich die Situation an die Zeit kurz nach meiner Wahl zur Miss Schweiz. Plötzlich reagierten die Leute, auch solche die ich schon lange kannte, anders auf mich. Sie waren zurückhaltender. Für mich war das sehr komisch, denn ich war immer noch die gleiche Person wie vor der Wahl. Die Leute verhielten sich anders, weil sie mich plötzlich in einem anderen Licht sahen. Ich war eben nun für sie eine öffentliche Person, die auf den Titelseiten abgebildet war und nicht mehr einfach nur das Mädchen von nebenan.

Die so typische und schöne Lockerheit, die sonst immer zwischen Sachas Familie und mir herrschte, ist zwar noch da und die tut mir auch richtig gut, aber zwischendurch gibt es immer wieder Momente, in denen ich eine gewisse Distanz fühle. Vielleicht liegt es auch an mir. Vielleicht fühle ich eine Beklemmung, weil ich innerlich aufgewühlt bin und mich schützen will oder weil meine Gedanken immer wieder zu meiner Diagnose abschweifen.

Dann haben wir es wieder lustig und lachen zusammen. Das ist für mich die beste Medizin und doch fühle ich mich innerlich irgendwie einsam.

Es zieht mich wieder ganz stark nach Solothurn zurück. Ich möchte etwas alleine sein, noch mal die beleuchtete Verenaschlucht sehen. Plötzlich werden Sachen wichtig, die mir vorher einfach nur schön oder auch einfach banal vorkamen. Dinge, die mich nun auf eine Art und Weise berührten, wie eben die Verenaschlucht, wenn sie am 24. Dezember mit hunderten von Kerzen beleuchtet ist.

Ich verabschiede mich etwas früher als geplant von Sachas Familie und mache mich auf den Weg Richtung Solothurn.

Ich fahre nicht direkt zu meinen Eltern nach Hause, sondern mache einen Abstecher in die Schlucht.

Mittlerweile sind fast keine Leute mehr da. Sie ist wunderschön mit all den flackernden Flämmchen. Aber ich komme nicht so recht in Stimmung. Ich sehe das Meer von Kerzen aus einer gewissen Distanz und merke, dass ich nicht richtig präsent bin und immer noch unter einer dünnen Glashaube stecke. Seit der Diagnose habe ich wohl meinen Schutzschild nie ganz abgelegt.

Die Schlucht, mein Leben, überhaupt die ganze Welt scheinen irgendwie anders zu sein. Mir ist zwar bewusst, dass sich die Welt noch genau so dreht und ich weiß auch, dass alles noch genau so ist, wie es vorher war und doch scheint alles anders zu sein. Meine Wahrnehmung hat sich verändert.

Kaum oben angekommen laufe ich die Schlucht auch schon wieder runter. Auf einmal schießen mir die Gedanken wieder durch den Kopf: Was, wenn ich die Schlucht heute zum letzten Mal sehe? In rund zehn Stunden muss ich im Spital einchecken. Was kommt alles auf mich zu? Wie wird es sein operiert zu werden. Ich war noch nie im Spital, außer auf Besuch natürlich. Die Angst schleicht sich wieder in meine Knochen. Es ist krass, wie die Diagnose meine Welt durchschüttelt. Ich durchlebe pausenlos ein Wechselbad der Gefühle. Mal kann ich nicht mehr klar denken, alles ist surreal und verschwommen, die Gefühle sind wie ausgeschaltet, dann wieder überfallen mich alle Emotionen auf einmal.

Ich bin fassungslos. Ich kann einfach nicht verstehen, warum mein Körper etwas produziert, das mir schadet. Und ich kann schon gar nicht verstehen, warum ich all die Signale nicht als solch eine Gefahr aufgefasst habe.

Vielleicht habe ich heute Abend zum letzten Mal Weihnachten gefeiert und ich habe es nicht gewusst. Na ja, eigentlich weiß man ja nie, wann etwas zum letzten Mal ist. Und wenn dies wirklich meine letzte Weihnacht gewesen sein soll, dann habe ich sie nicht einmal mit meiner Familie verbracht! Mir schießen die Tränen in die Augen und ich habe das Gefühl, meine Leute im Stich gelassen zu haben. Ich habe meinen Eltern und meiner Schwester nicht die Priorität gegeben, die sie hätten bekommen sollen. Ich hätte doch zu Hause bleiben sollen. Ich, der Familienmensch, verbringe meine letzte Weihnacht mit einer anderen Familie. Dabei sind meine Leute und Weihnachten für mich so wichtig. Ich hätte wenigsten den 24. Dezember bei Mam und Pap sein sollen. Die großen Familienfeten werden ja ohnehin ohne mich stattfinden.

Wir feiern am 25. Dezember am Mittag mit dem ganzen Familienclan meines Vaters und am Abend mit der ganzen Familienseite meiner Mutter. Für mich fällt das alles ins Wasser!

Der Satz: Genieße jeden Tag, wie wenn es dein letzter wäre, fällt mir plötzlich ein. „Oh nein“, schießt es mir in den Kopf. Ich habe mein Leben viel zu wenig genossen! Ich habe viel zu wenig gefeiert, bin zu wenig gereist, habe meinen Leuten zu wenig gesagt, wie gern ich sie habe! Überhaupt, es war von allem zu wenig! Ich spüre, wie Wut in mir hochsteigt! Es ist einfach nicht richtig, es ist unfair! Habe ich irgendwann etwas getan, wofür ich jetzt bestraft werde? Nicht dass ich wüsste. Was also soll das Ganze?

Wenn ich heil aus der ganzen Geschichte rauskomme, dann werde ich das alles ändern! Ich werde leben, voll und ganz. Reisen, feiern, den Leuten richtig nah sein und vor allem werde ich ihnen mehr zeigen und sagen wie viel sie mir bedeuten!

Wenn man plötzlich spürt, dass man etwas verlieren könnte, wird es unglaublich wertvoll. Das ist mit allem so, mit Menschen, Tieren, Sachen und auch mit dem Leben. Warum braucht es oft die einschneidenden Momente, damit man realisiert, wie wertvoll etwas ist?

Ich wusste lange nicht, was ich hier auf dieser Welt überhaupt soll. Ich hatte kein klares Ziel. Ich war wie ein Boot auf dem Ozean – ohne Segel, wohlverstanden. Das Leben hat einfach mal mit mir gemacht. Zu realisieren, dass ich viel von dem, was ich möchte und mir wichtig ist, gar nicht richtig ausgekostet habe und jetzt die Möglichkeit besteht, dass ich das vielleicht gar nie mehr kann, das war wie ein kleiner Schock. Es hat mich wachgerüttelt und hat mir gezeigt, dass ich mein Leben in die Hand nehmen muss.

Wenn ich den Steuerknüppel nicht in die Finger nehme, dann lebt das Leben mich und nicht ich das Leben.

Tipp: Das Leben bewusst leben und bewusst verändernUm das Leben bewusst zu steuern und zu verändern, musst du wissen, was du willst und achtsam sein.Du fährst ja auch nicht einfach mit dem Auto drauflos. Du hast ein Ziel, wohin du willst. Und um an dieses Ziel zu kommen, preschst du nicht wie ein Verrückter über die Straßen ohne links oder rechts zu schauen. Mal musst du anhalten, mal schauen, wie du unversehrt über die Kreuzung kommst, mal musst du dich orientieren, ob du überhaupt in die richtige Richtung fährst, dann kannst du wieder richtig Gas geben. Genau so ist es auch mit dem Leben.Werde dir bewusst, was du vom Leben möchtest und erwartest. Was sind deine beruflichen und persönlichen Ziele? Wohin willst du dich entwickeln? Wen möchtest du teilhaben lassen?Achte auf dich, horche in dich hinein. Nimm dich wahr. Welche Situationen, Jobs Menschen, Aussagen tun dir gut und welche reißen dich herunter? Finde heraus, was welche Emotion in dir auslöst. Deine Emotionen sind sozusagen dein Navigationssystem.Hast du bei etwas ein gutes Gefühl, dann bist du auf dem richtigen Weg dein Ziel zu erreichen. Ist das Gefühl eher negativ oder belastend, dann musst du vielleicht eine andere Route nehmen oder sogar dein Ziel überdenken.Achtsamkeit hilft dir nicht nur in die richtige Richtung zu gehen, sondern auch eventuelle Gefahren oder Hindernisse, die sich dir in den Weg stellen könnten, frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Und sie hilft, dir bewusst zu werden, was für dich richtig und wichtig ist.
Das Leben ist zum Leben da – jetzt und in jedem Moment!
Werde dir bewusst, was du vom Leben erwartest. Tu alles (ethisch korrekt natürlich), damit es auch in Erfüllung geht.
Hab Ziele im Leben, dann hast du auch eine Motivation vorwärts zu gehen.
Achte auf deine Emotionen, sie sind dein Leitfaden und zeigen dir, ob du auf dem richtigen Weg bist.
Nimm auch deine Gegenüber wahr und sei achtsam, was zu jedem Zeitpunkt in deinem Leben gerade passiert, sowohl um dich herum als auch in deinem Inneren.
Nimm dir immer mal wieder bewusst Zeit und horche in dich hinein, welche Bedürfnisse du hast?
Willst du etwas in deinem Leben verändern, dann nimm dir Zeit und überlege in Ruhe, was alles falsch läuft und was in Zukunft alles anders sein soll.
Denke in schwierigen Momenten positiv, lösungs- und zukunftsorientiert.
Jedes negative Erlebnis hat auch etwas Positives. Man muss es nur sehen wollen.
Setze dir Deadlines, bis wann du zum Beispiel etwas verarbeitet oder erreicht haben möchtest.
Wenn es dich zusätzlich motiviert, dann erzähl einer dir nahen Person davon und bitte sie, dich gelegentlich zu fragen, wie es mit der Umsetzung läuft.
Nimm dir für jeden Tag einen kleinen Schritt in diese Richtung vor und setze es auch um!Das Leben ist zu kurz um es zu verplempern! Mache dir darum immer wieder Gedanken, was dir wichtig ist im Leben, wohin du es steuern möchtest und wie du dich dabei fühlen willst. Genieße es in vollen Zügen. Willst du etwas tun, dann warte nicht. Mach dich auf den Weg. Tu es jetzt!
Dem Leben so nah wie nie zuvor

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